L 4 AS 179/16 B ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 AS 904/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 179/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 15. April 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 17. Mai 2016, dem Dienstag nach Pfingstmontag, durch die Antragsteller eingelegte Beschwerde gegen den ihnen am 16. April 2016 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 15. April 2016 ist statthaft und auch sonst zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg.

1. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt einen Anordnungsanspruch voraus, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung glaubhaft zu machen.

2. Zu Recht hat das Sozialgericht einen Anspruch der Antragsteller auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) verneint. Es greift nämlich nach dem Kenntnisstand des Eilverfahrens der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Nach dieser Vorschrift erhalten Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, keine Leistungen nach dem SGB II. Dieser Leistungsausschluss steht in Einklang mit Europarecht (vgl. EuGH, Urteile vom 11.11.2014 "Dano" – C 333/13 und 15.09.2015 "Alimanovic" – C 67/14) und Verfassungsrecht (Rechtsprechung des Senats, zuletzt Beschluss vom 14.4.2016 – L 4 AS 76/16 B ER; BSG, Urteil vom 3.12.2015 – B 4 AS 44/15 R). Er gilt zudem nicht nur in den Fällen, in denen ein Antragsteller tatsächlich und aktiv Arbeit sucht, sondern auch in allen Fällen, in denen kein materielles Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz/EU festgestellt werden kann (vgl. die Beschlüsse des Senats vom 1.12.2014 – L 4 AS 444/14 B ER, vom 6.10.2014 – L 4 AS 307/14 B ER, vom 14.12.2015 – L 4 AS 475/15 B ER und vom 14.4.2016 – L 4 AS 76/16 B ER; ebenso BSG, Urteil vom 3.12.2015 – B 4 AS 44/15 R, Rn. 19 ff.). So liegt es offenbar hier, die 21 Jahre alte Antragstellerin zu 1 ist bislang keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen, sondern macht den Nachzug zu ihrer in Deutschland lebenden Mutter geltend, ohne dass die Voraussetzungen eines Freizügigkeitsrechts nach § 3 FreizügG/EU vorliegen.

3. Zwar kann damit der Anwendungsbereich des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) eröffnet sein (vgl. Beschlüsse des Senats vom 14.1.2013 – L 4 AS 332/12 B ER, vom 2.3.2016 – L 4 AS 35/16 B ER, vom 14.4.2016 – L 4 AS 76/16 B ER). Einem Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII steht jedoch die Regelung in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII entgegen. Danach haben Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Dies gilt erst recht für solche Ausländer, die nicht einmal Arbeit suchen und die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder gar kein Aufenthaltsrecht in Deutschland verfügen (vgl. oben zu der entsprechenden Ausschlussregelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II). Daher haben die Antragsteller lediglich einen Anspruch darauf, dass eine Ermessensentscheidung über die Gewährung von Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII getroffen wird. Nach dieser Vorschrift kann "im Übrigen" (d. h. wenn ein Leistungsanspruch nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht besteht) Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 SGB XII erfasst nur den Rechtsanspruch auf Sozialhilfe, nicht aber auch den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine Leistungsgewährung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 (wie hier BSG, Urteil vom 3.12.2015 – B 4 AS 44/15; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.7.2014 – L 19 AS 948/14 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 7.3.2016 – L 15 AS 185/15 B ER; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, § 23 Rn. 42; a.A. – auch Ermessensleistungen ausgeschlossen – LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 17.3.2016 – L 9 AS 1580/15 B ER). Der weitergehenden Auffassung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 3.12.2015 – B 4 AS 44/15 R und Urteil vom 20.1.2016 – B 14 AS 35/15 R), wonach sich das dem Sozialhilfeträger im Rahmen von § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII zustehende Ermessen wegen Verfestigung des Aufenthalts des Unionsbürgers bereits nach sechs Monaten dahingehend reduziere, dass zumindest die Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten sei, vermag sich der Senat nicht anzuschließen (bereits Beschlüsse vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER und vom 14.4.2016 – L 4 AS 76/16 B ER). Den entsprechenden verfassungsrechtlichen Vorgaben kann vielmehr dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass arbeitsuchenden Unionsbürgern ein Anspruch auf eine Mindestsicherung in Form der unabweisbar gebotenen Leistungen eingeräumt wird. Welche Leistungen unabweisbar sind, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab. Bei möglicher und zumutbarer Rückkehr in das Heimatland kommt in der Regel lediglich die Übernahme der Kosten der Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthalts in Betracht (Überbrückungsleistungen). Darüber wird der Träger der SGB XII-Leistungen entscheiden, wenn die Antragsteller sich an ihn wenden, und zu berücksichtigen haben, dass die Antragstellerin zu 1 offenbar seit 2011 sowohl bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater in H. aufhältig war – ohne allerdings deutsche Sprachkenntnisse zu erwerben – als auch – u.a. zum Schulbesuch – bei ihrer Schwester in L., wo auch ihr Vater und der Vater des Antragstellers zu 2 leben. Eine Beiladung des SGB XII-Trägers war nicht angezeigt, weil zu erwarten ist, dass er ohne weiteres zu einer Ermessensentscheidung bereit sein wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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