L 15 AY 42/16 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 95 AY 544/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 AY 42/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Rechtswegzuständigkeit für Streitigkeiten von Anbietern von Unterkünften gegen Leistungsträger nach dem AsylbLG auf Zahlung aufgrund von "Kostenübernahmeerklärungen", die den Leistungsberechtigten ausgehändigt worden sind.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. Juli 2016 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die weitere Beschwerde an das Bundessozialgericht wird zugelassen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 26.000,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist eine natürliche Person, die unter der Firma "C L" bzw. "C L B" auftritt. Beim Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin hat sie zum 1. August 2015 das Gewerbe "Vermietung und Verpachtung von Wohnungen und gewerbliche Einrichtungen" mit einer Betriebsstätte unter ihrer Wohnanschrift und beim Bezirksamt Mitte von Berlin zum 1. Oktober 2015 das Gewerbe "Boardinghaus" mit einer Betriebsstätte im Bezirk Mitte angemeldet.

Mit dem am 1. Juli 2016 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt die Antragstellerin als "Inhaberin der Fa. C L B" die Verpflichtung des Antragsgegners auf Zahlung von 130.000,- Euro. Zur Begründung trägt sie vor, dass Rechnungen für die Beherbergung von Asylbewerbern offen seien. Sie betreibe mehrere sogenannte Boardinghäuser, in denen Asylbewerber untergebracht seien. Vom Antragsgegner habe die Antragstellerin für die untergebrachten Asylbewerber jeweils Kostenübernahmeerklärungen erhalten. Obwohl sie Leistungen ordnungsgemäß und rügelos erbracht habe, teilweise sogar unter den in den Kostenübernahmeerklärungen angegebenen Höchstsätzen geblieben sei, seien in der Zeit vom 22. Februar bis 27. Juni 2016 gestellte Rechnungen mit einer Gesamtsumme von 117.460,- Euro noch vollständig offen. Auf weitere Rechnungen aus der Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 5. April 2016 seien nur Abschläge gezahlt worden, insoweit seien Restforderungen von 38.490,- Euro offen. Keine der Zahlungen sei bisher vorbehaltlos erfolgt. Auch bei sogenannten Restzahlungen zu Abschlagszahlungen habe der Antragsgegner in drei Fällen eigenmächtig Kürzungen vorgenommen oder keine Zahlung mit Hinweis darauf geleistet, dass sich die Rechnungen noch in Prüfung befänden. Nachdem der Antragsgegner zunächst erfolglos zu Zahlungen aufgefordert worden sei, habe er dann in einem Besprechungstermin mit der Antragstellerin am 30. Juni 2016 erklärt, dass man bis auf Weiteres und weiterhin keine Zahlungen leisten werde, der Antragstellerin aber demnächst in einem Schreiben weitere Vorgaben für von ihr zu erbringende Nachweise gemacht würden und erwarte, zu einem späteren Zeitpunkt in Verhandlungen über die Höhe der Ansprüche einzutreten. Der vom Antragsgegner als angemessen suggerierte Tagessatz decke die Kosten der Antragstellerin aber nicht ansatzweise.

Die Zuständigkeit der Sozialgerichte ergebe sich daraus, dass "die Schuldanerkenntnisse in Form der Kostenübernahmen" öffentlich-rechtlicher Natur seien und von einem Träger der Sozialhilfe erklärt worden seien. Soweit sich die Antragstellerin vorprozessual anders geäußert habe, halte sie daran nicht mehr fest. Ein Anordnungsanspruch bestehe auf Zahlung eines weiteren Abschlags in Höhe von mindestens 130.000,- Euro. Er ergebe sich aus einer öffentlich-rechtlichen Zusage, das heißt einer hoheitlichen Selbstverpflichtung mit Bindungswillen eines Sozialhilfeträgers. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass der Antragstellerin wegen ihrer laufend fällig werdenden Kosten für die Unterkünfte die Insolvenz drohe, wenn eine Gegenleistung für die Beherbergung ausbleibe. Den untergebrachten Asylbewerbern drohe zudem Obdachlosigkeit.

