S 9 R 1113/12 WA

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 R 1113/12 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Verwaltungsakt, mit dem die Akteneinsicht abgelehnt wird, ist selbständig mit der Klage anfechtbar, wenn zwar eine Sachentscheidung ergangen ist, diese den Kläger jedoch nicht beschwert und von ihm im Klageverfahren deshalb auch nicht angegriffen wird.

2. Die Entscheidung über die Preisgabe des Namens eines Behördeninformanten an den betreffenden Versicherten im Wege der Akteneinsicht erfordert eine Güterabwägung zwischen den in § 25 Abs. 3 SGB X genannten Geheimhaltungsinteressen und dem Auskunftsinteresse des Betroffenen. Jenseits der ausdrücklichen gesetzlichen Übermittlungsbefugnisse kommt ein überwiegendes Interesse des Betroffenen, Kenntnis von dem Namen eines Behördeninformanten zu erhalten, lediglich unter engen Voraussetzungen in Betracht, und zwar insbesondere dann, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Informant wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche – namentlich rufschädigende – Behauptungen aufgestellt hat oder wenn er als Zeuge in Betracht kommt.
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Offenlegung des Namens einer Informantin, vorrangig durch Erteilung einer Kopie des Schreibens, mit dem die Informantin die Beklagte über den Auslandswohnsitz des Klägers informiert hat.

Der Kläger ist im Jahr 1941 geboren. Er wohnt in M., einem kleinen Fischerort an der Costa B. in der spanischen Provinz A.

Seit Februar 2001 bezieht der Kläger von der Beklagten eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen (Bescheid vom 7. Februar 2001). Bei der Beantragung dieser Rente im Januar 2001 hatte der Kläger gegenüber der Beklagten eine deutsche Wohnanschrift angegeben. Auch in der Folgezeit informierte der Kläger die Beklagte nicht über seinen Wohnsitz in Spanien. Zuletzt ließ sich der Kläger die Post an eine Anschrift in R. am B.See – die Anschrift, unter der sein Bruder gemeldet ist – übersenden.

Mit Schreiben vom 28. Juni 2010 unterrichtete eine Person – die Informantin – die Beklagte darüber, dass sich der Kläger vor mehr als 20 Jahren habe scheiden lassen und mit einer jüngeren Frau nach Spanien ausgewandert sei. Die Beklagte möge den Sachverhalt prüfen, da er "rechtlich garantiert nicht belanglos" sei.

Die Beklagte überprüfte daraufhin die Rentenangelegenheit des Klägers. In einem Vermerk vom 27. August 2010 gelangte sie zu dem Ergebnis, dass sich die Tatsache des gewöhnlichen Aufenthalts in Spanien im Falle des Klägers nicht auf den Rentenanspruch auswirke. Die Anwendung des Europarechts führe dazu, dass dem Kläger eine Auslandsrente in Höhe der Inlandsrente zustehe.

Anschließend forderte die Beklagte den Kläger (mit einem an die deutsche Adresse gerichteten Schreiben) auf, ihr seine Wohnanschrift in Spanien mitzuteilen. Der Aufenthalt im Ausland habe zwar keine Auswirkungen auf die Rente, jedoch müsse die Zahlung entsprechend umgestellt werden und der Kläger müsse künftig jedes Jahr eine Lebensbescheinigung vorlegen.

Der Kläger kam der Aufforderung der Beklagten nach. Er führte ferner aus, dass er die Anschrift in Deutschland nur deshalb angegeben habe, weil eine zuverlässige Postzustellung in Spanien nicht gewährleistet sei. In der Folgezeit bat der Kläger die Beklagte zudem mehrfach um Übersendung einer Kopie des "ominösen Briefes", durch welchen die Beklagte Kenntnis von seinem Auslandswohnsitz erhalten habe.

Mit Bescheid vom 2. März 2011 stellte die Beklagte die Auslandsrente des Klägers in Höhe der bisherigen Inlandsrente fest.

Mit Schreiben vom 12. Mai 2011, welches nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist, teilte die Beklagte dem Kläger außerdem mit, dass sie ihm keine Auskunft zur Identität der Informantin erteilen dürfe. Ein "Auskunftsanspruch" aus § 25 SGB X bestehe nicht. Die ihr von der Informantin übermittelte Information sei objektiv richtig gewesen. Das Interesse der Infor-mantin an der Geheimhaltung ihrer Identität überwiege gegenüber dem Interesse des Klägers an der Offenlegung.

