L 4 P 2609/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 P 156/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 2609/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz (sog. Pflegestufe "0") setzt sowohl nach § 45b Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 45a Abs. 1 Satz 2
Nr. 2 SGB XI als auch nach § 45b Abs. 1a Satz 2 SGB XI in der vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung voraus, dass beim Versicherten überhaupt ein Grundpflegebedarf besteht, der Anspruch nach § 45b Abs. 1a Satz 2 SGB XI sogar, dass mindestens die Voraussetzungen der Pflegestufe I erfüllt sind.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 29. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der sog. "Pflegestufe 0".

Der Kläger ist am 1966 geboren. Er ist bei der Beklagten pflegeversichert. Er bezieht eine Rente wegen Erwerbsminderung der gesetzlichen Rentenversicherung sowie ergänzende Leistungen des Sozialhilfeträgers als persönliches Budget. Seit dem 1. März 2011 wird er vom ambulanten Pflegedienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) durch einmal wöchentliche Hausbesuche betreut.

Am 29. Juli 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten Pflegegeld der "Pflegestufe 0".

Im Auftrag der Beklagten erstellte Dr. G. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) auf Grund einer Untersuchung des Klägers vom 18. August 2015 am 19. August 2015 ein Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Beim Kläger läge eine paranoide Schizophrenie (stabil), eine Alkoholkrankheit (stabil), ein Diabetes mellitus, eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Bluthochdruck sowie Übergewicht vor. Es handele sich nicht um pflegebegründende Diagnosen. Es läge keine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, keine geistige Behinderung und keine psychische Erkrankung vor. Im Bereich der Grundpflege bestehe kein Pflegebedarf. Im Bereich der Hauswirtschaft bestehe ein täglich durchschnittlicher Hilfebedarf von 30 Minuten.

Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 31. August 2015 unter Hinweis auf das Gutachten des MDK ab, weil die Voraussetzungen für "Leistungen aus der Pflegeversicherung" nicht gegeben seien.

Hiergegen erhob der Kläger am 7. September 2015 Widerspruch. Er werde vom DRK gepflegt. Er werde gewogen, es werde mit ihm eingekauft usw. Er legte eine handschriftliche Pflegedokumentation bezüglich der Pflege durch das DRK vor.

Im Auftrag der Beklagten erstellte die Pflegefachkraft Gr. vom MDK unter dem 19. Oktober 2015 ein Gutachten nach Aktenlage. Sie bestätigte darin sowie in einer sozialmedizinischen Fallberatung vom 11. Januar 2016 das Ergebnis des Gutachtens von Dr. G ...

Der Kläger erhob am 19. Januar 2016 beim Sozialgericht Mannheim (SG) Untätigkeitsklage (S 5 P 156/16).

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2016 zurück. Der Kläger sei nicht pflegebedürftig. Pflegebedürftig seien Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürften. Krankheiten im Sinne dieser Vorschriften seien u.a. Verluste, Lähmungen oder andere Funktionsstörungen am Stütz- oder Bewegungsapparat sowie Funktionsstörungen der inneren Organe oder der Sinnesorgane. Die beim Kläger bestehenden Krankheiten seien keine Krankheiten im Sinne der §§ 14 und 15 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI). Verrichtungen wie Spaziergänge oder die Gabe von Arzneimittel dürften bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit nicht berücksichtigt werden. Auch die Voraussetzungen für zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI lägen nicht vor. Auch die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 und 2 SGB XI lägen nicht vor, da die Voraussetzungen nach § 45a SGB XI nicht erfüllt seien. Die Alltagskompetenz des Klägers sei im Sinne der Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nicht eingeschränkt.

Hiergegen erhob der Kläger am 15. März 2016 beim SG Klage (S 5 P 746/16). Er werde einmal wöchentlich vom DRK betreut. Anspruch auf Leistungen nach "Pflegestufe 0" habe jemand, der schon auch nur eine Minute im Monat gepflegt werde. Dies sei bei ihm der Fall. Er werde bei Einkäufen und bei Spaziergängen unterstützt.

Das SG verband die Verfahren S 5 P 156/16 und S 5 P 746/16 mit Beschluss vom 21. März 2016 unter dem Aktenzeichen S 5 P 156/16 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung.

