L 11 KR 3861/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 5676/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3861/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der auf der Grundlage von § 129a SGB V geschlossene Arzneimittel-Liefervertrag ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag iSd § 53 Abs. 1 SGB X. Für die Auslegung einzelner Vertragsbestimungen sind die §§ 133, 157 BGB maßgegend.
Ergeben Wortlaut und Systematik des Vertrages, dass die Vertragsparteien bewusst zwischen verschiedenen Arten von Apothekenleistungen (Zubereitungen, Arzneimittel mit und ohne offiziellen Lauer-Einkaufspreis sowie Applikationshilfen) unterschieden haben, können Höchstpreisregelungen, die nur
bei einer Leistungsart (hier: Fertigarzneimittel) aufgeführt werden, nicht im Wege der Auslegung auf andere Leistungsarten (zB Zubereitungen) übertragen werden.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22.07.2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 792,75 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Auslegung einer Preisvereinbarung für vom Kläger abgegebene Arzneimittel streitig.

Der Kläger ist ein als Hochschulklinik anerkanntes Krankenhaus in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs 1 Nr 1 Universitätsklinika-Gesetz des Landes Baden-Württemberg), der als Zentrale Einrichtung (Nr 29 der Anlage zur Satzung des Universitätsklinikums F. zu § 6 Abs 2 Nr 5) eine Krankenhausapotheke im Sinne des § 129a Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Krankenversicherung, SGB V) betreibt. Er schloss am 28.06.2004 mit dem Verband der Angestellten-Krankenkassen eV, dem Arbeiter-Ersatzkassenverband eV (Landesvertretung Baden-Württemberg), der B.-I. Arbeitsgemeinschaft Baden-Württemberg und der Bundesknappschaft (Verwaltungsstelle M.) eine "Vereinbarung gemäß § 129a SGB V über die Abgabe von Arzneimitteln von der Krankenhausapotheke an Versicherte im Rahmen von § 14 Abs 4 ApoG" (Arzneimittelliefervertrag - ALV - ; Bl 21 SG-Akte). In § 5 ALV ist unter der Überschrift "Preisvereinbarung für Arzneimittel" (vgl Bl 25 SG-Akte) Folgendes geregelt:

(1) Grundlage der Preisberechnung ist der für den Tag der Abgabe in der großen deutschen Spezialitätentaxe (Lauer-Taxe) geltende Apothekeneinkaufspreis. (2) Die Krankenkassen tragen Kosten in folgender Höhe: - Zubereitungen: - Lauer-Einkaufspreis - 2 % für die Zubereitungsbestandteile + Herstellungspauschale i.H.v. 16 EUR - Fertigarzneimittel: Lauer-Einkaufspreis - 4 % Der abgerechnete Preis darf den Apothekenabgabepreis einer öffentlichen Apotheke, der sich unter Berücksichtigung der Minderung um die nach den §§ 130 und 130a SGB V zu leistenden Abschläge ergeben würde, nicht überschreiten. - Fertigarzneimittel ohne offiziellen Lauer-Einkaufspreis: Einkaufspreis der Krankenhausapotheke (ohne Mehrwertsteuer) zuzüglich eines Aufschlags von 5 %, maximal von 50 EUR Der Name der Lieferfirma (Hersteller) ist auf der Vorderseite des Verordnungsblattes zu vermerken; die Rechnung ist auf Verlangen der Krankenkasse vorzulegen.

- Applikationshilfen: Applikationshilfen, wie zB Injektionsspritzen, Perfusionsspritzen, tragbare Infusionen, Infusions- und Perfusionsleitungen, No-PVC-Bestecke, Filter, Portnadeln, entsprechend dem Lieferantenpreis je Stück nach der am Tag der Abgabe gültigen Lieferantenpreisliste soweit sie nicht mit dem Sprechstundenbedarf abgedeckt sind. (3) Die gem. Abs 2 ermittelten Beträge erhöhen sich um den jeweils geltenden Mehrwertsteuersatz.

Eine Anschlussvereinbarung wurde mit Wirkung vom 01.01.2011 geschlossen.