Am 1. Juni 2011 legte der Kläger "Widerspruch gegen [den] Bescheid vom 2.03.11" ein und stellte zugleich "erneut einen Antrag" auf Vorlage einer Kopie des "ominösen Briefes". Außer-dem legte der Kläger eine Unterschriftenliste vor. Darin heißt es, dass die unterzeichnenden Familienangehörigen des Klägers damit einverstanden seien, dass die Beklagte dem Kläger eine Kopie des Schreibens der Informantin zur Verfügung stelle. Die Liste ist von sieben der in ihr genannten neun Personen unterschrieben.

Am 22. August 2011 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Konstanz erhoben. Das Sozial-gericht Konstanz hat sich mit Beschluss vom 13. Februar 2012 für örtlich unzuständig erklärt und hat den Rechtsstreit an das Sozialgericht Berlin verwiesen.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Klage vor, dass ihm ein Mitarbeiter der Beklagten erklärt habe, dass das streitbefangene Schreiben aus seiner (der des Klägers) Familie stamme. Diese Auskunft sei unvollständig, weil hiermit die ganze Familie beschuldigt werde. Indes müsse eine Auskunft, wenn sie erteilt werde, richtig, vollständig und klar sein, und zwar unab-hängig davon, ob ein Anspruch bestehe oder nicht. Abgesehen davon folge ein Anspruch auf Vorlage des Schreibens aus § 25 SGB X bzw. aus § 83 SGB X. Die Beklagte könne sich nicht auf § 25 Abs. 3 SGB X bzw. auf § 83 Abs. 4 SGB X berufen. Das Offenbarungsinteresse der Familie überwiege unter Berücksichtigung von Art. 6 GG bei Weitem den Schutz der Infor-mantin. Zur Herstellung des Familienfriedens sei es notwendig, dass ihm das Schreiben der Informantin vorgelegt werde. Er habe den Verdacht, dass tatsächlich niemand aus seiner Fa-milie der Beklagten einen entsprechenden Hinweis erteilt habe, sodass die Echtheit des Schreibens überprüft werden müsse. Niemand könne den Brief besser prüfen als die betroffene Familie selbst. Die Informantin habe nach § 226 BGB ihr Recht auf Schutz bzw. Geheimhaltung verwirkt.

Unter dem 7. März 2014 hat die Beklagte einen Widerspruchsbescheid erlassen, mit welchem sie den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 2. März 2011 "und gegen das Schreiben vom 12.05.2011" zurückgewiesen hat. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Soweit sich der Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. März 2011 richte, sei er unzulässig; es liege keine Beschwer vor. Soweit der Widerspruch gegen das Schreiben vom 12. Mai 2011 gerichtet sei, sei er unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten nach § 25 Abs. 1 SGB X. Es greife § 25 Abs. 3 SGB X ein, wonach die Behörde zur Gestattung der Akteneinsicht ausnahmsweise nicht verpflichtet sei, soweit die Vorgänge wegen der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter, nicht am Verfahren beteiligter Personen geheim gehalten werden müssten. Wäge man das Interesse des Klägers, vom Inhalt des Schreibens Kenntnis zu erlangen, und das Interesse der Informantin auf Wah-rung ihrer Anonymität gegeneinander ab, so ergebe sich, dass letzteres überwiege. Aus-schlaggebend für diese Beurteilung sei, dass sich der erteilte Hinweis – Aufenthalt des Klägers in Spanien – als zutreffend erwiesen habe und dass der Kläger selbst verpflichtet gewesen wäre, sie (die Beklagte) hierüber zu unterrichten. Allein aufgrund des Hinweises der Informantin habe eine Prüfung der Rechtmäßigkeit des Leistungsbezugs erfolgen können.

Der Kläger hat keinen konkreten Klageantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

Das Gericht hat die Verwaltungsakten der Beklagten einschließlich des Schreibens der Infor-mantin beigezogen. Wegen der weiteren Einzel¬heiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Kammer konnte trotz Nichterscheinens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhand-lung eine mündliche Verhandlung durchführen (sog. einseitige mündliche Verhandlung) und aufgrund dieser ein Urteil verkünden (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 126 Rn. 4). Der Kläger ist mit ordnungsgemäß erfolgter Ladung (§§ 63 Abs. 1, 110 Abs. 1 SGG) auf diese Möglichkeit hingewiesen worden.

