L 8 U 5044/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 2 U 3925/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 5044/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die auf seiner Homepage publizierten Äußerung eines Sachverständigen, die zwar die Annahme der Befangenheit gegenüber einer Prozesspartei noch nicht rechtfertigen, aber eine subjektiv kritisch Distanz zu von bestimmten Prozessparteien herangezogenen Ärzten erkennen lassen, geben grundsätzlich Anlass zur Prüfung, ob sein Gutachten im Hinblick auf Befunderhebung und ärztliche Bewertung auf fachlichen Überlegungen beruht oder seine gutachterlichen Ausführungen von der zum Ausdruck gebrachten Einstellung gegenüber Dritten geleitet sind.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 15.11.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers hat die Beklagte auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 14.05.2007 eine Verletztenrente zusteht.

Der 1966 geborene Kläger versuchte am 14.05.2007 im Rahmen seiner Tätigkeit für einen Kartonhersteller eine auf einem automatischen Rollenband hängengebliebene mit Fertigwaren beladene 90 kg schwere Palette leicht anzuheben. Dabei zog er sich eine distale Bizepssehnenruptur rechts zu. Diese wurde am 18.05.2007 im Rahmen einer offenen Revision und transossären Reinsertion mittels Cork screw Fadenanker operativ versorgt [Zwischenbericht vom 23.05.2007 der T. Krankenhaus und S. H.-Klinik GmbH, Bl. 11 der Verwaltungsakten (VA)]. Der Kläger war in der Folge arbeitsunfähig bis zum 22.07.2007 und nahm anschließend seine Arbeit wieder auf.

Die Beklagte holte die Stellungnahme des fachärztlichen Beraters Dr. S. vom 19.09.2007 ein, der empfahl, einen Arbeitsunfall abzulehnen, da es sich um eine willkürliche Kraftanwendung ohne von außen einwirkendes Ereignis oder Fehlgängigkeit gehandelt habe (Bl. 30 VA). Mit Schreiben vom 01.10.2007 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass sich das Geschehen auf der einen Seite bei einer betriebsüblichen Tätigkeit zugetragen habe, die vom Kläger in der gleichen Art und Weise schon immer ausgeführt werde, auf der anderen Seite durch das Fehlen eines von außen einwirkenden Ereignisses kein Unfallgeschehen festzustellen sei.

Mit Schreiben vom 24.01.2011 wandte sich der Kläger wegen der Anerkennung eines Arbeitsunfalls wieder an die Beklagte. Die nicht erfolgte Anerkennung des Schadensereignisses vom 14.05.2007 als Arbeitsunfall widerspreche den vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Grundsätzen zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls (Schreiben vom 14.02.2011, Bl. 52/54 VA).

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete Prof. Dr. O. das orthopädisch-unfallchirurgische Gutachten vom 15.12.2011 (Bl. 76/81 VA). Als verbliebene Gesundheitsstörung bestehe eine geringfügige Bewegungseinschränkung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewertete er mit unter 10 Prozent. Eine distale Bizepssehnenruptur trete in aller Regel nicht bei normalen Verrichtungen und ohne äußeren Anlass auf. Auf die Einwendungen des fachärztlichen Beraters Dr. S. (Bl. 87 VA) führte Prof. Dr. O. mit Schreiben vom 16.07.2012 (Bl. 101/102 VA) aus, dass es bei der Auffassung des Vorliegens eines Arbeitsunfalles verbleibe.

Mit Bescheid vom 05.10.2012 (Bl. 108 VA) lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab, da die Voraussetzungen für einen Rentenanspruch nicht vorlägen. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei über die 26. Woche nach Eintritt des Arbeitsunfalles bzw. nach dem Ende des Verletztengeldanspruchs nicht um wenigstens 20 Prozent gemindert. Der Arbeitsunfall habe zu einer endgradigen Einschränkung der Beweglichkeit im rechten Ellenbogengelenk nach distalem Bizepssehnenriss rechts geführt.

Am 15.10.2012 legte der Kläger gegen den Bescheid Widerspruch ein. Er sei der Auffassung, dass sowohl Verletztengeld zu zahlen sei als auch eine MdE von mindestens 20 Prozent vorliege.

