L 6 AS 1340/16 B ER und L 6 AS 1341/16 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 36 AS 2063/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1340/16 B ER und L 6 AS 1341/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 17.06.2016 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin für den Einbau einer neuen Heizungsanlage einen Zuschuss in Höhe von 1948,48 EUR vorläufig zu gewähren. Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt N, E, bewilligt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren noch die Übernahme der hälftigen Kosten für den Einbau einer neuen Heizungsanlage in Höhe von 1948,48 EUR (hilfsweise als Darlehen) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Die Antragstellerin bezieht Leistungen nach dem SGB II. Ihr Ehemann, der zunächst gemeinsam mit der Antragstellerin Beschwerde erhoben hat, bezieht Rente wegen Erwerbsminderung und ergänzende Leistungen nach dem SGB XII.

Die Antragstellerin und ihr Ehemann bewohnen ein Einfamilienhaus. Dieses stand in ihrem Eigentum und wurde durch notariellen Übertragungsvertrag vom 22.05.2009 auf die Kinder der Eheleute übertragen. In dem Übertragungsvertrag wurde festgelegt, dass den Eheleuten ein lebenslanges unentgeltliches Nießbrauchrecht an dem Grundbesitz zustehen sollte. Es wurde vereinbart, dass der Nießbrauchberechtigte alle, auch außergewöhnliche Unterhaltungskosten zu tragen habe.

Den Antrag der Antragstellerin auf Übernahme der Kosten für den Neueinbau einer Heizungsanlage (nach den vorgelegten Unterlagen wäre die Reparatur teurer gewesen) lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 10.03.2016, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 11.05.2016 ab. Hiergegen hat die Antragstellerin Klage erhoben (SG Duisburg S 36 AS 2362/16).

Am 01.07.2016 hat die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Bewilligung von PKH beantragt.

Mit Beschluss vom 17.06.2016 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch ergebe sich nicht aus § 22 Abs. 2 SGB II, da die Antragstellerin nicht Eigentümerin des von ihr bewohnten Hauses sei. Die Regelung aus dem Notarvertrag, wonach die Antragsteller sämtliche Unterhaltungskosten zu tragen hätten, könne nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Dem stehe § 1041 BGB entgegen, wonach lediglich gewöhnliche Unterhaltungskosten von den Nießbrauchberechtigten zu übernehmen seien.

Gegen den am 21.06.2016 zugestellten Beschluss haben die Antragsstellerin und ihr Ehemann Beschwerde erhoben.

Nachdem die Stadt N als Träger der Leistungen nach dem SGB XII für den Ehemann der Antragstellerin mit Abhilfebescheid vom 28.07.2016 die Übernahme von 50 % der Kosten für den Einbau der Heizung zugesagt hat, hat dieser seine Beschwerde für erledigt erklärt.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 17.06.2016 zu ändern und den Antragsgegner zu verpflichten, im Wege der einstweiligen Anordnung die hälftigen Kosten des Einbaus einer Gasheizung in Höhe von 1948,48 EUR vorläufig zu übernehmen,

hilfsweise, den Betrag darlehensweise zu gewähren.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen; dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsstellerin ist begründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt grundsätzlich voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO -).

Der geltend gemachte (Anordnungs-)Anspruch und die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. BSG Beschl v 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschl v 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 Rn 23 - Breith 2005, 803). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einstellt (BVerfG a.a.O. Rn 26; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. § 86b Rn 29, 29a).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch, als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Nach summarischer Prüfung hat die Antragstellerin einen Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses für den Einbau der neuen Heizungsanlage glaubhaft gemacht.

Dem Antragsgegner ist zuzustimmen, dass § 22 Abs. 2 SGB II hier nicht anwendbar ist, da er nur für Eigentümer selbst bewohnten Eigentums gilt. Für diesen leistungsberechtigten Personenkreis werden unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur dem Bedarf für Unterkunft zugerechnet. § 22 Abs. 2 SGB II trägt der höchstrichterlichen Rechtsprechung Rechnung, wonach Mieter und Eigentümer bei der Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach den gleichen Grundsätzen behandelt werden müssen (BSG Urteile vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 34/06 R; vom 19.09.2008 - B 14 AS 54/07 R).

Der Anspruch ergibt sich aber aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Diese Norm gilt auch für die Antragstellerin als Nießbrauberechtigte. Die Vorschrift hat den auf Unterkunft und Heizung bezogenen Grundfall im Auge. Sie bindet die grundsätzliche Übernahme der tatsächlichen Bedarfe an deren Angemessenheit (Luik in Eicher SGB II 3. Aufl. 2013 § 22 Rn 9), ohne den Kreis der Leistungsberechtigten einzugrenzen. Als Aufwendungen werden von ihr abgedeckt im Mietverhältnis über den üblicherweise vereinbarten Mietzins und die Nebenkosten hinaus alle Zahlungsverpflichtungen, die sich aus dem Vertrag für die Unterkunft ergeben. Dazu gehören nach der Rechtsprechung etwa auch Kosten von Modernisierungsmaßnahmen nach § 559 BGB, die der Vermieter auf den Mieter abgewälzt hat; sie sind der geschuldeten (Kalt-)Miete zuzuordnen (BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 2/10 R; juris Rn 15).

Die Antragstellerin schuldet gemeinsam mit ihrem Ehemann die Übernahme der Kosten für den Einbau eines neuen Brenners. § 1041 BGB selbst sieht zwar eine solche Verpflichtung des Nießbrauchers nicht vor, die weitergehende Übernahme auch von außergewöhnlichen Kosten kann aber abweichend von § 1041 BGB - wie hier geschehen - vereinbart werden (vgl. Lenders in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 1041 BGB; vgl. Luik aaO Rn 47 zum Verfahren bei unwirksamer Verpflichtung).

Die Gewährung des Zuschusses bei - wie in diesem Fall - unabweisbaren Aufwendungen für die Instandhaltung ist nicht nach näherer Maßgabe des § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II der Höhe nach beschränkt, ebenso kommt die Gewährung eines Darlehens (§ 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II) deshalb nicht in Betracht, weil die Antragstellerin nicht Eigentümerin des genutzten Hauses sind.

Die analoge Anwendung des § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II auf Nießbrauchberechtigte ist nach Auffassung des Gerichts nicht möglich.

Eine Regelungslücke liegt nicht vor, da § 22 Abs. 1 SGB II eine Regelung für Nießbrauchberechtigte bereit hält. Der Umstand, dass für Nießbrauchberechtigte nicht die Möglichkeit besteht, etwaige höhere Kosten unabweisbarer Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur wie der Nutzer einer selbst genutzten Immobilie über ein Darlehen abzudecken (§ 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II), erscheint gerechtfertigt, da Nießbrauchberechtigte, deren Aufwendungen ja nicht der eigenen Immobilie zu gute kommen, aus diesem Blickwinkel Mietern näher stehen als Eigentümern.

Die Reparatur der Heizung ist eine unabwendbare Aufwendung. Da die Kosten für den Einbau einer neuen Heizung unter den Kosten für eine Reparatur liegen, erscheint es auch sachgerecht diese Kosten hier zugrunde zu legen.

Die Antragstellerin hat auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht. Angesichts der im bevorstehenden Winter herrschenden Witterungsverhältnisse ist ein weiteres Zuwarten nach den Umständen des Einzelfalls nicht zumutbar.

Der Antragstellerin war für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, da das Verfahren aus den o.g. Gründen Aussicht auf Erfolg hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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