In den Monaten März bis Dezember 2010 rechnete der Kläger bei der beklagten Krankenkasse für bei der Beklagten versicherte Patienten Arzneimittel, die zu einem großen Teil zytostatikahaltig waren, in Form von Zubereitungen mit jeweils in Milligramm genauer Angabe der Wirkstoffmenge ab. Dabei setzte er jeweils die Kosten für die Zubereitungsbestandteile in Höhe der Lauer-Taxe abzüglich 2 % an, erhöht um eine Herstellungspauschale von jeweils 16 EUR. Die Beklagte nahm in den genannten Monaten Abrechnungskorrekturen vor, die nach Darstellung des Klägers zu Absetzungsbeträgen von über 30.000 EUR, allein für Juli 2010 iHv über 5.700 EUR, führten. Wegen der zwischen den Beteiligten streitigen Auslegung des § 5 Abs 2 ALV vereinbarten sie die Durchführung eines Musterverfahrens. Dieses betrifft die Einzelabrechnung des Abrechnungszeitraums Juli 2010 iHv 12.744,30 EUR (Rechnungsnummer 4 ...), die die Beklagte zunächst bezahlte, dann am 31.01.2011 beanstandete, einen Betrag von 792,75 EUR absetzte und mit anderen Forderungen aufrechnete (Bl 10/11 SG-Akte).

Der Kläger hat der Beanstandung am 08.02.2011 widersprochen und am 25.10.2011 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben.

Zur Begründung der Klage hat der Kläger sich auf den Wortlaut des § 5 Abs 2 ALV bezogen. Bei Zubereitungen könne die Beklagte nicht ausgehend vom Apothekenabgabepreis einer öffentlichen Apotheke Kürzungen vornehmen, dies sei nur bei Fertigarzneimitteln möglich. Bei den an die Patienten abgegebenen Arzneimitteln handele es sich um Zubereitungen und nicht um Fertigarzneimittel. In Abgrenzung zu Fertigarzneimitteln handele es sich bei Zubereitungen um Erzeugnisse, die durch eine vom Menschen bewusst vorgenommene Behandlung von Stoffen entstünden. In den Zubereitungen seien die Stoffe noch ganz oder teilweise enthalten. Um solche Zubereitungen handele es sich bei den vom Kläger im streitbefangenen Fall abgegebenen zytostatikahaltigen Lösungen. Nach dem Wortlaut der Vereinbarung beziehe sich die Deckelung des Preises auf den Abgabepreis einer öffentlichen Apotheke gerade nicht auf Zubereitungen, sondern nur auf Fertigarzneimittel. Die Entstehungsgeschichte der Vereinbarung bestätige diese Auslegung. Der Kläger hat das BWK-Rundschreiben vom 08.04.2004 (Bl 67 SG-Akte) vorgelegt und auf die dort auf Seite 4 genannte Vorüberlegung Bezug genommen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie ist der Auffassung, dass die Bezugnahme auf den Apothekenabgabepreis sowohl für Zubereitungen als auch für Fertigarzneimittel gelte. Entgegen der Auffassung des Klägers sei der Wortlaut des § 5 Abs 2 ALV nicht eindeutig. Die besagte Preisobergrenze könne sich zwar nur auf die Fertigarzneimittel beziehen, der Wortlaut lasse es aber auch zu, die Preisobergrenze auf alle in der Lauer-Taxe gelisteten Arzneimittel, also auch Zubereitungen, zu beziehen. Der Wortlaut sei auch deshalb nicht eindeutig, weil sich ein Spiegelstrich jeweils vor den Wörtern "Zubereitung" (erster Spiegelstrich ) und "Fertigarzneimittel" (dritter Spiegelstrich) befinde und ein weiterer (zweiter Spiegelstrich) vor den Wörtern "Lauer-Einkaufspreis - 2 %". Vor der Preisregelung für Fertigarzneimittel befinde sich dagegen kein Spiegelstrich. Aus Sinn und Zweck der Regelung folge, dass die Preisobergrenze sich auf alle Arzneimittel beziehe, also auch auf Fertigarzneimittel und Zubereitungen. Es sei absurd anzunehmen, die Preisobergrenze gelte nicht für Zubereitungen. Folgte man dieser Auslegung, so wäre nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund der Kläger für Fertigarzneimittel, die als solche unverändert an Versicherte der Beklagten abgegeben werden, höchstens den Preis einer öffentlichen Apotheke, jedoch bei Abgabe von Zubereitungen, welche dieselben Fertigarzneimittel beinhalteten, einen höheren Preis abrechnen dürfe. Eine solche Regelung wäre dermaßen unsinnig, dass ein dahingehender Wille der Vertragsparteien nicht angenommen werden könne. Die Durchführung des Vertrages entsprechend der vom Kläger vorgenommenen Auslegung des § 5 Abs 2 ALV verletze das Wirtschaftlichkeitsgebot der §§ 2 und 12 SGB V. Die zwischen dem Kläger und dem v. geschlossene Anschlussvereinbarung zum 01.01.2011 bestätige die dargelegte Auslegung auch der Vereinbarung aus dem Jahr 2004 durch die Beklagte. Auch spätere Äußerungen der Vertragsparteien seien für die Auslegung von Bedeutung. Die neue Vereinbarung enthalte in § 8 Abs 2 die Regelung, dass der abgerechnete Preis für alle Mittel den Apothekenabgabepreis der öffentlichen Apotheke nicht überschreiten dürfe (vgl Bl 33 SG-Akte). Der Beklagten stehe daher ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch gegen den Kläger zu, den sie durch Retaxierung der Abrechnungen in rechtmäßiger Weise geltend gemacht habe.

