L 2 AS 184/16 B

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 24 SF 52/15 E
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 AS 184/16 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
I. Nach der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG in der ab 1. August 2013 geltenden Fassung entsteht eine fiktive Terminsgebühr, wenn das Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ohne mündliche Verhandlung nach angenommenem Anerkenntnis endet. Die Vorschrift gilt nicht bei übereinstimmender Erledigungserklärung.

II. Damit ein Anerkenntnis angenommen werden kann, muss die Klage zulässig und jedenfalls zum Zeitpunkt des Zugeständnisses, dass der mit der Klage erhobene Anspruch besteht, auch begründet sein,

III. Die Erledigung des Rechtsstreits setzt nach § 101 Abs. 2 SGG die Annahme des Anerkenntnisses voraus. Diese Erklärung kann auch sinngemäß erfolgen.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 1. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

In dem Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Gießen (S 28 AS 131/15) stritten die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit eines Sanktionsbescheides.

Am 27. Januar 2015 erhob der Beschwerdegegner als Prozessbevollmächtigter des Klägers B. vor dem Sozialgericht Gießen Klage gegen das Jobcenter X. (Beklagter). Die Klage richtete sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 26. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2015, der eine Sanktion wegen eines Meldeversäumnisses des Klägers enthielt. Gleichzeitig beantragte der Beschwerdegegner für das Klageverfahren die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung. Mit Beschluss vom 10. März 2015 bewilligte das Sozialgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe ab 27. Januar 2015 unter Beiordnung des Beschwerdegegners. Nachdem im gleichzeitig laufenden ER+Verfahren S 28 AS 130/15 ER ein Befundbericht der Ärztin Dr. C. vorgelegt worden war, hob der Beklagte den Bescheid vom 26. November 2014 auf. Mit Schriftsatz vom 18. März 2015 teilte der Beklagte dies dem Gericht mit und gab an, das Verfahren S 28 AS 130/15 könne damit für erledigt erklärt werden. Am 19. März 2015 erklärte der Beschwerdegegner für den Kläger den Rechtsstreit ebenfalls für erledigt. Laut Schlussverfügung vom 19. März 2015 wurde der Rechtsstreit als durch übereinstimmende Erledigungserklärung für in der Hauptsache erledigt ausgetragen.

Mit Beschluss vom 8. Juli 2015 entschied das Sozialgericht gemäß § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG), dass die Beteiligten für das Verfahren S 28 AS 131/15 einander keine Kosten zu erstatten haben.

Mit Kostenrechnung vom 24. Juli 2015 beantragte der Beschwerdegegner, die Vergütung für seine Tätigkeit als Prozessbevollmächtigter im Verfahren S 28 AS 131/15 auf insgesamt 535,50 Euro festzusetzen. Er machte dabei u.a. eine Terminsgebühr nach der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) in Höhe von 280,+ Euro geltend. Der Urkundsbeamte berechnete die Vergütung mit insgesamt 202,30 Euro. Hierzu führte er unter dem 18. August 2015 aus, eine Terminsgebühr nach der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG sei nicht angefallen. Der Rechtsstreit sei durch übereinstimmende Erledigungserklärung ohne Termin erledigt worden.

Gegen die Kostenfestsetzung des Urkundsbeamten erhob der Beschwerdegegner am 21. August 2015 Erinnerung. Er vertrat die Auffassung, der Rechtsstreit sei durch angenommenes Anerkenntnis beendet worden. Eine fiktive Terminsgebühr sei damit angefallen. Mit Beschluss vom 1. Februar 2016 änderte das Sozialgericht die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten ab und verpflichtete den Beschwerdeführer, dem Beschwerdegegner über die bewilligten 202,30 Euro hinaus weitere 333,20 Euro zu gewähren. Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, es habe kein Termin vor dem Sozialgericht stattgefunden, sondern es sei eine fiktive Terminsgebühr auf Grund eines angenommenen Anerkenntnisses angefallen. Diese Gebühr betrage 90 % der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr ohne Berücksichtigung einer Erhöhung nach der Nr. 1008 VV RVG. Bei einer zu gewährenden Verfahrensgebühr in Höhe von 300,+ Euro sei damit eine fiktive Terminsgebühr in Höhe von 270,+ Euro entstanden. Zwar habe der Beschwerdegegner die vorgegebene Gebührenhöhe um 10,+ Euro überschritten; dieser Betrag weiche jedoch nur in geringem Umfang von der Höhe der angemessenen Gebührenhöhe ab, so dass sich dies noch im Rahmen des rechtsanwaltlichen Ermessensspielraums halte. Dem Beschwerdegegner seien 535,50 Euro zu zahlen.

