L 13 AS 3192/16 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 1782/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 3192/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Das Sozialgericht hat über einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs. 2 S. 2 SGG auch dann durch Urteil zu entscheiden, wenn es ihn für nicht fristgerecht erachtet (zum unstatthaften Antrag siehe bereits Urteil des erkennenden Senats vom 28.8.2014, L 13 AS 3162/14, Juris).

Bevor ein Gericht eine öffentliche Zustellung an den Kläger vornimmt, muss es Nachforschungen anstellen, ob dieser bei demselben Gericht weitere Verfahren betreibt und ob gegebenenfalls bei einem anderen Spruchkörper Erkenntnisse über dessen Aufenthaltsort vorliegen.

Eine fehlerhafte öffentliche Zustellung löst den Lauf der einmonatigen Frist (Lüdt-ke/Berchtold, SGG; § 105 Rn. 15) zur Stellung des Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht aus (vgl. BSG, Beschluss vom 24.3.2015, B 8 SO 73/14 B, Juris).

Dem Senat ist es verwehrt, in der (Haupt-) Sache zu entscheiden, wenn lediglich ein statthafter Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung streitbefangen ist.

Der Senat hat nicht nur den Beschluss des SG aufzuheben, sondern auch festzustellen, dass der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gilt, wenn der Antrag auf mündliche Verhandlung rechtzeitig gestellt ist, auch wenn sich diese Rechtsfolge unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut ergibt.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. August 2016 aufgehoben.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2015 gilt als nicht ergangen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich mit einer Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe (SG) vom 9. August 2016, mit dem der Antrag des Klägers vom 5. August 2016 auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Anschluss an den ergangenen Gerichtsbescheid vom 29. September 2015 verworfen worden ist, weil der Antrag verfristet sei.

Der Kläger erhielt vom Beklagten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II); mit Bescheid vom 16. Januar 2015 bewilligte er Leistungen vom 16. Dezember 2014 bis 31. Mai 2015 sowie mit Bescheid vom 4. Mai 2015 Leistungen vom 1. Juni 2015 bis 31. Mai 2016. Mit Bescheid vom 19. Februar 2015 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers vom 10. Februar 2015 auf Gewährung eines Mehrbedarfs für Ernährung für die Zeit vom 16. Dezember 2014 bis 31. Mai 2015 ab. Den am 12. März 2015 hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. Mai 2015 zurück.

Am 2. Juni 2015 erhob der Kläger unter der Anschrift M.-straße x, xxxxx R., Klage. Mit gerichtlicher Verfügung vom 3. Juni 2015 forderte das SG den Kläger auf, jede Änderung seiner Anschrift umgehend dem Gericht mitzuteilen. Der zwischenzeitlich beauftragte Prozessbevollmächtigte beantragte, den Ablehnungsbescheid vom 19. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 4. Mai 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, an den Kläger Leistungen für Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung gemäß Anweisung des Gerichts zu bewilligen. Nachdem der Kläger seinen Bevollmächtigten das Mandat entzogen hatte, bat der Kläger um Übersendung aller Mitteilungen an seine - eingangs genannte - Anschrift. Mit Beschluss vom 4. August 2015 lehnte das SG die beantragte Prozesskostenhilfe ab. In der diesbezüglichen Postzustellungsurkunde war ausgeführt, dass der Kläger unbekannt verzogen sei. Das SG veranlasste noch eine Behördenauskunft, wonach der Kläger in die R. Föderation verzogen sei. Das SG informierte die Beteiligten über seine Absicht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Dieses Hinweisschreiben wurde dem Kläger öffentlich zugestellt. Mit Beschluss vom 25. August 2015 wurde die öffentliche Zustellung bewilligt und am selben Tag eine Benachrichtigung an der Gerichtstafel ausgehängt (siehe Blatt 109 der SG-Akten). Mit Gerichtsbescheid vom 29. Dezember 2015 wies das SG die Klage auf Gewährung eines monatlichen Mehrbedarfs wegen einer kostenaufwendigen Ernährung für die Zeit von Dezember 2014 bis Mai 2015 als unbegründet ab. In Folge der fehlenden näheren Darlegung des Ausgabeverhaltens des Klägers sei auch nicht erkennbar, inwieweit in der streitigen Zeit ein Mehrbedarf vorliege, welcher den Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in Höhe von 750 EUR überschreite, weshalb den Beteiligten entweder die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung oder der Antrag auf mündliche Verhandlung zustehe; wegen der weiteren Einzelheiten der Rechtsmittelbelehrung wird auf Blatt 112 der SG-Akte verwiesen. Mit Beschluss des SG vom 30. September 2015 wurde die öffentliche Zustellung bewilligt. Die Benachrichtigung über eine öffentliche Zustellung (siehe Blatt 116 der SG-Akten) wurde am 1. Oktober 2015 an der Gerichtstafel ausgehängt und am 2. November 2015 wieder abgenommen.

