L 7 AS 1281/16 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 2 AS 3027/16 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 1281/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zum Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses, wenn über einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II vom Antragsgegner bisher deshalb nicht entschieden worden ist, weil die Antragstellerin und der mit ihr eine Wohnung teilende Partner im Rahmen des Bewilligungsverfahrens Fragen zum Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht beantwortet und angeforderte Unterlagen zu den Einkommens- und Vermögenverhältnissen nicht vorgelegt haben.
2. Zu den Voraussetzungen einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3c) SGB II.
3. Wenn infolge unzureichender Mitwirkung der Antragstellerin und ihres Partners die möglichen Ermittlungsmaßnahmen zur Hilfebedürftigkeit ausgeschöpft sind, kann eine Entscheidung auf der Grundlage der materiellen Beweislast erfolgen.
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 6. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtschutzverfahrens über die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab dem 01.09.2016, insbesondere jedoch über die Frage, ob zwischen der Antragstellerin und F eine eheähnliche Gemeinschaft besteht.

Die 1967 geborene Antragstellerin steht im dauernden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Antragsgegner. Sie bewohnt seit 2012 eine gemeinsame Wohnung mit dem 1968 geborenen F ... Die Antragstellerin gab in den Anträgen vom 31.05.2012, 25.10.2012, 10.04.2013, 19.07.2013, 13.01.2014 und 03.01.2015 gleichlautend an, mit F ... eine Bedarfsgemeinschaft zu bilden. Der Antragsgegner nahm daher seit 2012 die Bewilligung von Leistungen unter Annahme einer mit F bestehenden Bedarfsgemeinschaft vor.

Am 02.08.2016 stellte die Antragstellerin einen Weiterbewilligungsantrag beim Antragsgegner. Sie gab nunmehr an, sie lebe mit einer weiteren Person in einem gemeinsamen Haushalt, die jedoch nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehöre. Der Antragsgegner forderte die Antragstellerin und F ... mit mehreren Schreiben zur Übersendung der Einkommensnachweise von F ... auf. Insbesondere wurde der Bescheid über die Bewilligung von Arbeitslosengeld angefordert. Dem sind weder die Antragstellerin noch F ... bisher nachgekommen.

Am 24.10.2016 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Leipzig (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Am 15.11.2016 hat das SG F ... befragt. Bezügliche der Einzelheiten seiner Einlassung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 06.12.2016 abgelehnt. Der Antragsgegner habe bisher noch keinen Bescheid über den Leistungszeitraum ab 01.08.2016 erlassen. Das SG teile die Ansicht des Antragsgegners, dass vor Vorlage aller maßgeblichen Unterlagen keine Entscheidung des Antragsgegners getroffen werden könne. Nach Überzeugung des SG stehe fest, dass die Antragstellerin und F ... eine Bedarfsgemeinschaft bildeten. Zwischen der Antragstellerin und F ... bestehe eine Partnerschaft. So habe die Antragstellerin am 31.01.2015 von "Verdienstabrechnungen meines Lebensgefährten" gesprochen. Weiterhin habe sie im Weiterbewilligungsantrag vom 03.01.2015 angegeben, in ihrem Haushalt lebe eine weitere Person, die zu ihrer Bedarfsgemeinschaft gehöre. Ein anderes Bild habe sich auch nicht aus der Befragung von F ... ergeben. Dieser habe sehr vorsichtig ausgedrückt, aber doch eingeräumt, er und die Antragstellerin mochten einander. Tatsachen, die die gesetzliche Vermutung des § 7 Abs. 3 a) SGB II widerlegen könnten, habe er nicht geschildert. Angesichts dessen gehe das SG von einer zwischen der Antragstellerin und F ... bestehenden eheähnlichen Gemeinschaft aus. Eine Leistungsbewilligung könne erst erfolgen, wenn alle zu der Bedarfsgemeinschaft gehörenden Personen vollständige Angaben zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht hätten. Dies sei bisher nicht erfolgt. Ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin bestehe daher nicht.

