L 4 SO 49/15 ZVW

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 20 SO 300/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 49/15 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Zahlung von Sozialhilfeleistungen in Form einer Mietschuldenübernahme an die Eigentümerin der vom Kläger bewohnten Wohnung.

Der 1936 geborene Kläger erhält mindestens seit September 2005 laufende Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) i.V.m. dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) von der Beklagten.

Seit Ende 1999 kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen – z.T. auch unter Einschaltung des zuständigen Amtsgerichts – zwischen dem Kläger und seiner Vermieterin, der S. u.a. über die Berechtigung von Mieterhöhungen bzw. Mietminderungen. Der Kläger zahlte verschiedentlich nur eine geminderte Miete an die S. bzw. berücksichtigte zwischenzeitlich erfolgte Mieterhöhungen bei seinen Zahlungen nicht. Infolgedessen kam es im Verlauf der Jahre zu erheblichen Forderungsrückständen. Am 3. November 2005 verurteilte das Amtsgericht Hamburg-G1 den Kläger zur Zustimmung zu einer Mieterhöhung ab dem 1. Januar 2005 (Aktenzeichen 918 C 143/05). Nachdem die S. aufgrund der aufgelaufenen Rückstände das Mietverhältnis gekündigt hatte, verurteilte das Amtsgericht Hamburg-G1 den Kläger mit Versäumnisurteil vom 6. Februar 2007 zur Räumung der von ihm bewohnten Wohnung. Der Gerichtsvollzieher kündigte die zwangsweise Räumung für den 19. August 2009 an.

Am 12. August 2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Mietrückstände. Die S. erklärte sich gegenüber der Beklagten bereit, auf die Räumung zu verzichten, sofern die Zahlungsrückstände in Höhe von 7.285,13 Euro (ausstehende Mietzahlungen sowie Verfahrenskosten) übernommen würden, und übersandte eine Forderungsaufstellung für die Zeit ab November 1999. Für die Einzelheiten dieser Forderungsaufstellung wird auf Bl. 168 bis 173 der Verwaltungsakte verwiesen.

Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 15. September 2009 mit, dass sie zu einer Übernahme der Rückstände bereit sei, wenn der Kläger sein Einverständnis damit erteile, dass die Miete in Zukunft von der Beklagten direkt an die S. gezahlt werde. Ohne sein Einverständnis komme eine Übernahme der Mietschulden nicht in Betracht, da aufgrund der Aktenlage davon ausgegangen werden müsse, dass künftige Mietzahlungen nicht bzw. nicht in Gänze gesichert seien. Der Kläger äußerte mit Schreiben an die Beklagte vom 12. Oktober 2009 Zweifel hinsichtlich der Höhe der Forderung der S., weshalb die Zahlung nur unter Vorbehalt zu leisten sei und er sein Einverständnis mit einer Direktzahlung künftiger Mieten an die S. nur unter der Voraussetzung erkläre, dass die S. auf die Räumung aus dem Versäumnisurteil verzichte, das Versäumnisurteil herausgebe und sich dahingehend mit ihm einig erkläre, dass der Mietvertrag ununterbrochen Bestand habe. Mit Schreiben vom 26. Oktober 2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sich die S. mit einem solchen Vorgehen nicht einverstanden erklärt habe und nur bereit sei, den Kläger weiter in der Wohnung zu dulden, wenn die künftigen Mietzahlungen in voller Höhe und ohne Vorbehalt geleistet würden. Der Kläger erklärte sich mit Schreiben vom 13. November 2009 mit der Direktzahlung der Miete an die S. unter bestimmten Bedingungen einverstanden. Wörtlich heißt es in diesem Schreiben: "aufgrund meiner Zwangslage bin ich damit einverstanden, dass die von mir geforderte Miete in Höhe von 428,24 EUR aus der mir gewährten laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt pünktlich bis zum 3. jeden Monats ab dem nächstmöglichen Zeitpunkt und die von Ihnen übernommene einmalige "Mietrückstandsforderung" der S. gegenüber mich in Höhe von 7.285,13 EUR durch Sie an die Vermieterin S. geleistet werden. Mein Einverständnis erlangt Gültigkeit sobald mir eine schriftlich und rechtsverbindlich Erklärung der S. vorliegt, dass sie auf die Räumung aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg gegen mich vom 24.09.2007 verzichtet, wenn ihre "Mietrückstandsforderung" ausgeglichen und die volle Miete pünktlich gezahlt wird."