Mit Urteil vom 22.07.2014 hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 792,75 EUR zuzüglich Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.08.2011 zu zahlen. Die durch den Kläger vorgenommene Auslegung des § 5 Abs 2 ALV der Vereinbarung vom 28.06.2004 sei zutreffend. Die Einschränkung, dass der abgerechnete Preis den Apothekenabgabepreis einer öffentlichen Apotheke nicht überschreiten dürfe, gelte nur für Fertigarzneimittel, nicht aber für Zubereitungen. Im Vertragstext sei unter der Rubrik für die Zubereitungen lediglich geregelt, dass für diese der Lauer-Einkaufspreis abzüglich 2 % der Zubereitungsbestandteile zuzüglich einer Herstellungspauschale iHv 16 EUR berechnet werden könne. Nur unter der Rubrik für die Fertigarzneimittel sei geregelt, dass der Lauer-Einkaufspreis abzüglich 4 % berechnet werden dürfe und außerdem der abgerechnete Preis den Apothekenabgabepreis einer öffentlichen Apotheke nicht überschreiten dürfe. Im Jahr 2004, als der Vertrag abgeschlossen worden sei, hätten die Preise der öffentlichen Apotheken bei Zubereitungen generell deutlich höher gelegen als die Preise der Krankenhausapotheken, weshalb man eine Deckelung bei den Zubereitungen seinerzeit nicht benötigt habe. Erst im Jahre 2010 hätten die Preise der öffentlichen Apotheken für Zubereitungen erstmals niedriger gelegen als die entsprechenden Preise der Krankenhausapotheken. Dies liege daran, dass ab dem Jahr 2010 die Hilfstaxe (Vertrag über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen zwischen dem Deutschen Apothekerverband eV und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen gemäß § 4 und § 5 der AMPreisV) bei den öffentlichen Apotheken niedriger gewesen sei, wodurch die Preise der Klinikapotheken für Zubereitungen im Verhältnis zu den Preisen öffentlicher Apotheken in die Höhe gegangen seien. Deshalb sei dann auch eine neue Vereinbarung zum 01.01.2011 ausgehandelt worden. Aus diesem Grund könne auch aus dem Text der neuen Vereinbarung kein Rückschluss auf den Willen der vertragsschließenden Parteien im Jahr 2004 gezogen werden.

