S 2 KA 328/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
2
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KA 328/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Streitig ist die Genehmigung der vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit in einer Zweigpraxis.

Die Klägerin ist Diplom-Pädagogin und als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit Vertragspsychotherapeutensitz in W (E), C1straße 00, niedergelassen. Sie erbringt Leistungen der Verhaltenstherapie.

Unter dem 21.12.2014, ergänzt durch Schreiben vom 26.01.2015, beantragte die Klägerin eine Zweigpraxisgenehmigung für W (V), Pweg 0 (ihre Privatanschrift), ca. 9 km von ihrem Praxissitz entfernt. Sie beabsichtige, dort eine Verhaltenstherapie für Kinder und Jugendliche mit integrierten tiergestützten Interventionen (Esel, Kaninchen, Katzen etc.) anzubieten. Zielgruppe für diese Interventionen seien Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 21 Jahren, die beispielsweise unter Depressionen, Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Anpassungsstörungen oder Essstörungen litten oder von ADHS betroffen seien. Da es sich um eine klassische Verhaltenstherapie in Anwesenheit von Tieren handele, beabsichtige sie auch, die Ziffern für Verhaltenstherapie abzurechnen (EBM-Nrn.: 23214, 23220, 35130, 35131, 35140, 35150, 35300, 35220, 35221). Die Erreichbarkeit für Patienten aus dem Stadtteil W werde verbessert. Es würden dieselben Patienten behandelt wie an ihrem Vertragspsychotherapeutensitz mit dem Unterschied, dass die W Patienten eine kürzere Anreise hätten.

Mit Bescheid vom 21.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab: Unter Berücksichtigung eines Versorgungsgrades im Planungsbereich W von 111,4 % habe ein Versorgungsbedarf nicht festgestellt werden können. Nach Kenntnis der Beklagten werde im Rahmen der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung der Einsatz von Tieren in der Verhaltenstherapie ggf. im Zusammenhang mit Angststörungen bzw. Phobien vor den betreffenden Tieren als anerkannte Methode betrachtet. Eine wissenschaftlich validierte Möglichkeit des von der Klägerin intendierten Einsatzes bei ADHS etc. werde nicht gesehen.

Hiergegen richtet sich die am 24.09.2015 erhobene Klage.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Bedarfsplanung und der Versorgungsgrad seien nicht maßgeblich. Qualitativ werde die Versorgung der Versicherten durch die geplante Zweigpraxis verbessert. Es gehe nicht um die Behandlung einer spezifischen Phobie gegenüber Tieren, sondern darum, auf der emotionalen Ebene Zugang zu den Patienten zu bekommen, damit sie es sich zutrauten, über die wirklich wichtigen emotionalen Belastungen, die zu der gezeigten psychischen Störung beitrügen, zu sprechen, damit diese verhaltenstherapeutisch behandelt werden könnten. Dies beziehe sich auf jede psychische Störung von Kindern und Jugendlichen, bei denen diese therapeutische Maßnahme indiziert sei. Eine Beschränkung des Einsatzes von Tieren ausschließlich im Zusammenhang mit Angststörungen bzw. Phobien vor diesen Tieren als anerkannte Methode sei nicht erkennbar. Dies ergebe sich u.a. aus einem Hygieneleitfaden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Zusammenarbeit mit sämtlichen Kassenärztlichen Vereinigungen. In diesem Leitfaden werde ausgeführt, die tiergestützte Psychotherapie spiele in manchen Psychotherapiepraxen eine bedeutende Rolle. Tiere, wie z.B. Hunde oder Katzen, würden dabei in psychotherapeutische Prozesse einbezogen. Auch PD T - Institut T GbR, Bad C2/Unterfranken - führe in Beantwortung einer seitens der Klägerin an ihn gerichteten Anfrage in seinem Fazit aus, vor allem in der neueren Literatur fänden sich strukturierte Studien, die klar einen Trend für die gute Wirkung der tiergestützten Therapie auf die Zielgruppe der klägerischen Praxis belegten. Dass die tiergestützte Therapie derzeit noch nicht anerkannt sei, ändere daran nichts.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2015 zu verurteilen, ihre - der Klägerin - Tätigkeit in einer Zweigpraxis unter der Anschrift -Pweg 0, 00000 W, gemäß des Antrages vom 21.12.2014 zu genehmigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt ihre Entscheidung.

