S 7 R 2581/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 7 R 2581/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Unter Abänderung des Bescheides vom 01.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2014 wird festgestellt, dass die von der Klägerin für die Beigeladene ausgeübte Tätigkeit als Bereitschaftspflegeperson seit dem 15.02.2011 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird und dass keine Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht. Die Beklagte trägt die Kosten der Klägerin dem Grunde nach.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihre Tätigkeit als Bereitschaftspflegeperson für die Stadt O (im Folgenden: die Beigeladene) keine sozialversicherungspflichtige, abhängige Beschäftigung ist.

Die Klägerin leitete im Januar 2014 bei der Beklagten ein Statusfeststellungsverfahren ein. Sie hatte zuvor mit der Beigeladenen zuletzt im Januar 2013 einen "Erziehungs- und Betreuungsvertrag für die familiäre Bereitschaftsbetreuung im Rahmen der Inobhutnahme von Kindern gemäß § 42 Kinder- und Jugendhilfegesetz" (Bereitschaftspflege) abgeschlossen. In diesem Vertrag ist unter anderem geregelt, dass die Klägerin neben dem Betrag zum Lebensunterhalt für das untergebrachte Kind einen monatlichen Erziehungsbetrag erhält, ist kein Kind in der Bereitschaftspflege untergebracht, wird für jeden vertraglich vereinbarten Platz eine Nichtbelegungspauschale gezahlt. Die Klägerin ist dazu verpflichtet, ganzjährig einen Platz bereit zu halten, Kinder und Jugendliche kurzfristig und für einen begrenzten Zeitraum aufzunehmen. Die Vereinbarung lautet über einen Platz. Zur Regeneration der Bereitschaftsfamilie ist eine Belegungspause von 6 Wochen im Jahr vorgesehen, außerdem gibt es verschiedene Mitteilungs- und Teilnahmepflichten. Die Klägerin gab auf Befragung durch die Beklagte unter anderem an, dass kein Nachweis über geleistete Zeiten zu führen sei, da die Bereitschaftskinder in der Familie lebten, sie besuche jährlich 4 Fortbildungen, 4 Arbeitskreise und 10 Supervisionen, Urlaubszeiten würden mit dem Jugendamt abgesprochen, es bestünde regelmäßiger Kontakt zum Jugendamt, über die Entwicklung des Bereitschaftskindes werde berichtet, die Vermittlung erfolge durch die Fachberater des Jugendamtes, die Zeiteinteilung sei frei, da sich die Bereitschaftskinder in den Familien befänden, es bestünde keine Verpflichtung zur Übernahme von Krankheits- oder Urlaubsvertretung, die Klägerin dürfe keinen Dritten mit der Übernahme der Betreuung beauftragen, wenn sich ein Bereitschaftskind in der Familie befinde, bestünde Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Die Klägerin erhielt Ende 2013 für ein Kind 1.238,00 EURO monatlich, wovon 771,00 EURO auf die Kosten der Erziehung entfielen. Die Beigeladene machte vergleichbare Angaben.

Die Tätigkeit wird von der Klägerin bereits seit Februar 2011 ausgeübt. Seinerzeit wurde der Vertrag mit der Beigeladenen von der Klägerin und ihrem Ehemann gemeinsam als "Bereitschaftspflegefamilie" unterzeichnet. Seit der Trennung von ihrem Ehemann Anfang 2012 war die Klägerin alleine als Bereitschaftspflegeperson tätig.