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 08.12.2016 zugestellten Beschluss hat dieser am selben Tag Beschwerde beim SG eingelegt, die am 16.12.2016 beim Sächsischen Landessozialgericht (SächsLSG) eingegangen ist. Das SG habe Frank Wilde ausschließlich Fragen zum Bestehen einer Partnerschaft, nicht hingegen einer Wirtschaftsgemeinschaft gestellt. Es sei daher nicht von einem gemeinsamen Haushalt auszugehen. Die Weigerung von F ..., seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen zu legen, spreche gegen die gesetzliche Vermutung.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 06.12.2016 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab 01.09.2016 ohne Berücksichtigung des Einkommens und Vermögens des F ... zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er erachtet den erstinstanzlichen Beschluss für zutreffend. Eine Partnerschaft liege offensichtlich vor. Die Antragstellerin spreche von "ihrem Lebensgefährten", lebe mit ihm seit mehr als sechs Jahren in einer Wohnung zusammen. F ... habe vor dem SG bestätigt, dass sich die Antragstellerin und er mochten. Für eine Wirtschaftsgemeinschaft spreche, dass die Antragstellerin ausweislich der Kontoauszüge für den Zeitraum vom 01.06. bis 14.07.2017 die Miete, den Strom, den Kabelanschluss und die Leipziger Volkszeitung zahle, F ... ihr jedoch nur einmalig 50,00 EUR für "Unkosten" überwiesen habe. Damit fehle es an der für eine reine Wohngemeinschaft typischen Kostenteilung. Die Vermutung des § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II sei nicht widerlegt. F ... habe trotz aller Vorsicht seiner Einlassung vor dem SG die Ablehnung eines Einstehens füreinander nicht behauptet. Der Erklärung komme einiges Gewicht zu, da gegenüber Dritten regelmäßig schnell gesagt werde, für die Partnerin finanziell nicht einstehen zu wollen. Seine Aussage vor Gericht sei wohl überlegt getroffen worden. Wer in auskömmlichen Zeiten wie ein Paar zusammen lebe und wirtschafte, könne dies in Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht plötzlich für beendet erklären und die finanziellen Folgen dem Steuerzahler aufbürden.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners vor. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG mit Beschluss vom 06.12.2016 den Antrag abgelehnt. Der Antragstellerin steht kein Anspruch auf vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum ab 01.09.2016 zu.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86 b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG ist § 929 ZPO entsprechend anzuwenden.

1. Dem Antrag der Antragstellerin fehlt bereits das Rechtsschutzbedürfnis (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 51, Rn. 16a). Die Antragstellerin hat am 02.08.2016 einen Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab 01.09.2016 gestellt, über den der Antragsgegner noch nicht entschieden hat. Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine Sachentscheidungsvoraussetzung, die sich aus dem geltenden Gebot von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)), dem Verbot des Missbrauches prozessualer Rechte und dem Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns ergibt. Prozessuale Rechte dürfen daher nicht zu Lasten der Funktionsfähigkeit des staatlichen Rechtspflegeapparates missbraucht werden (BSG, Urteil vom 12.07.2012 – B 14 AS 35/12 R, Rn. 20; Keller a.a.O., RdNr. 16a). Ein Rechtsschutzinteresse ist dann nicht gegeben, wenn angesichts der besonderen Umstände das Rechtsschutzbegehren deshalb nicht erforderlich ist, weil der Kläger bzw. Antragsteller seine Rechte auf einfachere Weise verwirklichen kann oder die Klage bzw. der Antrag bei Gericht aus anderen Gründen unnütz ist.

Das ist vorliegend der Fall. Das Begehren auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes kann einfacher dadurch erreicht werden, dass die Antragstellerin und F ... die vom Antragsgegner im Rahmen des Bewilligungsverfahrens aufgeworfenen Fragen zum Bestehen der Bedarfsgemeinschaft wahrheitsgemäß und umfassend beantworten und Unterlagen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowohl der Antragstellerin als auch von F ... – die der Antragsgegner angefordert hat – beim Beklagten einreichen.

