S 79 KA 1074/16 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
79
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 79 KA 1074/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes werden zurückgewiesen. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens. Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Antragsteller sind in die Wählerlisten für die Wahlen der 15. Vertreterversammlung (VV) der Antragsgegnerin eingetragen und berechtigt, an der Wahl teilzunehmen. Im KV-Blatt 7/16, Seite 18, informierte die Antragsgegnerin über Einzelheiten der Wahl, u. a. wird auf folgendes hingewiesen:
Der ausgefüllte Stimmzettel wird nach dem Ausfüllen in den Stimmzettel-Umschlag mit dem Aufdruck "Nur für den Stimmzettel" gelegt, der Umschlag wird verschlossen.
Der Wahlschein der unterschriebenen Versicherung, den Stimmzettel persönlich ausgefüllt zu haben, wird zusammen mit dem verschlossenen Stimmzettel-Umschlag in den Briefumschlag mit der Aufschrift "Wahlbrief" gelegt und anschließend wird der Umschlag verschlossen. Die Neuwahl der Vertreterversammlung fand zwischen dem 2. und dem 16. September 2016 statt. Die Wahlbriefe waren mit Ordnungsziffern versehen. Die Stimmenauszählung soll in dem Zeitraum 26. bis 28. September 2016 erfolgen.
Die Antragsteller haben sich am 16. September 2016 an das Sozialgericht gewandt und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie sind der Ansicht, dass gegen zwingend einzuhaltende Wahlgrundsätze verstoßen worden sei. Die Anbringung von Ordnungszahlen auf den Wahlbriefen sei nicht zulässig, da sich eine rechtliche Grundlage hierfür nicht finde. Nach der Rspr. des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müssten die Grundsätze für die Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages auch für die Wahlen von Selbstverwaltungsorganen angewendet werden. Durch die Kennzeichnung der Wahlunterlagen mit Ziffern und deren Korrelation mit einer den Wähler identifizierenden Liste sei es möglich festzustellen, wer bereits gewählt habe. Hierdurch werde ermöglicht, Wahlbriefe noch vor Beginn der Auszählung zu sortieren und ggf. einzelne Wahlbriefe auszusortieren und solche Wähler, die noch nicht gewählt haben, gezielt anzusprechen. Das Wahlergebnis könne so manipuliert werden. Fest stehe, dass der Wahlbeauftrage zehn Mitarbeiter der Antragsgegnerin zur Sortierung der Wahlbriefe für den Zeitraum 2. bis 16. September angefordert habe. Neben der Sortierung der Wahlbriefe in den Räumen der Antragsgegnerin sei durch die Ordnungsziffern ermöglicht worden, die Wähler zu ermitteln und diese in eine Excel-Tabelle einzutragen. Hierdurch werde das Wahlgeheimnis verletzt. Die Reichweite des Grundsatzes der geheimen Wahl erstrecke sich nicht nur auf den Inhalt der Wahlentscheidung, sondern auch auf die Ausübung der Wahl. Weder der Inhalt noch die Information darüber, wer gewählt hat, dürfe in die Hände Unbefugter gelangen. Durch die Aufnahme der Ordnungsziffern in eine Excel-Liste würden nicht nur die Wähler individualisierbar, sondern es würden auch Sozialdaten von Wählern gespeichert. Auch dieses sei rechtswidrig. Es liege auch ein Verstoß gegen die Formenstrenge und das Wahlgeheimnis vor, wenn bereits vor Beginn der Wahlauszählung Bearbeitungsvorgänge, wie die Eintragung in Listen durch Mitarbeiter der Antragsgegnerin, vorgenommen werden. Die Wahlbriefe seien bis zur Auszählung unter Verschluss zu halten. Ein Mitglied des Vorstandes des Antragsgegnerin, das zugleich Kandidat für eine Wählerliste sei, habe am 8. September 2016 im Arbeitskreis der Kassenärztlichen Vereinigungen bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vor Vorstandsmitgliedern aller Kassenärztlichen Vereinigungen kolportiert, dass bestimmte angestellte Ärzte angeblich erklärt hätten, noch keine Wahlunterlagen erhalten zu haben. Dies habe sich aber noch Überprüfung als unrichtig herausgestellt. Bereits an diesem Beispiel zeige sich, dass eine Rückverfolgung der Stimmabgaben und Weitergabe an Unberechtigte erfolgt sei. Ferner werde durch die Zählung der eingegangenen Wahlbriefe vor Ablauf des Wahlzeitraums und Mitteilung des Ergebnisses im KV-Blatt Einfluss auf das Wählerverhalten bzw. die Stimmabgaben genommen (KV-Bl. 9/16, Seite 30). Auch die nunmehr ergangene Pressemitteilung der Antragsgegnerin (20/2016) belege, dass es bereits vor Abschuss der Wahl ein Registerverzeichnis erstellt worden sei. Vor dem Tag der Stimmenauszählung dürfe niemand Zugriff auf die Wahlunterlagen haben.
