L 6 AS 11/17 B ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 31 AS 321/16 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 11/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1) Dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG (in der Fassung bis zum 28. Dezember 2016) steht ein anderes Aufenthaltsrecht als das zum Zweck der Arbeitssuche entgegen, wenn die Kinder ein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 zum Zwecke der Ausbildung besitzen und der tatsächlich sorgeberechtigte Elternteil hieraus sein Aufenthaltsrecht ableitet.

2) Für die Entstehung des Aufenthaltsrechts nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 muss der Arbeitnehmerstatus eines Elternteils nicht bei Beginn der Ausbildung bestehen, sondern es genügt, wenn dieser bei fortgesetzter Ausbildung der Kinder (Besuch einer Grundschule) später hinzutritt.

3) Der Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 c) SGB II (in der Fassung seit dem 29. Dezember 2016) dürfte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit europarechtswidrig sein, da dieser nicht durch eine rechtfertigende gemeinschaftsrechtliche Schrankenregelung, insbesondere nicht Art. 24 Abs. 2 RL 38/2004/EG, gedeckt sein dürfte.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 13. Januar 2017 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat den Antragstellern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Verpflichtung zur Gewährung vorläufiger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die am 1984 geborene Antragstellerin zu 1) und ihre vier am 2005, 2007, 2009 und 2014 geborenen Kinder, die Antragsteller zu 2) bis 5), sind rumänische Staatsangehörige. Nach eigenen Angaben halten sie sich seit September 2013 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie lebten zunächst mit dem rumänischen Kindsvater der Antragsteller zu 2) – 5), mit dem die Antragstellerin zu 1) verheiratet ist, zusammen. Am 19. Dezember 2014 zogen die Antragsteller gemeinsam mit dem Ehemann von B. nach N ... Dieser übte in der Zeit vom 24. November 2014 bis 27. Dezember 2014 eine unselbstständige sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit als Reiniger aus. Die Bundesagentur für Arbeit bescheinigte dem Ehemann der Antragstellerin zu 1) am 16. Februar 2015 das Vorliegen von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit.

Nachdem die Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller zunächst (aufstockende) Leistung des Jobcenters Bad Segeberg erhalten hat, beantragten die Antragsteller im Januar 2015 erstmals Leistungen nach dem SGB II bei dem Antragsgegner. Als Kosten für Unterkunft und Heizung machten sie für die 80 m² große 4-Zimmerwohnung in der A.Straße in N., für deren Anmietung zum 12. Januar 2015 der Antragsgegner mit Schreiben vom 8. Januar 2015 eine Zusicherung erklärte, eine Bruttokaltmiete in Höhe von 500 EUR geltend. Unter Berücksichtigung dessen bewilligte der Antragsgegner der Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller zunächst vorläufig Leistungen nach dem SGB II.

Die Antragsteller zu 2) und zu 3) besuchen seit dem 9. Februar 2015 die V.Schule in N ...

Zum 21. April 2015 nahm der Ehemann der Antragstellerin zu 1) erneut eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf. Dieses Beschäftigungsverhältnis wurde zum 15. Mai 2015 gekündigt. Die Bundesagentur für Arbeit bescheinigte am 11. Juni 2015 das Vorliegen von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit. In der Zeit vom 1. Dezember 2015 bis zum 31. Mai 2016 war der Ehemann der Antragstellerin zu 1) als Hausmeister sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Unter Anrechnung des hieraus erzielten Einkommens bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 4. Dezember 2015 vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 31. Mai 2016.

Ihr Antrag auf Weiterbewilligung vom 28. Juli 2016 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 5. September 2016 ab, da weder eine Erwerbstätigkeit mit Arbeitnehmereigenschaft vorliege noch die Antragsteller zu 2) und 3) während einer Tätigkeit mit Arbeitnehmereigenschaft eingeschult worden sein.

Bei dem Antragsgegner stellte die Antragstellerin zu 1) am 8. September 2016 erneut einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II, allerdings ohne ihren Ehemann als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Sie gab an, seit dem 8. September 2016 als Reinigungskraft bei dem Arbeitgeber G. Estrich, B. B. beschäftigt zu sein. Nach dem in der Leistungsakte befindlichen Anstellungsvertrag für geringfügig Beschäftigte vom 8. September 2016 soll eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von 10 Stunden und eine monatliche Vergütung in Höhe von 340 EUR vereinbart worden sein.

Bei einer persönlichen Vorsprache am 3. November 2016 reichte die Antragstellerin zu 1) die fristlose Kündigung der Wohnung A.Straße N. mit Aufforderung zur Räumung der Wohnung zum 31. Oktober 2016 sowie die Sperrankündigung der Stadtwerke N. vom 31. Oktober 2016 ein. Zudem übergab sie Unterlagen zu der von ihr angegebenen Beschäftigung.

Mit Bescheid vom 18. November 2016 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von SGB II Leistungen mit der Begründung ab, die Antragstellerin zu 1) halte sich in der Bundesrepublik Deutschland aus Gründen der Arbeitsuche auf und sei wegen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistung ausgeschlossen. Das Arbeitsverhältnis bei der Firma G. Estrich stelle keine Erwerbstätigkeit mit Arbeitnehmerstatus dar, sondern sei ein Gefälligkeitsverhältnis. Im Übrigen bestehe auch kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht gemäß der jüngsten Rechtsprechung des BSG vom 3. Dezember 2015 in Folge der EuGH-Rechtsprechung, da zum Zeitpunkt der Einschulung der Antragsteller zu 2) und 3) am 9. Februar 2015 weder die Antragstellerin zu 1) noch ihr Ehemann die Kriterien der Arbeitnehmereigenschaft erfüllten.

Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin zu 1) mit Schreiben vom 9. Dezember 2016 Widerspruch ein.

Am 12. Dezember 2016 haben die Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und begehren Leistungen nach dem SGB II. Sie – die Antragstellerin zu 1) – sei als Reinigungskraft geringfügig beschäftigt. Es handele sich auch um ein tatsächliches Arbeitsverhältnis.

Der Antragsgegner hat am 14. Dezember 2016 einen unangemeldeten Hausbesuch bei den Antragstellern durchgeführt, zu dessen Ergebnis auf das Protokoll verwiesen wird.

Im gerichtlichen Eilverfahren hat der Antragsgegner primär vorgetragen, dass erhebliche Zweifel an der Arbeitnehmerschaft der Antragstellerin zu 1) bestünden.

Mit Beschluss vom 14. Dezember 2016 hat das Sozialgericht die Stadt Neumünster beigeladen. Die Beigeladene ist der Auffassung, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht greife, da die Antragstellerin zu 1) ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aufgrund des Aufenthalts zu Ausbildungszwecken der Antragsteller zu 2) und zu 3) nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 habe. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners komme es nicht darauf an, dass zum Zeitpunkt des Beginns der Schulausbildung die Arbeitnehmereigenschaft vorgelegen haben muss, sondern ein Aufenthaltsrecht zu Ausbildungszwecken könne auch dann bejaht werden, wenn die Schulausbildung und die Arbeitnehmereigenschaft des Elternteils zumindest zu einem Teil gleichzeitig vorlagen. Letzteres sei hier zu bejahen. Für die Zeit ab 29. Dezember 2016 greife aufgrund der Einführung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. c SGB II der Leistungsausschluss auch bei abgeleitetem Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011. Die Antragsteller hätten ab Geltung der neuen Rechtslage lediglich einen Anspruch auf Überbrückungsleistung nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII und auf angemessene Kosten der Rückreise gemäß § 23 Abs. 3a SGB XII.

Hierauf hat der Antragsgegner erwidert, dass er an seiner Rechtsauffassung festhalte. Der EuGH habe in seiner Entscheidung vom 15. September 2015 (C-64/14) die Frage des abgeleiteten Aufenthaltsrechts nicht thematisiert. Im Übrigen zeige der Gesetzesentwurf (BR-Drs. 587/16), dass ein solches abgeleitetes Aufenthaltsrecht nicht zum Bezug von Sozialleistungen führen soll.

Mit Beschluss vom 13. Januar 2017 hat das Sozialgericht Kiel dem Antrag der Antragsteller stattgegeben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig und dem Grunde nach für den Zeitraum vom 12. Dezember 2016 bis 28. Dezember 2016 Leistung nach dem SGB II sowie für den Zeitraum vom 29. Dezember 2016 bis 31. März 2016 Leistung nach dem SGB II unter Berücksichtigung von 85 Prozent des jeweiligen Regelbedarfs zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass ein Leistungsausschluss vom 12. Dezember 2016 bis 28. Dezember 2016 nicht bestehe. Zwar beständen erhebliche Zweifel an einem Aufenthaltsrecht der Antragstellerin nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 FreizügG/EU, jedoch bestehe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit dem abgeleiteten Aufenthaltsrecht aufgrund der Regelung des Art. 10 VO (EU) 492/2011 aus familiären Gründen ein Aufenthaltsrecht, welches ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 GB II darstelle. Denn die Antragsteller zu 2) und 3) hätten ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu Ausbildungszwecken nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 erworben. Es sei nicht ersichtlich, dass sie seit dem 9. Februar 2015 ihrer Schulpflicht nicht nachgekommen seien während dieser Schulzeit habe ihr damals noch zur Bedarfsgemeinschaft gehörender Vater jedenfalls vom 21. April 2015 bis 15. Mai 2015 und vom 1. Dezember 2015 bis 31. Mai 2016 Arbeitnehmerstatus gehabt, denn er sei in Arbeitsverhältnissen, die aufgrund ihres Umfangs zum Leistungsbezug gegenüber dem Antragsgegner berechtigten, beschäftigt gewesen. Dabei genüge eine irgendwie geartete zeitliche Überschneidung. Dies ergebe sich aus der Entscheidung des BSG vom 3. Dezember 2016 – B 4 AS 43/15 R, in welcher von einer "während einer etwaigen Beschäftigung wahrgenommenen " und nicht von einer "begonnenen" Ausbildung die Rede sei. Soweit die minderjährigen Antragsteller zu 2) und zu 3) weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge eines Elternteils bedürften, um ihre Ausbildung fortsetzen bzw. abschließen zu können, bestehe darüber hinaus in gleicher Weise für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnehme, ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt aus Art. 10 VO (EU) 492/2011. Nach der Rechtsprechung des EuGH beständen diese einmal erworbenen Ausbildungs- und Aufenthaltsrechte der Kinder bzw. des sorgeberechtigten Elternteils unabhängig von den in der Richtlinie 2004/38/EG festgelegten Voraussetzung – ausreichende Existenzmittel und umfassender Krankenversicherungsschutzes – fort und seien autonom gegenüber den unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, die die Voraussetzung für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat regeln. Ohne Belang sei auch, dass der Vater der Antragsteller zu 2) und zu 3) die Bedarfsgemeinschaft mittlerweile verlassen habe. Das Aufenthaltsrecht bleibe bis zum Abschluss der Ausbildung bestehen, wenn sich die Kinder im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten und in einer Bildungseinrichtung zu Ausbildungszwecken eingeschrieben seien. Für die Antragsteller zu 4) und 5) bestehe ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen unter Berücksichtigung des Art. 6 Grundgesetz (GG) und §§ 27 ff. Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Für die Zeit ab dem 29. Dezember 2016 – Einführung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. c SGB II, der einen Leistungsausschluss für Person vorsehe, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder nur neben einem Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ableiteten, sei unklar, ob aufgrund des nunmehr normierten Leistungsausschluss ein Anordnungsanspruch vorliege. Es beständen erhebliche Zweifel an der Europarechtskonformität dieser Vorschrift, weil in der Rechtsprechung des EuGH anerkannt sei, dass das durch Art. 10 VO (EU) 492/2011 gewährleistete Aufenthaltsrecht gerade nicht von den Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38/EG abhängig sei. Zwar habe der EuGH noch nicht ausdrücklich darüber entschieden, ob mit dem Aufenthaltsrecht in derartigen Konstellationen Ansprüche auf Sozialhilfe im Sinne des Gemeinschaftsrechts verbunden seien. Die bisherige Rechtsprechung des EuGH zum Aufenthaltsrecht zu Ausbildungszwecken deute jedoch darauf hin, dass dies zu bejahen sei, da anderenfalls das durch Art. 10 VO (EU) 292/2011 gewährleistete Aufenthaltsrecht im Aufnahmestaat aus wirtschaftlichen Gründen ins Leere liefe, wenn dem die tatsächliche Sorge ausübenden Elternteil Sozialleistungen zur Existenzsicherung im Falle der Bedürftigkeit nicht gewährt werden würde. Aus diesem Grunde gehe die hier zu treffende Rechtsfolgenabwägung zu Gunsten des Antrags der Antragsteller aus. Aufgrund der bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens des Anordnungsanspruchs seien die Leistungen auf das notwendigste zu beschränken, so dass eine Kürzung auf 85 Prozent der jeweiligen Regelbedarfe sachgerecht angesehen werde. Wegen Einkommensanrechnung erfolge der Zuspruch dem Grunde nach.

