L 18 AL 38/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 39 AL 286/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 38/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 3/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
BSG: Beschwerde
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 26. Januar 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) im Zeitraum vom 7. August 2014 bis 27. August 2014.

Der am 1951 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 15. Juli 2003 als Fahrzeugaufbereiter sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis wurde durch den Arbeitgeber am 24. März 2014 mit Wirkung zum 31. Juli 2014 gekündigt. Im Zeitraum vom 13. Mai 2014 bis 22. Juli 2014 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt und erhielt Krankengeld. Bei seinem Rentenversicherungsträger stellte er am 15. Juli 2014 einen Antrag auf Altersrente (AR) für schwerbehinderte Menschen mit einem Rentenbeginn am 1. November 2014. Er meldete sich im Juli 2014 bei dem Beklagten arbeitsuchend und am 7. August 2014 persönlich arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers vom 11. August 2014 stand dem Kläger ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis einschließlich 27. August 2014 zu.

Mit Bescheid vom 28. August 2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg ab 7. August 2014 für 720 Kalendertage bis zum 28. August 2016. Der tägliche Leistungsbetrag betrage im Zeitraum vom 7. August 2014 bis 27. August 2014 wegen der Urlaubsabgeltung 0 EUR und ab dem 28. August 2014 20,45 EUR. Mit weiterem Bescheid vom 28. August 2014 verfügte die Beklagte das Ruhen des Anspruchs des Klägers auf Alg in der Zeit vom 7. August 2014 bis 27. August 2014, weil der Kläger bei seinem bisherigen Arbeitgeber einen finanziellen Ausgleich für nicht genommenen Urlaub zu beanspruchen habe und sein Urlaub, wenn er ihn genommen hätte, bis 27. August 2014 gedauert hätte. Während dieses Zeitraumes ruhe deshalb der Anspruch auf Alg. Der Kläger legte gegen beide Bescheide Widerspruch ein.

Der ehemalige Arbeitgeber zahlte dem Kläger zur Abgeltung von 19 Urlaubstagen am 10. Oktober 2014 einen Betrag iHv brutto 1.216,- EUR.

Der Rentenversicherungsträger bewilligte dem Kläger Altersrente (AR) antragsgemäß ab 1. November 2014 (Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft Bahn See vom 16. September 2014). Durch Bescheid vom 27. Oktober 2014 hob die Beklagte daraufhin die Bewilligung von Alg ab 1. November 2014 wegen des gleichzeitigen Rentenbezuges auf.

Durch Widerspruchsbescheid vom 4. November 2014 wies die Beklagte die beiden gegen die Bescheide vom 28. August 2014 gerichteten Widersprüche des Klägers als unbegründet zurück. Ein früherer Anspruch des Klägers auf Alg bestehe nicht, weil sich der Kläger erst am 7. August 2014 persönlich bei der Beklagten arbeitslos gemeldet habe. Der Anspruch auf Alg ruhe zudem im Zeitraum vom 7. August 2014 bis 27. August 2014 gemäß § 157 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III), weil der Urlaubsanspruch des Klägers bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses iHv 19 Tagen durch den Arbeitgeber abgegolten worden sei. Wäre der Urlaub im Anschluss an das Arbeitsverhältnis genommen worden, hätte es bis zum 27. August 2014 gedauert. Bis zu diesem Zeitpunkt ruhe deshalb der Anspruch auf Alg.

Mit seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, die Ruhensvorschrift des § 157 Abs. 2 SGB III sei mit der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (RL 2003/88/EG) nicht vereinbar. Nach deren Artikel 7 sei die Verrechnung von Urlaubsansprüchen mit Zeiten der Arbeitslosigkeit mit europäischem Recht unvereinbar, denn eine Verrechnung habe die Verkürzung des Mindestanspruchs von Arbeitnehmern auf vier Wochen Urlaub im Jahr zur Folge. Da der Kläger vor Ende seines Anspruchs auf Alg in AR gehe, werde sein Anspruch auf Alg durch den Ruhenstatbestand faktisch gekürzt. Es sei mit der RL 2003/88/EG zudem nicht vereinbar, dass innerstaatliche Regelungen den Arbeitnehmer ausschließlich gegenüber dem Arbeitgeber in Bezug auf den Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsanspruch schützten, hingegen der Staat durch seine Sozialkassen den Urlaubsabgeltungsanspruch durch Gegenrechnung mit staatlichen Sozialleistungen zugunsten der Sozialkassen aufbrauche. Der Anspruch auf Alg sei vielmehr auch vor dem staatlichen Zugriff zu schützen. Die Regelung des § 157 Abs. 2 SGB III führe zudem zu einer Ungleichbehandlung, wenn die Zeit der Arbeitslosigkeit vor dem Abschluss der Anspruchsdauer ende.

