S 18 AS 775/16 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 18 AS 775/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) insbesondere über das Vorliegen eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, hilfsweise um die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Der 1987 geborene Antragsteller zu 1) und die 1986 geborene Antragstellerin zu 2) sind verheiratete Eheleute. Die Antragsteller zu 3) und 4) sind deren 2011 und 2013 geborene Kinder. Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige.

Nach ihren Angaben reisten sie erstmals im Februar 2015 in das Bundesgebiet ein um "Geld zu verdienen". Sie waren zunächst in E wohnhaft.

Der Antragssteller zu 1) ging in der Folgezeit zunächst einer selbständigen Tätigkeit als Schrottsammler nach. Hierfür wurde ihm am 25.06.2015 eine Reisegewerbekarte ausgestellt.

Zum 10.02.2016 meldeten sich die Antragsteller nach E1 um.

Am 11.03.2016 beantragten die Antragsteller Leistungen nach dem SGB II beim Antragsgegner. Im Rahmen ihres Antrages gaben sie an, dass der Schrotthandel aufgrund der geringen Schrottpreise nicht mehr möglich gewesen sei. Die Reisegewerbekarte gab der Antragsteller zu 1) am 16.03.2016 zurück.

Mit Bescheid vom 10.05.2016 lehnte der Antragsgegner den Leistungsantrag der Antragsteller ab. Dies begründete er damit, dass die ausgeübte Tätigkeit aufgrund ihres geringen Umfanges nicht die Kriterien für die Anerkennung eines Arbeitnehmerstatus nach dem FreizüG/EU erfüllen würde. Daher würde aufgrund von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II kein Leistungsanspruch bestehen.

Hiergegen erhoben die Antragsteller Widerspruch, über diesen wurde bisher nicht entschieden. Am 12.05.2016 beantragten sie bei der Beigeladenen Leistungen nach dem SGB XII. Am 13.05.2016 haben die Antragsteller sich mit dem vorliegenden Eilantrag an das Sozialgericht gewandt. Den Antrag auf SGB XII-Leistungen hat die Beigeladene mit Bescheid vom 17.06.2016 abgelehnt, da die Antragsteller als Erwerbsfähige und deren Angehörige nach dem SGB II leistungsberechtigt wären. Mit Beschluss vom 23.06.2016 hat das Gericht die Stadt E1 als örtlichen SGB XII-Träger beigeladen.

Die Antragsteller sind der Ansicht, dass der Antragsgegner oder die Beigeladene Leistungen erbringen müssten. Ohne Leistungen könnten die Antragsteller sich nicht ernähren und ihre Miete nicht zahlen. Der Antragsteller zu 1) würde als Selbständiger bzw. als zunächst Selbständiger ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 3 FreizüG/EU für wenigstens sechs Monate besitzen. Derzeit werde der Lebensunterhalt allein durch das Kindergeld für die Antragsteller zu 3) und 4) sowie Darlehen von Freunden bestritten.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren, hilfsweise, die Beigeladene zu verpflichten, ihnen vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB XII zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Die Beigeladene beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner ist der Ansicht, dass die Ablehnung rechtmäßig sei. Die Antragsteller würden über kein Daueraufenthaltsrecht verfügen. Die Selbständigkeit werde seit März 2016 nicht mehr ausgeübt. Eine Arbeitnehmerfiktion greife nicht ein. Daher greife der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ein. Auch haben die Antragsteller angegeben, zum Geldverdienen nach Deutschland eingereist zu sein.

Die Beigeladene ist der Ansicht, dass sie nicht leistungspflichtig sei. Hierzu verweist sie auf die Ausführungen in ihrem Bescheid vom 17.06.2016.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners.

II.

Der Eilantrag hat keinen Erfolg.

Gegenstand des Eilverfahrens ist ein Leistungsbegehren und damit einstweiliger Rechtsschutz im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Die Antragsteller haben gem. § 86 b SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) die Tatsachen, die den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund begründen, glaubhaft zu machen.

Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Antragsgegner keinen Erfolg.

Die Antragsteller haben keinen Anordnungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II glaubhaft gemacht.

Die Voraussetzungen für eine Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II liegen bei den Antragstellern zu 1) und 2) unstreitig vor. Sie haben das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II noch nicht erreicht. Ihre Erwerbsfähigkeit ist gegeben (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Auch haben sie den gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II).

Ein Anspruch der Antragsteller zu 3) und 4) ergibt sich grundsätzlich aus § 7 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 4 SGB II.

