L 4 AS 271/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 23 AS 3912/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 271/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Juni 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwal-tungsakt (im Folgenden Eingliederungsverwaltungsakt).

Der 1976 geborene Kläger steht im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er hat eine Ausbildung zum Bürokaufmann abgeschlossen. Seit 2000 arbeitete er gelegentlich ohne Ausbildung im Bereich Web Design. Bewerbungen für dieses Tätigkeitsfeld waren seit 2008 nicht mehr erfolgreich. Ein vom Beklagten vorgeschlagenes individuelles Coaching zur Überwindung von Einstellungshemmnissen lehnte der Kläger 2014 ab. Anlässlich eines Gespräches am 21. Mai 2015 bot der Beklagte dem Kläger die Teilnahme an der Maßnahme Perspektive Beruf Plus (Büro/Handel/Verkauf einschließlich Internetauktionshandel) bei der S. in Vollzeit an und legte ihm eine entsprechende Eingliederungsvereinbarung vor, die der Kläger zunächst prüfen wollte. Nachdem der Kläger den Abschluss der Eingliederungsvereinbarung beim nächsten Gespräch am 9. Juni 2015 abgelehnt hatte, erließ der Beklagte am gleichen Tag einen diese ersetzenden Bescheid mit der Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an der genannten Maßnahme in dem Zeitraum vom 16. Juni 2015 bis zum 15. März 2016 bei Übernahme der Kosten durch den Beklagten. Der Maßnahmeträger erhielt Zugriff auf die Bewerberdaten des Klägers (V.) und sollte dem Kläger u.a. Arbeitsangebote unterbreiten. Es folgte eine Belehrung über die Rechtsfolgen von Pflichtverstößen im Zusammenhang mit den Eingliederungsleistungen und bei Ortsabwesenheit.

In seinem am 29. Juni 2015 erhobenen Widerspruch führte der Kläger aus, die Eingliede-rungsvereinbarung habe nicht durch einen Verwaltungsakt ersetzt werden dürfen. Der Beklagte sei zum Erlass des Bescheides nicht berechtigt. Eine Eingliederungsvereinbarung müsse ferner auf die individuellen Bedarfe des Leistungsberechtigten abgestimmt sein. Die Regelung zur Übernahme von Bewerbungskosten sei zu allgemein gehalten. Der Beklagte könne keine einseitige Bestimmung der Gültigkeitsdauer der Eingliederungsvereinbarung herbeiführen. Die Speicherung und Weitergabe von ihm unbekannten Daten im Rahmen des beim Beklagten genutzten Bewerberprofils verstoße gegen sein informationelles Selbstbestimmungsrecht und das Bundesdatenschutzgesetz. Die angedrohten Sanktionen gefährdeten das Existenzminimum. Die Ausführungen zur Ortsabwesenheit seien überflüssig, weil sie sich aus dem Gesetz ergäben. Die Rechtsfolgenbelehrung sei zu unbestimmt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Dem Kläger sei erläutert worden, dass die Loslösung aus dem Hilfebezug und die Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt im Vordergrund stünden. Ihm seien konkrete, zur Erreichung des Ziels zweckmäßige Leistungen angeboten worden. Dem Kläger sei es trotz regelmäßiger Bemühungen nicht gelungen, eine Arbeit aufzunehmen. Die Teilnahme an der Maßnahme sei ihm zumutbar. Auf den Erlass der Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt habe nicht ausnahmsweise verzichtet werde können, weil keine atypische Situation gegeben sei. Die Ausführungen des Klägers zu den Bewerbungskosten seien nicht von Bedeutung, weil hierzu gar keine Regelung getroffen worden sei; die Kosten seien vom Träger der Maßnahme zu zahlen. Im Bewerberprofil würden die Daten anonymisiert veröffentlicht. Soweit der Beklagte Daten an den Maßnahmeträger weitergebe, erfolge dies auf der Grund-lage von § 50 Abs. 1 SGB II. Der Regelfall der Geltungsdauer einer Eingliederungsvereinbarung von sechs Monaten sei vorliegend überschritten worden, weil die Maßnahme auf neun Monate angelegt sei.

Am 14. Oktober 2015 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung auf das Widerspruchsverfahren verwiesen. Er sieht seine Wünsche und Einwände nicht hinreichend berücksichtigt und hält die Maßnahme nicht für geeignet. Der Beklagte ist der Klage unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid entgegengetreten.