Mit Schreiben vom 17.04.2014 hörte die Beklagte die Beigeladene und die Klägerin dazu an, dass beabsichtigt sei, einen Bescheid über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung zu erlassen und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung festzustellen. Für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spreche, dass die Klägerin hinsichtlich der Ausführung der Tätigkeit Einschränkungen durch das Jugendamt unterliege, die Einhaltung des Hilfeplans werde regelmäßig überprüft, die Klägerin sei verpflichtet, Protokolle zu erstellen und Fortbildungen, Arbeitskreise und Supervisionen zu besuchen. Die Klägerin sei zur höchstpersönlichen Leistungserbringung verpflichtet, als Vergütung werde ein erfolgsunabhängiger Pauschalbetrag gewährt, der kein Gewinn- oder Verlustrisiko erkennen lasse. Für eine selbstständige Tätigkeit spreche, dass die Klägerin in ihrer Zeiteinteilung frei sei. Bei Gesamtwürdigung aller Umstände überwögen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis.

Mit Bescheiden vom 01.07.2014 stellte die Beklagte sowohl gegenüber der Beigeladenen als auch gegenüber der Klägerin wie angekündigt das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses mit Versicherungspflicht fest.

Hiergegen erhob die Klägerin am 21.07.2014 Widerspruch. Auch die Beigeladene erhob Widerspruch. Die Widersprüche wurden nicht begründet.

Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheiden vom 21.11.2014 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 09.12.2014 Klage erhoben. Auch die Beigeladene hat Klage erhoben (S 39 R 2721/14), dieses Verfahren ruht. Die Klägerin ist der Auffassung, ehrenamtlich tätig zu sein und nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zu stehen. Im Übrigen schließt sie sich den Ausführungen der Beigeladenen an. Die Beigeladene vertritt im Verfahren S 39 R 2721/14 ebenfalls die Auffassung, dass die Klägerin nicht abhängig beschäftigt, sondern ehrenamtlich tätig sei.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Bescheides vom 01.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2014 festzustellen, dass die von der Klägerin für die Beigeladene ausgeübte Tätigkeit als Bereitschaftspflegeperson seit dem 15.02.2011 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird und keine Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung besteht sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag der Klägerin an.

Es hat ein Erörterungstermin stattgefunden. In diesem Termin hat die Beigeladene darauf hingewiesen, dass die Einkünfte der Klägerin steuerlich kein Einkommen seien. Nur die Nichtbelegungspauschale, also die Vergütung, die die Klägerin erhalte, wenn kein Kind in ihrer Familie sei, unterliege der Einkommenssteuer. Auch bei der Bemessung der Beiträge zur Krankenversicherung sei der Beitrag, der auf die Erziehung entfalle, nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Bereitschaftspflegepersonen erhielten einen Zuschuss zu angemessener Altersvorsorge, ferner würden ihnen die Aufwendungen für eine Unternehmerversicherung bei der Unfallversicherung erstattet. Diesbezüglich müsste aber noch geklärt werden, ob sie nicht als ehrenamtlich tätige Personen ohnehin bereits abgesichert wären und man insoweit unter Umständen doppelt zahle. Die Klägerin hat u.a. ausgeführt, dass sie ihren Lebensunterhalt durch Erspartes bzw. einer Erbschaft, einen Minijob, Unterhalt für ihre beiden eigenen Kinder sowie Kindergeld sicherstelle. Sie bewohne eine Wohnung, die im Eigentum der Eltern stehe, die sie ebenfalls unterstützten. Sie betreue in der Regel nur ein Kind, nur in Notsituationen könne es mal vorkommen, dass sie für ein paar Wochen zwei Kinder betreue.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass nach steuerrechtlichen Vorschriften lediglich eine Vermutung bestünde, dass Personen, die bis zu sechs Kinder in einen Haushalt aufnehmen, die Pflege nicht gewerbsmäßig betreiben würden. Im konkreten Fall der Klägerin sei mangels anderer nennenswerter Einkünfte mit Ausnahme des Minijobs davon auszugehen, dass die Zahlungen der Beigeladenen überwiegend der Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin dienen dürften. Aus diesem Grund sei davon auszugehen, dass die Klägerin einer Erwerbstätigkeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses nachgehe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte, der Akte S 39 2724/14 sowie der Verwaltungsakte der Beigeladenen verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und die Klägerin daher in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verletzt. Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung, dass sie bei der Beigeladenen nicht als abhängig Beschäftigte sozialversicherungspflichtig tätig ist.

