S 8 AS 822/16

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 822/16
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Bekanntgabe eines Widerspruchsbescheids durch Übermittlung per Fax.
1. Der Bescheid des Beklagten vom 29. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juni 2016 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Minderung ihres Arbeitslosengeldes II um 10 % von Mai bis Juli 2016.

Die 1979 geborene Klägerin ist seit Anfang 2015 zusammen mit ihrem 2000 geborenen Sohn im Leistungsbezug beim beklagten Jobcenter. Mit Bescheiden vom 1. Februar und vom 22. Juni 2016 erfolgte die Leistungsbewilligung von Februar 2016 bis Januar 2017.

Der Beklagte lud offenbar die Klägerin zu einem Termin am 9. März 2016, zu dem die Klägerin jedoch nicht kam. Sie gab dazu an, sie habe wegen des Besuchs einer Schule nicht kommen können. Gerne könne sie ab 16 Uhr kommen oder in der Ferienzeit. Zum Folgetermin am 22. März 2016 erschien die Klägerin dann und teilte auch mit, sie besuche eine Kosmetikschule.

Mit Bescheid vom 29. März 2016 minderte der Beklagte das Arbeitslosengeld II der Klägerin um 10 % von Mai bis Juli 2016. Trotz Rechtsfolgenbelehrung sei die Klägerin zu dem Meldetermin am 9. März 2016 nicht erschienen. Sie habe keine Gründe angegeben, die ihr Verhalten erklären könnten.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2016 zurückgewiesen. Der vorgebrachte Grund habe nicht als wichtig anerkannt werden können. Die Klägerin besuche die Kosmetikschule ohne Absprache mit dem Jobcenter. Damit habe sie auch ihre Hilfebedürftigkeit vertieft. Das Jobcenter müsse nicht auf Wunschtermine eingehen.

Der Widerspruchsbescheid wurde den Prozessbevollmächtigten am 21. Juni 2016 per Telefax übermittelt. Eine Übersendung durch Brief erfolgte nicht.

Dagegen hat die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten am 25. Juli 2016 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben.

Der Beklagte hat erwidert, die Klage sei schon verspätet erhoben und daher unzulässig. Die Klagefrist habe am 21. Juli 2016 geendet.

Für die Klägerin wird beantragt:

Der Bescheid des Beklagten vom 29. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juni 2016 wird aufgehoben.

Für den Beklagten wird beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben, § 87 des Sozialgerichts-gesetzes (SGG).

Die Klagefrist beträgt nach § 87 Abs. 2 SGG einen Monat und ist hier eingehalten, weil sie erst mit dem 25. Juli 2016, dem Tag des Klageeingangs bei Gericht, abgelaufen ist. Nach § 85 Abs. 3 SGG ist der Widerspruchsbescheid schriftlich zu erlassen, zu begründen und den Beteiligten bekanntzugeben. Nimmt die Behörde eine Zustellung vor, gelten die §§ 2 bis 10 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Für eine (förmliche) Zustellung hat sich der Beklagte vorliegend nicht entschieden, sondern für eine Bekanntgabe. Damit gelten die Vorschrift des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), namentlich § 37 SGB X. Dieser sieht in seinem Absatz 2 vor, dass ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt. Ein Verwaltungsakt, der im Inland oder Ausland elektronisch übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

Der Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2016 ist zwar nicht durch die Post übermittelt worden, das hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung nochmals klargestellt. Allerdings kann die Übermittlung per Telefax entweder als elektronisch im Sinn des § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X oder wie bei der Übermittlung durch die Post behandelt werden. In beiden Fällen ist die Folge, dass die Drei-Tages-Fiktion gilt. Dem Gericht erscheint die andernorts vertretene Ansicht (vgl. Sozialgericht Berlin, Urteil vom 28. Januar 2016, S 26 AS 26429/14), es handle sich um eine schriftliche Bekanntgabe auf sonstige Weise nicht überzeugend. Der Verweis auf die Beschneidung behördlicher Entscheidungsfristen nach § 88 SGG ist wenig geeignet, daraus die getroffenen Folgerungen für die Behandlung der Übermittlung per Telefax abzuleiten. Es ist nicht erkennbar, weshalb die Gestaltung der Fristen in § 88 SGG nicht berücksichtigt haben sollte, dass eventuell mehrere Tage für die Bekanntgabe oder Zustellung einzuplanen sind. Ferner beruft sich diese Ansicht maßgeblich auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 18. März 2015, XII ZB 424/14). Ungeachtet dessen, welche Bedeutung die dortige Auslegung zivilprozessualer Regelungen für das SGB X entfalten kann, arbeitet der BGH die Kennzeichen der Übermittlung eines elektronischen Dokuments heraus. Gerade das Telefax fällt darunter aber - auch nach der Auslegung des BGH - nicht. Vielmehr geht der BGH davon aus, dass das Telefax eine Form der elektronischen Übermittlung darstellt, für das jedoch aus Gründen des Rechtswegzuganges anerkannt ist, dass es die schriftliche Form wahrt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 5. April 2000, BGHZ 144, 160-165). Hinzu kommt, dass kein einleuchtender Grund auf der Hand liegt, weswegen etwa für die Übermittlung per Mail als die technologisch ausgereiftere und noch schnellere Form der Übermittlung großzügigere Fristen gelten sollten als für die Übermittlung mittels Fax. Vor diesem Hintergrund gibt es für das Gericht keine durchgreifenden Gründe, das Telefax nicht als Form der elektronischen Übermittlung im Sinn des § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB X anzusehen.