II. Die Klage ist entsprechend dem Rechtsschutzbegehren des Klägers dahin auszulegen (vgl. § 123 SGG), dass der Kläger einen Anspruch auf Akteneinsicht verfolgt, und zwar in der Form, dass ihm von der Beklagten eine Kopie des Schreibens der Informantin vom 28. Juni 2010 zur Verfügung gestellt wird. Unter Berücksichtigung des vom Kläger verfolgten Ziels ist ferner davon auszugehen, dass der Kläger hilfsweise einen Auskunftsanspruch geltend macht, gerichtet auf die Offenlegung der Identität der Informantin. Mit der Erhebung eines Anspruchs auf Akteneinsicht / Auskunftserteilung geht zugleich das Begehren des Klägers einher, dass das einen solchen Anspruch ablehnende Schreiben der Beklagten vom 12. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. März 2014 aufgehoben wird.

Demgegenüber ist die Klage nicht auf die Aufhebung des Rentenbescheids vom 2. März 2011 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. März 2014) gerichtet. Der Kläger hatte zwar zunächst Widerspruch gegen diesen Rentenbescheid eingelegt, jedoch bestehen nach dem Vortrag des Klägers im Klageverfahren keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er sich (weiterhin) dagegen wendet. Ohnedies ist nicht erkennbar, woraus ein Rechtsschutzbedürfnis für eine derartige Klage folgen sollte, denn die Beklagte hat die Auslandsrente in Höhe der bisherigen Inlandsrente festgestellt.

III. Die so zu verstehende Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.

1. Die Klage ist zulässig.

a) Unschädlich ist, dass der Kläger keinen Klageantrag gestellt hat. Zwingend muss die Klage gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 SGG lediglich den Kläger, die Beklagte und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen; diesen Anforderungen genügt die vom Kläger verfasste Klage-schrift. Bei der Regelung zum Klageantrag (§ 92 Abs. 1 Satz 3 SGG) handelt es sich um eine bloße Sollvorschrift. Fehlt der Klageantrag, führt dies dementsprechend nicht zur Unzulässigkeit der Klage (arg. e § 92 Abs. 2 Satz 2 SGG).

b) Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, gerichtet auf die Aufhebung des Schreibens der Beklagten vom 12. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheids vom 7. März 2014 sowie die Verurteilung der Beklagten zur Erteilung einer Kopie des Schreibens der Informantin, hilfsweise zur Auskunft über die Identität der Informantin.

Mit der Anfechtungsklage kann gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGG die Aufhebung eines Verwaltungsakts begehrt werden. Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt zugleich eine Leis-tung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden (§ 54 Abs. 4 SGG).

Die Anfechtungsklage (kombiniert mit der unechten Leistungsklage) ist hier die richtige Klage-art. Bei dem Schreiben der Beklagten vom 12. Mai 2011 handelt es sich um einen Verwal-tungsakt im Sinne von § 31 SGB X, insbesondere hat die Beklagte eine Regelung getroffen. Gewährt eine Behörde Akteneinsicht oder eine Auskunft, geschieht dies durch Realakt. Die ablehnende Entscheidung über die Erteilung der Akteneinsicht bzw. der Auskunft hat indes durch Verwaltungsakt zu ergehen (vgl. BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 13/12 RBSGE 112, 170; Pickel, in: Pickel/Marschner, SGB X, § 25 Rn. 30). Auch im vorliegenden Fall konnte der Kläger das Schreiben der Beklagten vom 12. Mai 2011 unter Berücksichtigung einer am objektiven Empfängerhorizont orientierten Auslegung (vgl. dazu z. B. BSG, Urteil vom 30. März 2004 – B 4 RA 36/02 RSozR 4-2600 § 149 Nr. 1) nur so verstehen, dass die Beklagte damit die Akteneinsicht bzw. die Auskunft verbindlich ablehnen wollte. Dass das Schreiben nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist, steht der Annahme eines Verwaltungsakts nicht entgegen. Die Rechtsbehelfsbelehrung ist kein notwendiger Bestandteil eines Verwaltungsakts (arg. e § 36 SGB X); fehlt sie bzw. ist sie unvollständig oder unrichtig, so führt dies lediglich dazu, dass die erweiterten Rechtsbehelfsfristen des § 66 Abs. 2 SGG eingreifen.

c) § 56a Satz 1 SGG steht der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen.