§ 7 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) ermöglicht ein Anfrageverfahren über die Frage einer strittigen Beschäftigung in Abgrenzung zu einer selbstständigen Tätigkeit, für das nach Abs. 1 Satz 3 eine bundesweite Sonderzuständigkeit der Beklagten besteht. Nach § 7a Abs. 2 SGB IV entscheidet die Beklagte aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt. Ausgangspunkt der Prüfung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt und sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht aber der formellen Vereinbarung regelmäßig vor (vgl. BSG, Urteil vom 28.05.2008, B 12 KR 13/07 R m. w.N.; Anmerkung: Entscheidungen ohne nähere Angabe sind unter www.juris.de veröffentlicht). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Tätigkeit der Klägerin nach den Kriterien zu beurteilen ist, nach denen nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung abhängige Beschäftigungen von einer selbstständigen Tätigkeit abgegrenzt werden. Sie stellt darauf ab, dass eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet sei (vgl. BSG, Urteil vom 25.04.2012, B 12 KR 24/10 R m.w.N.) und kommt im Fall der Klägerin zu dem Ergebnis, dass die Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen, überwiegen. Damit wird die Beklagte nach Auffassung der Kammer den Besonderheiten des hiesigen Falles nicht gerecht.

Die von der Beklagten abgeprüften Kriterien passen auf den Fall der Bereitschaftspflegefamilie nicht richtig. So hat beispielsweise das OLG Stuttgart ausgeführt, dass die Rechtsnatur von Pflegeverträgen umstritten sei, es komme ein Auftragsverhältnis mit Elementen des Dienst, Werk- und Mietvertrags in Betracht (Urteil vom 20.07.2005, 4 U 81/05). Eine solche vertragliche Kombination ist für abhängige Beschäftigungen eher ungewöhnlich.

Ferner spricht gegen das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung, dass der Vertrag mit der Beigeladenen ursprünglich von der Klägerin und ihrem Ehemann gemeinsam unterzeichnet worden war. Beide waren somit ursprünglich für eine konkrete Tätigkeit, nämlich die Inobhutnahme von Kindern, mit der Beigeladenen vertraglich verbunden. Dies ist für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis ebenfalls untypisch. Trotzdem hat die Beklagte eine abhängige Beschäftigung nicht erst ab dem Zeitpunkt der Trennung 2012, sondern auch schon für die Zeit davor angenommen.