Zumindest aber muss diese Art der Übermittlung ebenso behandelt werden wie die in § 37 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X genannten Bekanntgabeformen. Eine förmliche Zustellung, die es erlaubt den genauen Tag der Übermittlung sicher festzustellen, liegt nicht vor. Alle anderen - demgegenüber mit Unsicherheiten behafteten Formen der Bekanntgabe - rechtfertigen gleichermaßen die Anwendung der Drei-Tages-Fiktion. Die Übermittlung mittels Telefax mag nur die Besonderheit aufweisen, dass der Absender mit dem Faxprotokoll ein - relativ gesehen - gewichtiges Indiz für Datum und Zeit der Übersendung in der Hand hat. Über die Kenntnisnahme bzw. den tatsächlichen Zugang sagt dies jedoch ebenso wenig aus wie die Übermittlung mittels einfachem Brief. Damit ist eine andere Behandlung auch nicht begründet. Will der Beklagte hier mehr Sicherheit haben, müsste er bei der Übermittlung per Telefax ein Empfangsbekenntnis beifügen - wie es im Übrigen § 5 Abs. 4, 5 und 7 VwZG sogar bei der elektronischen Zustellung vorsieht.

Nachdem keine förmliche Zustellung gemäß § 85 Abs. 3 SGG i.V.m. dem VwZG vom Beklagten gewählt wurde, ist auch § 8 VwZG nicht anwendbar und aus der Übermittlung am 21. Juni 2016 kann nicht auf einen tatsächlichen Zugang an diesem Tag geschlossen werden mit der Folge des Fristablaufs für die Klageerhebung am 21. Juli 2017.

In diesem Fall ist somit die Klagefrist erst am 25. Juni 2016 an und - wegen des Sonntags - am 25. Juli 2016 abgelaufen. Diese Frist ist eingehalten.

Die Klage hat auch in der Sache Erfolg.

Die Minderung des Arbeitslosengeldes II der Klägerin von Mai bis Juli 2016 ist zu Unrecht erfolgt. Der Bescheid des Beklagten vom 29. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juni 2016 ist somit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Die Voraussetzungen für die vom Beklagten festgestellte Minderung des Arbeitslosengeldes nach § 32 i.V.m. den §§ 31a und 31b des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) hinsichtlich des Termins am 9. März 2016 liegen nicht vor.

Für die Feststellung eines Meldeversäumnisses nach § 32 Abs. 1 SGB II ist erforderlich, dass eine leistungsberechtigte Person eine Aufforderung des zuständigen Jobcenters erhalten hat, sich bei ihm zu melden oder bei einem Untersuchungstermin zu erscheinen, und damit ein zulässiger Meldezweck verfolgt wurde (§ 59 SGB II, § 309 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - SGB III). Die Person muss eine schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen erhalten oder von diesen Kenntnis haben und ohne wichtigen Grund der Meldeaufforderung schuldhaft nicht nachgekommen sein. Zudem muss der Verwaltungsakt über die Feststellung des Meldeversäumnisses und der Minderung innerhalb von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt des Meldeversäumnisses ergangen sein (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 29. April 2015, B 14 AS 19/14 R).

Aus der Antwort der Klägerin im Rahmen der Anhörung, weswegen sie nicht zu dem Termin am 9. März 2016 habe erscheinen können, ist einzig zu schlussfolgern, dass die Klägerin eine Meldeaufforderung für diesen Termin erhalten hat. Jedoch ist es dem Gericht nicht möglich, sich davon zu überzeugen, dass diese Meldeaufforderung einen zulässigen Meldezweck verfolgte. Die Meldeaufforderung ist weder im Original noch als Entwurf bzw. Aktenkopie erhalten. Es spricht zwar einiges dafür, dass diese Meldeaufforderung denselben Meldezweck verfolgte wie die Folgeeinladung für den 22. März 2016, zwangsläufig ist dies aber nicht. Gleiches gilt für die Rechtsfolgenbelehrung. Das Gericht vermag sich daher nicht die nötige Überzeugung vom Vorliegen dieser Umstände zu verschaffen. Dies geht zulasten des insofern darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten.

Damit kann dahin stehen, ob die Klägerin einen wichtigen Grund für ihr Fernbleiben hatte, was das Gericht nicht annimmt.

Der Klage ist deshalb stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 144 Abs. 2 SGG bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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