Nach dieser Vorschrift können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. § 56a SGG ist mit Art. 7 Nr. 4 des Gesetzes zur Neuorganisation der bundesunmit-telbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze (BUK-Neuorganisationsgesetz – BUK-NOG) vom 19. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3836) mit Wirkung zum 25. Oktober 2013 in das Sozialgerichtsgesetz aufgenommen worden. Eine Änderung der Rechtslage hat sich durch die Regelung nicht ergeben, weil zuvor der inhalts-gleiche § 44a VwGO für das sozialgerichtliche Verfahren entsprechend angewandt worden war (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 56a Rn. 1 m. w. N.).

Eine Prüfung gleichzeitig mit der Sachentscheidung, zu deren Zweck die Akteneinsicht begehrt wird, ist aber nicht möglich in Verfahren, die ausschließlich die Rechtmäßigkeit der Ver-weigerung der Akteneinsicht außerhalb eines Verwaltungsverfahrens betreffen. Deshalb ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in solchen Fällen der Verwaltungsakt, mit dem die Akteneinsicht abgelehnt wird, selbständig mit der Klage anfechtbar (BSG, Urteil vom 28. Juni 1991 – 2 RU 24/90SozR 3-1500 § 144 Nr. 3; BSG, Urteil vom 4. April 2012 – B 12 SF 1/10 R – SozR 4-1720 § 17a Nr. 9).

Nichts anderes kann nach Auffassung der Kammer in Verfahren gelten, in denen – wie hier –zwar eine Sachentscheidung ergangen ist, diese den Kläger jedoch nicht beschwert und von ihm im Klageverfahren deshalb auch nicht angegriffen wird. Der Fall liegt letztlich genau so, als hätte der Kläger völlig unabhängig von dieser Sachentscheidung, d. h. außerhalb eines Verwaltungsverfahrens, Akteneinsicht begehrt.

d) Das nach § 78 SGG erforderliche Vorverfahren ist ebenfalls durchgeführt worden.

Gemäß § 83 SGG beginnt das Vorverfahren mit der Erhebung des Widerspruchs. Die Beklagte hat den Vortrag des Klägers im Widerspruchsverfahren zu Recht dahingehend ausgelegt, dass der Kläger Widerspruch auch gegen den – die Akteneinsicht bzw. die Auskunft ablehnenden – Verwaltungsakt vom 12. Mai 2011 eingelegt hat und hat dementsprechend (auch) über diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2014 entschieden. Zwar hat der Kläger die Formulierung "Widerspruch" lediglich im Zusammenhang mit dem Rentenbescheid vom 2. März 2011 ausdrücklich verwendet, indem er jedoch zugleich "erneut einen Antrag" auf Vorlage einer Kopie des "ominösen Briefes" gestellt hat, hat er hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er sich durch die ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 12. Mai 2011 beeinträchtigt fühlt und eine nochmalige Überprüfung begehrt. Dies reicht aus, um den Vortrag des Klägers als Widerspruch (auch) gegen die Versagung der Akteneinsicht bzw. der Auskunft zu werten (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 83 Rn. 2).

Unschädlich ist, dass die Beklagte den Widerspruchsbescheid erst nach Klageerhebung er-lassen hat. Ist das Vorverfahren – wie hier – zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgeschlossen, so kann es bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz nachgeholt werden (vgl. BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 13/12 RBSGE 112, 170).

Der während des laufenden Klageverfahrens ergangene Widerspruchsbescheid ist kraft Ge-setzes Gegenstand des Klageverfahrens geworden, wobei es keiner Entscheidung bedarf, ob die automatische Einbeziehung des Widerspruchsbescheids in das Klageverfahren auf § 95 SGG oder aber auf einer entsprechenden Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG beruht, da beide Auffassungen zum selben Ergebnis gelangen (siehe zum Meinungsstand Bienert, NZS 2011, 732, 733/734).

2. Die sonach zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. März 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erteilung einer Kopie des Schreibens der Informantin bzw. auf Auskunft über deren Identität.

a) Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Soweit die Akteneinsicht zu gestatten ist, können die Beteiligten gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 SGB X Auszüge oder Abschriften selbst fertigen oder sich Ablichtungen durch die Behörde erteilen lassen.