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Prof. Dr. O. habe in seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass es sich bei dem Ereignis vom 14.05.2007 um einen Arbeitsunfall im Sinne des Gesetzes mit einer Ruptur der rechten Bizepssehne als Unfallfolge handele. Eine rentenberechtigende MdE lasse sich aber nicht begründen.

Am 05.12.2012 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG). Er sei der Auffassung, dass aufgrund der jahrelangen Behandlung und der sehr starken Schmerzen eine MdE von mindestens 20 Prozent vorliegen müsse.

Mit Gerichtsbescheid vom 15.11.2013 wies das SG die Klage ab. Die Beklagte habe die Gewährung von Verletztenrente zu Recht abgelehnt. Die Folgen des vom Kläger erlittenen Unfalls rechtfertigten keine MdE um 10 v. H. Die geringfügige Bewegungseinschränkung des rechten Ellenbogengelenks rechtfertige keine MdE. Gleichfalls rechtfertigten die vom Kläger geltend gemachten Schmerzen keine MdE um 10 v. H. Die von dem Unfall verbliebene reizlosen Narbe führe ebenfalls nicht zu einer messbaren MdE. Gleiches gelte für den im Arm verbliebenen Fadenanker. Eine Neurasthenie des Klägers habe bereits im Jahre 2005 und mithin vor dem Unfallereignis bestanden. Ein vom Kläger gleichsam "ins Blaue hinein" für möglich gehaltener Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem am 08.07.2008 erlittenen Myokardinfarkt sei auszuschließen.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 20.11.2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22.11.2013 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Es müsse eine MdE von 20 verblieben sein. Aus Sicht des Klägers stelle sich die Situation so dar, dass er aufgrund des Arbeitsunfalles aus dem Jahr 2007 seine Arbeitsstelle verloren habe. Das Integrationsamt habe der Kündigung zugestimmt, weil es letztendlich der Auffassung gewesen sei, dass die Gesundheitsbeeinträchtigungen bei dem Kläger sehr schwer seien und dass kein leidensgerechter Arbeitsplatz vorhanden sei. Der Kläger habe aufgrund des Arbeitsunfalles und der Tatsache, dass er seitdem sehr lange immer arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen sei, eine krankheitsbedingte Kündigung bekommen, die er dann letztendlich auch aufgrund der Tatsache, dass er erkannt habe, dass sein Körper nicht mehr mitmache, akzeptiert und sich dementsprechend mit seiner Arbeitgeberin verglichen habe. Ferner beruft sich der Kläger auf den Bericht der Fachärzte für Radiologie Dres. K. und M. vom 28.02.2014 (Beurteilung: Bei Z.n. Bizepssehnenreinsertion kein Nachweis eine Reruptur, narbige Verdickung der Bizepssehne, Teilruptur der gemeinsamen Extensorensehnen, Tendinopathie der gemeinsamen Flexorensehne, leichte Chondropathie, Bl. 38 der Senatsakten) und den Bericht über eine MR-Untersuchung des Ellenbogens rechts der Radiologin Dr. A. vom 30.01.2014 ((Beurteilung: Unverändert regelrechte Insertion der langen Bizepssehne distal an der Tuberositas radii, hier Metallartefakte, Ausbildung eine Arthrose im Humeroulnar- und Humeroradialisgelenk, kein größerer Reizzustand, Bl. 39 der Senatsakten).

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 15.11.2013 und den Bescheid der Beklagten vom 05.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 14.05.2007 Verletztenrente nach einer MdE von 20 v. H. ab 23.07.2007 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat den Durchgangsarztbericht des Dr. D. vom 26.02.2014 (Bl. 42 der Senatsakten) und den Zwischenbericht des Dr. D. vom 17.03.2014 (Bl. 43 der Senatsakten) vorgelegt.

Auf Antrag des Klägers hat Dr. A. das unfall- und sozialmedizinische Gutachten vom 31.10.2014 (Bl. 53/115 der Senatsakten) erstattet. Es lägen Unfallfolgen in Form einer Herabsetzung der Trage- und Belastungsfähigkeit des rechten Armes, Narbenbildungen und eine Funktionseinschränkung im Bereich des rechten Ellenbogengelenks in Beugung und Streckung sowie Unterarmdrehfähigkeit mit endphasenschmerzhafter biodynamischer Funktionsstörung vor. Es bestehe eine MdE von 20 Prozent.