Mit Schreiben vom 18. November 2009 teilte die S. dem Kläger mit, dass das Mietverhältnis für die von ihm bewohnte Wohnung nicht mehr bestehe. Die S. habe sich entschlossen, zurzeit die Zwangsvollstreckung des Räumungsurteils nicht zu betreiben und dem Kläger zu gestatten, die Wohnung weiterhin zu nutzen. Voraussetzung hierfür sei, dass er in Zukunft die Nutzungsentschädigung in Höhe der vereinbarten bzw. gültigen Miete nebst Nebenleistungen pünktlich in voller Höhe entrichte und sich an die Hausordnung halte. Falls der Kläger gegen diese Bedingungen verstoße, behalte es sich die S. ausdrücklich vor, jederzeit und ohne vorherige schriftliche Ankündigung bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher die Zwangsräumung der Wohnung zu beantragen.

Nachdem die von der S. geltend gemachte Forderung zwischenzeitlich auf 7.427,73 Euro gestiegen war (offene Nutzungsentschädigungen, Verfahrenskosten und aktuelle Nebenkostennachzahlung), bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 18. Dezember 2009 Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen gemäß § 34 SGB XII in Höhe von 7.427,73 Euro und zahlte den genannten Betrag an die S ...

Mit Schreiben vom 2. Januar 2010 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 18. Dezember 2009. Zur Begründung führte er aus, der Widerspruch richte sich gegen die vorbehaltlose Überweisung der ungeprüften Mietrückstandsforderung an die S. sowie gegen die Übernahme der Verfahrenskosten. Über die Verfahrenskosten habe das Gericht noch nicht entschieden, er habe beantragt, sie der S. als Gläubigerin aufzuerlegen. Die Aufstellung durch die S. lasse seine berechtigten Ansprüche aus dem Mietverhältnis unberücksichtigt. Die vorbehaltlose Zahlung durch die Beklagte erschwere oder verhindere sogar die Durchsetzung seiner Ansprüche gegen die S ...

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2010 zurück. Der Widerspruch sei unzulässig, der Kläger habe keine Widerspruchsbefugnis. Bei dem angefochtenen Bescheid handele es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt. Es sei nicht ersichtlich, wie der Kläger durch ihn in eigenen Rechten oder rechtlich geschützten Interessen betroffen sein könne. Die Übernahme von Schulden gemäß § 34 SGB XII entfalte keinerlei präjudizielle Wirkung in Bezug auf ein zivilrechtliches Verfahren über die Begründetheit der zugrundeliegenden Verbindlichkeiten. Sinn und Zweck des § 34 SGB XII sei es, den Leistungsberechtigten vor einer drohenden Notlage zu bewahren. Ein Abwarten des vollständigen Abschlusses sämtlicher zivilrechtlicher Verfahren würde diesem Zweck zuwiderlaufen.

Am 28. Juni 2010 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben und wörtlich beantragt, • den Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2010 aufzuheben; • festzustellen, dass die vorbehaltlose Zahlung des Betrages über 7.427,73 Euro an die S. durch die Beklagte rechtswidrig war und ist; • die Beklagte zu verpflichten, die S. aufzufordern, die Höhe der behaupteten Forderung nachzuweisen und die zu viel aufgenommenen Beträge an die Beklagte zurückzuzahlen. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe zu keinem Zeitpunkt sein Einverständnis mit einer vorbehaltlosen Zahlung an die S. erteilt. Es gebe keinen Titel für die Forderungen der S ... Die Handlungen der Beklagten seien gesetzeswidrig und zielten darauf ab, die S. auf Kosten und zum Nachteil des Klägers ungerechtfertigt zu bereichern.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 7. November 2013 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, da es am Rechtsschutzbedürfnis fehle. Es sei nicht zu erkennen, dass sich die rechtliche oder wirtschaftliche Situation des Klägers durch das begehrte Urteil verbessern würde.

Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 15. November 2013 zugestellt worden. Am 16. Dezember 2013, einem Montag, hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hat sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt.