Die Beklagte trat den Klagen entgegen. Sie verwies auf den Widerspruchsbescheid.

Das SG lud die Beteiligten mit Terminsbestimmung vom 12. Mai 2016 zur mündlichen Verhandlung am 29. Juni 2016 unter Hinweis darauf, dass bei Ausbleiben von Beteiligten eine Entscheidung auch nach Lage der Akten ergehen kann. Die Terminsbestimmung wurde dem Kläger am 14. Mai 2016 und der Beklagten am 17. Mai 2016 zugestellt. Die Beteiligten erschienen zur mündlichen Verhandlung nicht.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2016 "nach Lage der Akten" ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung. Im Bereich der Grundpflege bestehe beim Kläger kein Hilfebedarf. Das Blutdruckmessen zähle nicht zur Körperpflege, denn Hilfestellungen bei der Dokumentation von Erkrankungen seien Teil der von den Krankenkasse geschuldeten Behandlungspflege. Das Tragen von schweren Einkäufen zähle nicht zum Hilfebereich der Mobilität, sondern das Einkaufen sei Teil der hauswirtschaftlichen Versorgung. Die Führung von Gesprächen zähle nicht zum Bereich der Grundpflege, denn die Kommunikation sei kein Bestandteil der Körperpflege, Ernährung oder Mobilität. Auch Leistungen nach dem Vierten Abschnitt des SGB XI, insbesondere Betreuungs- und Entlastungsleistungen gemäß § 45b SGB XI könne der Kläger nicht beanspruchen. Solche Leistungen würden zwar auch für Personen erbracht, die nicht die sonstigen Voraussetzungen der Pflegestufe I bis III erfüllten, notwendige Voraussetzung sei jedoch in jedem Fall, dass neben einem hauswirtschaftlichen Hilfebedarf auch ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege bestehe. Im Bereich der Grundpflege bestehe jedoch beim Kläger kein Hilfebedarf. Wenn kein Hilfebedarf für Verrichtungen der Grundpflege bestehe, kämen Leistungen der Beklagten als Träger in der sozialen Pflegeversicherung nicht in Betracht. Hilfe für andere Verrichtungen könne der Kläger allenfalls vom Sozialhilfeträger erhalten, die ihm auch von der Sozialstation des DRK tatsächlich geleistet werde.

Gegen das ihm am 13. Juli 2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14. Juli 2016 Berufung eingelegt. Er als psychisch Kranker werde schon seit Jahrzehnten betreut. Er sei früher im betreuten Wohnen in einer Wohngemeinschaft gewesen, dann im betreuten Einzelwohnen. Es sei so gewesen, dass ihn keine Organisation mehr habe betreuen wollen. Dann habe jedoch die Diakonie eingewilligt, ihn in einer Wohnung zu betreuen. Dies werde vom Landratsamt finanziert, seit er Rentenempfänger sei. Es sei nicht anzunehmen, dass dies finanziert würde, wenn er nicht an einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz leiden würde. Er werde inzwischen vom DRK einmal pro Woche betreut.

Der Kläger beantragt (sachgerecht gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 29. Juni 2016 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 31. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2016 zu verurteilen, ihm Leistungen wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ab dem 1. Juli 2015 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf das angefochtene Urteil sowie ihren bisherigen Vortrag.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten auf die Absicht, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Kläger hat seine Auffassung bekräftigt. Die Beklagte hat sich mit einer Entscheidung durch Beschluss einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

II.

1. Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, da er die Berufung des Klägers einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

Der Entscheidung durch Beschluss steht nicht entgegen, dass das SG gemäß § 126 SGG nach Lage der Akten entschieden hat. Dies gilt jedenfalls deshalb, weil die Beteiligten zu der mündlichen Verhandlung am 29. Juni 2016 ausweislich der in der Akte des SG enthaltenen Zustellungsnachweise ordnungsgemäß geladen und auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach Lage der Akten hingewiesen worden waren, aber nicht erschienen sind, ohne eine Verlegung des Termins zu beantragen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 6. November 1987 – 9 B 300/87 – juris, Rn. 3).

2. Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere bedurfte die Berufung nicht der Zulassung, da der Kläger Leistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage des Klägers, nicht jedoch seine ursprüngliche Untätigkeitsklage. Die Untätigkeitsklage hat der Kläger bereits erstinstanzlich bei sachgerechter Auslegung seines Verhaltens nicht weiter verfolgt, nachdem der mit der Untätigkeitsklage begehrte Widerspruchsbescheid erlassen war. Auch das SG hat über die Untätigkeitsklage zu Recht nicht mehr entschieden. Im Berufungsverfahren hat der Kläger ausdrücklich nur noch sein Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren zum Ausdruck gebracht.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind bei sachgerechter Auslegung des Begehrens des Klägers (§ 123 SGG) allein Leistungen wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach §§ 45 und 123 SGB XI. Leistungen wegen häuslicher Pflege, insbesondere Pflegegeld nach § 37 SGB XI, kommen auch nach dem eigenen Vortrag des Klägers nicht in Betracht. Denn der Kläger geht selbst davon aus, dass bei ihm die Voraussetzungen mindestens der Pflegestufe I (dazu unten 3. a) bb) (1)) nicht vorliegen. Dies ergibt sich daraus, dass er Leistungen der "Pflegestufe 0" begehrt.

3. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 31. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 2016 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen nach § 45b SGB XI.

a) aa) Nach § 45b Abs. 1 Satz 1 SGB XI in der seit dem 1. Januar 2015 und noch bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung des Ersten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Erstes Pflegestärkungsgesetz – PSG I) vom 17. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2222) können Versicherte, die die Voraussetzungen des § 45a SGB XI erfüllen, je nach Umfang des erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarfs zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen in Anspruch nehmen. Die Kosten hierfür werden nach § 45b Abs. 1 Satz 2 SGB XI ersetzt, höchstens jedoch EUR 104,00 Euro monatlich (Grundbetrag) oder EUR 200,00 monatlich (erhöhter Betrag). Die Höhe des jeweiligen Anspruchs wird nach § 45b Abs. 1 Satz 3 SGB XI von der Pflegekasse auf Empfehlung des MDK im Einzelfall festgelegt und dem Versicherten mitgeteilt. Nach § 45b Abs. 1 Satz 5 SGB XI ist der Betrag zweckgebunden einzusetzen für qualitätsgesicherte Leistungen der Betreuung oder Entlastung. Er dient der Erstattung von Aufwendungen, die dem Versicherten entstehen im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Leistungen (1.) der Tages- oder Nachtpflege, (2.) der Kurzzeitpflege, (3.) der zugelassenen Pflegedienste, sofern es sich um besondere Angebote der allgemeinen Anleitung und Betreuung oder Angebote der hauswirtschaftlichen Versorgung und nicht um Leistungen der Grundpflege handelt oder (4.) der nach Landesrecht anerkannten niedrigschwelligen Betreuungsangebote, die nach § 45c SGB XI gefördert oder förderungsfähig sind (§ 45b Abs. 1 Satz 6 SGB XI).

Nach § 45a Abs. 1 Satz 1 SGB XI in der seit 1. Januar 2015 und noch bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung betreffen die Leistungen im Fünften Abschnitt des Vierten Kapitels (§§ 45a bis 45d SGB XI) Pflegebedürftige in häuslicher Pflege, bei denen neben dem Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung (§§ 14 und 15 SGB XI) ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung besteht. Dies sind nach § 45a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI Pflegebedürftige der Pflegestufen I, II und III sowie nach § 45a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB XI Personen, die einen Hilfebedarf im Bericht der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung haben, der aber nicht das Ausmaß der Pflegestufe I erreicht (sog. Pflegestufe 0; vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 20. April 2016 – B 3 P 1/15 R – juris, Rn. 11). Bei beiden Fallgruppen ist zusätzlich Voraussetzung, dass es sich um Personen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen handelt, bei denen der MDK oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter im Rahmen der Begutachtung nach § 18 SGB XI als Folge der Krankheit oder Behinderung Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens festgestellt haben, die dauerhaft zu einer Einschränkung der Alltagskompetenz geführt haben.

bb) Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger insofern nicht vor, als bei ihm keinerlei Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege besteht, der aber nach § 45b Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 45a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB XI Anspruchsvoraussetzung ist. Auf die Frage, ob bei ihm eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz vorliegt, kommt es mithin nicht an.