Es ist bereits fraglich, ob die in § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X geregelten Voraussetzungen für das Recht auf Akteneinsicht hier gegeben sind. Ausweislich des eindeutigen Wortlauts der Vor-schrift steht der Anspruch unter dem Vorbehalt, dass die Kenntnis des Akteninhalts zur Gel-tendmachung oder Verteidigung rechtlicher Interessen erforderlich ist. Grundsätzlich kann ein rechtliches Interesse an der Kenntnis des Akteninhalts in diesem Sinne nur im Zusammenhang mit einem anhängigen Verwaltungsverfahren bestehen (BSG, Beschluss vom 30. November 1994 – 11 RAr 89/94SozR 3-1300 § 25 Nr. 3; BSG, Urteil vom 4. April 2012 – B 12 SF 1/10 R – SozR 4-1720 § 17a Nr. 9; BVerwG, Urteil vom 4. September 2003 – 5 C 48/02BVerwGE 119, 11; zu Ausnahmen von diesem Grundsatz im Rahmen des § 44 SGB X vgl. Siefert, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, § 25 Rn. 19 und 27).

Außerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahrens hat die Behörde über den Antrag auf Ak-teneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (BSG, Urteil vom 4. April 2012 – B 12 SF 1/10 R – SozR 4-1720 § 17a Nr. 9; BVerwG, Urteil vom 4. September 2003 – 5 C 48/02BVerwGE 119, 11; Pickel, in: Pickel/Marschner, SGB X, § 25 Rn. 43).

Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob als rechtliche Grundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X herangezogen werden kann oder ob von vornherein lediglich ein allgemeiner (ungeschriebener) Anspruch auf eine Entscheidung der Behörde über das Akteneinsichtsgesuch nach pflichtgemäßem Ermessen in Betracht kommt. Denn jedenfalls steht einem Anspruch des Klägers § 25 Abs. 3 SGB X entgegen.

Nach § 25 Abs. 3 SGB X ist die Behörde zur Gestattung der Akteneinsicht nicht verpflichtet, soweit die Vorgänge wegen der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Personen geheim gehalten werden müssen. Diese Einschränkung findet nicht nur auf den Anspruch auf Akteneinsicht nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X Anwendung, sondern gilt entsprechend für den allgemeinen Anspruch auf eine Entscheidung der Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen (BVerwG, Urteil vom 4. September 2003 – 5 C 48/02BVerwGE 119, 11). Dabei gilt, dass die Behörde jedenfalls bei entgegenstehenden berechtigten Geheimhaltungsinteressen dritter Personen nicht nur "nicht verpflichtet", sondern darüber hinaus auch nicht berechtigt ist, Ak-teneinsicht zu gewähren (BVerwG, Urteil vom 4. September 2003 – 5 C 48/02BVerwGE 119, 11; Siefert, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, § 25 Rn. 36; Rombach, in: Hauck/Noftz, SGB X, § 25 Rn. 19).

Die Entscheidung über die Preisgabe des Namens eines Behördeninformanten an den betref-fenden Versicherten im Wege der Akteneinsicht erfordert eine Güterabwägung zwischen den in § 25 Abs. 3 SGB X genannten Geheimhaltungsinteressen und dem Auskunftsinteresse des Betroffenen (BVerwG, Urteil vom 4. September 2003 – 5 C 48/02BVerwGE 119, 11; Pickel, in: Pickel/Marschner, SGB X, § 25 Rn. 44).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte dem Geheimhaltungsinteresse der Informantin zu Recht ein höheres Gewicht beigemessen als dem Auskunftsinteresse des Klägers.

Das Geheimhaltungsinteresse bezieht sich hier auf Angaben, die durch bereichsspezifische Rechtsvorschriften besonders geschützt sind. Es handelt sich bei dem Namen eines Behör-deninformanten nämlich um ein Sozialdatum im Sinne von § 35 Abs. 1 SGB I i. V. m. § 67 Abs. 1 SGB X, dessen Offenbarung nur nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen des § 67d SGB X i. V. m. §§ 68 bis 77 SGB X oder nach einer anderen Rechtsvorschrift des Sozial-gesetzbuchs zulässig ist (BVerwG, Urteil vom 4. September 2003 – 5 C 48/02BVerwGE 119, 11; Bieresborn, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, § 67 Rn. 6). Dem Sozialdatenschutz unterfällt der Name eines Behördeninformanten dabei unabhängig davon, ob Vertraulichkeit ausdrücklich gefordert oder zugesichert worden ist (BVerwG, Urteil vom 4. September 2003 – 5 C 48/02BVerwGE 119, 11).