Mit Gerichtsbescheid vom 16. Juni 2016 hat das Sozialgericht Hamburg die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Klage sei unzulässig. Nach Ablauf des Geltungszeitraums des Eingliederungsverwaltungsaktes bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis mehr.

Gegen den ihm am 21. Juni 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 19. Juli 2016 Berufung eingelegt. Er habe rechtzeitig Klage erhoben und erwartet, dass das Gericht alsbald einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaume. Er bitte um Zulassung der Revision, weil er die Probleme mit Eingliederungsvereinbarungen, Sanktionen und Einladungen gerne beim Bundessozialgericht in einem Verfahren klären würde. Der Beklagte hält den Gerichtsbescheid für zutreffend.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20. Dezember 2016 ist der Kläger auf die Möglichkeit der Umstellung des Begehrens auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage hingewiesen worden.

Der Kläger beantragt nunmehr,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Juni 2016 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid des Beklagen vom 9. Juni 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2015 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er bestreitet ein hinreichendes Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers.

Mit Beschluss vom 24. August 2015 hat der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Berichterstatterin übertragen, die zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Sitzungsniederschrift, die Prozessakte und die in der Sitzungsniederschrift genannten Unterlagen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen hat.

Die Berufung ist statthaft gemäß §§ 143 und 144 SGG und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist aber unbegründet.

Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei Klagen gegen Eingliederungsverwaltungsakte, deren Geltungsdauer bereits abgelaufen ist (vgl. BSG vom 14.02.2013 – B 14 AS 195/11 und BSG vom 15.06.2016 – B 4 AS 45/15 R) bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage. Der Eingliederungsverwaltungsakt des Beklagten vom 9. Juni 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2015 ist aber rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben.

Gemäß § 15 Abs. 1 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung vom 13. Mai 2011 soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. Die Eingliederungsvereinbarung soll u.a. insbesondere bestimmen, welche Leistungen die oder der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält, und welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind. Die Eingliederungsvereinbarung soll für sechs Monate geschlossen werden. Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die Regelungen nach Satz 2 durch Verwaltungsakt erfolgen.

Der Beklagte, der nach § 44b Abs. 1 Satz 2 SGB II für die Wahrnehmung der Aufgaben der Agentur für Arbeit zuständig ist, war berechtigt, die Eingliederungsvereinbarung durch einen Eingliederungsverwaltungsakt zu ersetzen. In der Rechtsprechung wird zum Teil vertreten, der Grundsicherungsträger könne die Alternative des Bescheiderlasses schon dann wählen, wenn es ihm als der besser geeignete Weg erscheine (vgl. BSG vom 22.09.2009 – B 4 AS 13/09 R). In seiner Entscheidung vom 14. Februar 2013 hat der 14. Senat des BSG dagegen den Vorrang der Eingliederungsvereinbarung betont und ausgeführt, ein die Eingliederungsvereinbarung ersetzender Verwaltungsakt komme nur in Betracht, wenn der Grundsicherungsträger zuvor den Versuch unternommen habe, mit dem Arbeitsuchenden eine Vereinbarung zu schließen (B 14 AS 195/11 R). Auch diese strengeren Voraussetzungen liegen hier vor, denn der Einigungsversuch des Beklagten ist gescheitert. Der Kläger hatte zwischen den beiden Gesprächsterminen fast drei Wochen Zeit, die vorgeschlagene Eingliederungsvereinbarung zu prüfen, hat aber auch in dem zweiten Termin keine Änderungsvorschläge geäußert, sondern sich auf die Ablehnung beschränkt. Ein weiterer Versuch der Einigung barg somit keine Aussicht auf Erfolg und war nicht notwendig.