Des Weiteren ist die Vergütung, die die Klägerin bei Betreuung eines Kindes erhält, mit 771,00 EURO pro Monat bzw. rund 26,00 EURO pro Tag ausgesprochen niedrig und ähnelt damit eher einer Aufwandsentschädigung, wie sie in Fällen ehrenamtlich tätiger Personen gewährt wird. Kein vernünftiger Mensch würde als unternehmerisch denkender Selbstständiger für einen solchen Betrag seine Arbeitszeit in einem derart hohen Umfang anbieten, wie es die Klägerin tut, zumal sie sich insbesondere bei Aufnahme von Säuglingen in die Lage versetzt, einer zusätzlichen Erwerbstätigkeit von nennenswertem Umfang kaum noch nachgehen zu können. Wirtschaftlich vernünftig ist dies nicht. Es spricht daher deutlich dafür, dass das Erzielen von Einkünften bei der Klägerin nicht im Vordergrund steht, wenn sie für die Beigeladene Kinder Inobhut nimmt, sondern dass die (uneigennützige) Hilfe der zu betreuenden Kinder der im Vordergrund stehende Aspekt ist. Nicht ohne Grund ist auch steuerrechtlich geregelt worden, dass erst bei einer Aufnahme von mehr als sechs Kindern vermutet wird, dass einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wird (vgl. Bundesministerium der Finanzen, 20.11.2007, IV C 3-S 2342/07/000, BStBl I 2007, 824 gültig bis 20.04.2011 ersetzt, aber diesbezüglich identisch durch: Bundesministerium der Finanzen, 21.04.2011, IV C 3-S 2342/07/0001:126, FMNR1dd000011, BStBl I 2011, 487). Wörtlich heißt es hierzu: "Bei einer Betreuung von bis zu sechs Kindern ist ohne weitere Prüfung davon auszugehen, dass die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben wird". Die Klägerin betreut im Regelfall ein Kind, in Notsituationen auch mal für ein paar Wochen zwei Kinder. Sie ist damit weit entfernt von den steuerlich geregelten "bis zu sechs" Kindern. Die Kammer hatte keinen Grund, anzunehmen, dass die Vermutung im Fall der Klägerin wiederlegt ist, angesichts der Formulierung im BMF-Schreiben ist bereits fraglich, ob die Vermutung widerlegbar ist. So wie die Beklagte den Fall der Klägerin behandelt, würde die Vermutung auf dem Gebiet des Steuerrechts schlicht leer laufen. Steuerlich ist nur der Betrag Einkommen, der für die Zeit gewährt wird, in der gerade keine Tätigkeit ausgeübt wird, nämlich die Vergütung, die für das Vorhalten eines Betreuungsplatzes gezahlt wird. Zusammengefasst bestünde im vorliegenden Fall, wenn man der Auffassung der Beklagten folgen würde, ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis, bei dem das Entgelt, das in der Zeit gezahlt wird, in der man tatsächlich tätig ist, steuerlich kein Einkommen ist mit der Folge, dass es nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) auch sozialversicherungsrechtlich kein Entgelt wäre und das Entgelt, das für die Zeit gewährt wird, in der gerade keine Tätigkeit entfaltet wird, besteuert würde und der Sozialversicherungspflicht unterläge. Auch dies ist für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis völlig untypisch.

Ferner spricht nach Auffassung der Kammer § 39 SGB Abs. 4 Satz 2 VIII dafür, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die Bereitschaftspflege jedenfalls im Regelfall nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird. In § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ist geregelt, dass die laufenden Leistungen (an die Bereitschaftspflegeperson) auch die Erstattung nachgewiesener Aufwendungen für Beiträge zu einer Unfallversicherung sowie die hälftige Erstattung nachgewiesener Aufwendungen zu einer angemessenen Alterssicherung umfassen. Die Kammer geht mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon aus, dass der zwischen der Klägerin und der Beigeladenen abgeschlossene Vertrag kein unüblicher Vertrag ist, sondern dass Verträge, die mit Bereitschaftspflegepersonen abgeschlossen werden, diesem Vertrag im Großen und Ganzen ähneln (vgl. auch den ähnlichen Sachverhalt in dem vom SG Dresden entschiedenen Fall, siehe unten). Wenn Bereitschaftspflegepersonen – wie die Beklagte meint – in solchen Konstellationen abhängig Beschäftigte wären, wäre es überhaupt nicht nötig gewesen, in § 39 SGB VIII zu regeln, dass man ihnen Aufwendungen für die Altersvorsorge zur Hälfte sowie Aufwendungen für eine Unfallversicherung in voller Höhe erstattet, denn als abhängig Beschäftigte hätten sie diesen Schutz bereits automatisch. § 39 Abs. 4 SGB VIII liefe damit in großen Teilen ins Leere. Die Vorschrift enthält auch keine Anhaltspunkte dahingehend, dass der Anspruch für die Fälle geschaffen werden soll, in denen keine abhängige Beschäftigung vorliegt oder keine Versicherungspflicht (zB wegen Geringfügigkeit) besteht, sondern die Vorschrift geht offenbar davon aus, dass der Normalfall einer Betreuungspflege so gestaltet ist, dass eben keine Absicherung als abhängig Beschäftigter besteht und deswegen eine Regel benötigt wird, um diese Personen ausreichend abzusichern. § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII kann auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er eine zusätzliche Absicherung gewähren will, sprich auch im Falle der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses ein Anspruch bestehen soll, die Hälfte von Aufwendungen zur privaten Altersvorsorge erstattet zu bekommen mit der Folge, dass die Vorschrift nicht leer liefe. Das BVerwG hat zu dieser Vorschrift Folgendes ausgeführt:

"Leitbild der nach § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ihrer Art nach mit öffentlichen Mitteln zu fördernden Vermögensbildung zum Zweck der Altersvorsorge ist die gesetzliche Rente. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII, auf den zur Ermittlung des Bedeutungsgehalts des Begriffs der Alterssicherung zurückzugreifen ist. Die hälftige Erstattung der Aufwendungen zu einer angemessenen Alterssicherung durch den Träger der Jugendhilfe dient dem versorgungsrechtlichen Nachteilsausgleich. Es soll dadurch sichergestellt werden, dass eine Pflegeperson, die auf eine (vollzeitige) Erwerbstätigkeit verzichtet, um ein Pflegekind bzw. mehrere Pflegekinder zu betreuen und infolgedessen keine oder bei einer Teilzeit-Erwerbstätigkeit nur reduzierte (gesetzliche) Rentenanwartschaften erwirbt, gleichwohl im Alter über eine gewisse finanzielle Absicherung verfügt. Auf diese Weise soll zugleich die Bereitschaft der Pflegeperson gefördert werden und erhalten bleiben, anstelle der Eltern Erziehungsaufgaben zu übernehmen. Mit Rücksicht darauf erfüllen von den vielfältigen Möglichkeiten der privaten finanziellen Absicherung im Alter nur die Formen der Kapitalanlegung die an eine Alterssicherung im Sinne von § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII zu stellenden Anforderungen, bei denen aufgrund einer entsprechenden Vertragsgestaltung gewährleistet ist, dass das zum Zweck der Bestreitung des allgemeinen Lebensunterhalts im Ruhestand aufgebaute Vermögen im Zeitpunkt des Eintritts der Pflegeperson in den Ruhestand (noch) vorhanden ist. Hierfür muss vertraglich sichergestellt sein, dass die Ansprüche aus einer privaten Kapitalanlage nicht vor diesem Zeitpunkt fällig werden und sie auch nicht anderweitig verwertet werden können." BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2010 – 5 C 29/08 –, juris

Wenn § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII die Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung als "Leitbild" hat, folgt hieraus, dass eine Bereitschaftspflegeperson, die als abhängige Beschäftigte bereits in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert wäre, keinen Anspruch hätte, Aufwendungen zu einer weitergehenden privaten Altersvorsorge erstattet zu bekommen. Kurzum: Nur wenn man davon ausgeht, dass Bereitschaftspflegepersonen nicht abhängig beschäftigt sind, macht die Schaffung von § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII richtig Sinn. Daraus ist zu schlussfolgern, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass Bereitschaftspflegepersonen nicht abhängig beschäftigt sind. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass laut der einschlägigen Kommentarliteratur § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII gerade nicht für "professionelle Pflegefamilien" gelten soll (vgl. Winkler in: Beck scher Online-Kommentar Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching 42. Edition, Stand: 31.07.2016, § 39 SGB VIII, Rn. 17 m.w.N.), da diese Verträge nach § 78b abschließen würden. Dies bestätigt die Auffassung der Kammer, dass der Gesetzgeber bei der Einführung von § 39 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII Fälle wie den der Klägerin vor Augen hatte und diese Tätigkeit als "nicht professionell" angesehen hat.