Unter der Anschrift D.-Straße x, xxxxx W. hat sich der Kläger am 25. Juli 2016 an das SG gewandt und um eine Antwort gebeten. Mit Schreiben vom 27. Juli 2016 hat das SG den Kläger darauf hingewiesen, dass das Verfahren mit Gerichtsbescheid vom 29. September 2015 beendet worden sei und als erledigt gelte. Der Gerichtsbescheid wurde in Kopie als Anlage übersandt. Am 9. August 2016 hat der Kläger Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt und geltend gemacht, dass ihm ein Mehrbedarf zustünde. Er habe wegen seiner Rückkehr nach R. rechtzeitig das Sozialgericht, wie auch die 14. Kammer, darüber informiert. Mit Beschluss vom 9. August 2016, dem Kläger am 11. August 2016 zugestellt (siehe Postzustellungsurkunde Blatt 142 der SG-Akte), hat das SG den Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung abgelehnt, da er nicht rechtzeitig innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids gestellt worden sei. Der Gerichtsbescheid sei mittels eines am 30. September 2015 erfolgen Aushanges am 30. Oktober 2015 öffentliche zugestellt worden, weshalb der am 9. August 2016 gestellte Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung außerhalb der maßgeblichen Monatsfrist (30. November 2015) gestellt worden sei. Die öffentliche Zustellung habe erfolgen dürfen, nachdem dem Gericht der Aufenthaltsort des Klägers unbekannt gewesen sei. Entgegen seinem Vorbringen habe er auch der erkennenden Kammer die neue Anschrift nicht mitgeteilt. Gründe für eine Wiedereinsetzung seien nicht ersichtlich, da die Fristversäumnis allein auf den Umstand beruhe, dass der Kläger seine neue Anschrift nicht mitgeteilt habe, obwohl er in der Eingangsverfügung auf die Notwendigkeit hingewiesen worden sei.

Am 17. August 2016 hat der Kläger Beschwerde zum SG erhoben und vorgetragen, die Frist könne erst mit Eingang des Schreibens des SG beginnen, mit dem der Gerichtsbescheid übersandt worden sei, nämlich am 29. Juli 2016. Er habe die Kammer über die neue Anschrift informiert, auch hätten verschiedene Behörden wie auch sein damaliger Rechtsanwalt seine Anschrift in R. gekannt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. August 2016 aufzuheben sowie festzustellen, dass der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 29. September 2015 als nicht ergangen gilt.

Der Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Beteiligten wurden darauf hingewiesen, dass der Senat zwar der Auffassung ist, dass das SG hätte durch Urteil entscheiden müssen, dass die Beschwerde aber dennoch zulässig sei. Dennoch habe der Senat durch Urteil zu entscheiden.

Der Senat hat durch Beiziehung der Akten des SG S 14 R 228/15 ermittelt, dass der Kläger am 5. August 2015 dem SG zu diesem Az die neue Anschrift in R. mitgeteilt hat (Blatt 96 dieser SG-Akten).

Entscheidungsgründe:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des SG vom 9. August 2016 ist zulässig und begründet.

Die Beschwerde ist fristgerecht, und auch im Übrigen zulässig. Bedenken gegen die Statthaftigkeit der Beschwerde bestehen nicht, obwohl das SG über den Antrag auf mündliche Verhandlung durch Urteil hätte entscheiden müssen.

Gem. § 105 Abs. 1 SGG kann das Gericht (im Folgenden ist nur der Regelfall, das SG, gemeint) durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten aufweist und die Beteiligten gehört wurden. Nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG kann (anschließend) mündliche Verhandlung beantragt werden, wenn die Berufung nicht gegeben ist. Nach § 105 Abs. 3 SGG wirkt der Gerichtsbescheid als Urteil und gilt als nicht ergangen, wenn rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt wird. Nach § 105 Abs. 4 SGG kann das SG in dem Urteil von einer weiteren Darstellung absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheides folgt und dies feststellt.