Auch inhaltlich begegnet der Eingliederungsverwaltungsakt keinen Bedenken. Als zentrales Instrument der Eingliederung gerade auch von Langzeitarbeitslosen erfordert die Eingliederungsvereinbarung eine Erhebung der konkreten Bedarfslage und daraus folgend ein individuelles Angebot mit einer maßgeschneiderten Ausrichtung der Eingliederungsleistungen einerseits sowie die Bestimmung der Anstrengungen, die vom Leistungsberechtigten zu unternehmen sind, andererseits. Eine Eingliederungsvereinbarung, die auf die Festlegung konkreter Eingliederungsleistungen verzichtet und sich auf die Verpflichtung zu Eigenbemühungen reduziert, ist ermessensfehlerhaft (vgl. BSG vom 23.06.2016 – B 14 AS 42715 R). Den damit formulierten Anforderungen an Individualisierung und Ausgewogenheit entspricht der angefochtene Eingliederungsverwaltungsakt. Maßgeblicher Inhalt des Eingliederungsverwaltungsaktes ist die Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an der ihm angebotenen Maßnahme. Diese setzt an der vom Kläger abgeschlossenen Berufsausbildung an und dient ersichtlich dem Versuch, einen (Wieder-)Einstieg in das kaufmännische Berufsfeld und die Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Als Vollzeitmaßnahme über einen Zeitraum von neun Monaten bietet sie darüber hinaus die Chance, die Entwöhnung des Klägers vom Arbeitsleben zu überwinden. Mangels Ausbildung und angesichts der in den letzten Jahren erfolglosen Bewerbungen im vom Kläger bevorzugten Bereich Webdesign scheint ein Eingliederungsversuch in diesem Tätigkeitsfeld weniger erfolgversprechend als im kaufmännischen Bereich. Der Verpflichtung zur Teilnahme an der Maßnahme steht die Übernahme der Kosten hierfür gegenüber, deren fehlende Bezifferung unschädlich ist. Die Kosten der Maßnahme werden vom Beklagten unmittelbar an den Träger der Maßnahme überwiesen, welcher die Kosten für mögliche Bewerbungen des Klägers übernimmt; eine Inanspruchnahme des Klägers scheidet von vornherein aus. Daher kann der Kläger mit seinem Vortrag, die Kostenregelung sei zu allgemein gehalten, nicht durchdringen. Die Rechtsprechung zur Konkretisierung von Kosten bezieht sich nämlich auf die Höhe von Bewerbungskosten und damit auf die Frage, welche Kosten der Leistungsempfänger gegebenenfalls zu verauslagen hat (vgl. etwa BSG vom 23.06.2016 – B 14 AS 42715 R). Regelungen zu Eigenbemühungen in Form von Bewerbungen finden sich aber in dem streitgegenständlichen Eingliederungsverwaltungsakt gar nicht.

Der Beklagte hat mit der Verpflichtung zur einer neun Monate dauernden Maßnahme die Vorgaben des § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II nicht überschritten. Die dort genannten sechs Monate, für die eine Eingliederungsvereinbarung geschlossen werden soll, bestimmen lediglich den Regelfall ("soll") und lassen andere Regelungen zu. Hier liegt mit dem Umstand, dass die Maßnahme vom Träger – möglicherweise gerade im Hinblick auf die Zielgruppe der Langzeitarbeitslosen – so gestaltet und für den Kläger auch durchaus sinnvoll ist, ein hinreichender Grund vor, die Regeldauer zu überschreiten.

Bei den vom Kläger beanstandeten Ausführungen des Beklagten in der Rechtsfolgenbelehrung des angefochtenen Bescheids zu möglichen Sanktionen sowie zur Ortsabwesenheit handelt es sich um allgemeine Hinweise, die der Aufklärung und Warnung des Klägers dienen. Eine Rechtsfolge ist damit nicht verbunden, eine Beschwer des Klägers diesbezüglich nicht gegeben.

Im Hinblick auf die gerügte Übermittlung von Daten des Klägers hat sich der Beklagte zu Recht auf § 50 Abs. 1 SGB II gestützt. Danach sollen sich die zuständigen Träger und Stellen und mit der Wahrnehmung von Aufgaben beauftragte Dritte gegenseitig Sozialdaten übermitteln, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig ist. Der Beklagte hat als zuständiger Träger die Erbringung der Eingliederungsleistungen für den Kläger an den Maßnahmeträger als Dritten übertragen (§ 17 SGB II) und ihm daher die notwendigen Daten des Klägers übermittelt. Das Auskunftsrecht nach § 83 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch eröffnet dem Kläger die Möglichkeit, in Erfahrung zu bringen, welche Daten von ihm gespeichert sind. Ein Verstoß gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Klägers oder das Bundesdatenschutzgesetz ist nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere ist – trotz des klägerischen Wunsches der Erörterung von Eingliederungsvereinbarungen, Sanktionen und Einladungen beim Bundessozialgericht – nicht vorgetragen, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Eine grundsätzliche Bedeutung ist im Übrigen auch nicht erkennbar. Die relevanten Rechtsfragen sind geklärt.
Rechtskraft
Aus
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