2. Im Übrigen ist ein Anordnungsanspruch auf vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nicht gegeben.

Gemäß § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr. 2) sowie hilfebedürftig sind (Nr. 3) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und das Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Eine Bedarfsgemeinschaft besteht gemäß § 7 Abs. 3 Nrn. 1 und 3c) SGB II zwischen einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und seiner Partnerin oder dem Partner. Das kann eine Person sein, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung für einander zu tragen und für einander einzustehen. Nach § 7 Abs. 3a SGB II wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung für einander zu tragen und für einander einzustehen u. a. vermutet, wenn die Partner länger als ein Jahr zusammenleben (Nr. 1).

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 23.08.2012 – B 4 AS 34/12 R, Rn. 14, 20 ff.) normiert § 7 Abs. 3 Nr. 3c) SGB II drei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, um eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft annehmen zu können:

"Es muss sich 1. um Partner handeln, die 2. in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben, und zwar 3. so, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (siehe Hänlein in Gagel, SGB II, Stand 1/2009, § 7 RdNr 46 ff; S. Knickrehm in KSW, 2. Aufl 2011, § 7 RdNr 17; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, 2. Aufl 2008, § 7 RdNr 44 ff; Sächsisches LSG Urteil vom 7.1.2011 - L 7 AS 115/09 - juris RdNr 31; Sächsisches LSG Beschluss vom 10.9.2009 - L 7 AS 414/09 B ER - juris RdNr 58; Bayerisches LSG Beschluss vom 9.12.2009 - L 16 AS 779/09 B ER - juris RdNr 14). Bei den Kriterien zu 1. und 2. (Partnerschaft und Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt) handelt es sich um objektive Tatbestandsvoraussetzungen, die nach der Systematik des § 7 Abs 3 Nr 3 SGB II kumulativ zu der subjektiven Voraussetzung des Einstehens- und Verantwortungswillens gegeben sein müssen. Partnerschaft und Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt sind zugleich Anknüpfungspunkte der Vermutung des § 7 Abs 3a SGB II (siehe auch Wolff-Dellen in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 7 RdNr 31b). Die subjektive Seite, dass die in einem Haushalt zusammenlebendenden Partner auch den gemeinsamen Willen, füreinander Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen, haben müssen, wird nach § 7 Abs 3a SGB II bei positiver Feststellung einer der dort aufgezählten vier Fälle - die ebenso wie die beiden objektiven Kriterien von Amts wegen ermittelt werden müssen (§ 20 SGB X bzw § 103 SGG) - allerdings vermutet. Es obliegt dann dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, diese Vermutung zu widerlegen. § 7 Abs 3a SGB II regelt mithin (nur) die subjektive Voraussetzung einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft und gibt mit den dort aufgezählten, nicht abschließenden (BT-Drucks 16/1410, 19) Fallgestaltungen Indizien für eine gesetzliche Vermutung von Tatsachen vor, mit deren Hilfe auf den inneren Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, geschlossen werden kann.

a) Von dem Bestehen einer Partnerschaft ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung von BVerfG (Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 - BVerfGE 87, 234 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3) und BSG (s nur BSG BSGE 90, 90, 100 = SozR 3-4100 § 119 Nr 26, RdNr 39) auszugehen, wenn eine gewisse Ausschließlichkeit der Beziehung gegeben ist, die keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben zulässt. Zudem muss zwischen dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und dem Dritten die grundsätzliche rechtlich zulässige Möglichkeit der Heirat bzw Begründung einer Lebenspartnerschaft nach dem LPartG bestehen (s Hänlein in Gagel SGB II/SGB III, Stand 01/2009, § 7 SGB II RdNr 47; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 7 RdNr 45).