Gegen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spricht auch die Diskussion zur Einordnung von Bereitschaftspflegepersonen auf dem Gebiet der Unfallversicherung. Hier wird lediglich diskutiert, ob Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII besteht oder nicht ("Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind"). Hierzu wird vertreten, dass Pflegepersonen nicht hierunter fallen, da die Tätigkeit eine "innerfamiliäre Tätigkeit" sei und bei einer Betreuung von bis zu sechs Kindern – dem Steuerrecht folgend – nicht der Sozialversicherungspflicht unterliege (Schmid-Obkirchner in: Wiesner, SGB VIII, 5. Auflage 2015, § 39 Rn. 32c). Soweit ersichtlich wird eine Versicherungspflicht – mit unterschiedlichen Begründungen – überwiegend verneint (vgl. auch Stähr in: Hauck, SGB VIII, Lieferung 1/15, K § 39 Rn. 20c m.w.N.) und eine Versicherungspflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ("Beschäftigte") gar nicht erst zur Diskussion gestellt.

Für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis spricht lediglich, dass die Klägerin in gewissem Umfang einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Beigeladenen, unterliegt, da sie an Fortbildungen, Supervisionen und Arbeitskreisen teilnehmen muss. Ferner muss sie Berichte erstatten und der Jugend- und Hilfeplan enthält diverse weitere Regelungen, an die sich auch die Klägerin zu halten hat. Aber auch dieses Weisungsrecht ist nicht umfassend, sondern die Klägerin kann ihren Alltag im Wesentlichen selbst gestalten, sie kann das Kind in ihren Alltag einbinden, zB auch mit dem Kind gemeinsam in den Urlaub fahren.

Alles in allem war die Kammer der Auffassung, dass die Merkmale, die gegen eine abhängige Beschäftigung und für eine Tätigkeit sui generis sprechen, die sich eher im Bereich des Ehrenamts ansiedeln lässt (aber nicht vergleichbar mit "Ehrenbeamten"), überwiegen.

Das Ergebnis, dass weder eine Beschäftigung noch eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird, wird auch in der einschlägigen Kommentarliteratur vertreten (vgl. Stähr in: Hauck, SGB VIII, Lieferung 1/15, K § 39 Rn. 20d m.w.N.). Überdies wird es auch durch die Entscheidung des SG Dresden vom 15.11.2016 (S 33 R 773/12) gestützt, die der Kammer bei der Verkündung des hiesigen Urteils noch nicht vorlag. Im Fall des SG Dresden ging der Rentenversicherungsträger selbst davon aus, dass die Tätigkeit einer Bereitschaftspflegeperson nicht im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung erfolgt. Dort begehrte die Bereitschaftspflegeperson die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung. Das SG Dresden hat diesem Begehren insbesondere aufgrund des Umstands, dass die Klägerin (wie die hiesige Klägerin früher ebenfalls) gemeinsam mit ihrem Ehemann Vertragspartner gewesen ist sowie der niedrigen Vergütung, die eher einer Aufwandsentschädigung entspreche, nicht entsprochen.

Soweit die Beklagte der Auffassung war, dass das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14.10.2015 (L 8 R 480/12, www.sozialgerichtsbarkeit.de) auf den hiesigen Fall übertragbar sei und für eine abhängige Beschäftigung spreche, folgt die Kammer dem nicht. Der vom LSG NRW entschiedene Fall unterscheidet sich bereits schon deshalb wesentlich von dem hier zu entscheidenden Fall, weil die dortige Beigeladene als Einzelfallbetreuerin und nicht als Bereitschaftspflegeperson tätig gewesen ist. Die Einzelfallbetreuerin, die ausgebildete Erzieherin gewesen ist, betreute Kinder ab 9 Jahren und erhielt hierfür 100,00 EURO pro Tag und somit rund 4 x mehr als die Klägerin im hiesigen Fall. Ferner wurde der Vertrag mit ihr alleine und nicht – wie hier in der Vergangenheit – mit einer weiteren Person abgeschlossen. Auch die steuerrechtlichen Besonderheiten bestanden in dem vom LSG NRW entschiedenen Fall offenbar nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gegen das Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben. Da die Klage keine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, kommt es auf den Wert des Streitgegenstandes nicht an (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved