S 11 AY 69/16 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
11
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 AY 69/16 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vom 02.08.2016 wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B ..., B-Straße, A-Stadt bewilligt. Ratenzahlungen sind nicht zu erbringen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung, ihm vorläufig weiterhin Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ohne Anspruchseinschränkung zu gewähren.

Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und reiste am 24.09.2011 ein und beantragte am 04.10.2011 die Anerkennung als Asylberechtigter; seither erhält der Antragsteller Leistungen nach dem AsylbLG. Der Antrag auf Gewährung von Asyl wurde mit Bescheid vom 08.04.2013 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage wurde durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18.04.2013 abgewiesen. Die Entscheidung ist seit dem 25.04.2014 rechtskräftig. Am 03.06.2014 hat der Antragsteller in Schweden Asyl beantragt, woraufhin der Antragsteller im Wege des Dublin-Verfahrens zurück nach Deutschland verschoben wurde. Der Antragsteller ist vollziehbar ausreisepflichtig und ist derzeit wegen Passlosigkeit geduldet.

Bereits mit Schreiben vom 08.05.2014 wies die Antragsgegnerin den Antragsteller darauf hin, dass er verpflichtet sei, seinen Pass oder den Passersatz dem Antragsgegner vorzulegen. Die Nichtvorlage des Passes oder des Passersatzes stelle eine Ordnungswidrigkeit dar. Da er keinen anerkannten oder gültigen Pass oder Passersatz besitze, sei er verpflichtet, sowohl bei Maßnahmen zur Schaffung von Identitätsdokumenten durch die deutschen Behörden mitzuwirken, als auch eigenständige Anstrengungen zur Erlangung von Identitätsnachweisen und gültigen Reisedokumenten zu unternehmen. Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller dazu auf, sich einen Pass zu beschaffen.

Mit Bescheid vom 12.08.2015 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Geldleistungen nach dem § 3 AsylbLG in Höhe von 325,61 EUR. Die Unterkunft und Heizung werden dem Antragsteller gestellt. Die Geldleistungen setzten sich aus dem Bedarf für Nahrungsmittel, für Bekleidung und Schuhe, für Gesundheitspflege sowie dem zusätzlichen Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse zusammen. Unter "Hinweise" wurde mitgeteilt, dass die bewilligte Hilfe für jeweils einen Monat gewährt werde. Nach dem umseitig genannten Bewilligungsabschnitt werde die Leistung uneingeschränkt (ohne Antrag) weitergezahlt, solange die gesetzlichen Voraussetzungen hinsichtlich der persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse vorlägen.

Am 23.12.2015 führte die Antragsgegnerin ein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller. Der Antragsteller teilte mit, dass er nicht freiwillig aus dem Bundesgebiet ausreisen und Aufforderungen zur Vorbereitung und Durchführung seiner Abschiebung nicht Folge leisten werde. Er werde auch den bereits zweifach vorgelegten Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses nicht ausfüllen, weil er sonst abgeschoben werde. Der Antragsteller wurde von der Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass die Weigerung, bei der Passbeantragung mitzuwirken, eine Kürzung seiner Geldleistung nach dem AsylbLG haben könne. Eine Kürzung könne gemäß § 1a AsylbLG erfolgen.

Mit Schreiben vom 29.12.2015 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller erneut zur Vorlage eines gültigen Passes oder Passersatzes auf bzw. an der Beschaffung mitzuwirken. Der Antragsteller wurde über die möglichen Rechtsfolgen nach § 1a Abs. 3, 2 Satz 2 AsylbLG aufgeklärt.

Mit Bescheid vom 28.01.2016 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller ab dem 01.02.2016 Leistungen nach dem AsylbLG nur noch eingeschränkt. Der Antragsteller erhielt nunmehr monatliche Leistungen in Höhe von 151,11 EUR. Dieser Betrag setzte sich aus dem Bedarf für Nahrungsmittel sowie dem Bedarf für Gesundheitspflege zusammen. Die Leistungseinschränkung wurde bis zum 31.07.2016 befristet. Sie ergehe unter der auflösenden Bedingung, dass der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nachkommt und einen gültigen Pass vorlegt. Die Anspruchseinschränkung beruhe auf § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG. Sobald der Antragsteller bei dem Passbeschaffungsverfahren mitwirken werde und gültige Dokumente zur Klärung seiner Identität vorlege, könne ihm wieder die volle Leistung nach dem AsylbLG gewährt werden. Der vorherige Antrag vom 29.03.2016 auf einstweiligen Rechtsschutz blieb gemäß Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 14.04.2016 ohne Erfolg. Über die Beschwerde des Antragstellers wurde, soweit ersichtlich, bisher nicht entschieden.