Zwar wird vertreten, dass das SG durch Beschluss entscheiden könne, da es dem mit dem Gerichtsbescheid intendierten Entlastungszweck widerspräche, wollte man die Entscheidung in der Hauptsache durch Gerichtsbescheid zulassen, demgegenüber aber bei unzulässigem Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine solche mündliche Verhandlung verlangen (vgl. Bienert, SGB 2014, 365, 372 m.w.N.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 105 Rdnr. 24f; Lüdtke/Berchtold, Kommentar zum SGG, 5. Auflage, § 105 Rdnr. 18; Breitkreuz/Fichte, Kommentar zum SGG, 2. Auflage, § 105 Rdnr. 6; Hinz/Lowe, § 105 Rdnr. 25; Roos/Wahrendorf, § 105 SGG Rdnr. 43; Landesozialgericht für das Land Niedersachsen, Beschluss vom 27. Dezember 1961, L 10 S 49/61, Juris; Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 1. Dezember 1997, Bs IV 135/97, Juris; Landessozialgericht Berlin, Beschluss vom 19. März 2001, laut dem Urteil vom 25. Januar 2002, L 10 AL 299/99 W 00, Juris). Der Senat kann sich dieser Auffassung jedoch nicht anschließen, so dass das SG die Ablehnung des Antrags auf mündliche Verhandlung bzw. die Feststellung, dass der ergangene Gerichtsbescheid rechtskräftig ist, durch Urteil hätte aussprechen müssen (so auch Bundesfinanzhof, Urteil vom 12. August 1981, I B 72/80, Juris; Hennig, § 105 SGG Rdnr. 117; Zeihe § 105 SGG Rdnr. 20b und 15f; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Mai 2016, L 9 AS 1782/14 B; Juris; insoweit zustimmend Schütz, jurisPR-SozR 20/2016 Anm. 4; Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 17. Auflage, § 84 Rdnr. 39; Schoch/Schneider/Bier, Kommentar zur VwGO, § 84 Rdnr. 43; erkennender Senat, Urteil vom 28. August 2014, L 13 AS 3162/14 [ zu einem unstatthaften Antrag], Juris). Nach § 125 SGG wird über die Klage durch Urteil entschieden, soweit nichts anderes bestimmt ist. Der Antrag auf mündliche Verhandlung ist ein Rechtsbehelf, der dazu führt, dass das Gericht, das den Gerichtsbescheid erlassen hat, nochmals mit der Klage befasst ist, so dass § 125 SGG Anwendung findet. Eine gesetzlich geregelte Ausnahme liegt nicht vor, insbesondere ist nicht § 158 Satz 2 SGG einschlägig, wonach eine unzulässige Berufung durch Beschluss des Rechtsmittelgerichts verworfen werden kann. Auch verbietet sich eine analoge Anwendung des § 158 Satz 2 SGG. Eine analoge Anwendung setzt generell voraus, dass das Gesetz eine planwidrige Lücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, er wäre im Zuge einer Interessenabwägung zu dem gleichen Ergebnis gekommen (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 2014, B 12 P 1/12 R, m.w.N., Juris). Es handelt sich nicht um einen vergleichbaren Sachverhalt. Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung stellt nicht -wie die Berufung- ein Rechtsmittel, sondern nur einen Rechtsbehelf dar, der dazu führen soll, dass dasselbe Gericht nochmals entscheidet. Der Antrag auf mündliche Verhandlung ersetzt auch nicht "funktionell" die Verhandlung im Rahmen eines gar nicht statthaften Rechtsmittels (so aber Roos/Wahrendorf, a.a.O.), sondern soll eine mündliche Verhandlung beim SG erwirken. Der Gesetzgeber wollte sicherstellen, dass der Beteiligte mit dem Antrag eine mündliche Verhandlung gerade beim SG erzwingen kann, um Art. 6 Abs. 1 EMRK zu genügen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 105 Rdnr. 2, m.w.N.). Eine mündliche Verhandlung im Beschluss- und Beschwerdeverfahren hat er hingegen nicht gewährleistet (§ 124 Abs. 3 SGG; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 176 SGG Rdnr. 2). Schließlich fehlt es auch an einer Lücke. Denn § 105 Abs. 4 SGG regelt, dass das SG in dem Urteil von einer weiteren Darstellung absehen kann, soweit es dem Gerichtsbescheid folgt. Damit hat der Gesetzgeber nicht nur eine Bezugnahme auf den Gerichtsbescheid ermöglicht, sondern auch das Urteil als Entscheidungsform ausdrücklich erwähnt. Damit ist jedenfalls klar, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass durch Urteil zu entscheiden ist, was im Übrigen der Regel des § 125 SGG entspricht. Die Auffassung, dies sei auf den Fall zu reduzieren, dass der Antrag auf mündliche Verhandlung zulässig ist (Bienert, a.a.O.), ist abzulehnen, weil sie ihrerseits nicht den Voraussetzungen für eine abändernde Auslegung der nach dem Wortlaut einschlägigen Norm entspricht und lediglich erfolgt, um eine Lücke zu konstruieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Lücke dann so ausgefüllt wird, dass der Antrag auf mündliche Verhandlung eine solche nicht herbeiführt. Nicht tragfähig ist der Hinweis der Gegenauffassung auf § 105 Abs. 3 SGG. Hiernach muss der Antrag natürlich rechtzeitig gestellt sein, damit der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gilt; eine solche Regelung findet sich aber gerade nicht in § 105 Abs. 4 SGG. Nicht überzeugend ist der Einwand, § 105 SGG wolle eine mündliche Verhandlung vermeiden; denn dies betrifft das Verfahren bis zum Erlass des Gerichtsbescheides und gerade nicht auch das Verfahren nach Stellung eines Antrages auf mündliche Verhandlung. Vermieden wird damit auch die die eigentümliche Situation, dass der Berufsrichter eine mündliche Verhandlung anberaumt, weil er von der Zulässigkeit des Antrages ausgeht, der Spruchkörper aber dann nach Verhandlung durch Beschluss wegen der Unzulässigkeit des Antrages entscheidet, dass die -gerade stattgefundene- Verhandlung abgelehnt wird (so aber Bienert, a.a.O.). Schließlich steht zudem § 125 SGG einer analogen Anwendung entgegen. Denn der Gesetzgeber hat sich damit ein Bestimmungsrecht für Ausnahmen vom Grundsatz, dass Gerichte durch Urteil entscheiden müssen, selbst vorbehalten (vgl. Sodan/Ziekow, Kommentar zur VwGO, 4. Auflage, § 107 VwGO Rdnr. 8); es ist hier daher erst recht ausgeschlossen, eine zusätzliche Ausnahme durch Analogieschluss anzunehmen. Damit hat das SG nicht anders als bei einer Vergleichsanfechtung oder bei einem entstandenen Streit über die Wirksamkeit einer Klagerücknahme auch im Falle eines Antrages auf mündliche Verhandlung immer durch Urteil zu entscheiden.