Gegen das ihr am 14.08.2014 zugestellte Urteil des SG hat die Beklagte am 09.09.2014 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung vorgebracht, dass das SG die Grundsätze der Auslegung von Willenserklärungen verkannt habe. Insbesondere sei das SG nicht auf den dokumentierten Willen des v. eingegangen, wonach sowohl Zubereitungen als auch Fertigarzneimittel auf den Preis der öffentlichen Apotheken zu begrenzen seien. Über den der Vereinbarung zugrundeliegenden Willen des v., der bei der Auslegung des § 5 Abs 2 ALV zu beachten sei, gebe eine Protokollnotiz vom 04.03.2004 Aufschluss (vgl Bl 142 SG-Akte). Die Vertragsparteien hätten für Fertig- und Rezepturarzneimittel jeweils unterschiedliche Preisregelungen vereinbaren wollen. Dieser Wille habe Ausdruck gefunden in § 5 Abs 2 ALV. Für Zubereitungen betrage der Abschlag 2 % vom Lauer-Einkaufspreis und es werde eine Herstellungspauschale von 16 EUR vergütet. Für Fertigarzneimittel gelte dagegen ein höherer Abschlag von 4 % vom Lauer-Einkaufspreis. Mit diesen unterschiedlichen Preisregelungen hätten die Beteiligten den tatsächlichen Unterschieden der beiden Arten von Arzneimitteln hinreichend Rechnung getragen. Jedoch hätten sie gerade nicht regeln wollen, dass nur die Preise von Fertigarzneimitteln auf die Apothekenabgabepreise der öffentlichen Apotheken begrenzt sein sollten. Hierfür sei kein vernünftiger Grund ersichtlich. Wenig hilfreich sei der Hinweis des SG, wonach die Preise der öffentlichen Apotheken für Zubereitungen erstmals im Jahr 2010 die Preise der Krankenhausapotheken unterschritten hätten. Das SG könne damit nicht erklären, weshalb es zeitgleich eine ab dem 01.08.2010 geltende Vereinbarung nach § 129a SGB V mit der AOK Baden-Württemberg gebe, welche die abgerechneten Preise für Zubereitungen und Fertigarzneimittel auf die entsprechenden Preise der öffentlichen Apotheken begrenzte. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb im Jahre 2010 eine entsprechende Vereinbarung mit der A. Baden-Württemberg mit einer Preisdeckelung zustande gekommen sei, während die im selben Zeitraum geltende Vereinbarung mit dem v. eine Deckelung nur für Fertigarzneimittel beinhaltet haben solle.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22.07.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er nimmt auf sein bisheriges Vorbringen und die Ausführungen des SG Bezug. Bei der von der Beklagten in Bezug genommenen Protokollnotiz des v. vom 04.03.2004 habe es sich um ein rein internes Protokoll gehandelt, das der Klägerseite im Zuge der Vertragsverhandlungen nie zugänglich gemacht worden sei. Es sei daher auch nicht Vertragsbestandteil geworden. Zu Recht habe das SG den Wortlaut des § 5 Abs 2 ALV als Auslegungskriterium in den Vordergrund gestellt. Das SG habe auch zutreffend auf die systematischen Zusammenhänge des § 5 Abs 2 ALV Bezug genommen und herausgearbeitet, dass in der Regelung vier verschiedene Leistungen geregelt worden seien: Zubereitungen, Fertigarzneimittel, Fertigarzneimittel ohne offiziellen Lauer-Einkaufspreis und Applikationshilfen. Mit zutreffenden Gründen habe das SG dann festgestellt, dass sich aus Wortlaut und systematischem Zusammenhang ergebe, dass die Einschränkung, wonach der abgerechnete Preis den Apothekenabgabepreis einer öffentlichen Apotheke nicht überschreiten dürfe, nur unter der zweiten Rubrik, nämlich derjenigen für die Fertigarzneimittel auftauche. Der Kläger habe damals seine Gründe gehabt, die Vereinbarung genauso zu schließen, wie sie letztendlich Vertragstext geworden sei und wie das SG sie ausgelegt habe. Im Jahr 2004 seien die Preise der öffentlichen Apotheken bei Zubereitungen generell deutlich höher gewesen als die Preise der Krankenhausapotheken, weshalb es einer Deckelung bei den Zubereitungen nicht bedurft hätte. Daher sei eine solche Deckelung auch seitens der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft bewusst nicht in den Vertrag hineingeschrieben worden. Die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft habe vermeiden wollen, dass die Krankenhausapotheken sich bei den Zubereitungen ohne weitere Verhandlungen auf noch gar nicht absehbare und von ihnen auch nicht beeinflussbare Preisentwicklungen der niedergelassenen Apotheken einlassen müssten.