Mit Bescheid vom 29.07.2016 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller erneut abgesenkte Leistungen nach § 1 a Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 2 AsylbLG iHv mtl. 151,11 EUR für den Zeitraum August 2016 bis Januar 2017. Nach § 14 Abs. 2 AsylbLG sei die Anspruchseinschränkung fortzusetzen, wenn die Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung weiter vorlägen. Obwohl der Antragsteller mit Bescheid vom 28.01.2016 mit Hinweis auf die Rechtsfolgen aufgefordert worden sei, seiner Mitwirkungspflicht nunmehr nachzukommen, seien Bemühungen zur Passbeschaffung bisher nicht nachgewiesen worden.

Über den Widerspruch wurde bisher nicht entschieden.

Mit seinem Antrag vom 02.08.2016 auf einstweiligen Rechtsschutz hat sich der Antragsteller erneut an das Sozialgericht Landshut gewandt. Widerspruch und Klage hätten aufschiebende Wirkung nach § 86 a Absatz 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Eine Bestimmung, wonach die aufschiebende Wirkung bei Entscheidungen über Anspruchseinschränkungen nach § 1a AsylbLG entfalle, existiere nicht. Der Bescheid dürfe aufgrund des Widerspruchs derzeit nicht vollzogen werden. Überdies sei der angegriffene Bescheid rechtswidrig. Die teilweise Einstellung der Leistungen sei verfassungswidrig, nachdem auch der Geldbetrag zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens ebenso wie die Leistungen für Bekleidung zum verfassungsrechtlichen Existenzminimum gehörten. Die Folgenabwägung falle im vorliegenden Fall zu Gunsten des Antragstellers aus. Dies gelte umso mehr, als es sich um die Fortsetzung einer bereits ab 01.02.2016 verfügten Leistungseinschränkung handele. Eine dauerhafte Einschränkung im Wege der Kettenanspruchseinschränkung sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.

Der Antragsteller beantragt:

1. Die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab 02.08.2016 vorläufig Leistungen gemäß § 3 AsylbLG zu gewähren.

2. Dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwalts zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge abzulehnen.

Der Antragsteller begründe seinen Anspruch damit, dass die gesetzgeberische Regelung verfassungswidrig und damit unanwendbar sei. Diese Bedenken seien von der Antragsgegnerin als vollziehende Behörde im vorliegenden Verfahren nicht zu beurteilen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie dem weiteren Vortrag der Beteiligten wird auf die Akte des Gerichts und die beigezogene Akte der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung statthaft und zulässig, aber unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 29.07.2016. Maßgebend für die Bestimmung, in welcher Weise vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren ist, ist der im Hauptsacheverfahren statthafte Rechtsbehelf. Richtige Klageart im Hauptsacheverfahren ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, 56 SGG. Der Antragsteller strebt folglich eine Erweiterung seiner Rechtspositionen an; daher ist eine einstweilige Anordnung in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG statthaft.