Auf Einwendungen der Beklagten hat der Gutachter mit Schreiben vom 17.03.2015 (Bl. 119/120 der Senatsakten) und in der ergänzenden Stellungnahme vom 11.01.2016 (Bl. 129/133 der Senatsakten) an seiner Einschätzung festgehalten.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist zulässig (§ 151 SGG), jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 05.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.11.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente. Eine MdE um wenigstens 20 v.H. liegt nicht vor.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (Stützrententatbestand). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern [§ 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII)]. Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§ 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§ 62 Abs. 2 SGB VII).

Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. BSG vom 12.04.2005 &8722; B 2 U 27/04 R, BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils Rn. 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, BSGE 96, 196m.w.N.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.).

Hiervon ausgehend hat der Kläger am 14.05.2007 in Ausübung seiner versicherten Tätigkeit bei einem Verpackungshersteller einen Arbeitsunfall erlitten, was die Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 05.10.2012 bereits inzident anerkannt hat und im Übrigen zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Der Arbeitsunfall hat beim Kläger zu eine Ruptur der distalen Bizepssehne rechts geführt. Dies folgt unmittelbar aus den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen und ist im Übrigen zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

Die verbliebenen Folgen des Arbeitsunfalles bedingen keine MdE um wenigstens 20 v.H.

Die Bemessung der MdE wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m.w.N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O.; BSG, Urteil vom 22.06.2004 &8722; B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1). Die Erfahrungswerte bilden in der Regel die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, die aber nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 23 und 27; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8; BSG Urteil vom 18.03.2003 &8722; B 2 U 31/02 R -; BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr. 1; Burchardt in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, Stand 2005, § 56 Rn. 71). Die Feststellung der Höhe der MdE als tatsächliche Feststellung erfordert stets die Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG (BSG, Urteil vom 13.09.2005 &8722; B 2 U 4/04 R, veröffentlicht in juris m. H. auf BSG, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8; Urteil vom 18.03.2003 a.a.O.).

Die unfallmedizinischen Bewertungsgrundsätze sind als Grundlage für die gleiche und gerechte Bewertung in allen Parallelfällen heranzuziehen (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, a.a.O.), denn diese allgemein anerkannten arbeitsmedizinischen Erfahrungssätze bewirken nach dem grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgebot über die daraus folgende Selbstbindung der Verwaltung die gebotene Gleichbehandlung aller Versicherten in allen Zweigen der gesetzlichen Unfallversicherung. Abweichungen von den zulässigerweise pauschalisierten Bewertungskriterien sind rechtlich nur dann geboten, wenn die zu bewertende funktionelle Beeinträchtigung des verletzten Organs von dem in der versicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Literatur vorgegebenen, einschlägigen Bewertungsansatz nicht oder nicht vollständig erfasst wird (vgl. Senatsurteil vom 25.10.2013 &8722; L 8 U 2828/12, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Beim Kläger bestehen zur Überzeugung des Senats infolge der Bizepssehnenruptur allenfalls leichte Funktionseinschränkungen im Bereich des rechten Ellenbogengelenkes, die eine MdE um weniger als 10 v.H. bedingen.

Die funktionelle Wertigkeit des Ellenbogengelenks schlägt sich in den MdE-Sätzen bei Bewegungseinschränkungen nieder. Für die meisten Tätigkeiten des täglichen Lebens werden lediglich die Scharnierbewegungen im Ellenbogen zwischen 30° und 130° sowie die Pro- und Supinationsbewegung von je 55° benutzt, sodass Streckdefizite weniger behindern als Beugedefizite. Zudem ist ein Mangel an Einwärtsdrehung durch das Schultergelenk ausgleichbar, was für einen Mangel an Auswärtsdrehung nicht gilt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Seite 529). Eine eingeschränkte Ellenbogengelenksbeweglichkeit führt nach der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 530) bei einer Bewegungseinschränkung für Streckung/Beugung 0/30/90° zu einer MdE von 20 v.H. und bei einer Bewegungseinschränkung für Streckung/Beugung 0/30/120° zu einer MdE von 10 v.H. Erfasst werden nach allgemeiner Übereinkunft in diesen Bewertungsansätzen die mit dem Grad der Bewegungseinschränkung üblicherweise verbundenen Schmerzen und die damit typischerweise einhergehende Kraftminderung.