Mit seiner am 17. Februar 2016 eingelegten Beschwerde richtet sich der Beschwerdeführer gegen den ihm am 9. Februar 2016 zugestellten Beschluss. Er vertritt die Auffassung, die Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr nach der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG setze ein angenommenes Anerkenntnis voraus. Der Begriff des Anerkenntnisses werde vom SGG nicht definiert. Das Anerkenntnis erfordere aber regelmäßig, dass der mit der Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch bestehe. Das Anerkenntnis sei eine Prozesserklärung und müsse gegenüber dem Gericht erklärt werden. Vorliegend habe zwar das Jobcenter mit der Aufhebung des Sanktionsbescheides vom 26. November 2014 dem Klagebegehren entsprochen, jedoch nur weil durch die Einholung des Befundberichts im ER+Verfahren die mangelhafte Mitwirkung des Klägers geheilt worden sei. Somit habe das Verhalten des Klägers Anlass für die Klage gegeben. Diesem Umstand sei mit der abschlägigen Kostenentscheidung (vom 8. Juli 2015) Rechnung getragen worden. Im Falle einer Untätigkeitsklage habe der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden, dass sachliche Gründe für das Verwaltungshandeln sowie der Ausgang hinsichtlich der Kosten für die Annahme eines Anerkenntnisses zu berücksichtigen seien. Der Erlass des Sanktionsbescheides vom 26. November 2014 sei durch das Verhalten des Klägers sachlich begründet gewesen, so dass die Beklagte eine Kostenerstattung im Voraus abgelehnt habe. Insofern sei am Vorliegen eines Anerkenntnisses zu zweifeln.

Der Beschwerdegegner beantragt (sinngemäß),
den Beschuss des Sozialgerichts Gießen vom 1. Februar 2016 aufzuheben und die Vergütung des Beschwerdegegners für seine Tätigkeit als beigeordneter Rechtsanwalt im Verfahren S 28 AS 131/15 auf insgesamt 202,30 Euro festzusetzen.

Der Beschwerdeführer beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Beschwerdeakte sowie die Gerichtsakten S 28 AS 131/15 sowie S 28 AS 130/15 ER, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

II.

Der Senat hat die Beschwerde durch seine Berufsrichter entschieden, nachdem die Berichterstatterin das Verfahren dem Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung nach den §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG übertragen hatte.

Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Das Sozialgericht hat mit dem Beschluss vom 1. Februar 2016 zu Recht die Vergütung des Beschwerdegegners auf insgesamt 505,35 Euro festgesetzt.

Streitig ist vorliegend allein, ob der Beschwerdegegner Anspruch auf die Vergütung einer (fiktiven) Terminsgebühr für seine Tätigkeit als beigeordneter Rechtsanwalt im Klageverfahren S 28 AS 131/15 hat, und ggfs. in welcher Höhe die Terminsgebühr festzusetzen ist.

Nach der Nr. 3106 Satz 1 VV RVG in der ab 1. August 2013 geltenden Fassung beträgt die Terminsgebühr in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, 50,+ bis 510,+ Euro. Auch in Verfahren vor den Sozialgerichten kann nach der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG eine fiktive Terminsgebühr entstehen, wenn das Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, nach angenommenem Anerkenntnis endet (vgl. Gerold/Schmitt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Komm., 22. Aufl., § 3 Rdnr. 57 m.w.H.). Die Gebühr beträgt 90 % der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr ohne Berücksichtigung einer Erhöhung nach der Nr. 1008 VV RVG. Die Regelung der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG ist vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Ziels zu sehen, möglichst frühzeitige gütliche Einigungen zu fördern.

Ein angenommenes Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs erledigt nach § 101 Abs. 2 SGG den Rechtsstreit in der Hauptsache. Das Anerkenntnis ist das im Wege einseitiger Erklärung gegebene uneingeschränkte Zugeständnis, dass der mit der Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch besteht (Meyer+Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 101 Rdnr. 20 m.w.H.; BSG, Urteil vom 8. September 2015, B 1 KR 1/15 R). Die Erledigung des Rechtsstreits tritt nur bei Annahme des Anerkenntnisses ein. Die Annahme ist ebenfalls eine Prozesshandlung; die Erklärung kann auch sinngemäß erfolgen (BSG SozR 1500 § 101 Nr. 6). Soweit Kosten vom Anerkenntnis nicht erfasst sind, wird hierüber nach Maßgabe von § 193 SGG entschieden. Eine Kostenregelung ist nicht notwendig Gegenstand des Anerkenntnisses.