Die KBV habe nochmals bestätigt, dass der Einsatz von Tieren bei der Richtlinientherapie weder in der Psychotherapie-Richtlinie noch in der Psychotherapie-Vereinbarung vorgesehen sei. Die zitierte Passage aus dem Hygiene-Leitfaden sei mit dem Referat Psychotherapie der KBV nicht abgestimmt worden und inhaltlich unzutreffend. Das Gutachten von PD T sei ohne Relevanz für das vorliegende Verfahren. Sein Verfasser sei Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie und kein Psychotherapeut. Zudem mache er Ausführungen zum Stand der medizinischen Wissenschaft in Bezug auf die tiergestützte Therapie, während vorliegend streitig sei, ob der Einsatz von Tieren eine vertragsärztliche Leistung sei.

Die Beigeladenen stellen keine Klageanträge.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)), da diese rechtmäßig sind. Rechtsfehlerfrei hat die Beklagte den Antrag auf Genehmigung ihrer Tätigkeit in einer Zweigpraxis abgelehnt.

Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung ist § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV, der seine gesetzliche Grundlage in § 98 Abs. 2 Nr. 13 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) hat. Nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV sind vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten zulässig, wenn und soweit (1.) dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und (2.) die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird. Bei Vorliegen der Voraussetzungen hat der Arzt Anspruch auf vorherige Genehmigung (§ 24 Abs. 3 Satz 5 Ärzte-ZV). Der Kassenärztlichen Vereinigung steht im Rahmen der von ihr zu erteilenden Genehmigung bei der Beurteilung, ob die Genehmigung zu einer Verbesserung bzw. Beeinträchtigung der Versorgung führen würde, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.

Was unter einer "Verbesserung der Versorgung" im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Ärzte-ZV zu verstehen ist und welche Gesichtspunkte in den Abwägungsprozess einzubeziehen sind, ist mehrfach Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung gewesen. Danach stellt das bloße Hinzutreten eines weiteren Behandlers - ungeachtet der damit verbundenen Erweiterung der Möglichkeiten der Arztwahl - noch keine Versorgungsverbesserung dar. Gesichtspunkte der Bedarfsplanung im Sinne der Bedarfsplanungsrichtlinie spielen keine Rolle. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es vielmehr, dass das bestehende Leistungsangebot an dem "weiteren Ort", an dem die Zweigpraxis betrieben werden soll, zum Vorteil für die Versicherten in qualitativer - unter bestimmten Umständen auch in quantitativer - Hinsicht erweitert wird (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 16.12.2015 - B 6 KA 37/14 R - m.w.N.).

Eine quantitative Versorgungsverbesserung kommt vorliegend nicht in Betracht. Denn insofern ist nicht entscheidend, dass durch die Errichtung einer Zweigpraxis die Erreichbarkeit für die Versicherten, die bereits Patienten des betreffenden Vertragsarztes bzw. Psychotherapeuten sind, verbessert wird. Vielmehr ist für die Beurteilung einer Verbesserung der Erreichbarkeit auf die an dem "weiteren Ort" lebenden Versicherten als solche abzustellen (BSG, Beschluss vom 06.02.2013 - B 6 KA 38/12 B -). In ihrem Antrag hatte die Klägerin aber angegeben, es würden dieselben Patienten behandelt wie an ihrem Vertragspsychotherapeutensitz mit dem Unterschied, dass die W Patienten eine kürzere Anreise hätten. Dieser Gesichtspunkt trägt eine Zweigpraxisgenehmigung nicht.

Eine qualitative Versorgungsverbesserung kann etwa dann gegeben sein, wenn der in der Zweigpraxis tätige Vertragsarzt im Vergleich zu den bereits vor Ort tätigen Ärzten über andere qualifikationsgebundene Genehmigungen nach § 135 Abs. 2 SGB V verfügt, ein differenzierteres Leistungsspektrum anbietet oder wenn er eine besondere Untersuchungs- oder Behandlungsmethode anwenden kann, die etwa besonders schonend ist oder bessere Diagnoseergebnisse liefert (BSG, Urteil vom 16.12.2015 - B 6 KA 37/14 R -). Vergleichbares muss auch für psychotherapeutische Leistungen gelten.

Nach ihrem Vortrag beabsichtigt die Klägerin, in ihrer Zweigpraxis klassische Verhaltenstherapie durchzuführen und hierfür die Ziffern für Verhaltenstherapie abzurechnen (EBM-Nrn.: 23214, 23220, 35130, 35131, 35140, 35150, 35300, 35220, 35221). Die Anwesenheit von Tieren diene dazu, auf der emotionalen Ebene Zugang zu den Patienten zu erhalten, damit diese sich öffneten und dann entsprechend verhaltenstherapeutisch behandelt werden könnten.

Der Klägerin ist ohne Weiteres dahin zu folgen, dass besonders wichtig und Voraussetzung für das Gelingen einer Psychotherapie und deren Erfolg immer die Beziehung zwischen der Therapeutin und dem Patienten ist. Dies bedeutet, dass "die Chemie" stimmen muss, dass sich alle beteiligten Parteien wohl fühlen. Bei Kindern und Jugendlichen braucht es oft einige Zeit, um Vertrauen zu fassen und über Schwierigkeiten zu sprechen, da Kinder und Jugendliche nicht immer einen sog. "Leidensdruck" haben. Deshalb erfolgt regelmäßig zu Beginn einer Therapie eine ausgiebige Kennenlernphase, in der der Beziehungsaufbau im Vordergrund steht.

Während bei Erwachsenen der Beziehungsaufbau überwiegend in Form von Gesprächen abläuft, ist bei Kindern und Jugendlichen der Zugang über das Sprechen oft nicht der richtige Weg. Insofern gibt es verschiedene andere Zugangsmöglichkeiten. Vielfach arbeiten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten an dieser Stelle mit symbolischen und spielerischen Therapieelementen, beispielsweise mit Zeichnungen oder Formen der Beziehungsarbeit, die die Sinne der Kinder anspricht. So lassen sich z.B. im Spiel viele Handlungs- und Denkmuster eines Kindes erkennen, es zeigt oft auch seine emotionale Seite, seine Interessen und den sozialen Umgang im Spiel. Auch der Umgang mit Tieren, wie von der Klägerin beabsichtigt, mag den Zugang zu Kindern und Jugendlichen erleichtern.

Jede(r) kindliche und jugendliche Patient(in), jede(r) Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut(in) und jede Kennenlern-, Diagnose- und Therapiesituation ist jedoch individuell und mit anderen nicht zu vergleichen. Insofern ist bei richtlinienkonformem Vorgehen nicht davon auszugehen, dass eine Zugangseröffnung zu den Patienten bzw. Untersuchungs- und Behandlungsweise qualitativ besser als eine andere ist. Anderenfalls hätte dies zur Folge, dass bei allen Verhaltenstherapien im Rahmen der Psychotherapie-Richtlinien qualitative Binnendifferenzierungen und Bewertungen angestellt werden müssten und eine Vielzahl von Zweigpraxen genehmigt werden müsste, weil an einem "weiteren Ort" z.B. ein bestimmtes spielerisches oder symbolisches Therapieelement von den dortigen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nicht verwendet wird. Nicht anders verhält es sich mit dem Einsatz von Tieren in den von der Klägerin genannten Situationen. Eine "qualitative Versorgungsverbesserung" im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV vermochte die Kammer daher nicht zu erkennen.

Unbeschadet der generellen Frage, inwieweit der Einsatz von Tieren in der vertragspsychotherapeutischen Versorgung wissenschaftlich validiert ist, stellt sich die Ablehnung einer Zweigpraxisgenehmigung im Ergebnis als zutreffend dar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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