Mit Urteil vom 1. Oktober 2014 hat der Senat – in der Besetzung mit der Berichterstatterin und den ehrenamtlichen Richtern – die Berufung zurückgewiesen. Die Berufung sei zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht habe das Sozialgericht die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis abgewiesen. Das Rechtsschutzbedürfnis fehle, wenn eine Klage selbst im Falle ihres Erfolgs für den Kläger keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen könne, also wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung weder gegenwärtig noch zukünftig die Stellung des Klägers verbessern würde. Die Aufhebung des Bescheids vom 18. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2010 könne die Stellung des Klägers nicht verbessern, gleiches gelte für die beantragte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zahlung bzw. die beantragte Verpflichtung der Beklagten, die S. zum Forderungsnachweis und zur Rückzahlung aufzufordern. Es sei insbesondere nicht erkennbar, dass die Zahlung durch die Beklagte einer zivilrechtlichen Geltendmachung etwaiger Ansprüche des Klägers gegen die S. entgegenstehe. Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen.

Auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Bundessozialgericht das Urteil vom 1. Oktober 2014 mit Beschluss vom 23. Juli 2015 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, zu Unrecht hätten Sozialgericht und Landessozialgericht durch Prozessurteil statt durch Sachurteil entschieden. Dem Kläger habe ein Rechtsschutzbedürfnis für seine Klage zugestanden, die unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes nur auf eine Abänderung des Bescheids vom 18. Dezember 2009 bzw. des Widerspruchsbescheids habe gerichtet sein können, soweit es die Auszahlung der Leistungen unmittelbar an den Vermieter anbelange. Ob es im Rahmen des § 34 SGB XII überhaupt gestattet sei, Leistungen an Dritte auszuzahlen und ggf. unter welchen Bedingungen, sei regelmäßig keine Frage des Rechtsschutzbedürfnisses für eine Klage auf Zahlung an sich selbst, sondern eine Frage der Begründetheit. Dies gelte insbesondere, wenn der Kläger – wie hier – geltend mache, durch die Zahlung direkt an den Vermieter in seinen Rechten diesem gegenüber eingeschränkt zu werden und nur unter nicht eingetretenen Bedingungen zugestimmt zu haben. Das Landessozialgericht habe in der Sache zu prüfen, ob der Sozialhilfeträger berechtigt gewesen sei, Zahlungen an den Vermieter zu leisten.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat der Kläger vorgetragen, er verfolge einen Anspruch auf Feststellung, dass die vorbehaltlose Zahlung eines bestimmten Betrages an die S. durch die Beklagte rechtswidrig war und die Beklagte zu verpflichten sei, die S. aufzufordern, ihre Forderung nachzuweisen und den sich eventuell ergebenden Saldo zurückzuzahlen. Die für sein Einverständnis mit der Direktzahlung an die S. geforderte Bedingung, dass die S. durch schriftliche und rechtsverbindliche Erklärung auf die Räumung der Wohnung verzichte, sei nicht eingetreten. Das Schreiben der S. vom 18. November 2009 enthalte keinen solchen Verzicht, sondern lediglich die Mitteilung, dass zurzeit die Zwangsvollstreckung des Räumungsurteils nicht betrieben werde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 1. September 2016 hat der Bevollmächtigte des Klägers auf entsprechende Nachfrage des Senats mitgeteilt, der – nicht erschienene – Kläger habe ihm die Frage, was er, der Kläger, denn mit dem Geld gemacht hätte, wenn es statt an die S. an ihn ausgezahlt worden wäre, nicht beantwortet.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 7. November 2013 aufzuheben und den Bescheid vom 18. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2010 dahingehend abzuändern, dass die Zahlung der Leistung nicht an die S., sondern an den Kläger erfolgt.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass sie berechtigt gewesen sei, an den Vermieter zu leisten. Dies ergebe sich aus der Einverständniserklärung des Klägers vom 13. November 2009. Die Bedingung, unter der der Kläger in die Zahlung an die S. eingewilligt habe, sei mit dem Schreiben der S. vom 18. November 2009 eingetreten. In dem Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 18. November 2009 liege kein rechtswirksamer Widerruf der von ihm abgegebenen Willenserklärung. Auch wenn die Zahlung an die S. nicht im Interesse des Klägers gelegen haben sollte, sei sie dazu berechtigt gewesen, denn im Rahmen der Wohnungssicherung könne der Sozialhilfeträger durchweg alleine agieren, ohne Wünsche des Hilfeempfängers berücksichtigen zu müssen. Leistungen zur Wohnungssicherung seien in der Regel direkt an den Vermieter zu leisten, weil dies sachgerechter sei. Mögliche Positionen des Klägers in einem möglichen Zivilrechtsstreit müsse die Beklagte dabei nicht berücksichtigen. Die gleichzeitige Übernahme der von der S. geltend gemachten Verfahrenskosten sei erforderlich gewesen, da der Kläger zur Kostentragung verpflichtet gewesen sei, zudem begünstige ihn die Übernahme auch dieser Kosten. Ferner verstehe die Beklagte den Kläger so, dass er sich auch dagegen wende, dass die Leistung an die S. ohne den Vorbehalt der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Forderung erfolgt sei. Die Räumung der Wohnung sei von der Beklagten jedoch nur durch eine bedingungslose Zahlung abzuwenden gewesen.

Der Senat hat am 1. September 2016 über die Berufung mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll wird verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz, SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch nicht begründet.

Die Klage, die sich auf Abänderung des Bescheids vom 18. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Mai 2010 richtet, soweit dieser die Zahlung der bewilligten Leistungen an die S. und nicht an den Kläger selbst vorsieht, ist nach dem Beschluss des Bundessozialgericht vom 23. Juli 2015 zulässig. In der Umstellung des Klagantrags in der mündlichen Verhandlung am 1. September 2016 liegt keine Klageänderung, sodass es auf die Voraussetzungen des § 99 Abs. 1, Abs. 2 SGG nicht ankommt. Denn wie das Bundessozialgericht in seinem Beschluss vom 23. Juli 2015 dargelegt hat, war die Klage bereits von Anfang an entsprechend dem nunmehr ausdrücklich formulierten Antrag auszulegen.

Die Klage ist aber nicht begründet. Die Beklagte war berechtigt, die für die Übernahme von Mietschulden gewährten Leistungen statt an den Kläger direkt an die S. auszuzahlen. Die angefochtenen Bescheide sind daher rechtmäßig.

Bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids war Rechtsgrundlage für die Übernahme von Mietschulden § 34 Abs. 1 SGB XII in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (a.F.). Die dortige Regelung ist nunmehr gleichlautend in § 36 Abs. 1 SGB XII enthalten. Danach können Schulden nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Geldleistungen können als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden. Weder § 34 Abs. 1 SGB XII a.F. noch § 36 Abs. 1 SGB XII enthalten – anders als noch § 15a BSHG – eine Ermächtigung zur Auszahlung der Leistungen an Dritte.

Eine wirksame Einverständniserklärung des Klägers, die eine Direktzahlung an die S. unabhängig von einer gesetzlichen Ermächtigung gestatten würde, lag entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vor. Zwar hat sich der Kläger in seinem Schreiben vom 13. November 2009 explizit damit einverstanden erklärt, dass die Mietschulden direkt an die S. geleistet werden. Er hat sein Einverständnis jedoch an die Bedingung geknüpft, dass die S. schriftlich und rechtsverbindlich erklärt, dass sie bei Ausgleich der Mietrückstandsforderung auf die Räumung aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 24.09.2007 verzichtet. Diese Bedingung hat sich nicht erfüllt. Die S. hat in ihrem Schreiben vom 18. November 2009 an den Kläger lediglich mitgeteilt, dass sie sich entschlossen habe, zurzeit die Zwangsvollstreckung des Räumungsurteils nicht zu betreiben und dem Kläger zu gestatten, die Wohnung weiterhin zu nutzen. Sie hat sich jedoch ausdrücklich vorbehalten, bei einem Verstoß des Klägers gegen seine Pflicht zu pünktlichen Zahlung der Nutzungsentschädigung oder gegen die Hausordnung jederzeit und ohne vorherige schriftliche Ankündigung bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher die Zwangsräumung der Wohnung zu beantragen. Darin ist ein Verzicht auf die Räumung in dem vom Kläger geforderten Sinn nicht zu erkennen.

Die Direktzahlung der Leistung an die S. ohne Einverständniserklärung des Klägers kann sich jedoch auf § 29 Abs. 1 Satz 6 SGB XII in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (a.F.) bzw. nunmehr auf § 35 Abs. 1 Satz 3 – 5 SGB XII (seit der Fassung vom 24.3.2011) stützen. Diese Bestimmungen finden als allgemeine, die Leistungen für die Unterkunft regelnde Bestimmung auch im Rahmen der Mietschuldenübernahme Anwendung (vgl. Streichsbier, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, § 36 Rn. 9; Nguyen, jurisPK-SGB XII, § 36 Rn. 66; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 36 Rn. 19).