Prof. Dr. O. hat bei der Untersuchung des Klägers am 04.08.2011 (Gutachten vom 15.12.2011, Bl. 76/85 VA) eine Beweglichkeit für das rechte Ellenbogengelenk für Streckung/Beugung von 0/0/130° (gegenüber links 0/0/150°) und für Unterarmdrehung auswärts/einwärts von 70/0/80° erhoben. Nacken- und Schürzengriff war mit beiden Armen ausführbar. Die differenzierten Greifformen der Hand waren ebenfalls seitengleich normal ausgebildet. Die Untersuchungen einschließlich der Funktionsteste waren schmerzfrei. Bezüglich der distalen Bizepssehnenruptur rechts hat der Gutachter die geringfügige Bewegungseinschränkung bei einer reizlosen Narbe und intakter pDMS angegeben, wobei der Kläger intermittierend bei Belastung und in Ruhe über Schmerzen in der rechten Ellenbeuge klage. Bei der Untersuchung durch den Durchgangsarzt Dr. D. am 26.02.2014 fand sich eine Beweglichkeit für Streckung/Beugung von 0/10/130° und Pronation/Supination 20/0/80°. Bei der funktionellen Untersuchung war trotz angegebener Kraftentweichung die Kraftentwicklung in der Beugung gegen Widerstand gut. Der Kläger habe angegeben, Handarbeiter zu sein und Schmerzen im Bereich des rechten Ellenbogens unter Belastung zu haben. Im MRT vom 28.02.2014 zeigte sich nach dem Zwischenbericht des Dr. D. vom 17.03.2014 eine narbige Verdickung am distalen Bizepssehnenansatz, aber kein Nachweis einer Reruptur.

Nach den dargestellten unfallmedizinischen Bewertungsgrundsätze rechtfertigen diese Befunde keine MdE um wenigstens 10 v.H. Einer eine MdE von 10 v.H. bedingende Bewegungseinschränkung kommen auch die von Dr. D. gegenüber dem Gutachten des Prof. Dr. O. geringfügig verschlechterten Bewegungsausmaße nicht nahe. Auch bei Berücksichtigung der funktionell weniger einschränkenden Unterarmeinwärtsdrehbeweglichkeit ist der Ansatz einer MdE von 10 v.H. daher noch nicht gerechtfertigt. Dies gilt auch hinsichtlich der angegebenen belastungsabhängigen Schmerzen und der Kraftentweichung gegen Widerstand, da das Bestehen von Schmerzen und Kraftminderungen, die die üblicherweise mit der Bewegungseinschränkung verbundenen Schmerzen und der damit typischerweise einhergehenden Kraftminderungen wesentlich übersteigen, nicht ersichtlich ist. Insbesondere wurde hinsichtlich der für die meisten Tätigkeiten des täglichen Lebens bedeutenderen Beugefähigkeit die Kraftentwicklung gegen Widerstand von Dr. D. als gut beschrieben.