Wegen der weiteren Antragsbegründung und des Wortlauts der Kostenübernahmeerklärungen des Antragsgegners wird auf die Antragsschrift vom 30. Juni 2016 und die hierzu eingereichten Anlagen Bezug genommen (unter der aus dem Anlagenkonvolut AS4 hervorgehenden Anschrift "Hallee B" ist seit August 2015 im Handelsregister des Amtsgerichts Charlottenburg zu auch die C L H C.A. UG (haftungsbeschränkt) mit dem Gegenstand "Betrieb von Pensionen und Hostels" und einem Stammkapital von 2.000,- Euro eingetragen, deren Geschäftsführerin die Antragstellerin ist).

Das Sozialgericht hat die Antragstellerin daraufhin zunächst aufgefordert, weitere Angaben zum Anordnungsgrund zu machen. Auf die Verfügung vom 1. Juli 2016 und den hierzu eingereichten Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 5. Juli 2016 wird Bezug genommen.

Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen für eine Verpflichtung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nicht vorlägen. Bezüglich des Anordnungsanspruchs macht er geltend, dass die gegenüber den Asylberechtigten erklärten Kostenübernahmen, die meist keine namentliche Zuweisung an die Antragstellerin enthalten hätten, keine eigenen Zahlungsansprüche der Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner begründeten. Der Inhalt der Kostenübernahmeerklärung erschöpfe sich darin, dass der Antragsgegner ihren Empfänger über das gegenwärtige Bestehen eines die Unterkunftskosten einschließenden Leistungsanspruchs nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) unterrichte und zugleich eine bestimmte verwaltungstechnische Abwicklung, nämlich die Überweisung der (miet-)vertraglich geschuldeten Beträge unter den in der Kostenübernahmeerklärung genannten Voraussetzungen bekanntgebe. Diese auch im Bereich des Sozialhilferechts übliche und vielfach praktizierte Verfahrensweise solle ausschließen, dass ein leistungsberechtigter Mieter die an ihn gezahlte Leistung nicht oder nicht rechtzeitig an den Vermieter weiterleite. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 6. Juli 2016 mit Anlage Bezug genommen.

Mit Verfügung vom 7. Juli 2016 hat das Sozialgericht den Beteiligten mitgeteilt, dass es nach nochmaliger Prüfung den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht als zulässig ansehe und beabsichtige, den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin als dem zuständigen Gericht des zulässigen Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten zu verweisen. Es liege eine zivilrechtliche Streitigkeit vor.

Beide Beteiligte haben dazu die Auffassung vertreten, die Streitigkeit sei öffentlich-rechtlicher Natur und unterfalle § 51 Abs. 1 Nr. 6a Sozialgerichtsgesetz (SGG). Wegen der Begründungen im Einzelnen wird auf die Schriftsätze des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin und des Antragsgegners, jeweils vom 8. Juli 2016, bezüglich des Antragsgegners einschließlich der Anlage, Bezug genommen.

Durch Beschluss vom 8. Juli 2016 hat das Sozialgericht den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin (der Sache nach: Kammern für Zivilsachen) verwiesen. Es handle sich um eine zivilrechtliche Streitigkeit, gerichtet auf Zahlung offener Rechnungen aus Miet- beziehungsweise Beherbergungsverträgen. Die Antragstellerin mache Ansprüche aus mit Dritten - den Asylbewerbern - geschlossenen Verträgen in Verbindung mit den vom Antragsgegner abgegebenen Kostenübernahmeerklärungen geltend. Diese Erklärungen stellten nach Auffassung der Antragstellerin eigenständige Schuldgründe dar. Rechtsnormen für einen solchen Schuldgrund fänden sich aber im Zivilrecht (Schuldanerkenntnis, Schuldbeitritt, Schuldübernahme). Die für die Rechtswegzuständigkeit maßgebliche Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Anspruch hergeleitet werde, sei deshalb bürgerlich-rechtlicher Art (Hinweis auf BSG, Beschluss vom 6. September 2007 - B 3 SG 1/07 R -, SozR 4-1720 § 17a Nr. 3, Rn 9). Die Antragstellerin habe außergerichtlich auch noch ausdrücklich betont, dass sich die streitgegenständliche Frage einer Verpflichtung für die Kostenerstattung für die Unterbringung von Flüchtlingen allein nach zivilrechtlichen Grundsätzen richte, den zivilrechtlichen Charakter betont und auf die mit den Flüchtlingen abgeschlossenen Beherbergungsverträge hingewiesen. Die Kostenübernahmeerklärungen des Antragsgegners begründeten nach ihrem Inhalt keine selbstständigen, einseitigen und von einem Miet- und Beherbergungsvertrag losgelösten direkten Anspruch im Sinne eines abstrakten Schuldanerkenntnisses oder eine unmittelbare vertragliche Beziehung zwischen dem Antragsgegner und dem Beherbergungsbetrieb. Die Ausführungen des Antragsgegners aus der Beschwerdeerwiderung vom 6. Juli 2016 zu der aus seiner Sicht bestehenden Bedeutung der Kostenübernahmeerklärungen seien insoweit folgerichtig. Selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin annähme, dass der Antragsgegner durch die Kostenübernahmeerklärung und in deren Rahmen einer Schuld aus einem mit der Antragstellerin geschlossenen Miet- bzw. Beherbergungsvertrags beigetreten sei, so änderte sich dadurch nicht die Rechtsnatur der zugrundeliegenden Schuld (Hinweis auf nicht veröffentlichte Entscheidung des Sozialgerichts Berlin sowie auf BSG, Beschluss vom 18. März 2014 - B 8 SF 2/13 R -, SozR 4-3500 § 75 Nr. 3, Rn 8). Die von den Beteiligten geltend gemachte Sachnähe zu den Angelegenheiten des Asylbewerberleistungsrechts bestehe nicht. Es gehe im Kern nicht um Fragen dieses Rechtsgebiets, denn es sei unstreitig, dass den Asylbewerbern, die von der Antragstellerin in ihren Boardinghäusern beherbergt worden seien, Leistungen (nach dem AsylbLG) zur Deckung des Unterkunftsbedarfs zustünden. Vielmehr gehe es darum, ob den Kostenübernahmeerklärungen der Charakter eines eigenständigen Schuldversprechens gegenüber der Antragstellerin zukomme, mithin um zivilrechtlich zu beurteilende Fragen nach einem hinreichenden Rechtsbindungswillen und der genaueren schuldrechtlichen Einordnung der abgegebenen Erklärungen. Auch soweit der Antragsgegner eine Zahlungspflicht jedenfalls der Höhe nach mit einer sittenwidrigen Mietzinshöhe und Verstößen des Bauordnungsrechts verneine, handle es sich um Argumente, die nicht originär sozialrechtlicher Natur seien.