(1) Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (Nr. 2) und der Mobilität (Nr. 3). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, bei der Zahnpflege, beim Kämmen, Rasieren sowie bei der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.

Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2002 – B 3 P 12/01 R – juris, Rn. 12 ff.; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 – B 3 P 7/97 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R – juris, Rn. 32 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Februar 2006 – B 3 P 26/05 B – juris, Rn. 8; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 P 10/08 R – juris, Rn. 20 m.w.N.).

(2) Nach diesen Maßstäben steht zur Überzeugung des Senats fest, dass beim Kläger jedenfalls seit Antragstellung am 29. Juli 2015 kein Grundpflegebedarf bestand und gegenwärtig besteht. Beim Kläger liegt eine paranoide Schizophrenie (stabil), eine Alkoholkrankheit (stabil), ein Diabetes mellitus, eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Bluthochdruck sowie Übergewicht vor. Aus keiner dieser Erkrankungen resultiert ein Pflegebedarf des Klägers im Bereich der Grundpflege. Dies entnimmt der Senat dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Dr. G. vom 19. August 2015, das der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (zur Zulässigkeit der Verwertung der vom MDK erstatteten Gutachten BSG, Urteil vom 14. Dezember 2000 – B 3 P 5/00 R – juris, Rn. 12 f.; allgemein zum Urkundsbeweis BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51). Dr. G. hat in seinem Gutachten berichtet, dass der Kläger selbst angegeben hat, die Grundpflege selbständig durchzuführen.

Aus dem Vorbringen des Klägers im gerichtlichen Verfahren ergibt sich nichts anderes. Er hat vorgetragen, vom DRK bei Einkäufen von Sachen, die er nicht transportieren könne, unterstützt zu werden. Außerdem werde er bei Spaziergängen begleitet. Beides ist nicht dem Bereich der Grundpflege zugeordnet. Dies gilt auch für die psychosozialen Gespräche, die den Kern der Betreuung des Klägers durch den DRK bilden.

b) Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf § 45b Abs. 1a SGB XI stützen.

Pflegebedürftige, die nicht die Voraussetzungen des § 45a SGB XI erfüllen, können ebenfalls zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach Absatz 1 in Anspruch nehmen (§ 45b Abs. 1a Satz 2 SGB XI). Die Kosten hierfür werden bis zu einem Betrag in Höhe von EUR 104,00 monatlich ersetzt (§ 45b Abs. 1a Satz 2 SGB XI).

§ 45b Abs. 1a Satz 2 SGB XI dispensiert zwar für einen Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen im Gegensatz zu § 45b Abs. 1 SGB XI vom Erfordernis der Voraussetzungen des § 45a SGB XI. Im Gegenzug setzt er aber bereits nach seinem Wortlaut voraus, dass derjenige, der den Anspruch geltend macht, pflegebedürftig ist. Der Betroffene muss also mindestens die Voraussetzungen der Pflegestufe I erfüllen (Waldhorst-Kahnau, in: jurisPK-SGB XI, 2014, § 45b Rn. 10.1). Dies ist beim Kläger – wie oben dargelegt – schon aufgrund des fehlenden Grundpflegebedarfs nicht der Fall.

c) Schließlich hat der Kläger keinen Anspruch auf Leistungen nach § 123 SGB XI.

Nach § 123 Abs. 1 SGB XI in der seit 1. Januar 2015 und noch bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung haben Versicherte, die wegen erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz die Voraussetzungen des § 45a SGB XI erfüllen, neben den Leistungen nach § 45b SGB XI bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes, das die Leistungsgewährung aufgrund eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und eines entsprechenden Begutachtungsverfahrens regelt, Ansprüche auf Pflegeleistungen nach Maßgabe der folgenden Absätze. Da der Kläger nicht die Voraussetzung des § 45a SGB XI erfüllt (siehe oben 3. a) bb)) sind die Voraussetzungen dieser Leistungen nicht gegeben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Die Berufung war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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