Durch Urteil vom 26. Januar 2016 hat das Sozialgericht (SG) Cottbus die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei nicht begründet. Die Beklagte habe den Ruhenszeitraum zutreffend berechnet. Die Regelung in § 157 Abs. 2 SGB III sei nicht europarechtswidrig, die RL 2003/88/EG in den §§ 3, 11 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) zum Schutze der Arbeitnehmer ordnungsgemäß in Bundesrecht umgesetzt worden. § 157 Abs. 2 SGB III führe weder zu einer Verkürzung des Urlaubsabgeltungsanspruchs noch zu einer Reduzierung des Jahresmindestanspruchs des Klägers auf Urlaub. Eine Anrechnung der Urlaubsabgeltung auf den Alg-Anspruch des Klägers finde nicht statt, weil das Ruhen gemäß § 157 Abs. 2 SGB III nur den Beginn der Alg-Zahlung verschiebe, jedoch nicht eine Verkürzung oder Minderung der Anspruchsdauer zur Folge habe. Es hätte dem Kläger zudem freigestanden, nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses noch seinen Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen und sich erst am 28. August 2014 persönlich arbeitslos zu melden. Es sei auch nicht Sinn der sozialen Absicherung nach dem SGB III, die Bewilligungsdauer von Leistungen voll ausnützen zu können. Die Regelung in § 157 Abs. 2 SGB III verstoße schließlich auch nicht gegen Verfassungsrecht.

Mit der vom SG zugelassenen Berufung wiederholt der Kläger im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend trägt er vor, der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe in mehreren Entscheidungen betont, dass es sich bei Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen um unverfallbare Ansprüche eines Arbeitnehmers handle. Hiergegen verstoße die Regelung in § 157 Abs. 2 SGB III. Der Anspruch auf Urlaub sei auch vor dem staatlichen Zugriff zu schützen. Eine vergleichbare Regelung sei weder im Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) noch im Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) enthalten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG Cottbus vom 26. Januar 2016 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 28. August 2014 in der Fassung des Bescheides vom 27. Oktober 2014 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2014 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 7. August 2014 bis 27. August 2014 Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, es gäbe keinen Anspruch darauf, Alg für eine bestimmte Mindestzeit zu beziehen. Die Regelungen des SGB III zielten in ihrer Gesamtheit auf die Vermeidung von Arbeitslosigkeit und damit dem Bezug von Alg ab. § 157 SGB III diene der Vermeidung eines Doppelbezuges von Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis und den Lohnersatzleistungen nach dem SGB III. Diese würden noch nicht benötigt, so lange trotz Arbeitslosigkeit kein Verdienstausfall eintrete. Eine Verkürzung der durch die europarechtlichen Bestimmungen garantierten Urlaubsabgeltung sei damit nicht verbunden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte und der Gerichtsakte verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung geworden sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig (vgl § 144 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Alg für die Zeit vom 7. August 2014 bis zum 27. August 2014. Das SG hat die Klage deshalb zu Recht abgewiesen.

Rechtsgrundlage für den vom Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von Alg sind die §§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 SGB III in den ab 1. April 2012 geltenden Fassungen. Der Kläger hatte sich zwar am 7. April 2014 persönlich bei der Beklagten arbeitslos gemeldet und war zu diesem Zeitpunkt arbeitslos (vgl §§ 118 Abs. 1 Nr. 3, 123, 124 SGB III), so dass er ab dem 7. April 2014 dem Grunde nach Anspruch auf Alg hatte. Dieser Anspruch ruhte jedoch vom 7. August 2014 bis 27. August 2014 nach Maßgabe von § 157 Abs. 2 SGB III. Danach ruht der Anspruch auf Alg für die Zeit des abgegoltenen Urlaubs, wenn der Arbeitslose wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Urlaubsabgeltung erhalten oder zu beanspruchen hat. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass der Kläger bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Juli 2014 noch Anspruch auf Abgeltung von 19 Urlaubstagen hatte. Aufgrund dieses Anspruchs gegen den ehemaligen Arbeitnehmer ruhte der Anspruch auf Alg - unabhängig davon, ob dieser Anspruch von seinem ehemaligen Arbeitgeber erfüllt werden würde -, für 19 Werktage, wobei der Ruhenszeitraum gemäß § 157 Abs. 2 Satz 2 SGB III mit dem ersten Tag, der auf das Ende des Arbeitsverhältnisses folgt beginnt - vorliegend am 1. August 2014 - und kalendermäßig abläuft (zur Berechnung des Ruhenszeitraums vgl Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 29. März 2001 - B 7 AL 14/00 R - juris). Bei 19 Tagen Resturlaub und einer Fünf-Tage-Arbeitswoche ruhte der Anspruch der Klägerin mithin bis zum 27. August 2014.