Gegen diesen dem Antragsgegner am 16. Januar 2017 zugestellten Beschluss hat er am 18. Januar 2017 Beschwerde erhoben und gleichzeitig die Aussetzung der Vollstreckung beantragt. Mit Beschluss vom 25. Januar 2017 hat die Vorsitzende des 6. Senats (L 6 AR 1/17 AS ER) diesen Antrag abgelehnt.

Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens auf die Gerichtsakte und die Leistungsakten des Antragsgegners verwiesen.

II.

Die gem. §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene sowie im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 13. Januar 2017 ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu Recht verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II dem Grunde nach vom 12. Dezember 2016 bis 31. März 2017 zu gewähren. Die vom Sozialgericht zutreffend dargelegten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG liegen vor.

Für den Zeitraum vom 12. Dezember 2016 bis zum 28. Dezember 2016 geht auch der Senat davon aus, dass den Antragstellern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zustehen. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss Bezug, § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG. Ergänzend ist zunächst anzumerken, dass auch der Senat am Vorliegen eines Aufenthaltsrechts als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU aufgrund der von dem Antragsgegner aufgezeigten Widersprüche erhebliche Zweifel hat. Weiterer Vortrag der Antragstellerin zu 1), der die berechtigten Zweifel ausräumen könnte, erfolgte im Beschwerdeverfahren nicht. Eine abschließende Beurteilung, ob die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 FreizügG/EU vorliegen (zur Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs, vgl. Beschluss des Senats vom 11. November 2015 – L 6 AS 197/15 B ER – juris) ist einer weiteren Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Im Übrigen teilt der Senat die Auffassung des Sozialgerichts, dass der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F. (in der bis zum 28. Dezember 2016 gültigen Fassung) nicht greift. Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung der Auffassung des BSG in seiner Entscheidung vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43/15 R zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F. an, dass aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ein anderes Aufenthaltsrecht als ein solches zum Zwecke der Arbeitsuche folgt (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Januar 2016 – L 19 AS 29/16 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29. April 2016 – L 4 AS 182/16 B ER; LSG Hamburg, Beschluss vom 27. Mai 2016 – L 4 AS 160/16 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 7. Juni 2016 – L 2 AS 84716 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Juli 2016 – L 26 AS 1421/16 B ER; SG Dortmund, Beschluss vom 20. Juli 2016 – S 32 AS 3037/16 ER; Sächsisches LSG, Beschluss vom 21. Oktober 2016 – L 7 AS 973/16 B ER; a.A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. Januar 2016 – L 15 AS 226/15 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. August 2016 – L 3 AS 376/16 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 31. Oktober 2016 – L 7 AS 565/16 B ER – jeweils zitiert nach juris). Die "fiktive" Prüfung eines anderen materiellen Aufenthaltsrechts ist dabei nicht nur auf Aufenthaltsrechte nach dem FreizügG/EU in Umsetzung der RL 2004/38/EG beschränkt. Denn dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F. ist nicht zu entnehmen, dass nur Aufenthaltsrechte aus dem FreizügG/EU einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F. entgegen stehen. Im Übrigen ist die Vorschrift unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere auch zu dem unmittelbar im nationalen Recht anwendbaren Art. 10 VO (EU) 492/2011 (ehemals Art. 12 VO Nr. 1612/68) europarechtskonform auszulegen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (u.a. EuGH, Urteil vom 23. Februar 2010 C-480/08 – Teixeira; das Urteil erging zu der