Jedoch sind die Antragsteller gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt und deren Familienangehörige von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgenommen. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greift nur dann nicht von vornherein ein, wenn sich ein Ausländer auf ein anderes Aufenthaltsrecht als das zum Zweck der Arbeitssuche berufen kann (BSG, Urteil vom 25.01.2012, B 14 AS 138/11 R). Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte ergibt sich kein Aufenthaltsrecht der Antragsteller in der Bundesrepublik nach den Vorschriften des Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) welches über das Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche hinausgeht. Nach § 2 Abs. 1 FreizügG haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörige nach Maßgabe des FreizügG/EU ein Recht zur Einreise und zum Aufenthalt. Einer Tätigkeit als Arbeitnehmer, Auszubildender oder einer selbständigen Tätigkeit geht keiner der Antragsteller gegenwärtig nach (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FreizügG/EU). Aus einer mehr als ein Jahr umfassenden Tätigkeit als Arbeitnehmer oder selbständig Tätige ergibt sich ebenfalls kein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU. Die Selbstständigkeit des Antragstellers zu 1) wurde weniger als ein Jahr lang ausgeübt. Eine Fortgeltung des Aufenthaltsrechts als Selbständiger für sechs Monate nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Freizüg/EU steht entgegen, dass dies nur im Fall der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit eines Arbeitnehmers vorgesehen ist, jedoch nicht im Fall eines Selbständigen bei Einstellung der Selbständigkeit. Ein Aufenthaltsrecht nach § 4 FreizügG/EU als nichterwerbstätiger Unionsbürger liegt auch nicht vor, da die Antragsteller nicht über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügt. Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a FreizügG/EU ist erkennbar nicht gegeben, da kein mindestens fünf Jahre andauernder rechtmäßiger Aufenthalt der Antragstellerin im Bundesgebiet vorlag. Mithin kommt nur ein Aufenthaltsrecht der Antragsteller zu 1) und 2) nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU zum Zweck der Arbeitssuche in Betracht.

Der Ausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greift insbesondere auch in den Fällen ein, in denen anstelle eines Aufenthaltsrechtes zur Arbeitssuche überhaupt kein materielles Aufenthaltsrecht besteht (BSG, Urteil vom 20.01.2016, B 14 AS 35/15 R; so auch schon LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.11.2014, L 12 AS 3227/12; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2015, L 1 AS 2338/15 ER-B und L 1 AS 2358/15 B). Insofern kann letztlich offenbleiben, ob ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizüG/EU besteht.

Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist auch mit dem Europarecht vereinbar (BSG a.a.o.; BSG, Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 44/15 R jeweils unter Hinweis auf die Entscheidungen des EuGH vom 11.11.2014, C-333/13 ("Dano") und vom 15.9.2015, C-67/14 ("Alimanovic")).

Ein Leistungsanspruch gegen die Beigeladene nach dem SGB XII scheidet ebenfalls aus. Die Kammer folgt der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.) bezüglich eines Leistungsanspruchs nach dem SGB XII für erwerbsfähige Hilfebedürftige, welche nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind, nicht.

Die Kammer folgt vielmehr der Ansicht des 12. Senates des LSG NRW (Beschluss vom 07.03.2016, L 12 SO 79/16 B ER). Die Kammer macht sich die Ausführungen des 12. Senates aus dem vorgenannten Beschluss nach eigener Prüfung zu Eigen und folgt der dort aufgezeigten rechtlichen Würdigung vollständig.

Die Antragsteller zu 1) und 2) sowie sind nach § 21 Satz 1 SGB XII als erwerbsfähige Personen vom Bezug von Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII ausgeschlossen (vgl. LSG NRW, a.aO.), die Antragsteller zu 3) und 4) sind als deren Angehörige von den SGB XII-Leistungen ausgeschlossen.

Auch würde kein Anspruch nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII zu Gunsten der Antragsteller bestehen, da ein solcher Anspruch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII ausgeschlossen ist, da sie über kein materielles Aufenthaltsrecht (hierzu oben) verfügen. Sofern das BSG in seiner Rechtsprechung davon ausgeht, dass trotz des Ausschlusses ein Anspruch auf Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII bestehen kann, verstößt dieses Verständnis gegen die Systematik der Norm des § 23 SGB XII. Auch entspricht es dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers, dass durch § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII Ausländer, die aufgrund von § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Bezug von SGB II-Leistungen ausgeschlossen sind, keinen Anspruch nach dem SGB XII haben sollen (BT-Drs. 16/2711, Seite 10).

Verfassungsrechtlich ist dieses Ergebnis unbedenklich, da die Antragsteller jederzeit in ihr, zur Europäischen Union zugehöriges, Heimatland zurückkehren können und die dortigen Sozialleistungen in Anspruch nehmen können.

Mangels eines Anordnungsanspruches kam es daher auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, insbesondere bezüglich der Gewährung von Unterkunftskosten, nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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