S 5 AL 2978/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 2978/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Arbeitsloser hat einen gebundenen Anspruch auf Zustimmung zur Ortsabwesenheit, wenn durch die vorübergehende Abwesenheit seine berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird; der Agentur für Arbeit steht dann kein Ermessen zu.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 21.7.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.8.2016 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten. 3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld wegen Ortsabwesenheit.

Nachdem sich der Kläger am 9.5.2016 arbeitslos gemeldet hatte, bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 25.5.2016 Arbeitslosengeld für die Zeit vom 9.5.2016 – 7.1.2017 in Höhe von 24,14 EUR pro Tag.

Bei einem Gespräch am 29.6.2016 teilte der Kläger der Beklagten mit, er wolle vom 1. – 16.7.2016 verreisen. Die Beklagte erteilte ihm hierzu keine Zustimmung. Dennoch hielt sich der Kläger ab dem 1.7.2016 im Ausland auf.

Mit Bescheid vom 21.7.2016 hob die Beklagte daraufhin die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 1.7.2016 auf. Zur Begründung gab sie an, der Kläger sei ab diesem Zeitpunkt ortsabwesend und daher gemäß § 138 Abs. 5 Nr. 2 SGB III nicht mehr arbeitslos.

Nachdem sich der Kläger am 21.7.2016 erneut arbeitslos gemeldet hatte, bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 26.7.2016 ab dem 21.7.2016 wieder Arbeitslosengeld.

Am 1.8.2016 legte der Kläger gegen den Aufhebungsbescheid der Beklagten Widerspruch ein. Er machte geltend, er habe rechtzeitig eine Zustimmung der Beklagten zur Ortsabwesenheit beantragt. Die Entscheidung der Beklagten, der Ortsabwesenheit nicht zuzustimmen, sei ermessensfehlerhaft: Durch die Zeit seiner Abwesenheit sei die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt worden. Denn zum einen habe er sich stets ernsthaft um einen neuen Job bemüht; zum anderen habe er seinerzeit bereits eine neue Beschäftigung ab August in Aussicht gehabt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.8.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, arbeitslos sei gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III nur, wer den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht. Dazu gehöre gemäß § 138 Abs. 5 Nr. 2 SGB III die Möglichkeit, Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge zu leisten. Halte sich der Arbeitslose nicht an seinem Wohnsitz oder im Nahbereich der Agentur für Arbeit auf, stehe dies gemäß § 3 Abs. 1 EAO der Verfügbarkeit bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen – vorausgesetzt, die Agentur für Arbeit habe vorher ihre Zustimmung erteilt. Die Zustimmung dürfe nur erteilt werden, wenn durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird. Der Kläger habe sich ab dem 1.7.2016 im Ausland aufgehalten. Sie, die Beklagte, habe dem nicht zugestimmt; nachträglich könne die Zustimmung nicht mehr erteilt werden. Es sei nicht maßgeblich, weshalb sie der Ortsabwesenheit nicht zugestimmt hat. Allein die Aussicht auf eine Arbeitsaufnahme mache die weitere Verfügbarkeit jedenfalls nicht entbehrlich. Vor diesem Hintergrund habe dem Kläger ab dem 1.7.2016 kein Arbeitslosengeld mehr zugestanden. Auch die Voraussetzungen des § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X für eine rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheids seien erfüllt. Denn der Kläger habe wissen müssen, dass sein Anspruch auf Arbeitslosengeld entfallen ist: Bei seiner Arbeitslosmeldung habe der Kläger das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten. Im Merkblatt finde sich u.a. der Hinweis, dass Ortsabwesenheit der vorherigen Zustimmung der Agentur für Arbeit bedarf und dass bei einer Reise ohne Zustimmung die Bewilligung von Arbeitslosengeld aufgehoben wird.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der am 2.9.2016 erhobenen Klage. Er betont nochmals, er habe seine berufliche Eingliederung mit Nachdruck vorangetrieben. So habe er z.B. bei dem Gespräch am 29.6.2016 der Beklagten eine lange Liste mit Nachweisen für Bewerbungen vorgelegt; dies habe die Beklagte selbst in einem Vermerk festgehalten. Im Rahmen seines Auslandsaufenthalts ab dem 1.7.2016 habe er an einer Schulung teilgenommen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 21.7.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.8.2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat nicht weiter zur Sache vorgetragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1) Die Klage ist zulässig und begründet. Denn der angefochtene Bescheid vom 21.7.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Zu Unrecht hat die Beklagte den Bescheid über die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 1.7.2016 aufgehoben.

Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung nach § 48 Abs. 1 SGB X kommt nur in Betracht, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine Änderung ist "wesentlich", wenn die Behörde den Verwaltungsakt nun (so) nicht mehr erlassen dürfte (K. Lang / Waschull in: LPK-SGB X, 4. Aufl., § 48 Rdnr. 31).

Im vorliegenden Fall haben sich die Verhältnisse zum 1.7.2016 nicht wesentlich geändert. Denn der Kläger hatte weiterhin einen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Zwar war er ab dem 1.7.2016 vorübergehend ortsabwesend. Seiner Verfügbarkeit stand dies allerdings nicht entgegen; denn die Beklagte hätte der Ortsabwesenheit zustimmen müssen:

Einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat nur, wer Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann (§ 138 Abs. 5 Nr. 2 SGB III). Dies setzt voraus, dass sich der Arbeitslose an seinem Wohnsitz oder zumindest im Nahbereich der Agentur für Arbeit aufhält. Zum Nahbereich gehören alle Orte in der Umgebung der Agentur für Arbeit, von denen aus der Arbeitslose erforderlichenfalls in der Lage wäre, die Agentur für Arbeit täglich ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen (§ 2 S. 1 Nr. 3 und S. 2 EAO). Erfüllt der Arbeitslose diese Voraussetzungen nicht, steht dies der Verfügbarkeit bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen, wenn die Agentur für Arbeit vorher ihre Zustimmung erteilt hat. Die Zustimmung darf jeweils nur erteilt werden, wenn durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird (§ 3 Abs. 1 EAO). Hinsichtlich der Frage, ob eine Beeinträchtigung der beruflichen Eingliederung vorliegt, steht der Agentur für Arbeit ein Beurteilungsspielraum zu, der nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterliegt (Hölzer in: Gagel, SGB II / SGB III § 138 SGB III Rdnr. 275). Die Agentur für Arbeit muss prüfen, ob in der Zeit der geplanten Abwesenheit konkrete Möglichkeiten für eine berufliche Eingliederung bestehen, z.B. offene Stellenangebote, auf die sich der Arbeitslose bewerben könnte, oder eine anstehende Weiterbildung, die während der geplanten Abwesenheit beginnt (Söhngen in: Eicher, SGB III, § Jahr 119 Rdnr. 149); berücksichtigen muss sie auch, wie wahrscheinlich eine Vermittlung gerade im Zeitraum der Abwesenheit ist (Gutzler in: NK-SGB III, 5. Aufl., § 138 Rdnr. 188). Wird durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt, hat der Arbeitslose einen Anspruch auf Zustimmung zur Ortsabwesenheit; der Agentur für Arbeit steht dann kein Ermessen zu (Söhngen, a.a.O., Rdnr. 150; Gutzler, a.a.O.; Brand in: Brand, SGB III, 7. Aufl., § 138 Rdnr. 87).

Nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung hielt sich der Kläger ab dem 1.7.2016 in Österreich auf, also außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs. Da er sich am 21.7.2016 wieder arbeitslos meldete, dauerte die Ortsabwesenheit keinesfalls länger als drei Wochen. Rechtzeitig vor seinem Auslandsaufenthalt, am 29.6.2016, hatte er die Beklagte von der geplanten Reise informiert und sie um Zustimmung gebeten. Zwar hat die Beklagte seinerzeit nicht zugestimmt; allerdings wäre sie hierzu verpflichtet gewesen: Die Beklagte irrt, wenn sie meint, es sei nicht maßgeblich, weshalb sie der Ortsabwesenheit des Klägers nicht zugestimmt hat (so Seite 3 des Widerspruchsbescheids). Wie erwähnt, darf sie ihre Zustimmung nur aus einem Grund versagen, nämlich wegen der Beeinträchtigung der beruflichen Eingliederung durch die Abwesenheitszeit. Ein Mitarbeiter der Beklagten – wohl Herr K. – hat zwar am 29.6.2016 in einem Vordruck angekreuzt, es bestünden Aussichten auf berufliche Eingliederung des Klägers, so dass Verfügbarkeit während der Abwesenheit nicht anerkannt werden kann (Ziff. 3.1 des Formulars auf Seite 81 der Verwaltungsakte). Dies vermag die Kammer aber nicht zu überzeugen. Der Kläger hatte damals schon ein neues Arbeitsverhältnis vereinbart, beginnend mit dem 15.8.2016. Angesichts dessen hätte ab dem 1.7.2016 eine Vermittlung nur noch in eine Beschäftigung erfolgen können, die lediglich wenige Wochen dauert. Solche Beschäftigungen werden eher selten angeboten. Bei dem Gespräch am 29.6.2016 hatte Herr K. dem Kläger auch nichts dergleichen für die Zeit der geplanten Abwesenheit in Aussicht gestellt (vgl. den Vermerk auf Seite 94 der Verwaltungsakte). Der Vermerk legt vielmehr die Vermutung nahe, Herr K. habe sich bei seiner Entscheidung, der Ortsabwesenheit nicht zuzustimmen, von sachfremden Erwägungen leiten lassen: In den ersten drei Sätzen des Vermerks schildert Herr K. das (aus seiner Sicht) suboptimale Bewerbungsverhalten des Klägers und führt anschließend aus, "deshalb" sei es nicht möglich, dass der Kläger während seiner Ortsabwesenheit Arbeitslosengeld bekommt. Mit der Entscheidung über die Zustimmung soll die Agentur für Arbeit indes kein vergangenes Geschehen sanktionieren, sondern die Vermittlungschancen in naher Zukunft bewerten. Hier bestanden keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme, durch die vom Kläger angezeigte Ortsabwesenheit werde seine berufliche Eingliederung beeinträchtigt.

War mithin die Beklagte verpflichtet, die vom Kläger rechtzeitig beantragte Zustimmung zu erteilen, so ist er nun so zu stellen, als hätte die Beklagte dem Auslandsaufenthalt zugestimmt. Nur auf diese Weise lässt sich der durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Anspruch des Klägers auf effektiven Rechtsschutz realisieren. Denn ein isoliertes Rechtsmittel allein gegen die Ablehnung der Zustimmung käme praktisch immer zu spät. Angesichts dessen muss es dem Arbeitslosen möglich sein, die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung über die Zustimmung inzident gerichtlich prüfen zu lassen, etwa – wie hier – in einem Verfahren betreffend die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld.

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

3) Für Juli 2016 hat die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld bisher nur für 11 Tage gezahlt. Infolge der gerichtlichen Aufhebung des Aufhebungsbescheids hat der Kläger einen Anspruch auf Arbeitslosengeld für den gesamten Monat, gerechnet mit 30 Tagen (§ 339 S. 1 SGB III), also für weitere 19 Tage. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt demzufolge 458,66 EUR (19 Tage x 24,14 EUR). Angesichts dessen ist gemäß § 144 Abs. 1 SGG die Berufung nicht statthaft. Es besteht kein Grund, gemäß § 144 Abs. 2 SGG die Berufung zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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