gleichlautenden Vorgängervorschrift Art. 12 VO Nr. 1612/68) ist zudem geklärt, dass Art. 10 VO (EU) 492/2011 nicht nur den in der Ausbildung befindlichen Kindern des Arbeitnehmers bzw. ehemaligen Arbeitnehmers ein originäres Aufenthaltsrecht vermittelt, sondern dass auch der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmende sorgeberechtigte Elternteil hieraus ein eigenes Aufenthaltsrecht – unabhängig von den Voraussetzungen der RL 2004/38/EG – ableiten kann, bis die Kinder volljährig werden bzw. die Ausbildung beenden. Vorliegend hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt, dass den Antragstellern zu 2) und 3) aufgrund ihres seit dem 9. Februar 2015 ununterbrochenen Schulbesuches ein nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 originäres und der Antragstellerin zu 1) als dem die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmende Elternteil aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zustehen, da der damals noch zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Ehemann der Antragstellerin zu 1) und leibliche Vater der Antragsteller zu 2) und 3) zumindest in der Zeit vom 21. April 2015 bis 15. Mai 2015 und in der Zeit vom 1. Dezember 2015 bis 31. Mai 2016 einer Erwerbstätigkeit nachging, so dass der zur Begründung dieses Aufenthaltsrecht erforderliche Arbeitnehmerstatus zu bejahen ist. Das Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 besteht auch unabhängig davon, dass der Vater der Antragsteller zu 2) und 3) nicht mehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist und möglicherweise keinen Arbeitnehmerstatus mehr innehat, fort (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 43715 – m.w.N. zur entsprechenden EuGH-Rechtsprechung – juris). Im Übrigen hat der EuGH auch bereits entschieden, dass der Arbeitnehmerstatus nicht bei Beginn der Ausbildung bestehen muss, sondern es ausreicht, wenn dieser bei fortgesetzter Ausbildung später hinzutritt.

Für die Zeit ab 29. Dezember 2016 ist zwar mit § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. c SGB II ein neuer Ausschlussgrund eingeführt worden, der sich auf Personen bezieht, die ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 herleiten. Diesen Leistungsausschluss hält der Senat allerdings bei vorläufiger Würdigung für gemeinschaftsrechtswidrig. Da eine Vorlage an den EuGH im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes untunlich ist, geht er nach Folgenabwägung vorläufig von einer Leistungspflicht des Antragsgegners aus.

Für die Zeit ab dem 29. Dezember 2016 bestimmt § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. c SGB II, dass ausgenommen sind, Ausländerinnen und Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Art. 10 der Verordnung (EU) 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten und ihre Familienangehörige. Wie bereits das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, besitzen die Antragsteller zu 2) und 3) ein originäres Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011. Die Antragstellerin zu 1) besitzt ebenfalls ein aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Wie dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit c SGB II ("ableiten") entnommen werden kann, findet der Leistungsausschluss nicht nur auf erwerbsfähige Leistungsberechtigte nach dem SGB II, die ein originäres Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 haben, Anwendung, sondern auch auf solche Personen, wie die Antragstellerin zu 1), die ihr Aufenthaltsrecht lediglich ableiten. Ob auch die Antragsteller zu 2) und 3) als nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die aufgrund der Regelungen über die Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 4 SGB II einen Anspruch auf Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II haben, direkt von dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. c SGB II betroffen sind, kann hier dahinstehen, da auch ein solcher aufgrund der folgenden Erwägungen nicht europarechtskonform sein dürfte.