1. Der Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung. Wenn zweifelhaft ist, ob eine aufschiebende Wirkung eingetreten ist, kann dies das Gericht durch einen deklaratorischen Beschluss feststellen. Diesen Fall regelt § 86b Abs. 1 SGG nicht ausdrücklich, insoweit ist § 86b Abs. 1 SGG aber entsprechend anwendbar (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 15). Dem Antragsteller wurden zuletzt mit Bescheid vom 12.08.2015 nach Maßgabe von § 3 AsylbLG ab dem 03.08.2015 Leistungen in Höhe von 325,61 EUR monatlich gewährt. Der streitgegenständliche Bescheid vom 29.07.2016 reduziert die Leistungen für die Zukunft, anknüpfend an § 1a Abs. 3, Abs. 2 S. 2ff AsylbLG, ab dem 01.08.2016 auf 151,11 EUR monatlich. Insofern hat es keiner Aufhebung gemäß § 9 Abs. 4 Nr.1 AsylbLG i.V.m. § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bedurft. Der Bescheid vom 12.08.2015 stellt nämlich keinen Dauerverwaltungsakt dar. Leistungen nach dem AsylbLG stellen keine rentenähnliche Dauerleistung dar; dies erlaubt es der Verwaltung, die Voraussetzungen in regel-mäßigen Abschnitten zu prüfen (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R -). Demnach ist die Behörde grundsätzlich berechtigt, Leistungen nur für die nächstliegende Zeit zu bewilligen, wobei es entscheidend auf den Inhalt des betreffenden Verwaltungsakts ankommt. Für einen verständigen Erklärungsempfänger ist der objektive Regelungsgehalt dieses Bescheids zeitlich auf den Monat August 2015 beschränkt, während die Bewilligungen für die Folgemonate nicht schriftlich, sondern nach § 33 Abs. 2 SGB X auf andere Weise jeweils konkludent durch Überweisungen erfolgt sind. Laut den Hinweisen in dem benannten Bescheid werden die bewilligten Leistungen jeweils nur für einen Monat gewährt. Im nachfolgenden Satz heiße es, dass diese uneingeschränkt ohne Antrag weitergewährt würden, solange die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen weiterhin vorliegen. Hieraus wird hinreichend deutlich, dass die Antragsgegnerin für die Folgemonate die betreffenden Leistungen stillschweigend für jeweils einen Monat neu bewilligen wollte (vgl. zum Ganzen: Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19. August 2009 - L 9 B 371/08 -). Eine vorherige Leistungsbewilligung für die Zeit ab August 2016 ist nicht erfolgt. Vielmehr hat die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 29.07.2016 die Leistungen für den Zeitraum ab August 2016 erstmals bewilligt und im Übrigen teilweise abgelehnt. Aufschiebende Wirkung bedeutet, dass der Verwaltungsakt nicht vollzogen werden darf; es tritt ein Schwebezustand ein, währenddessen vollendete Tatsachen nicht geschaffen werden dürfen. Bei Geldleistungen muss zunächst weiter nach dem alten Verwaltungsakt gezahlt werden (BSG, Urteil vom 23. September 1997 - 2 RU 44/96 -). Ein "alter" Verwaltungsakt für die Zeit ab Februar 2016, aus dem der Antragsteller weiterhin Leistungen beanspruchen könnte, existiert - wie ausgeführt - nicht.

Bei Verwaltungsakten, die lediglich eine begehrte Leistung ablehnen, ist vorläufiger Rechtsschutz durch eine einstweilige Anordnung des Gerichts (§ 86b Abs. 2 SGG) möglich (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86a Rn. 6).

2. Der zulässige Antrag auf einstweilige Anordnung in Form einer Regelungsanordnung ist nicht begründet. Einstweilige Anordnungen nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG sind zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine solche Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch (das materielle Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird) als auch einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit im Sinne der Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsachverfahren nicht zumutbar ist) voraus. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbe-ziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05) das Obsiegen in der Haupt-sache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist ggf. auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers zu entscheiden (BVerfG vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05; BVerfG vom 15.01.2007, 1 BvR 2971/06).

Der Antragsteller hat erneut keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller ist Inhaber einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), was nach Absatz 3 seine Ausreisepflicht unberührt lässt. Er zählt damit zu den Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG. Die zustehenden Leistungen wurden nach Maßgabe von § 1a Abs.3 AsylbLG in der Fassung vom 20.10.2015 dahingehend eingeschränkt, dass nur noch Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt werden (§ 1a Abs.2 S. 2 AsylbLG). Die Einschränkung erfolgt, sofern aus vom Antragsteller zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten. Zu letzteren gehören alle rechtlichen und tatsächlichen Handlungen, die notwendig sind, um eine Ausreise des Ausländers herbeizuführen (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII 5. Auflage 2014, § 1a AsylbLG, Rn. 22ff m. w. N.). Vertretenmüssen i.S. von § 1a Nr. 2 AsylbLG besteht dann, wenn die betreffenden Gründe ihre alleinige Ursache im Verantwortungsbereich des Ausländers haben und ihm vorgeworfen werden kann, durch sein Verhalten die Ausreise verhindert oder verzögert zu haben. Das Vertretenmüssen i.S.v. § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. bzw. § 1a Abs. 3 AsylbLG knüpft an das eigene Verhalten des Leistungsberechtigten in dem Sinne an, dass das Verhalten allgemein geeignet sein muss, sich seiner Ausreisepflicht zu entziehen. Es ist danach erforderlich, aber auch ausreichend, dass das Ergebnis der Nichtvollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf Umständen beruht, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zuzurechnen sind. Auf das Vertretenmüssen im zivil- oder auf die Vorwerfbarkeit im strafrechtlichen Sinne kommt es hingegen nicht an. Der Ausländer muss bei entsprechendem Willen in der Lage und aus Rechtsgründen verpflichtet oder es muss ihm zuzumuten sein, ein Verhalten zu unterlassen bzw. ein Handeln vorzunehmen (Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 1a AsylbLG i.d.F. v. 20.10.2015, Rn. 67).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der ausreisepflichtige Antragsteller hat wegen fehlender Passdokumente, an deren Wiederbeschaffung er nicht mitgewirkt, obwohl sich diese Pflicht aus § 48 Abs. 3 AufenthG ergibt und er mehrfach von der Antragsgegnerin unter Hinweis auf die Rechtsfolgen dazu aufgefordert wurde. Der Antragsteller verhindert dadurch seine Abschiebung. Ohne Passdokumente ist es der Antragsgegnerin nicht möglich, den Aufenthalt des Antragstellers zu beenden. Die Mitwirkungspflicht wird vom Antragsteller letztlich ohnedies nicht in Frage gestellt. Die Antragsgegnerin kann nicht für den Antragsteller die Ausweispapiere bei der afghanischen Botschaft beantragen, weil die Botschaft eine freiwillige, persönliche Antragstellung fordert (wie hier Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 08.07.2016, L 8 AY 14/16 B ER).

