S 2 SO 157/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 2 SO 157/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Grundsicherungsleistungen für den Monat August 2011 ohne Anrechnung des ihm gewährten Übergangsgeldes als Einkommen.

Der am 00.00.1957 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem GdB von 60. Er bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, die seinerzeit befristet bewilligt worden war. Diese betrug 313,79 Euro bezogen auf den streitigen Zeitraum. Ferner erhielt er 208,50 Euro an Übergangsgeld für seine Tätigkeit in der Werkstatt für behinderte Menschen in C. Dort war er zum 22.08.2011 im Eingangsverfahren aufgenommen worden.

Mit Bescheid vom 22.02.2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII. Dabei brachte sie das Übergangsgeld in Höhe von 208,50 Euro als Einkommen leistungsmindernd in Ansatz.

Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Es sei nicht erkennbar, inwiefern die Schwerbehinderung bei bestehender Einäugigkeit und einem GdB von 60 berücksichtigt worden sei. Das Übergangsgeld sei nicht in vollem Umfang bedarfsmindernd anzurechnen. Dies könne nicht dem Sinn entsprechen, dem Kläger als schwer behindertem Menschen durch eine leichte Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt einen Anreiz zum Aktivsein zu geben. Jedenfalls sei ein Mehrbedarf in angemessener Höhe zu gewähren. Für die Einzelheiten wird auf das Widerspruchsschreiben vom 13.03.2012 Bezug genommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.06.2012 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung könne nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII nur gewährt werden, wenn der Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen G ausweise. Das sei bei dem Kläger nicht der Fall. Das Übergangsgeld sei als Einkommen nach § 82 SGB XII in Abzug zu bringen. Eine weitere Einkommensbereinigung nach § 82 Abs. 2 und 3 SGB XII sei nicht möglich. Kosten zwecks Durchführung der Tätigkeit seien nicht nachgewiesen. Es handle sich ferner auch nicht um ein Entgelt für eine Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen, wie das LSG NRW in seiner Entscheidung vom 28.07.2008 zum Verfahren L 20 SO 13/08 bereits entschieden habe. Denn das Übergangsgeld werde vom Rententräger unter dem Aspekt der Lohnersatzfunktion geleistet. Es handle sich um kein Entgelt aus der Werkstatt, für das das Privileg der nur gekürzten Anrechnung nach § 82 Abs. 3 bestehe. Dies ergebe sich aus dem unterhaltssichernden Charakter des Übergangsgeldes. Für die Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid vom 04.06.2012 Bezug genommen.

Mit der dagegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Die Anrechnung stehe nicht im Einklang mit der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 23.03.2010 zum Verfahren B 8 SO 17/09 R und B 8 SO 15/08 R.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Sozialhilfebescheides vom 22.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2012 ihm Sozialhilfe ohne Anrechnung des Übergangsgeldes für die Tätigkeit in der Werkstatt für behinderte Menschen zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre bisherigen Ausführungen und die bereits genannte Rechtsprechung des LSG NRW.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Akte des Verwaltungsverfahrens Bezug genommen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger ist nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.06.2012 ist rechtmäßig und der Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Hilfe zum Lebensunterhalt ist gemäß § 27 Abs. 1 SGB XII Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Eigene Mittel sind gemäß § 27 Abs. 2 SGB XII insbesondere das eigene Einkommen und Vermögen. Bei nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern sind das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten oder Lebenspartner gemeinsam zu berücksichtigen. Gehören minderjährige unverheiratete Kinder dem Haushalt ihrer Eltern oder eines Elternteils an und können sie den notwendigen Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen und Vermögen nicht bestreiten, sind vorbehaltlich des § 39 Satz 3 Nummer 1 auch das Einkommen und das Vermögen der Eltern oder des Elternteils gemeinsam zu berücksichtigen. Hilfe zum Lebensunterhalt kann gemäß § 27 Abs. 3 SGB XII auch Personen geleistet werden, die ihren notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können, jedoch einzelne erforderliche Tätigkeiten nicht verrichten können. Von den Leistungsberechtigten kann ein angemessener Kostenbeitrag verlangt werden.

Zum Einkommen gehören gemäß § 82 Abs. 1 SGB XII alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen, und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Einkünfte aus Rückerstattungen, die auf Vorauszahlungen beruhen, die Leistungsberechtigte aus dem Regelsatz erbracht haben, sind kein Einkommen. Bei Minderjährigen ist das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 34, benötigt wird. Von dem Einkommen sind gemäß § 82 Abs. 2 SGB XII abzusetzen 1. auf das Einkommen entrichtete Steuern, 2. Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung, 3. Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, sowie geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes, soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten, 4. die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben, 5. das Arbeitsförderungsgeld und Erhöhungsbeträge des Arbeitsentgelts im Sinne von § 43 Satz 4 des Neunten Buches. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist gemäß § 82 Abs. 3 SGB XII ferner ein Betrag in Höhe von 30 vom Hundert des Einkommens aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit der Leistungsberechtigten abzusetzen, höchstens jedoch 50 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28. Abweichend von Satz 1 ist bei einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen von dem Entgelt ein Achtel der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 zuzüglich 25 vom Hundert des diesen Betrag übersteigenden Entgelts abzusetzen. Im Übrigen kann in begründeten Fällen ein anderer als in Satz 1 festgelegter Betrag vom Einkommen abgesetzt werden. Erhält eine leistungsberechtigte Person mindestens aus einer Tätigkeit Bezüge oder Einnahmen, die nach § 3 Nummer 12, 26, 26a oder 26b des Einkommensteuergesetzes steuerfrei sind, ist abweichend von den Sätzen 1 und 2 ein Betrag von bis zu 175 Euro monatlich nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

Hiervon ausgehend fällt der Kläger dem Grunde nach als Bezieher einer nicht ausreichenden Erwerbsminderungsrente auf Zeit unter den Anwendungsbereich des 3. Kapitels des SGB XII. Das ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

Dabei ist jedoch das bezogene Übergangsgeld vollumfänglich als Einkommen neben der Rente in Abzug zu bringen. Dies ergibt sich aus dem unterhaltssichernden Charakter des Übergangsgeldes, das die Rentenversicherung leistet. Es handelt sich nicht um Werkstatteinkommen im Sinne des § 82 Abs. 2 Satz 3 SGB XII.