In einem Erörterungstermin am 12.05.2016 ist der Sachverhalt mit den Beteiligten eingehend erörtert worden. Anwesend war auch die stellvertretende Geschäftsführerin der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft, Frau U. U., die Angaben zur Sache gemacht hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache allerdings unbegründet. Die vom Kläger erhobene (echte) Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) ist im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässig und begründet. Zu Recht hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 792,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 13.08.2011 zu zahlen. Der ursprünglich entstandene Anspruch des Klägers gegen die beklagte Krankenkasse auf Vergütung von Arzneimittelkosten für Zubereitungen erlosch nicht in Höhe des streitigen Betrages von 792,75 EUR durch Aufrechnung mit einem Erstattungsanspruch der Beklagten in dieser Höhe. Ein solcher Erstattungsanspruch steht der Beklagten nicht zu.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass dem klagenden Universitätsklinikum gegen die beklagte Krankenkasse ein Anspruch auf Zahlung von (mindestens) 792,75 EUR für die Lieferung von Arzneimitteln der Krankenhausapotheke des Klägers, die nicht bereits als Bestandteil einer Krankenhausbehandlung erstattet wurden, an Versicherte der Beklagten zusteht. Der Senat hat keinen Zweifel, dass der insoweit übereinstimmende Vortrag der Beteiligten zutreffend ist.

Dieser Vergütungsanspruch des Klägers erlosch - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht dadurch, dass die Beklagte analog § 387 BGB gegen die Vergütungsforderung des Klägers in Höhe von 792,75 EUR aufrechnete. Die Voraussetzungen des Gegenanspruchs der Beklagten aus öffentlich-rechtlicher Erstattung waren nicht erfüllt. Die Beklagte kann zwar grundsätzlich mit einer Gegenforderung aus öffentlich-rechtlicher Erstattung gegen die sich aus dem ALV ergebende Hauptforderung aufrechnen (vgl zB BSG 03.07.2012, B 1 KR 16/11 R, SozR 4-2500 § 129 Nr 7). Der Vergütungsanspruch des Klägers und der von der Beklagten geltend gemachte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch würden auch die Voraussetzungen der Gegenseitigkeit und der Gleichartigkeit erfüllen. Die Beklagte hat jedoch keinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Kläger, weil sie ihm die 792,75 EUR aufgrund der Abrechnung von Juli 2010 (Rechnungsnummer 4 ...) nicht ohne Rechtsgrund gezahlt hat. Der Kläger hat aufgrund der von ihm im Juli 2010 an Versicherte der Beklagten abgegebenen Arzneimittel einen Anspruch auf insgesamt 12.744,30 EUR.

Die Abgabepreise der Krankenhausapotheken werden nicht durch die Arzneimittelpreisverordnung (AMpreisV) geregelt (§ 1 Abs 3 Nr 1 AMPreisV), sondern beruhen auf einer vertraglichen Vereinbarung. Nach § 129a Abs 1 Satz 1 SGB V vereinbaren die Krankenkassen oder ihre Verbände mit dem Träger des zugelassenen Krankenhauses das Nähere über die Abgabe verordneter Arzneimittel durch die Krankenhausapotheke an Versicherte, insbesondere die Höhe des für den Versicherten maßgeblichen Abgabepreises. Eine solche Vereinbarung wurde mit dem ALV am 28.06.2004 geschlossen. § 5 Abs 2 ALV rechtfertigt die Retaxierung der Beklagten nicht. Der Senat teilt die Auffassung des SG und legt die Regelung ebenfalls dahingehend aus, dass die Begrenzung auf den Apothekenabgabepreis einer öffentlichen Apotheke nicht für Zubereitungen, sondern nur für Fertigarzneimittel gilt.

Der auf der Grundlage von § 129a SGB V geschlossene ALV ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag iSd § 53 Abs 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X; sog koordinationsrechtlicher Vertrag). Auf diesen Vertrag finden nach § 61 Satz 2 SGB X die Vorschriften des BGB ergänzende Anwendung. Dies betrifft insbesondere die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Bestimmungen (§§ 133, 157 BGB). Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern, sog objektiv normative Auslegung (§ 157 BGB). Da es sachlich nicht gerechtfertigt ist, zwischen der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen zu unterscheiden, gelten die §§ 133, 157 BGB in gleicher Weise für einzelne Willenserklärungen, Verträge, Beschlüsse und Rechtsgeschäfte aller Art, für die Zeit bis zum Vertragsschluss ebenso wie für die Zeit danach (Staudinger/R. Singer BGB [Neubearbeitung 2012] § 133 RdNr 3 unter Hinweis auf RGZ 169, 122, 124 f; BGHZ 21, 319, 328 und mwN zum Schrifttum; vgl auch BSG 13.12.2011, B 1 KR 9/11 R, SozR 4-2500 § 133 Nr 6; 31.10.2014, B 5 R 8/14 R, BSGE 117, 192, SozR 4-1500 § 163 Nr 7). Diese Grundsätze hat das SG nicht verletzt.