Der Senat teilt die Bedenken des Sozialgerichts hinsichtlich der Gemeinschaftsrechtskonformität des neu eingeführten § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. c SGB II. Sofern der Gesetzgeber in seiner Begründung (BT-Drs. 18/10211, S. 13) davon ausgeht, § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. c SGB II auf die Regelungen der Freizügigkeitsrichtlinie stützen zu können, teilt der Senat diese Ansicht nicht (vgl. Deutscher Bundestag, Ausschuss für Arbeit und Soziales18. Wahlperiode, Ausschussdrucksache 18(11)851 vom 25. November 2016 – aus den dort wiedergegebenen Stellungnahmen geht hervor, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. c SGB II überwiegend europarechtlich problematisch bzw. ausdrücklich gemeinschaftsrechtswidrig gesehen wird; vgl. auch Derksen, info also 2016, 257 ff., der von einer Europarechtswidrigkeit ausgeht; kritisch auch Leopold in: jurisPK, SGB II, 4 Aufl. 2015, § 7 Rn. 99.15). So ist zwar zutreffend, dass bisher vom EuGH noch nicht ausdrücklich entschieden worden ist, ob Personen, die ein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO (EU) 492/2011 besitzen, existenzsichernde Leistungen gemeinschaftskonform verweigert werden kann. Allerdings spricht die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. c SGB II europarechtswidrig ist, da eine den Leistungsausschluss rechtfertigende gemeinschaftsrechtliche Schrankenregelung nicht bestehen dürfte. Insbesondere dürfte als eine solche Schrankenregelung Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG nicht greifen.

