L 9 AS 1782/14 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 2 AS 5143/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 AS 1782/14 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.) Beantragt ein Kläger nach dem Erlass eines Gerichtsbescheides die mündliche Verhandlung und trägt vor, dass der Beschwerdewert des § 144 SGG nicht erreicht werde, muss das Sozialgericht mündlich verhandeln, wenn es vor Erlass des Gerichtsbescheids keine konkreten abweichenden Feststellungen zur Höhe des Beschwerdewertes getroffen und dem Kläger hierzu kein rechtliches Gehör gewährt hat.
2.) Zur Entscheidung über einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG durch Beschluss.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 11. Juni 2014 aufgehoben.

Gründe:

I. Das Sozialgericht wies die Klage, mit der der Kläger im Wege der Untätigkeitsklage den Erlass eines Überpüfungsbescheides begehrt hatte, mit Gerichtsbescheid zurück und belehrte den Kläger darüber, dass gegen den Gerichtsbescheid die Berufung zulässig sei, ohne Ermittlungen zur Höhe des Beschwerdewertes anzustellen. Der Kläger legte gegen den Gerichtsbescheid fristgerecht Berufung ein und beantragte zugleich mündliche Verhandlung. Er machte geltend, dass die Berufung entgegen der Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts nicht statthaft sei, weil der Wert der Klage den Beschwerdewert von 750,00 EUR nicht erreiche. Auf einen entsprechenden schriftlichen Hinweis des für die Berufung zuständigen 20. Senats des LSG Berlin-Brandenburg nahm der Kläger seine Berufung zurück und verfolgte seinen Antrag auf mündliche Verhandlung weiter.

Das Sozialgericht lehnte den Antrag auf mündliche Verhandlung mit Beschluss vom 11. Juni 2014 mit der Begründung ab, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR überschreite, weil im Wege der Untätigkeitsklage der Erlass eines Überprüfungsbescheides hinsichtlich des Bescheides vom 11. April 2011 begehrt werde, durch den Leistungen in Höhe von monatlich 575,28 EUR für die Zeit vom 01. Mai bis zum 31. Oktober 2011 bewilligt worden seien.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit der er geltend macht, dass der Beschwerdewert sich nicht danach richte, was bereits bewilligt worden sei, sondern was zusätzlich begehrt werde.

II. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 11. Juni 2014 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet.

1.) Nach § 105 Abs. 1 SGG kann das Sozialgericht in geeigneten Fällen ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden. Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt (§ 105 Abs. 2 SGG). Nach § 105 Abs. 3 SGG wirkt der Gerichtsbescheid als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

2.) Im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsbehelfe/Rechtsmittel gegen einen Gerichtbescheid (bei Unterschreiten des Beschwerdewertes des § 144 Abs. 1 SGG Antrag auf mündliche Verhandlung oder Nichtzulassungsbeschwerde, bei Überschreiten Berufung) hat das Sozialgericht vor seiner Entscheidung, regelmäßig bis zur Anhörung zum Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG, Ermittlungen zum Gegenstandswert durchzuführen und den Beteiligten hierzu rechtliches Gehör zu verschaffen. Denn dem Gerichtsbescheid ist wie einem Urteil nach §§ 105 Abs. 1 Satz 3, 136 Abs. 1 Nr. 7 SGG die Rechtsmittelbelehrung beizufügen, so dass der Richter sich bis zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid eine Überzeugung zur (konkreten) Höhe des Gegenstandswertes gebildet haben und den Beteiligten hierzu rechtliches Gehör gewährt haben muss, damit er über das Rechtsmittel zutreffend belehren kann. Kommt er dem - wie im vorliegenden Fall geschehen - nicht nach und trägt der Kläger mit seinem Antrag auf mündliche Verhandlung vor, dass der Gegenstandswert unter 750,00 EUR liege - wie im vorliegenden Fall ebenfalls geschehen - ist diese Angabe der Entscheidung über das zutreffende Rechtsmittel (vorläufig) zu Grunde zu legen und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Denn abgesehen davon, dass der Kläger - und nicht der Richter - über den Streitgegenstand verfügt, steht weder fest, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR übersteigt noch gibt es dafür ausreichende Anhaltspunkte. Vielmehr ordnet § 105 Abs. 2 Satz 3 SGG gerade auch für Fälle wie den vorliegenden ausdrücklich an, dass bei Einlegung eines Rechtsmittels und der Beantragung mündlicher Verhandlung eine mündliche Verhandlung stattfindet, in der zur Wahrung rechtlichen Gehörs und des zutreffenden Rechtsmittels auch über den Umfang des Streitgegenstandes und die Höhe des Beschwerdewertes zu verhandeln sein wird. Denn das SGG räumt dem Richter keine Möglichkeit ein, in einem solchen Fall von einer mündlichen Verhandlung abzusehen und den Antrag durch Beschluss zurückzuweisen.

3.) Darüber hinaus spricht viel dafür, dass – jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art - im Klageverfahren durch Urteil entschieden werden muss, wenn Streit über die Frage entsteht, ob ein Antrag auf mündliche Verhandlung nach Erlass eines Gerichtsbescheids zulässig ist (in diesem Sinne die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - Urteil vom 12. August 1981 - I B 72/80 -, BFHE 134, 216; Urteil vom 30. März 2006 – V R 12/04 –, BFHE 212, 411; veröffentlicht auch in juris).

Hierfür ist Folgendes anzuführen: § 158 SGG, wonach die unzulässige Berufung durch Beschluss zu verwerfen ist, gilt nur im Berufungsverfahren. Eine analoge Anwendung des § 158 Satz 1 und 2 SGG kommt darum als Begründung für eine Entscheidung durch Beschluss im sozialgerichtlichen Verfahren nicht in Betracht. Das Fehlen einer dem § 158 Satz 1 und 2 SGG entsprechenden Vorschrift für die Sozialgerichte spricht im Gegenteil für die Notwendigkeit einer Entscheidung durch Urteil. Dies dürfte durch § 130 Abs. 2 SGG bestätigt werden, wonach über die Zulässigkeit der Klage vorab durch Zwischen"urteil" entschieden werden kann. Das Gesetz macht hier hinsichtlich der Entscheidungsform keinen Unterschied zwischen einer zulässigen und einer unzulässigen Klage. Nichts anderes dürfte deshalb für den Antrag auf mündliche Verhandlung gelten, der Teil des die endgültige Entscheidung in der Sache betreffenden Vorganges ist (vgl. BFH, Urteil vom 12. August 1981, I B 72/80, BFHE 134, 216).

4.) Auf die Beschwerde des Klägers war deshalb der angefochtene Beschluss aufzuheben. Das Sozialgericht ist damit nach Aufhebung seines Beschlusses (ohne Zurückverweisung) verpflichtet, die beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen und abschließend durch Urteil mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung zu entscheiden, nachdem es die erforderlichen Ermittlungen zum Beschwerdewert sowie das rechtliche Gehör hierzu nachgeholt hat.

5.) Eine Kostenentscheidung hat nicht zu ergehen. Das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss über die Ablehnung einer mündlichen Verhandlung ist kein eigenes Verfahren oder ein eigener Verfahrensabschnitt, sondern nur ein Zwischenstreit im noch anhängigen Rechtsstreit.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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