Auch durch § 14 Abs. 1 AsylbLG ist die Antragsgegnerin nicht daran gehindert, erneut eine Anspruchseinschränkung vorzunehmen. Aus § 14 Abs. 2 AsylbLG folgt, dass die Behörde spätestens nach Ablauf von sechs Monaten in eine neue Prüfung eintreten muss. Inhalt dieser Prüfung ist es, ob die Pflichtverletzung nach § 1a AsylbLG weiterhin besteht oder nicht. Die Gesetzesmaterialien beziehen sich auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der es gebietet, dass ein nicht mehr änderbares, zurückliegendes Fehlverhalten oder sogar ein bereits korrigiertes Fehlverhalten in einer Sanktion nicht unbegrenzt fortwirkt (Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 14 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 10). Die Antragsgegnerin hat überprüft, ob die Pflichtverletzung des Antragstellers weiterhin vorliegt. Nachdem weiterhin vom Antragsteller keine (möglichen und zumutbaren) Maßnahmen zur Beschaffung des Passes vorgenommen werden, liegt weiterhin eine Pflichtverletzung durch Unterlassen vor. Die Absenkung erfolgt somit wegen der aktuellen Pflichtverletzung des Antragstellers und nicht wegen des zurückliegenden Fehlverhaltens.

Schließlich ist die Absenkung des Leistungsanspruchs nach § 1a AsylbLG auch nicht verfassungswidrig (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, a.a.O.; vgl. zur alten Fassung bereits SG Landshut, Urteil vom 24. Oktober 2014 - S 11 AY 16/14 -). Entgegen der Auffassung des Antragstellers erfordert eine verfassungskonforme Aus-legung nicht die Annahme, der zu erfüllende Bedarf sei allein das uneingeschränkte soziokulturelle Existenzminimum. Die Verfassungswidrigkeit des § 1a AsylbLG würde im Ergebnis bedeuten, dass sämtliche den Einzelfall betreffenden Sanktionsregelungen, die ein Zurückbleiben des Gesamtleistungsanspruches hinter dem allgemeinen soziokulturellen Existenzminimum zur Folge hätten, als verfassungswidrig einzustufen wären. Eine derartige allgemeine Privilegierung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, insbesondere gegenüber dem Adressatenkreis der Sanktionen nach dem SGB II, ist zudem nicht zu begründen (LSG Halle, Beschluss vom 19. Juni 2014 - Az.: L 8 AY 15/13 B ER). Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 (Az.: 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) zur Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG aF nicht verhalten. Die Entscheidung bezieht sich auf die Regelungen in § 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, 2 und 3 und Abs. 2 Satz 3 AsylbLG aF und verpflichtet den Gesetzgeber unverzüglich für den Anwendungsbereich des AsylbLG eine Neuregelung - die zum 01. Januar 2015 in Kraft getreten ist - zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums zu treffen. Soweit das Bundesverfassungsgericht einfordert, dass die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren sei, können migrationspolitische Erwägungen, Leistungen an Asylbewerber niedrig zu halten, um Anreize für Wanderbewegungen durch ein zu hohes Leistungsniveau zu vermeiden, in zulässiger Weise nicht weiter erwogen werden. Hieraus folgt aber nicht, dass gegen bereits eingereiste Leistungsempfänger keine leistungsrechtlichen Konsequenzen zur Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen möglich sind. Die Anwendung des § 1a AsylbLG ist hier allein schon deshalb unbedenklich, weil es der Leistungsberechtigte des AsylbLG in der Hand hat, durch sein Verhalten die Leistungsvoraussetzungen zu erfüllen und eine Kürzung oder den Wegfall zu vermeiden. Das durch Art 1 Abs. 1 GG begründete und nach dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG auf Konkretisierung durch den Gesetzgeber angelegte Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, verpflichtet den Staat dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen zur Verfügung stehen, wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09). Das bedingt jedoch nicht, dass diese Mittel voraussetzungslos zur Verfügung gestellt werden müssten (BSG, Urteil vom 29. April 2015 - B 14 AS 19/14 R -). Dem Gesetzgeber ist bei der Konkretisierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zugewiesen, innerhalb dessen er die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat (BVerfG Urteil vom 09.02.2010). Dass der Gesetzgeber dabei gehindert wäre, die Gewährung existenzsichernder Leistungen an (Mitwirkungs-)Obliegenheiten zu knüpfen und bei deren Verletzung leistungsrechtliche Minderungen vorzusehen, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Zudem ist - wie unter 1. ausgeführt - zu bedenken, dass es sich vorliegend grundrechtsdogmatisch nicht um einen Eingriff, sondern um eine abgesenkte Form der Leistungsgewährung handelt. Nicht anders als in anderen Grundsicherungssystemen (vgl. § 26 SGB XII bzw. § 41 Abs. 4 SGB XII; vgl. §§ 31 ff. SGB II) ist daher die Verknüpfung von Mitwirkungspflichten und Verhaltenspflichten mit Leistungseinschränkungen auch im AsylbLG verfassungsrechtlich unbedenklich (LSG Erfurt, Urteil vom 12. März 2014 - Az.: L 8 AY 678/13). Dies gilt umso mehr, als § 1a AsylbLG nicht vorrangig migrationspolitische Ziele verfolgt, sondern vor allem eine Privilegierung von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG - von Personen also, die sich bereits im Bundesgebiet aufhalten - im Vergleich zu deutschen Sozialhilfeempfängern und legal in Deutschland lebenden Ausländern verhindern will (siehe BT-Drucks. 13/10155, S. 5 linke Spalte a.E.). Soweit als Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Möglichkeit einer Absenkung der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG auf der Grundlage des § 1a AsylbLG jedenfalls für die Zeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung verneint wird (LSG Mainz, Beschluss vom 27.03.2013 - Az.: L 3 AY 2/13 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06. Februar 2013 - Az.: L 15 AY 2/13 B ER), muss dem seit der Neuregelung nicht weiter nachgegangen werden.