§ 29 Abs. 1 Satz 6 SGB XII a.F. lautet: "Leistungen für die Unterkunft sollen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die Leistungsberechtigten nicht sichergestellt ist; die Leistungsberechtigten sind hiervon schriftlich zu unterrichten."

§ 35 Abs. 1 Satz 3 – 5 SGB XII bestimmt: "Direktzahlungen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte sollen erfolgen, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn 1. Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen, 2. Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen, 3. konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder 4. konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet. Werden die Bedarfe für die Unterkunft und Heizung durch Direktzahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gedeckt, hat der Träger der Sozialhilfe die leistungsberechtigte Person darüber schriftlich zu unterrichten."

Hintergrund für diese Regelung ist, dass die Sicherung der Unterkunft gefährdet sein kann, falls der Leistungsberechtigte Leistungen des Sozialhilfeträgers für die Unterkunft nicht an den Vermieter weiterleitet. Die Vorschrift ist restriktiv auszulegen ist, da sie die Gefahr einer Entmündigung der Hilfebedürftigen in sich trägt bzw. zumindest die Gefahr, vom Hilfebedürftigen entsprechend wahrgenommen zu werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 – L 12 AS 2016/11; Nguyen, jurisPK-SGB XII, § 35 Rn. 115). Erforderlich ist deshalb das Bestehen einer konkreten Gefahr der Nichtweiterleitung an den Vermieter.

Auch bei restriktiver Auslegung sind die Voraussetzungen für eine Direktzahlung an die S. hier erfüllt. Die zweckentsprechende Verwendung der Leistungen durch den Kläger war nämlich nicht sichergestellt.

Dabei ist zunächst berücksichtigen, dass § 35 Abs. 1 S. 4 SGB XII in der aktuellen Fassung das Bestehen von Mietrückständen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen, als Regelbeispiel für die berechtigte Annahme einer Gefahr der zweckwidrigen Mittelverwendung aufführt. Vorliegend bestanden Mietrückstände in einem solchen Ausmaß, diese hatten die S. schon zur Kündigung veranlasst und es war bereits ein Räumungsurteil gegen den Kläger ergangen. Aber auch unabhängig von dem Vorliegen des Regelbeispiels bestand aufgrund der Umstände des Einzelfalls konkret die Gefahr, dass der Kläger die ihm zur Verfügung gestellten Mittel nicht, jedenfalls nicht vollen Umfangs an die S. weiterleiten würde. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger von Anfang an durchgehend und nachhaltig geltend gemacht hat, er akzeptiere die Forderung der S. nicht. Erklärtes Ziel des gerichtlichen Verfahrens war es gerade, eine vollständige (und vorbehaltlose) Zahlung an die S. zu verhindern. Nicht zuletzt hat der Kläger auch die Frage, was er denn gegebenenfalls mit dem Geld gemacht hätte, nicht beantworten wollen. In der Gesamtschau stand und steht daher konkret zu befürchten, dass der Kläger im Falle einer Auszahlung der bewilligten Leistungen an ihn jedenfalls nicht den vollen Betrag an die S. weitergeleitet hätte, mit der Folge, dass die S. nicht bereit gewesen wäre, auf die Räumung der Wohnung zunächst zu verzichten.

Bei einer Abwägung mit dem Interesse daran, die drohende Räumung sicher zu vermeiden, müssen die Interessen des Klägers an der selbstbestimmten Mittelverwendung zurücktreten. Daran ändern auch das Vorbringen des Klägers, er werde durch die Direktzahlung in der Geltendmachung seiner Rechte gegenüber der S. eingeschränkt, nichts. Insoweit ist zudem darauf hinzuweisen, dass die Direktzahlung den Kläger nicht daran hindert, eigene Ansprüche, etwa auf Beseitigung von Mängeln der Mietsache, geltend zu machen. Auch hätte er durchaus die Möglichkeit gehabt, durch eine eigene Erklärung gegenüber der S. die Zahlung durch den Beklagten mit einem Vorbehalt zu versehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 29.6.2016 – VIII ZR 173/15) wird der Sozialhilfeträger bei einer Zahlung an den Mieter gerade nicht als Erfüllungsgehilfe des Mieters tätig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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