Die Regelung in § 157 Abs. 2 SGB III verstößt auch nicht gegen europarechtliche Regelungen. Sie beruht auf dem Grundgedanken, den Bezug von Doppelleistungen zu vermeiden. Denn es ist im Interesse der Versichertengemeinschaft nicht gerechtfertigt, wenn Arbeitnehmer im Anschluss an das Arbeitsverhältnis Arbeitsentgelt in Form der Urlaubsabgeltung erhalten und daneben die Lohnersatzleistung beziehen (vgl BT-Drucks 9/846 S 44). Deshalb tritt für die Dauer des abgegoltenen Urlaubs ein Ruhen des Anspruchs ein, weil mit der Arbeitgeberleistung dem Arbeitnehmer ermöglicht wird, den früher entgangenen Urlaub nachzuholen (vgl BSG, Urteil vom 26. Juni 1991, 10 RAr 9/90 - juris). Bereits hieraus folgt, dass ein Widerspruch zu Artikel 7 RL 2003/88/EG nicht besteht. Nach dessen Absatz 1 treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält, nach Absatz 2 darf dieser bezahlte Mindestjahresurlaub außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Diese Regelung wurde entsprechend in § 7 Abs. 4 BUrlG umgesetzt und ein Urlaubsabgeltungsanspruch bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses normiert. Indem der Arbeitnehmer durch die Abgeltung des noch bestehenden Urlaubsanspruchs finanziell in die Lage versetzt wird, den entgangenen Urlaub nachzuholen, wird gewährleistet, dass er tatsächlich in den Genuss des ihm gemäß Artikel 7 RL 2003/88/EG zustehenden Mindestjahresurlaubs kommt. Die Leistungen nach dem SGB III setzen erst nach Ablauf dieses "fiktiven Arbeitsverhältnisses" ein, der Gesamtanspruch auf Alg wird hierdurch entgegen der Ansicht des Klägers gerade nicht verkürzt. Es erfolgt – wie das SG zutreffend ausgeführt hat – auch keine Verrechnung des durch die EG-Richtlinie geschützten Anspruchs des Klägers auf den Mindest-Jahresurlaub mit dem Anspruch auf Alg, denn es wird lediglich der Leistungsbeginn des Alg hinausgeschoben, der Alg-Anspruch insgesamt jedoch nicht verkürzt. Der Rentenbeginn beruhte zudem auf der Ausübung eines Gestaltungsrechtes des Klägers, indem dieser bei seinem Rentenversicherungsträger die Gewährung von AR für schwerbehinderte Menschen ab 1. November 2014 beantragte (vgl § 236a SGB VI). Hiermit verbunden war das Ruhen des Anspruchs auf Alg gemäß § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB III. Dass der Kläger faktisch nicht den vollen Anspruch ausschöpfen konnte, entspricht dem Normzweck des § 156 Abs. 1 SGB III. Die Vorschrift regelt das Verhältnis der Versicherungsleistung Alg zu anderen Sozialleistungen mit Lohnersatzcharakter. Das Ruhen des Alg-Anspruchs bei gleichzeitigem Bezug von anderen Sozialleistungen dient der Vermeidung von sozialpolitisch unerwünschten Doppelleistungen. Es ist ein legitimes Interesse des Gesetzgebers, die doppelte Sicherung des Lebensunterhalts durch öffentlich-rechtliche Leistungsträger auszuschließen (vgl BSG SozR 4100 § 118 Nr. 2, 3, 9). Es trifft damit nicht zu, dass der Anspruch auf Alg nur im Falle des Bezuges von Renten ruht. Auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Urteils nimmt der Senat im Übrigen zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (vgl § 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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