L 4 AS 132/14

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 55 AS 2942/10
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 132/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten, ob der Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 5. November 2013 und der entgegenstehenden Bescheide zu verpflichten ist, der Klägerin für die Zeit vom 1. Dezember 2009 bis zum 30. Juni 2013 gemäß § 21 Abs. 5, Abs. 6 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) einen höheren als den bereits ge-währten Mehrbedarfszuschlag wegen kostenaufwendigerer Ernährung sowie für Medikamente und Hygieneartikel zu bewilligen.

Die Klägerin steht im laufenden Leistungsbezug bei dem Beklagten. Mit den im untenstehenden Berufungsantrag näher bezeichneten, jeweils durch Widerspruchsbescheid bestätigten Leistungsbescheiden und Änderungsbescheiden bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Zeit vom 1. Dezember 2009 bis zum 30. Juni 2013 und gewährte ihr dabei auch einen monatlichen Mehrbedarfszuschlag wegen kostenaufwendigerer Ernährung in Höhe von 35 EUR. Die von der Klägerin begehrte Anerkennung eines Mehrbedarfs für Medikamente und Hygieneartikel lehnte der Beklagte ab.

Die verschiedenen von der Klägerin hiergegen erhobenen Klagen hat das Sozialgericht Hamburg zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und die Klagen mit Urteil vom 5. November 2013 abgewiesen.

Gegen das ihr am 25. März 2014 zugestellte Urteil des Sozialgerichts hat die Klägerin am 23. April 2014 Berufung eingelegt mit dem Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 5. November 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 30. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2010, des Bescheids vom 25. November 2009, des Bescheides vom 15. Februar 2009, der Bescheide vom 3. Februar 2010, des Bescheids vom 18. Mai 2010 in Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 9. September 2010, des Bescheides vom 3. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2011, des Bescheides vom 8. Februar 2011, des Bescheides vom 9. März 2011, des Bescheides vom 15. März 2011, des Bescheides vom 25. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2011, des Bescheids vom 10. Mai 2011, des Bescheids vom 19. Mai 2011, des Bescheids vom 24. Mai 2011, des Bescheids vom 27. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. September 2011, des Bescheids vom 29. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2012, des Bescheids vom 23. Januar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2012, des Bescheids vom 23. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2012 sowie des Bescheids vom 20. November 2012, des Bescheids vom 24. November 2012 und des Bescheids vom 12. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 2013 zu verurteilen, der Klägerin aufgrund eines Mehrbedarfs für Ernährung weitere Leistungen in Höhe von 120,- EUR monatlich sowie auf Grund eines Mehrbedarfs für Medikamente / Hygieneartikel weitere Leistungen in Höhe von mindestens 33,- EUR monatlich zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Die Sachakten des Beklagten ("Ersatzakten") haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten, insbesondere auf die sehr ausführliche und zutreffende Sachverhaltsdarstellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils, wird wegen weiterer Einzelheiten der Prozessgeschichte und des Sachverhalts Bezug genommen.

II.

Die Entscheidung ergeht nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Landessozialgericht die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. So schätzt der Senat die Berufung der Klägerin auch in Kenntnis der von ihr zur dieser Verfahrensweise abgegebenen Stellungnahme ein.

Die nach den Vorschriften des SGG zulässige Berufung der Klägerin ist in der Sache nicht begründet. Die geltend gemachten Ansprüche stehen ihr für die fragliche Zeit nicht zu. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten haben daher rechtlich Bestand.