Zunächst ergibt sich der äußere Erklärungstatbestand aus § 5 der Vereinbarung (Preisvereinbarung für Arzneimittel, vgl Bl 25 SG-Akte). Dort ist Folgendes geregelt:

(1) Grundlage der Preisberechnung ist der für den Tag der Abgabe in der großen deutschen Spezialitätentaxe (Lauer-Taxe) geltende Apothekeneinkaufspreis. (2) Die Krankenkassen tragen Kosten in folgender Höhe: - Zubereitungen: - Lauer-Einkaufspreis - 2 % für die Zubereitungsbestandteile + Herstellungspauschale i.H.v. 16 EUR - Fertigarzneimittel: Lauer-Einkaufspreis - 4 % Der abgerechnete Preis darf den Apothekenabgabepreis einer öffentlichen Apotheke, der sich unter Berücksichtigung der Minderung um die nach den §§ 130 und 130a SGB V zu leistenden Abschläge ergeben würde, nicht überschreiten. - Fertigarzneimittel ohne offiziellen Lauer-Einkaufspreis: Einkaufspreis der Krankenhausapotheke (ohne Mehrwertsteuer) zuzüglich eines Aufschlags von 5 %, maximal von 50 EUR Der Name der Lieferfirma (Hersteller) ist auf der Vorderseite des Verordnungsblattes zu vermerken; die Rechnung ist auf Verlangen der Krankenkasse vorzulegen. - Applikationshilfen: Applikationshilfen, wie zB Injektionsspritzen, Perfusionsspritzen, tragbare Infusionen, Infusions- und Perfusionsleitungen, No-PVC-Bestecke, Filter, Portnadeln, entsprechend dem Lieferantenpreis je Stück nach der am Tag der Abgabe gültigen Lieferantenpreisliste soweit sie nicht mit dem Sprechstundenbedarf abgedeckt sind. (4) Die gem Abs 2 ermittelten Beträge erhöhen sich um den jeweils geltenden Mehrwert steuersatz.

Aus Wortlaut und Systematik der Regelung ergibt sich, dass die Beteiligten bewusst zwischen - Zubereitungen, - Fertigarzneimitteln, - Fertigarzneimitteln ohne offiziellen Lauer-Einkaufspreis und - Applikationshilfen unterschieden und jeweils bewusst gesonderte Regelungen getroffen haben.

Arzneimittel sind nach § 2 Abs 1 Arzneimittelgesetz (AMG) Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, 1. die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschli- cher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder 2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflus- sen oder b) eine medizinische Diagnose zu erstellen.

Fertigarzneimittel sind Arzneimittel, die im Voraus hergestellt und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Packung in den Verkehr gebracht werden oder andere zur Abgabe an Verbraucher bestimmte Arzneimittel, bei deren Zubereitung in sonstiger Weise ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt oder die, ausgenommen in Apotheken, gewerblich hergestellt werden (§ 4 Abs 1 Satz 1 AMG). Fertigarzneimittel sind nicht Zwischenprodukte, die für eine weitere Verarbeitung durch einen Hersteller bestimmt sind (§ 4 Abs 1 Satz 2 AMG). Im Gegensatz zu Fertigarzneimitteln werden Zubereitungen in Apotheken hergestellt.

Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass der Spiegelstrich vor den Wörtern "Lauer-Einkaufspreis – 2 %" lediglich aufgrund eines Redaktionsversehens in den Text geraten ist. Dies hat der Kläger überzeugend dargelegt. In den Entwurfsfassungen (Blatt 84, 131 SG-Akte) ist er nicht enthalten und würde auch inhaltlich an dieser Stelle keinen Sinn ergeben. Auf diesen Redaktionsfehler kann sich die Beklagte bei der Auslegung des Vertragstextes nicht berufen.