Bei der Klage im Verfahren S 28 AS 131/15 handelte es sich um eine reine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG, die zulässig und zum Zeitpunkt der Aufhebung des angefochtenen Bescheides auch begründet war. Die Klage richtete sich gegen einen Sanktionsbescheid des Beklagten. Auf die Anfechtungsklage und weitere Ermittlungen hob der Beklagte den angefochtenen Bescheid auf. Er erkannte damit den vom Kläger mit der zulässigen Anfechtungsklage geltend gemachten und begründeten Anspruch an. Auch bei einer Entscheidung durch das Gericht hätte der Kläger in der Hauptsache obsiegt. Mit seiner schriftlichen Erklärung vom 19. März 2015 nahm der Kläger das Anerkenntnis des Beklagten sinngemäß an. Das Klageverfahren S 28 AS 131/15 wurde infolgedessen durch angenommenes Anerkenntnis erledigt, auch wenn die Schlussverfügung angibt: "durch beiderseitige Erledigungserklärung".

Nicht von Bedeutung ist für das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr nach der Nr. 3106 Satz 1 Nr. 3 VV RVG, ob der Kläger Veranlassung zum Erlass des Sanktionsbescheides geboten hatte. Dies kann im Rahmen der Entscheidung über die Kostentragung nach § 193 SGG beachtlich sein, nicht aber bei der Frage, ob ein Anerkenntnis im Sinne des § 101 Abs. 2 SGG vorliegt. Soweit sich der Beschwerdeführer hier auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats zum Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr bei Untätigkeitsklagen beruft, begründet dies kein anderes Ergebnis.

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 12. Mai 2010, L 2 SF 342/09 E; vom 13. Januar 2014, L 2 AS 250/13 B; vom 12. Januar 2012, L 2 AS 523/11 B) liegt bei einer Untätigkeitsklage nur dann ein angenommenes Anerkenntnis im Rechtssinne vor, wenn auf die Untätigkeitsklage der begehrte Bescheid erlassen und die Klage darauf hin für erledigt erklärt wird, die Frist des § 88 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGG abgelaufen ist und ein zureichender Grund für die verspätete Entscheidung nicht vorliegt. Vorausgesetzt wird eine zulässige und begründete Untätigkeitsklage, bei der von Seiten des Beklagten durch ein Anerkenntnis inzidenter zugestanden wird, dass ein zureichender Grund für eine verspätete Entscheidung nicht vorgelegen hat (s. auch: SG Kiel, Beschluss vom 12. April 2011, S 21 SF 8/11 E). Allerdings bedarf es des ausdrücklichen Zugeständnisses der verspäteten Entscheidung nicht; das Zugeständnis kann auch darin gesehen werden, dass etwa der Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers übernimmt bzw. hierzu verurteilt wird (Sozialgericht Aachen, Beschluss vom 16. Juni 2008, S 4 R 89/07, m.w.H.). Aus der Kostenentscheidung zu Gunsten des Klägers wird auf das Vorliegen der Begründetheit der Untätigkeitsklage geschlossen, weil hierin die Feststellung gesehen wird, dass kein zureichender Grund für die verspätete Entscheidung des Beklagten gegeben war. Vorliegend ist die Kostenentscheidung vom 8. Juli 2015 jedoch nicht erheblich für die Feststellung der Begründetheit der Anfechtungsklage, wie bereits oben ausgeführt.

Die dem Beschwerdegegner zustehende fiktive Terminsgebühr beträgt nach der Nr. 3106 Satz 2 VV RVG 90 % der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr. Die Verfahrensgebühr beträgt vorliegend unstreitig 300,+ Euro, die fiktive Terminsgebühr dementsprechend 270,+ Euro. Mit dem Sozialgericht geht der Senat davon aus, dass es sich bei der um 10,+ Euro höheren Terminsgebühr, die der Beschwerdegegner geltend gemacht hat, um eine billige Überschreitung handelt, die akzeptiert werden kann.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Verfahren gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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