Auch, soweit eine abschließende Folgenabwägung für notwendig erachtet wird, kann dies keinen Anspruch des Antragstellers begründen. Zwar dienen Leistungen nach dem AsylbLG der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Ohne die beantragten Leistungen drohen dem Antragsteller zudem grundsätzlich existentielle Nachteile. Es liegt indes in der Macht des Antragstellers, aus eigener Kraft die Absenkung abzuwenden, indem die erforderlichen Mitwirkungshandlungen nachgeholt werden. Es ist dem Antragsteller zumutbar, einen Pass zu beantragen und die nötigen Handlungen zu vollziehen. Das Gericht verkennt nicht die individuelle Not des Antragstellers und das Begehren, eine mögliche Abschiebung zu verhindern. Dies ist indes in dem jeweiligen Rechtsschutzverfahren und nicht vor dem Sozialgericht zu klären. Daher kann dem Antragsteller auch im Lichte des in Art. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebots des effektiven Rechtsschutzes und der Menschenwürde zugemutet werden, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Die Antragsgegnerin ist nach Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes an Recht und Gesetz gebunden. Es obliegt ihr selbstverständlich auch, Grundrechtsverletzungen zu verhindern. Der Vortrag der Antragsgegnerin, die Achtung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG und die Wahrung des Sozialstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 1 GG seien von der Antragsgegnerin als vollziehende Behörde im vorliegenden Verfahren nicht zu beurteilen, entbehrt daher jeder Grundlage und sollte überdacht werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dem Antrag auf Prozesskostenhilfe war trotz ablehnender Entscheidung zu entsprechen, da aufgrund der bisher fehlenden obergerichtlichen Entscheidungen eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht fehlte. An der Bedürftigkeit des Antragstellers bestehen ohnedies keine Zweifel.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 SGG Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft. Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Sozialgericht Landshut in elektronischer Form einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Bayer. Landessozialgericht in elektronischer Form eingelegt wird. Die elektronische Form wird nur durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der "Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Sozialgerichtsbarkeit - ERVV SG" in das elektronische Gerichtspostfach des Bayer. Landessozialgerichts oder des Sozialgerichts Landshut zu übermitteln ist. Die hierfür erforderliche Software kann über das Internetportal des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (www.egvp.de) lizenzfrei heruntergeladen werden. Dort können auch weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden.
Rechtskraft
Aus
Saved