Die Antragsteller beantragten,
1. den Wahlausschuss zu verpflichten, die Auszählung der zur Wahl der 15. Vertreterversammlung eingegangenen Wahlbriefe in der Zeit vom 26. 09. bis 28. 09. 2016 einstweilen zu unterlassen und die eingegangenen Wahlbriefe bis zu einer Entscheidung des Sozialgerichts in der Hauptsache unzugänglich in verschlossenen Wahlurnen gemäß der Regelungen in § 4 Abs. 8 Satz 3 WahlO unter Verschluss zu halten,
2. Die Antragsgegnerin zu verpflichten, einstweilen die Bearbeitung der Wahlbriefe durch Eintragung von Ordnungsziffern in eine auf den Servern der Antragsgegnerin befindlichen Datei zu unterlassen und die bereits erstellten Dateien gegen den Zugriff bis zu einer Entscheidung des Sozialgerichts in der Hauptsache zu sichern.

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dass die Anträge bereits unzulässig seien außerdem auch in der Sache keinen Erfolg haben könnten und beantragt die Zurückweisung. Der Antrag richte sich gegen Antragstellerin, es werde aber eine Verpflichtung des Wahlausschusses begehrt. Auch die von den Antragstellern erhobene Klage in der Hauptsache sei unzulässig, da eine solche Klage auf die Feststellung der Ungültigkeit einer Wahl gerichtet sei. Die Wahl sei aber noch nicht abgeschlossen. Außerdem komme es - ausgehend von den gestellten Anträgen - zu einer Vorwegnahme der Hauptsache. Ungeachtet davon sei der Antrag auch unbegründet. Offenkundige Wahlfehler, die die Ungültigkeit der Wahl der VV zur Folge haben könnten, lägen nicht vor. Nur sogenannte mandatsrelevante Fehler könnten zur Nichtigkeit führen. Die Anbringung von Ordnungsnummern habe den Zweck, dass bei Anfragen von Wahlberechtigten beispielsweise wegen Verlusts oder Nichterhalts der Wahlunterlagen durch den Wahlleiter geprüft werden könne, ob die Unterlagen bereits eingegangen waren. Auch bei der Bundestagswahl gehe es eine Wahlscheinnummer. Die Wahlbriefe würden nach Eingang durch den Wahlleiter oder dessen Stellvertreter in Empfang genommen und zum Tageseingang gezählt. Die Gesamtzahl sei in einer Excel-Tabelle vermerkt worden, und zwar getrennt nach Wahlkörper I (Ärzte) und II (Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten). Des Weiteren sei der Eingang der Wahlbriefe in einem speziellen Datenerfassungstool entsprechend der angegebenen Ziffer vermerkt und die Briefe dann in einem zur Verfügung gestellten Tagungsraum unter Verschluss in Containern gehalten worden. Zugang zu dem Raum sowie zu dem IT-Programm hätten nur der Wahlleiter und seine Stellvertreter gehabt. Eine Rückkopplung zu einer personifizierten Stimmabgabe aus dem Datenerfassungstool oder anderer Daten habe für Unbefugte zu keinem Zeitpunkt bestanden. Bei den von den Antragstellern weiteren erhobenen Vorwürfen handele es sich um schlichtweg falsche Sachverhaltsdarstellungen, die erkennbar auf bloßen Vermutungen beruhend ins Blaue hinein getroffen worden seien. Durch die Veröffentlichung im KV-Blatt sei weder in das aktive, noch in das passive Wahlrecht eingegriffen worden.

Die Anträge haben keinen Erfolg.