Von unfallbedingt höhergradigen Funktionseinschränkungen konnte sich der Senat auch nicht aufgrund des Gutachtens des Dr. A. überzeugen. Zwar hat der Gutachter Bewegungsmaße hinsichtlich Streckung/Beugung von 0/30/90°, die nach der unfallmedizinischen Literatur exakt den angegebenen Bewegungsausmaßen für den Ansatz einer MdE von 20 v.H. begründen, mitgeteilt. Darüber hinaus hat er eine eingeschränkte Drehbeweglichkeit für Supination/Pronation von 20/0/35° angegeben. Die vom Gutachter angegebenen Bewegungsmaße sind für den Senat nicht überzeugend. Nach der Begutachtung durch Prof. Dr. O. am 04.08.2011, dessen Untersuchung bereits mehr als vier Jahre nach dem maßgeblichen Arbeitsunfall stattgefunden hat, bis zur Untersuchung durch Dr. D. am 26.02.2014, mithin annähernd weitere drei Jahr später, hat sich nur eine geringfügige Verschlechterung der Funktion des rechten Armes im Ellenbogengelenk ergeben. Um eine gravierende Verschlechterung innerhalb weniger als acht Monaten bis zur Begutachtung durch Dr. A. nachvollziehbar zu machen, bedarf es einer medizinischen Erklärung. Der Senat kann dem Gutachten des Dr. A. jedoch keinerlei Hinweis darauf entnehmen, wie eine derart schwere Verschlechterung medizinisch zu erklären ist. Der Gutachter hat insbesondere weder eine Sehnenverkürzung noch eine Gelenkblockierung beschrieben. Soweit Dr. A. das Gutachten des Prof. Dr. O. als dürftig bezeichnet und die von Prof. Dr. O. erhobenen Funktionsparameter in Zweifel zieht, kann dem nicht gefolgt werden. Der Senat hat keinerlei Anlass, an den von Prof. Dr. O. erhobenen Befunden zu zweifeln, zumal es sich um einen gerichtsbekannten Gutachter handelt. Die im Gutachten angegebenen Bewegungsmaße sind auch mit dem weiteren klinischen Befund den Prof. Dr. O. erhoben hat, vereinbar. So wird im Gutachten der durchführbare Nacken- und Schürzengriff ohne Auffälligkeiten beschrieben, wie auch die beobachteten Bewegungen des Klägers beim Entkleiden flüssig und ohne Koordinationsstörungen demonstriert worden sind. Bei der festgestellten guten Funktionsfähigkeit des allein zu beurteilenden rechten Armes kann der Senat auch keine Mangelhaftigkeit des Gutachtens erkennen. Im Übrigen hat gerade Dr. A. zwar umfangreichere Ausführungen zu der von der Beklagten bereits anerkannten Kausalität des Arbeitsunfalls für die Ruptur der distalen Bizepssehne gemacht, nicht jedoch zur Erklärbarkeit der von ihm dargestellten Befunde bezüglich der Ellenbogenfunktion. Auch auf einen Hinweis der Beklagten, dass eine derartige Befundverschlechterung innerhalb eines Zeitraumes von 7 Monaten nicht nachvollzogen werden könne, hat sich der Gutachter in der ergänzenden Stellungnahme vom 11.01.2016 darauf beschränkt, in Abrede zu stellen, dass die von Dr. D. angegebenen Bewegungsmaße korrekt sind, wofür wiederum kein Anhaltspunkt besteht. Daraus, dass der Bizepsmuskel auf die Unterarmdrehung wirkt, welche in der Schadensfolge erheblich eingeschränkt sei, ergibt sich gerade keine Erklärung für die behauptete erhebliche Einschränkung der Drehbeweglichkeit. Soweit der Gutachter auf eine Fettdominanz im Bereich des rechten Oberarmes verweist, kann der Senat daraus weder auf eine erhebliche Kraftminderung des rechten Armes noch auf einen deutlichen Mindereinsatz des rechten Armes durch den Kläger schließen, da der Gutachter zur Muskulatur selbst keine konkrete Aussage machen konnte und seinen Ausführungen auch keine vergleichenden Angaben zum linken Arm zu entnehmen sind. Gegen eine Minderbelastung des rechten Armes spricht auch die von Prof. Dr. O. festgestellte seitengleiche Handbeschwielung, welche nicht auf eine Schonung des rechten Armes hindeutet. Auch hat der Kläger gegenüber Dr. D. angegeben, Rechtshänder und Handarbeiter zu sein, und lediglich Schmerzen im Bereich des rechten Ellenbogens bei Belastung angegeben. Dass der Kläger den rechten Arm nicht und nur erheblich vermindert einsetzen könnte, lässt sich dem Bericht nicht entnehmen. Den Hinweis der Beklagten, der Kläger habe seine Tätigkeit als Maschinenführer nach dem Unfall noch 6 Jahre weitergeführt, weshalb eine so deutliche Verschlechterung der Beweglichkeit 7 Jahre nach dem Unfall nicht nachvollziehbar sei, hat der Gutachter