Die Beklagte war zu einer Übermittlung des durch das Sozialgeheimnis geschützten Namens der Behördeninformantin an den Kläger durch Gewährung von Akteneinsicht nicht nach § 67d Abs. 1 SGB X i. V. m. §§ 68 bis 77 SGB X berechtigt. Die in diesen Vorschriften genannten Tatbestände sind hier ersichtlich nicht einschlägig. Auch sonst existiert keine Vorschrift, welche die Beklagte ausdrücklich berechtigen bzw. verpflichten würde, den Namen der Behör-deninformantin zu offenbaren.

Jenseits dieser hier nicht einschlägigen ausdrücklichen gesetzlichen Übermittlungsbefugnisse kommt ein überwiegendes Interesse des Betroffenen, Kenntnis von dem Namen eines Behör-deninformanten zu erhalten, lediglich unter engen Voraussetzungen in Betracht, und zwar insbesondere dann, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Informant wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche – namentlich rufschädigende – Behauptungen aufgestellt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2003 – 5 C 48/02BVerwGE 119, 11) oder wenn er als Zeuge in Betracht kommt (vgl. Siefert, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, § 25 Rn. 20). Dies ist hier indes nicht der Fall. Der von der Informantin erteilte Hinweis, dass der Kläger in Spanien lebe, entspricht der Wahrheit; auch der Kläger bestreitet nicht, dass er seinen Wohnsitz dort hat. Anlass für eine Vernehmung der Informantin als Zeugin besteht nicht, und zwar weder im hiesigen Verfahren noch in einer etwaigen zukünftigen Rentenstreitigkeit, denn die Tatsache des Auslandswohnsitzes wirkt sich im vorliegenden Fall nicht auf die Höhe der Rente aus.

Ein überwiegendes Interesse des Klägers, eine Kopie des Schreibens der Informantin zu er-halten und damit deren Namen zu erfahren, lässt sich auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG herleiten.

Art. 6 Abs. 1 GG bestimmt, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatli-chen Ordnung stehen. Das Familiengrundrecht zielt generell auf den Schutz spezifisch famili-ärer Bindungen ab, wie sie auch zwischen erwachsenen Familienmitgliedern und auch – wenngleich regelmäßig weniger ausgeprägt – über mehrere Generationen hinweg zwischen den Mitgliedern einer Großfamilie bestehen können (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 2014 – 1 BvR 2926/13BVerfGE 136, 382 m. w. N.). Familiäre Bindungen sind im Selbstverständnis des Individuums regelmäßig von hoher Bedeutung und haben im Lebensalltag der Familien-mitglieder häufig besondere praktische Relevanz. Sie zeichnen sich durch schicksalhafte Ge-gebenheit aus und können von besonderer Nähe und Zuneigung, von Verantwortungsbe-wusstsein und Beistandsbereitschaft geprägt sein (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 2014 – 1 BvR 2926/13BVerfGE 136, 382 m. w. N.).

Hieraus folgt indes nicht, dass das Auskunftsinteresse des Klägers höher zu bewerten wäre als das Geheimhaltungsinteresse der Behördeninformantin. Die Kammer konnte sich nicht davon überzeugen, dass die Vorlage des Schreibens der Behördeninformantin, wie vom Kläger behauptet, zur Herstellung des "Familienfriedens" notwendig oder auch nur dienlich wäre. Legte man die Wahrnehmung des Klägers, dass es hier zu einer Störung des Familienfriedens gekommen ist, einmal als zutreffend zugrunde, so wäre jedenfalls sein eigenes Fehlverhalten – die Angabe eines falschen Wohnsitzes gegenüber der Beklagten – und nicht das pflichtbewusste Verhalten der Informantin als diejenige Ursache anzusehen, die vorrangig für den Eintritt dieser Störung verantwortlich war. Schon deshalb erscheint es äußerst unwahr-scheinlich, dass sich der Familienfrieden dadurch wiederherstellen ließe, dass dem Kläger das Schreiben der Informantin zur Verfügung gestellt wird. Darüber hinaus ist die Familie ein komplexer Verantwortungs- und Beistandspakt, der einer Vielzahl von äußeren und inneren Einflüssen ausgesetzt ist. Ob er funktioniert oder nicht, hängt nach allgemeiner Lebenserfah-rung nicht von der Vorlage eines einzelnen Schreibens, sondern von der generellen Bereitschaft der Akteure ab, sich mit Respekt, Offenheit und Toleranz zu begegnen. Auf das Bestehen bzw. Nicht-Bestehen einer solchen Bereitschaft hat die Kammer keinen Einfluss.