Die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG bezieht sich ausdrücklich vom Wortlaut und Sachzusammenhang her "Abweichend von Absatz 1 " auf den zuvor in Abs. 1 umrissenen Gleichbehandlungsgrundsatz, welcher nach dem Wortlaut des Abs. 1 Satz 1 für Unionsbürger, denen Aufenthaltsrechte "aufgrund dieser Richtlinie" zustehen, "vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen " Geltung beansprucht. Eine Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 sowie dessen Erstreckung auf den Personenkreis nach Abs. 1 Satz 2 RL 2004/38/EG setzt damit ein Aufenthaltsrecht allein aus dieser Richtlinie voraus. Nichts anderes dürfte der EuGH in der Sache C-299/14 (Urteil vom 25. Februar 2016 – Garcia-Nieto) unter Bezugnahme in Rn. 38 auf seine Entscheidungen in den Sachen Dano (EuGH, Urteil vom 11. November 2014 – C-333/13 – juris 69) und Alimanovic (EuGH, Urteil vom 15. September 2015 – C 67/14 – Alimanovic – juris Rn. 49) erklärt haben, indem er ausführt, dass zunächst (vorab) eine Prüfung dahingehend vorzunehmen sei, ob ein Aufenthaltsrecht im Sinne der RL 2004/38/EG bestehe, damit der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG zur Anwendung komme, um zugleich von der Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG Gebrauch machen zu können (EuGH, Urteil vom 25. Februar 2016 – C-299/14 – Garcia-Nieto – juris Rn. 40 mit Verweis auf das Urteil vom 15. September 2015 – C 67/14 – Alimanovic – juris Rn. 51). Entgegen der Ansicht des LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. August 2016 – L 3 AS 376/16 B ER ist der Rechtsprechung des EuGH daher gerade nicht zu entnehmen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Anwendungsbereich dieser Richtlinie dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz vorgeht und ein Unionsbürger nur dann Gleichbehandlung, d.h. hier Zugang zu existenzsichernden Leistungen – verlangen kann, wenn ihm ein Aufenthaltsrecht allein aus dieser RL 2004/38/EG zusteht. Hiergegen spricht insbesondere der oben skizzierte eindeutige Wortlaut des Art. 24 Abs. 1 Satz RL 2004/38/EG und der aufgezeigte Sachzusammenhang. Die EuGH-Rechtsprechung dürfte daher wohl eher umgekehrt nur so zu verstehen sein, dass der Anwendungsbereich der RL 2004/38/EG bei Vorliegen eines anderen als sich aus der Richtlinie selbst erwachsenen Aufenthaltsrechts nach Kapitel III gerade nicht eröffnet ist. So lässt sich auch erklären, dass in der Sache Alimanovic der EuGH die Erwägungen des Generalanwalts in seinen Schlussanträge im Hinblick auf Art. 10 VO (EU) 492/2011 nicht aufgegriffen hat, da sich die Vorlagefragen allein auf das Aufenthaltsrecht nur zur Arbeitsuche im Sinne der RL 2004/38/EG bezogen haben. Dagegen begründet Art. 10 VO (EU) 492/2011 ein von den in Kapitel III der Richtlinie 2004/38/EG normierten Aufenthaltsrechten unabhängiges und originäres eigenständiges Aufenthaltsrecht zu Ausbildungszwecken, welches ohne nationalen Umsetzungsakt unmittelbar im jeweiligen Mitgliedstaat Geltung beansprucht. Dies hat der EuGH bereits unmissverständlich in seinen Entscheidungen im Hinblick auf die gleichlautende Vorgängerregelung Art. 12 Verordnung (EWG) 1612/68 zum Ausdruck gebracht (vgl. u.a. EuGH, Urteil vom 23. Februar 2010 – C-480/08 – Texeira; EuGH, Urteil vom 23. Februar 2010 – C-310/08 – Ibrahim). So hat er ausgeführt, dass Art. 12 VO (EWG) 1612/68 autonom gegenüber unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden sei, die die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat ausdrücklich regeln. Dies gelte auch nach dem Inkrafttreten der RL 2004/38/EG. Insbesondere sei Art. 12 VO (EWG) 1612/68 anders als Art. 10 und 11 VO (EWG) 1612/68 in Kenntnis der Rechtsprechung des EuGH nicht durch die RL 2004/38/EG aufgehoben oder geändert worden. Gleiches gilt für Art. 10 VO (EU) 492/2011, der Art. 12 VO (EWG) 1612/68 inhaltsgleich kodifiziert. Durch die autonome Stellung des Aufenthaltsrecht aufgrund der VO (EU) 492/2011 vormals VO (EWG) 1612/68 soll eine mögliche Schlechterstellung gegenüber dem Zustand vor Inkrafttreten der RL 2004/38/EG verhindert werden (EuGH, Urteil vom 23. Februar 2010 – C-480/08 – Teixeira – Rn. 59 – juris), d.h. das Aufenthaltsrecht soll gerade nicht davon abhängig gemacht werden, dass ausreichend Existenzmittel sowie umfassender Krankenversicherungsschutz gegeben sind. Dabei hat der EuGH in seinen Entscheidungen Teixeira und Ibrahim auch deutlich gemacht, dass unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten der Zugang zur Ausbildung umfassend auszulegen ist, d.h. auch die finanziellen Ressourcen, die benötigt werden, um die Ausbildung abzuschließen, umfasst sind, da ansonsten das gewährleistete Aufenthaltsrecht im Aufnahmestaat aus wirtschaftlichen Gründen ins Leere laufen würde. Der Leistungsausschluss dürfte damit gegen das in Art. 7 Abs. 2 VO (EU) 492/2011 und Art. 4 VO 883/2004 Gleichbehandlungsgebot verstoßen, da die VO (EU) 492/2011 keine Beschränkungen des Gleichheitsgebots vorsieht und die VO 883/2004 jegliche Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit verbietet. Nach alledem sprechen die überwiegenden Gründe dafür, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. c SGB II nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

Hinsichtlich der Antragsteller zu 4) und 5) teilt der Senat die Auffassung des Sozialgerichts, dass diesen reflexartig ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen erwächst.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens. Es entspricht der Billigkeit, dem Beigeladenen keinen Kostenerstattungsanspruch gegen den Antragsgegner zuzuerkennen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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