mit der Behauptung abgetan, das Gegenteil sei unfallmedizinisch anzunehmen. Durch die Verletzung der Bizepssehne mit anschließender Operation könne regelmäßig nicht der Ausgangszustand wiederhergestellt werden, woraus sich die Schlussfolgerung ergebe, dass eine Fehlgängigkeit im biodynamischen Ablauf die Folge sei, was sich dann auswirken könne, wie beim Kläger gezeigt worden sei. Eine Erklärung für eine plötzliche gravierende Verschlechterung bleibt der Gutachter damit schuldig ebenso wie für die mitgeteilte Bewegungseinschränkung selbst. Dr. A. behauptet letztlich auch keine nach dem Unfall eingetretene Verschlechterung der Funktionsfähigkeit, sondern geht von einer bereits ab 2007, aber jedenfalls bereits zum Untersuchungszeitpunkt bei Prof. Dr. O. vorliegenden Bewegungseinschränkung des Ellenbogengelenks mit den von ihm mitgeteilten Bewegungsmaßen aus. Dies ist für den Senat jedoch nicht überzeugend. Der Senat hat keinerlei Anhaltspunkte dafür, weshalb jeweils zu zwei unterschiedlichen Untersuchungszeitpunkten von zwei verschiedenen Ärzten, nämlich von Prof. Dr. O. und von Dr. D. , annähernd gleiche Bewegungsmaße erhoben wurden, die sich nach Dr. A. in der Rückschau aber als falsch erweisen sollen. Vielmehr spricht gerade das Ergebnis der Funktionsmessung des Ellenbogengelenks von Dr. D. mit weitgehender Bestätigung der von Prof. Dr. O. erhobenen Bewegungsmaße für die Validität der Messungen dieser beiden Ärzte. Dem Gutachten des nach § 109 SGG ernannten Sachverständigen Dr. A. vermochte sich der Senat vor diesem Hintergrund nicht anzuschließen. Weitere Ermittlungen waren nicht geboten. Vorliegend sah sich der Senat auch aus in der Person des Sachverständigen liegenden Gründen, die aber noch nicht die Annahme der Befangenheit gegenüber einer Prozesspartei (vgl. Beschlüsse des Senats vom 15.02.2011 – L 8 SF 5748/10 AB, juris, vom 04.03.2014 - L 8 SB 1210/13 und vom 05.11.2012 – L 8 SB 3679/12, unveröffentlicht; zum Problem vgl. auch Urteil des Senats vom 23.10.2015 – L 8 U 1012/14, juris, Rn. 49f.) rechtfertigen, zu einer kritischen Würdigung des Gutachtens veranlasst. Dr. A. verspricht auf seiner Homepage, nach "Zielfestlegung (des) Anliegens" eines Versicherten eine "nachweisgestützte Lösung" dessen Problems zu liefern. Ebenso äußert er dort grundsätzliche Bedenken an der Objektivität der Ärzte sogenannter Begutachtungsinstitute (Institut für Medizinische Begutachtung - IMB -), die in einer Region untereinander konkurrieren. Dies legt eine gründliche Prüfung dahingehend nahe, ob das Gutachten mit Befunderhebung und ärztlicher Bewertung auf fachlichen Überlegungen beruht oder von der zum Ausdruck gebrachten distanzierten Einstellung gegenüber den von (Sozial-)Versicherungsträgern herangezogenen Dritten geleitet ist, auch wenn vorliegend die vorgutachtlichen Befunde aus 2011 und vom Februar 2014 von einem Klinikdirektor und einem Leitenden Klinikarzt und damit nicht von allein gutachterlich tätigen Ärzten eines Begutachtungsinstitutes stammen.

Letztendlich hat der Kläger im gesamten Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren selbst außer sehr starken Schmerzen keine konkreten Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit des rechten Armes geltend gemacht. Insbesondere wäre zu erwarten, dass im Fall des Bestehens derart massiver Beeinträchtigungen, wie sie im Gutachten des Dr. A. beschrieben werden, der Kläger sich diesbezüglich in fachärztlicher Behandlung befindet und &8722; gerade vor dem Hintergrund, dass schon die Beklagte die von Dr. A. aufgeführten Befunde angezweifelt hat &8722; sein Begehren stützende Arztberichte vorgelegt hätte.

Soweit der Kläger Depressionen und einen Herzinfarkt als Unfallfolgen behauptet, bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass derartige Störungen durch den Arbeitsunfall am 14.05.2007 mit Ruptur der distalen Bizepssehne verursacht sein können. Diesbezüglich Ermittlungen ("ins Blaue hinein") waren daher nicht veranlasst.

Damit konnte der Senat keine MdE von wenigstens 20 v.H. als Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente feststellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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