Der Kläger erhält vom Rentenversicherungsträger unter anderem Übergangsgeld gemäß §§ 20 ff. SGB VI i.V.m. §§ 44 ff. SGB IX. Gemäß § 21 Abs. 1 SGB VI bestimmen sich Höhe und Berechnung des Übergangsgeldes nach Teil 1 Kapitel 6 SGB IX, soweit die Abs. 2-4 nichts Abweichendes bestimmen. Gemäß § 44 Abs. 1 SGB IX werden die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben der in § 6 Abs. 1 Nr. 1-5 genannten Rehabilitationsträger u. a. durch Übergangsgeld ergänzt. Gemäß § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB IX leisten die Träger der Rentenversicherung nach Maßgabe dieses Buches und der §§ 20 und 21 des SGB VI im Zusammenhang mit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Übergangsgeld. Bei dem Übergangsgeld nach Maßgabe der §§ 44, 45 SGB IX handelt es sich um ergänzende Leistungen zur Unterhaltssicherung (vgl. Majerski/Pahlen, SGB IX, 11. Aufl. 2005, § 44 Rn. 4). Damit steht fest, dass es sich bei dem Übergangsgeld nicht um ein Entgelt im Sinne von § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII handelt, sondern um eine staatliche Leistung, die der Unterhaltssicherung dient. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat im Urteil vom 19.12.1995 - 5 C 27/93 - (a.a.O.) zum Übergangsgeld nach § 56 Abs. 3 i.V.m. §§ 59 ff. AFG ausgeführt, dass es sich nicht um Arbeits- oder Erwerbseinkommen im Sinne des § 85 Nr. 3 BSHG handele. Der Empfänger von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhält kein Entgelt für eine Arbeitsleistung, sondern eine Sozialleistung aufgrund von öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Sie sollen das Erwerbseinkommen als Lohnersatzleistung für die Dauer der Rehabilitationsmaßnahme oder der Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben ersetzen, um den Unterhalt des Behinderten während dieser Zeit sicherzustellen und ihm die berufliche Rehabilitation finanziell zu ermöglichen (BVerwG, a.a.O.; BSG, Urteil vom 27.04.1982 - 1 RA 71/80 ; BSG, Urteil v. 25.06.1990 - 9b/11 RAr 15/89). (siehe dazu LSG NRW, L 20 SO 13/08 vom 28.07.2008).

Aus dem unterhaltssichernden Charakter des Übergangsgeldes ergibt sich weiter, dass es auch nicht gemäß § 83 Abs. 1 SGB XII anrechnungsfrei bleiben kann. Zwar wird es aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbracht, es besteht aber Zweckidentität zwischen Übergangsgeld und Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel SGB XII. Das Übergangsgeld dient ebenso wie Grundsicherungsleistungen dazu, den Lebensunterhalt des behinderten Menschen sicherzustellen. Diese Zweckidentität ergibt sich deutlich auch aus der Überschrift zu § 45 SGB IX "Leistungen zum Lebensunterhalt". Anders als das Ausbildungsgeld im Sinne von § 104 Abs. 1 Nr. 2 SGB III, bei dem es sich um eine Leistung handelt, die in erster Linie die Motivation zur Teilhabe an der Ausbildungsmaßnahme fördern soll (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 21.02.2008 - L 23 SO 117/07; Sächsisches LSG, Urteil v. 20.03.2008 - L 3 SO 25/07- jeweils m.w.N.), steht der den Lebensunterhalt sichernde Charakter des Übergangsgeldes so eindeutig im Vordergrund, dass es nicht gerechtfertigt ist, davon auszugehen, dass die beiden Leistungen teilweise unterschiedlichen Zwecken dienen würden (vgl. auch LSG NRW, Urteil vom 08.11.2007 - L 9 AS 67/06). (siehe dazu LSG NRW, L 20 SO 13/08 vom 28.07.2008).

Schließlich greift auch die Auffangregelung des § 82 Abs. 3 S. 3 SGB XII nicht zugunsten des Klägers ein. Danach kann in begründeten Fällen ein anderer als in Satz 1 festgelegter Betrag vom Einkommen abgesetzt werden. Wie sich aus dem ausdrücklichen Wortlaut ergibt, gilt § 82 Abs. 3 S. 3 jedoch nur für den Fall des § 82 Abs. 3 S. 1 und nicht für § 82 Abs. 3 S. 2 (vgl. Schellhorn in: Schellhorn/Schellhorn/Hohn, SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 82 Rn. 49; siehe dazu LSG NRW, L 20 SO 13/08 vom 28.07.2008).

Das vom Kläger genannte Urteil des Bundessozialgerichts zum Verfahren B 17/09 R vom 23.03.2010 bezieht sich demgegenüber auf das Ausbildungsgeld in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Das Übergangsgeld steht dem Ausbildungsgeld aus den oben dargelegten Erwägungen gerade nicht gleich. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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