Der Senat vermag in der Sache einen höheren Mehrbedarfsanspruch der Klägerin wegen kostenaufwendiger Ernährung (§ 21 Abs. 5 SGB II) nicht zu erkennen. Ob die bei ihr bestehende Fruktoseintoleranz überhaupt einen Anspruch auslösen könnte, der über die bereits bewilligten Leistungen hinausgeht, ist zweifelhaft. Nach ärztlicher Einschätzung soll die Klägerin zwar die Einnahme fruktosehaltiger Nahrungsmittel reduzieren, nicht jedoch völlig aufgeben (Befundbericht des Internistischen Gastroenterologikums H. vom 10.2.2012). Der bei einer Fruktose- (und auch einer Sorbit-)Unverträglichkeit angezeigte individuelle Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel löst allerdings gar keine Kostensteigerung aus, worauf der Senat bereits in seinem Beschluss vom 26. Februar 2015 unter Hinweis auf das Gutachten von Prof. Dr. C.B. vom 9. Februar 2015 im sozialgerichtlichen Verfahren S 32 AS 1694/09 (dort S. 7) aufmerksam gemacht hat. In Betracht zu ziehen wäre ein höherer Mehrbedarfszuschlag vermutlich nicht einmal dann, wenn bei der Klägerin tatsächlich kumulativ eine Fruktose- und Laktose-Intoleranz bestünde, was zwar eine erhöhte Aufmerksamkeit in Bezug auf die Ernährung erfordern mag, jedoch bei entsprechender Lebensmittelauswahl wohl im Vergleich zu einer Vollkost, wie sie auch Gesunden empfohlen wird und deren Kosten vom Regelbedarf gedeckt wären (Bundessozialgericht, Urteil vom 20.2.2014, B 14 AS 65/12 R), keine Mehrkosten verursachen würde (Gutachten Prof. Dr. B. vom 9.2.2015). Eine Laktoseintoleranz ist bei der Klägerin für die hier streitige Zeit freilich ärztlich gar nicht festgestellt. Der neueste Befundbericht ihrer Hausärztin C.N. spricht erstmals für den 1. Dezember 2014 von dem Verdacht auf eine Laktoseintoleranz, einem Zeitpunkt also, um den es hier noch gar nicht geht. Demgegenüber hat die Untersuchung zur Laktose-Belastung durch das Labor Dr. F. am 10. Juli 2012 einen entsprechenden Befund nicht ergeben. Vielmehr ist der Glukosespiegel im Kapillar-Blut der Klägerin nach Aufnahme von 50 g Laktose von 94 mg/dl auf 124 mg/dl und damit um mehr als 25 mg/dl gestiegen, was nach dem entsprechenden ärztlichen Bericht auf einen Laktasemangel gerade nicht hindeutete. Vor diesem Hintergrund sieht sich der Senat nicht, wie von der Klägerin angeregt, veranlasst, wegen der Frage der behaupteten Lebensmittelintoleranzen ein medizinisches und/¬oder ernährungswissenschaftliches Gutachten einzuholen, zumal dieses allenfalls zum aktuellen, nicht jedoch zum damaligen Gesundheitszustand der Klägerin neue Erkenntnisse liefern könnte.

Soweit die Klägerin, auch im Zusammenhang mit einer bei ihr bestehenden Neurodermitis, eine Überempfindlichkeit gegenüber in bestimmten Nahrungsmitteln enthaltenen Zusatzstoffen geltend macht, ist dem entgegenzuhalten, dass dem durch eine vom Regelsatz gedeckte Vollkosternährung entsprochen werden könnte.

Auch soweit das Sozialgericht wegen eines Bedarfs an Medikamenten und Hygieneartikeln einen Anspruch nach § 21 Abs. 6 SGB II verneint hat, ist die Berufung nicht begründet sein. Auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.

Im Übrigen versteht der Senat das Vorbringen der Klägerin in der Berufungsschrift, sie habe "das Geld für die Medikamente und Hygieneartikel und Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung" aus dem Regelsatz "nicht einsparen" können, so, dass sie tatsächlich in der fraglichen Zeit die von ihr für notwendig gehaltenen Ausgaben nicht getätigt hat. Dann aber scheidet, unabhängig davon, ob zum Beispiel ein ernährungsbedingter Mehrbedarf überhaupt bestand, die Berücksichtigung eines solchen bereits deswegen aus, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum die von ihr favorisierte Ernährung gar nicht eingehalten und die fraglichen Medikamente und Hygieneartikel gar nicht angeschafft hat. Denn dann können ihr auch keine entsprechenden Mehrkosten entstanden sein. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger Ernährung dient nicht der nachträglichen Entschädigung; wurde in der Vergangenheit eine solche Ernährung nicht durch¬geführt, kann sie auch im Nachhinein nicht mehr nachgeholt werden (Urteil des Senats vom 27.6.2013, L 4 AS 287/10). Entsprechendes gilt für die Frage eines Anspruchs wegen Mehrbedarfs für Hygieneartikel und Medikamente. Dem kann nach Auffassung des Senats nicht entgegengehalten werden, das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz gebiete die Möglichkeit einer nachträglichen Verpflichtung des Sozialleistungsträgers, da dieser andernfalls durch unberechtigtes Bestreiten des Anspruchs den Beginn der Leistung oder gar den ab Antragstellung entstandenen Anspruch vereiteln könnte und so die Einklagbarkeit abgelehnter Leistungen nicht effektiv wäre (Bundessozialgericht, Urteil vom 20.2.2014, B 14 AS 65/12 R; kritisch dazu Stotz, jurisPR-SozR 20/2014 Nr. 2). Rechtsschutz, der zu spät kommt, wird nicht dadurch "effektiv", dass dem Betroffenen nachträglich etwas zugesprochen wird, womit er sein in der Vergangenheit liegendes Problem nicht mehr lösen kann. Im Übrigen übersieht diese Auffassung die prozessualen Möglichkeiten einstweiligen Rechtsschutzes, wie sie im Grundsicherungsrecht die Tätigkeit der Instanzgerichte wesentlich prägen (vgl. Stotz, a.a.O.). Auch im vorliegenden Fall hätte der Klägerin die Glaubhaftmachung eines entsprechenden Anordnungsanspruchs vorausgesetzt – im Rahmen einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG sehr effektiv geholfen werden können, ohne dass es einer Durchbrechung des Grundsatzes bedarf, dass Sozialleistungen für ohnehin nicht mehr zu erfüllende Bedarfe nicht nachträglich eingeklagt werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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