Hat das SG im Streitfall eine der Art nach falsche Entscheidung getroffen, darf dem Kläger kein Nachteil dadurch erwachsen, dass er von dem Rechtsmittel Gebrauch gemacht hat, auf das er durch das Gericht hingewiesen worden ist und das der Art der Entscheidung entspricht. Nach dem Grundsatz der sogenannten Meistbegünstigung ist sowohl das Rechtsmittel zulässig, das gegen die gewählte Entscheidungsform zulässig wäre, als auch das Rechtsmittel, das gegen die richtige Entscheidungsform zulässig gewesen wäre (BFH a.a.O.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer vor § 143 SGG Rdnr. 14 m.w.N.). Hiernach ist die eingelegte Beschwerde statthaft.

Der erkennende Senat entscheidet in korrekter Form, also durch Urteil, auch wenn zu Unrecht ein Beschluss ergangen ist (vgl. BFH, a.a.O.; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer vor § 143 SGG Rdnr. 14a m.w.N.). Demzufolge hat der Senat auf mündliche Verhandlung durch Urteil über die Beschwerde zu entscheiden.

Die Beschwerde ist auch begründet. Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung war statthaft und auch fristgerecht. Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim SG ist statthaft, wenn ein Gerichtsbescheid ergangen ist, der nicht mit der Berufung anfechtbar ist (§ 105 Abs. 2 Satz 2 SGG). Das SG hat die Berufung nicht zugelassen; auch übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes nicht 750 EUR, da lediglich für fünfeinhalb Monate die Gewährung eines Mehrbedarfes geltend gemacht worden ist, ohne dass ein solcher von mehr als 135 EUR monatlich im Ansatz erkennbar wäre. Auch sind nicht Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen (vgl. § 144 Abs. 1 SGG), weshalb der Antrag statthaft ist. Der Antrag war auch fristgerecht. Gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Diese Frist gilt nach allgemeiner Meinung auch für den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (vgl. nur Lüdtke/Berchtold, a.a.O., § 105 Rdnr. 15). Der Gerichtsbescheid des SG vom 29. September 2015 ist dem Kläger -entgegen der Auffassung des SG- am 1. November 2015 öffentlich zugestellt worden, da der Aushang (§ 188 Satz 1 ZPO) erst am 1. Oktober 2015 erfolgt ist. Der Antrag ist erst am 9. August 2016 gestellt worden, weshalb er nicht binnen eines Monats gestellt worden ist. Eine fehlerhafte öffentliche Zustellung löst den Lauf der Frist aber nicht aus (BSG, Beschluss vom 24. März 2015, B 8 SO 73/14 B, Juris). Die Zustellung durfte nicht öffentlich gemäß § 185 ZPO erfolgen, da der Aufenthaltsort des Klägers nicht unbekannt war. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BSG, a.a.O., BGH NJW 2012, 3582) ist der Aufenthalt einer Person nur unbekannt, wenn nicht nur das "Gericht", sondern die Allgemeinheit den Aufenthalt nicht kennt (vgl. auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 63 SGG Rdnr. 17b m.w.N.). Das Gericht muss daher alle der Sache nach geeigneten und zumutbaren Nachforschungen anstellen, um den Aufenthaltsort zu ermitteln (BGH, a.a.O.). Der Senat lässt offen, ob die höchstrichterliche Rechtsprechung auf die Kenntnis des Gerichts als Ganzes abstellt, so dass dem SG der Aufenthalt des Klägers bekannt war, da der Kläger den Umzug nach R. der 14. Kammer des SG mitgeteilt hat oder ob auf den jeweiligen Spruchkörper abzustellen ist. Denn es ist der 6. Kammer jedenfalls vor einer öffentlichen Zustellung zumutbar gewesen zu ermitteln, ob der Kläger noch andere Verfahren beim selben Gericht betreibt -der Kläger hat immerhin auf eine Rentenangelegenheit hingewiesen (s. Blatt 92 der SG-Akten)- und ggfs. ob dort Erkenntnisse über den Aufenthaltsort vorliegen, was hier der Fall gewesen ist. Auch steht dem der Datenschutz nicht entgegen. Entweder erteilt die Gerichtsverwaltung bzw. die ersuchte Kammer die Auskunft bzw. erteilt Akteneinsicht -wie im Übrigen der 11. Senat dem hier erkennenden Senat auf Ersuchen die Akten zur Einsicht gegeben hat, nachdem auch hier der Aufenthalt des Klägers unbekannt war- oder sie kann beim Kläger nachfragen, ob er mit der Weitergabe seines Aufenthaltsortes an den ersuchenden Spruchkörper einverstanden ist. Ob auch noch weitere Ermittlungen geeignet und zumutbar waren, brauchte hiernach nicht entschieden zu werden.

Der Antrag auf mündliche Verhandlung kann auch nicht in eine Nichtzulassungsbeschwerde umgedeutet werden. Die unterschiedliche Zielrichtung und die verschiedene Zuständigkeit, über den Rechtsbehelf/das Rechtsmittel zu entscheiden, verbietet eine Umdeutung (Peters/Sauter/Wolf, § 105 SGG Rdnr. 75 mit weiterem Nachweis). Der Kläger hat auch ausdrücklich einen Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung beim SG gestellt und nicht die in der Rechtsbehelfsbelehrung auch genannte Nichtzulassungsbeschwerde.

Da nur ein statthafter Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim SG und nicht eine statthafte Berufung beim Landessozialgericht streitbefangen ist, ist es dem Senat von vorneherein verwehrt, in der (Haupt-) Sache zu entscheiden (vgl. Bienert, a.a.O.), obwohl er durch Urteil entscheidet (s.o.). Der Gesetzgeber hat eine inhaltliche Entscheidung eines Rechtsmittelgerichtes nur vorgesehen, wenn die Berufung wegen eines besonderen Grundes (§ 144 Abs. 2 SGG) zugelassen worden ist, was hier nicht erfolgte.

Da der Antrag auf mündliche Verhandlung entgegen der Auffassung des SG rechtzeitig gestellt worden ist, war nicht nur der Beschluss des SG aufzuheben, sondern auch auf die Rechtsfolge des § 105 Abs. 3 Halbsatz 2 SGG zu erkennen. Mit der Aufhebung des Beschlusses allein wäre das Verfahren wieder in das Stadium des gestellten Antrages auf Verhandlung zurückversetzt, ohne dass zum Ausdruck käme, dass der Gerichtsbescheid als nicht ergangen gilt. Hierauf kann auch nicht verzichtet werden, nur weil sich die Rechtsfolge unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut ergibt (so auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. August 2012, L 34 AS 1737/12 B, Juris; a.A. Bienert, a.a.O.). An der klarstellenden Entscheidung besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis, weil der Gerichtsbescheid in der Welt ist.

Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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