Mit ihrer Beschwerde wiederholt und vertieft die Antragstellerin ihre Auffassung, dass die Rechtswegzuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit gegeben sei. Geltend gemacht werde ein Anspruch aus einer öffentlich-rechtlichen Zusage. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Beschwerdeschrift vom 12. Juli 2016 mit Anlagen Bezug genommen. Ergänzend hat die Antragstellerin mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 22. Juli 2016 weiter in der Sache vorgetragen. Der Antragsgegner hält den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ebenfalls für zulässig und verweist zur Begründung auf seinen bisherigen Vortrag.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, dass die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit gegeben, deshalb der Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig zu erklären und die Sache an das nach den vom Sozialgericht zitierten Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) und der Zivilprozessordnung sachlich und örtlich zuständige Landgericht Berlin zu verweisen ist. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Im Beschwerdeverfahren ist nichts vorgetragen worden, was den angefochtenen Beschluss in Frage stellen könnte. Zu ergänzen bleibt seitens des Senats lediglich, dass er die rechtliche Konstellation in Fällen wie dem vorliegenden als derjenigen des "sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses" im Bereich des Leistungserbringungsrechts für Sachleistungen der Sozialhilfe vergleichbar ansieht. Nach der Rechtsprechung sowohl des BSG (s. ergänzend zu der bereits vom Sozialgericht zitierten Entscheidung in SozR 4-3500 § 75 Nr. 3 den Beschluss vom 30. September 2014 – B 8 SF 1/14 R ¬- SozR 4-3500 § 75 Nr. 5) als auch des BGH (Urteile vom 31. März 2016 - III ZR 267/15 - und vom 7. Mai 2015 - III ZR 304/14 -, BGHZ 205, 260) führt insoweit die öffentlich-rechtliche Rechtsnatur der Leistungsansprüche der Berechtigten gegenüber dem Leistungsträger ebensowenig zum Entstehen öffentlich-rechtlicher Ansprüche des Leistungserbringers gegen den Leistungsträger im Einzelfall wie der Umstand, dass die Rechtsverhältnisse zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern im Regelfall einzelfallunabhängig durch öffentlich-rechtliche Verträge geordnet sind (Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen, §§ 75ff. Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch [SGB XII]) und dass der Schuldbeitritt des Leistungsträgers durch einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt bewirkt wird. Zwar fehlt es in Fällen wie dem vorliegenden an einer öffentlich-rechtlichen Vertragsbeziehung zwischen "Leistungserbringer" und Leistungsträger; das AsylbLG enthält auch keine den §§ 75ff SGB XII vergleichbaren Vorschriften oder nimmt sie in Bezug. Wenn aber nicht einmal die öffentlich-rechtliche Überlagerung des Rechtsverhältnisses zwischen Leistungserbringer und Leistungsträger dazu führt, dass die Rechtsnatur von Zahlungsansprüchen des Leistungserbringers gegenüber dem Leistungsträger als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren ist, dann gibt es hierfür "erst recht" keinen zwingenden Grund, wenn es an entsprechenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen fehlt. Weder dem Vortrag der Antragstellerin noch dem des Antragsgegners ist im Übrigen zu entnehmen, dass zwischen den (nach dem AsylbLG) Leistungsberechtigten und der Antragstellerin ein Rechtsverhältnis bestünde, dass nicht dem Zivilrecht zuzuordnen wäre.

Soweit der Senat in seinem veröffentlichten Beschluss vom 9. März 2016 - L 15 AY 23/15 B ER - ausgeführt hat, dass der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in Fällen wie dem vorliegenden als gegeben anzusehen sein dürfte, handelte es sich um eine nicht entscheidungserhebliche Äußerung.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V. mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Senat lässt hinsichtlich der Entscheidung zur Rechtswegzuständigkeit die Beschwerde an das Bundessozialgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zu (§ 202 Satz 1 SGG i.V. mit § 17a Abs. 4 Sätze 4 und 5 GVG).

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V. mit §§ 1 Abs. 2 Nr. 3, 52 Abs. 1 und 3 Satz 1 sowie 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG); hierbei ist das Interesse der Antragstellerin, dass das Verfahren in dem von ihr als zulässig erachten Rechtsweg verbleibt, mit einem Fünftel des Wertes des geltend gemachten Zahlungsanspruchs angesetzt worden (s. in diesem Zusammenhang BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1996 - III ZB 105/96 -, NJW 1998, 909 [910]). Die Streitwertentscheidung kann nicht isoliert mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V. mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Die gerichtlichen Änderungsbefugnisse nach § 66 Abs. 3 GKG bleiben davon unberührt.
Rechtskraft
Aus
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