Grundlage für den Erlass von einstweiligen Anordnungen ist nach der der allgemeinen Regel § 86 b Abs. 2. Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen in Bezug auf den Streitgegenstand zu treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden kann. Nach Satz 2 sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt jeweils voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden, §§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Nach § 57 Abs. 5 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB VI) sind einstweilige Anordnungen auch während des Wahlverfahrens grundsätzlich zulässig. Es kann hier offen bleiben, ob diese Vorschrift hier analog anzuwenden ist, da eine gesetzliche Regelung, die einstweiligen Rechtsschutz während des Wahlverfahrens von Selbstverwaltungsorgangen der Kassenärztlichen Vereinigungen regelt, fehlt. Vielmehr kommt nach dem Gesetzeswortlaut nur ein Ausspruch über die Ungültigkeit der Wahl und die sich daraus ergebenden Folgerungen in Betracht. Die Kammer geht jedoch davon dass, dass auch in dem hier zu entscheidenden Fall die maßgeblichen Grundsätze zu berücksichtigen sind. Da bei Erlass einer einstweiligen Anordnung während des Wahlverfahrens endgültige Verhältnisse geschaffen werden können, da die Wahl nicht mehr aufgrund einer Entscheidung durch den Wahlausschuss durchgeführt wird, sondern aufgrund einer einstweiligen Anordnung, sind in diesen Fällen besonders strenge Voraussetzungen bestimmt, die an die Stelle der sonst für die einstweilige Anordnung geltenden Voraussetzungen treten. Danach muss unzweifelhaft und offensichtlich ein Wahlverstoß vorliegen. Notwendig ist ferner, dass der Wahlverstoß zur Ungültigkeit der Wahl führen würde und die Wahl unzweifelhaft rechtswidrig wäre (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 10. Aufl. § 87b RdNr. 51). Ein die Wahl vorbereitendes Verwaltungshandeln kann im Übrigen nicht angefochten werden (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 10. Aufl. § 55 RdNr. 23 a unter Hinweis das Urteil des BSG vom 16. Dezember 2003 - B 1 KR 26/02 R -, RdNr. 19, zitiert nach Juris.) Im vorliegenden Fall muss das Gericht nicht über die von den Antragstellern erhobenen einzelnen Vorwürfe, die den Verstoß gegen zwingend einzuhaltende Wahlgrundsätze belegen sollen, entscheiden, da der Antrag aus anderen Gründen zurückzuweisen ist. Der sozialrechtliche Rechtsschutz ist grundsätzlich nachrangiger Rechtschutz. Deshalb ist es den Gerichten grundsätzlich nicht erlaubt, der Behörde im Vorhinein den Erlass bestimmter Entscheidungen oder Handlungen zu verbieten oder vorzuschreiben. In der Regel ist daher abzuwarten, bis die Behörde gehandelt hat. Dies gilt - wie oben dargelegt - auch bei einstweiligen Anordnungen während des Wahlverfahrens. Etwas anderes gilt wegen des Verfassungsgebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19. Abs. 4 GG) nur dann, wenn der Verweis auf die Inanspruchnahme nachgängigen Rechtsschutzes bzw. nachgängigen vorläufigen Rechtsschutzes mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre. Vorliegend ist weder dargelegt noch erkennbar, welche Nachteile den Antragstellern drohen, wenn sie die Auszählung der Wahl abwarten. Dies entspricht dem gängigen Verfahren und hat im Übrigen für die Antragsteller auch den Vorteil, dass sie Kenntnis darüber erlangen können, ob das von ihnen gewünschte Wahlergebnis erreicht wurde. Die Ordnungsgemäßheit der Wahl der Vertreterversammlung kann anschließend in einem speziellen Wahlanfechtungsverfahren geltend gemacht werden (vgl. § 131 Abs. 4 SGG; vgl. hierzu auch Urteil des BSG vom 11. Februar 2015 - B 6 KA 4/14 R - mwN). Vor diesem Hintergrund ist kein Raum dafür, die Unterlassung der Auszählung der bereits vorliegenden, in dem Zeitraum vom 2. bis 16. September 2016 eingegangenen Wahlbriefe bzw. Stimmzettel anzuordnen (Antrag zu 1). Auch der von den Antragstellern unter Ziffer 2 gestellte Antrag bleibt ohne Erfolg. Soweit es um die Unterlassung der Bearbeitung der Wahlbriefe durch Eintragung von Ordnungsziffern in eine auf den Servern der Antragsgegnerin befindlichen Datei geht, ist der Antrag bereits deshalb abzulehnen, weil nicht dargelegt wurde, dass nach Ablauf des Zeitraums des Eingangs der Wahlunterlagen (2. September bis 16. September 2016) überhaupt noch Eintragungen erfolgten. Insoweit fehlt es bereits an dem Rechtsschutzbedürfnis. Soweit es um die Sicherung angeblich bereits erstellter Daten geht, ist ebenfalls nicht dargelegt oder erkennbar, weshalb dies erforderlich sein soll und es nicht zumutbar sein soll, die Wahlauszählung abzuwarten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 63 Abs. 3 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 4 und 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Mangels genügender Anhaltspunkte für eine anderweite Festsetzung wird der Regelstreitwert zugrunde gelegt.
Rechtskraft
Aus
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