Aus den bereits zuvor genannten Gründen muss auch das Interesse des Klägers, die "Echtheit" des Schreibens zu überprüfen, hinter dem Geheimhaltungsinteresse der Informantin zu-rücktreten. Im Übrigen bestehen nicht einmal ansatzweise Zweifel daran, dass das Schreiben tatsächlich von derjenigen Person stammt, die aus ihm als Aussteller hervorgeht.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger eine Liste vorgelegt hat, auf der sieben von neun Personen aus dem Familienkreis durch ihre Unterschrift ihr Einverständnis damit erklärt haben, dass die Beklagte dem Kläger eine Kopie des Schreibens der Informantin zur Verfügung stellt. Die Kammer äußert sich nicht dazu, ob der Name der Informantin über-haupt in der Liste auftaucht. Jedenfalls fehlt es an einer Einwilligung der Informantin in die Offenlegung ihrer Identität.

b) Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Akteneinsicht in Form der Erteilung einer Kopie des Schreibens der Informantin folgt auch nicht aus § 120 SGG.

Die Vorschrift regelt die Akteneinsicht der Beteiligten während des Gerichtsverfahrens. Das prozessuale Einsichtsrecht gilt auch hinsichtlich der Verwaltungsakten der Behörde, soweit die übermittelnde Behörde dieses nicht ausschließt (§ 120 Abs. 1 SGG).

Das Akteneinsichtsrecht nach § 120 SGG erstreckt sich von vornherein nicht auf solche Ak-ten(teile), um deren Kenntnisgabe im Rahmen einer Klage auf Akteneinsicht gestritten wird, da andernfalls die Regelung des § 25 SGB X ausgehebelt werden würde (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 120 Rn. 1b).

c) Auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Auskunft über die Identität der Infor-mantin steht dem Kläger nicht zu, insbesondere folgt ein solcher Anspruch nicht aus § 83 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Nach § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB X ist dem Betroffenen auf Antrag Auskunft zu erteilen über die zu seiner Person gespeicherten Sozialdaten, auch soweit sie sich auf die Herkunft dieser Daten beziehen. Die "Herkunft" von Daten erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Personen, die über personenbezogene Daten informiert haben (BVerwG, Urteil vom 4. September 2003 – 5 C 48/02BVerwGE 119, 11; Rombach, in: Hauck/Noftz, SGB X, § 83 Rn. 18).

Der Anspruch scheitert im vorliegenden Fall aber daran, dass die Auskunftserteilung gemäß § 83 Abs. 4 Nr. 3 SGB X unterbleibt, soweit die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen, und deswegen das Interesse des Betroffenen an der Auskunftserteilung zurücktreten muss. Diese Regelung ist § 25 Abs. 3 SGB X nachgebildet (BVerwG, Urteil vom 4. September 2003 – 5 C 48/02BVerwGE 119, 11). Insofern gilt das oben zu § 25 Abs. 3 SGB X Gesagte sinngemäß auch hier.

d) Die Beratungs- und Auskunftsansprüche aus §§ 14 und 15 SGB I entsprechen nicht dem vom Kläger verfolgten Klageziel. Sie beziehen sich auf die Verwirklichung der sozialen Rechte nach dem Sozialgesetzbuch. So räumt § 14 Satz 1 SGB I jedem einen Anspruch auf "Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch" ein; § 15 Abs. 1 SGB I verpflichtet bestimmte Behörden, "über alle sozialen Angelegenheiten nach diesem Gesetzbuch Auskünfte zu erteilen." Die Identität einer Behördeninformantin kann ersichtlich nicht Gegenstand der in §§ 14 und 15 SGB I geregelten Beratungs- und Auskunftspflichten sein.

e) Ein Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen nach § 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG) ist nicht Streitgegenstand, sodass die Kammer hierüber nicht zu befinden hat (vgl. zur Qualifizierung des Anspruchs nach dem IFG als eigenständigem Streitgegenstand BSG, Be-schluss vom 4. April 2012 – B 12 SF 1/10 R – SozR 4-1720 § 17a Nr. 9).

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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