Im Vertragstext ist unter der Rubrik für die "Zubereitungen" lediglich geregelt, dass für diese der Lauer-Einkaufspreis abzüglich 2 % der Zubereitungsbestandteile zzgl einer Herstellungspauschale iHv 16,00 EUR berechnet wird. Hingegen ist nur unter der Rubrik für die Fertigarzneimittel geregelt, dass der abgerechnete Preis den Apothekenabgabepreis einer öffentlichen Apotheke nicht überschreiten darf. Jede der vier Apothekenleistungen

- Zubereitungen - Fertigarzneimittel - Fertigarzneimittel ohne offiziellen Lauer-Einkaufspreis und - Applikationshilfen

ist durch die textliche Gestaltung des § 5 Abs 2 als gesonderte Rubrik zu erkennen und auch jeweils im Anschluss an seine Benennung mit einem Doppelpunkt versehen. Jeweils nach dem Doppelpunkt sind dann die für die einzelne Leistung abrechenbaren Preise genannt.

Die von der Beklagten angeführte Protokollnotiz des v. vom 04.03.2004 ist als rein internes Protokoll der Beklagtenseite dem Kläger weder im Laufe der Vertragsverhandlungen zugänglich gemacht noch auf andere Weise Vertragsbestandteil geworden. Es steht mit dem Wortlaut und der textlichen Gestaltung des § 5 Abs 2 der Vereinbarung vom 28.06.2004 nicht in Einklang. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann nicht jeder Verhandlungsposition, die ein Beteiligter im Laufe der Vertragsverhandlungen eingenommen hat, entscheidende Bedeutung für die Erforschung des Willens beigemessen werden, denn es ist Kennzeichen von Vertragsverhandlungen, dass die Parteien ihre Verhandlungspositionen einbringen und sodann im Wege der Verhandlung Regelungen bzw Kompromisse erarbeiten. Nicht jeder Wunsch, den ein Beteiligter zu Beginn der Vertragsverhandlungen hat bzw äußert, kann später die Auslegung einer Regelung maßgeblich beeinflussen. Dies gilt erst recht, wenn wie vorliegend, dieser Wunsch im späteren Wortlaut der Regelung keinen ausreichenden Niederschlag gefunden hat.

Auch die mehrere Jahre später geschlossenen Vereinbarungen, die ab dem 01.01.2011 in Kraft getreten sind, können nicht die im Jahr 2004 geschlossene Vereinbarung nachträglich im Sinne der Beklagten verändern. Die mehrere Jahre später geschlossenen Vereinbarungen erlauben auch keine Rückschlüsse auf die im Jahr 2004 geschlossene Vereinbarung. Eher deutet die Neuregelung ab 2011 darauf hin, dass nun etwas anderes geregelt werden sollte. Insoweit erscheint die Darlegung der Klägerin plausibel, dass im Jahre 2004 die Preise der öffentlichen Apotheken bei Zubereitungen generell deutlich höher gelegen hätten als die Preise der Krankenhausapotheken und man daher eine Deckelung bei den Zubereitungen nicht benötigt habe und erst im Jahre 2010 die Preise der öffentlichen Apotheken für Zubereitungen erstmals niedriger gelegen hätten als die entsprechenden Preise der Krankenhausapotheken. Nachdem ab dem Jahr 2010 die Hilfstaxe bei den öffentlichen Apotheken niedriger gewesen ist, wodurch die Preise der Krankenhausapotheken für Zubereitungen im Verhältnis zu den Preisen öffentlicher Apotheken angestiegen seien, habe man eine neue Vereinbarung ausgehandelt, die nunmehr die umstrittene Kappungsgrenze für beide Arten von Arzneimitteln aus Krankenhausapotheken beinhaltet habe. Dieser Zusammenhang ist für den Senat plausibel.

Die Klägerin hat der am 31.01.2011 erfolgten Beanstandung durch die Beklagte am 08.02.2011 widersprochen, mithin die innerhalb der in § 7 Abs 2 der Vereinbarung vom 28.06.2004 bestimmten Frist.

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286 Abs 1 S 2, 288 BGB (vgl BSG 19.04.2007, B 3 KR 10/06 R, PflR 2007, 382).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 SGG iVm § 52 Abs 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG). In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag des Klägers wie vorliegend eine bezifferte Geldleistung ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs 3 S 1 GKG).

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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