b) Das ‚Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt‘ iS des § 7 Abs 3 Nr 3c SGB II erfordert - wie bereits dargelegt - das Bestehen einer ‚Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft‘. § 7 Abs 3 Nr 3c SGB II stellt damit bereits vom Wortlaut her (im Gegensatz zu § 7 Abs 3 Nr 3a und b SGB II für den nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten bzw Lebenspartner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, siehe auch BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 49/09 R - BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16, RdNr 14) auf zwei Elemente ab, nämlich das Zusammenleben und kumulativ das Wirtschaften aus einem Topf (BSG Urteil vom 27.1.2009 - B 14 AS 6/08 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 6 RdNr 15; BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 68/07 R - BSGE 102, 258 = SozR 4-4225 § 1 Nr 1, RdNr 3; BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 5/09 R - juris RdNr 15; BSG Urteil vom 18.2.2010 - B 14 AS 32/08 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 16; s auch Hackethal in jurisPK-SGB II, Stand 15.8.2011, § 7 RdNr 56; Hänlein in Gagel, SGB II, Stand 1/2009, § 7 RdNr 47; S. Knickrehm in KSW, 2. Aufl 2011, § 7 RdNr 17; A ... Loose in GK-SGB II, Stand 7/2010, § 7 RdNr 56.1; Sauer in Sauer, SGB II, § 7 RdNr 25; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, 2. Aufl 2008, § 7 RdNr 46; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, Stand 1/2012, § 7 RdNr 216).

Unter ‚Zusammenleben‘ in einer Wohnung ist mehr als nur ein bloßes ‚Zusammenwohnen‘, wie es bei Wohngemeinschaften der Regelfall ist, zu verstehen.

Zusätzlich bedarf es zum zweiten des gemeinsamen Wirtschaftens. Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen dabei über die gemeinsame Nutzung von Bad, Küche und ggf Gemeinschaftsräumen hinaus. Auch der in Wohngemeinschaften häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Sanitärartikeln aus einer von allen Mitbewohnern zu gleichen Teilen gespeisten Gemeinschaftskasse begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft. Entscheidend insoweit ist, dass der Haushalt von beiden Partnern geführt wird, wobei die Beteiligung an der Haushaltsführung von der jeweiligen wirtschaftlichen und körperlichen Leistungsfähigkeit der Partner abhängig ist. Die Haushaltsführung an sich und das Bestreiten der Kosten des Haushalts muss gemeinschaftlich durch beide Partner erfolgen, was allerdings nicht bedeutet, dass der finanzielle Anteil der Beteiligung am Haushalt oder der Wert der Haushaltsführung selbst gleichwertig sein müssen. Ausreichend ist eine Absprache zwischen den Partnern, wie sie die Haushaltsführung zum Wohle des partnerschaftlichen Zusammenlebens untereinander aufteilen."

Gemessen an diesen Vorgaben besteht nach summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zwischen der Antragstellerin und F ... eine Bedarfsgemeinschaft.

a) Zwischen beiden liegt eine mehrjährige Partnerschaft vor. F ... hat die Antragstellerin im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim Antragsgegner am 04.10.2016 als seine Partnerin bezeichnet. Vor dem SG hat er ausgesagt, sie mögen sich. Auch die Antragstellerin hat im Schriftsatz vom 31.01.2015 die Verdienstabrechnungen des F ... als "Verdienstabrechnungen meines Lebensgefährten" benannt. Es handelt sich um eine Lebensgemeinschaft zwischen einer Frau und einem Mann, die auf Dauer angelegt ist und sich durch innere Bindungen auszeichnet. Beide leben – ohne weitere Personen – in einem gemeinsamen Haushalt. Das spricht nach summarischer Prüfung für eine gewisse Ausschließlichkeit der Beziehung. Zudem bestehen keine Anhaltspunkt dafür, dass eine Heirat ausgeschlossen wäre.

b) Die Antragstellerin und F ... leben seit 2012 in einer gemeinsamen Wohnung zusammen. Für eine Wirtschaftsgemeinschaft spricht, dass die Antragstellerin vor der maßgeblichen Antragstellung am 02.08.2016 ausweislich ihrer Kontoauszüge für Juni und Juli 2016 die Miete i.H.v. 553,00 EUR, den Strom, den Kabelanschluss und die Tageszeitung bezahlt hat, während F ... ihr lediglich 50,00 EUR für "Unkosten" überwiesen hat. Zutreffend hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass es damit an der für eine reine Wohngemeinschaft typischen Kostenteilung zwischen der Antragstellerin und F ... fehlt. Charakteristisches Merkmal des Wirtschaftens aus einem Topf ist nämlich, dass generell oder jedenfalls bei finanziellen Engpässen der weniger Belastbare weniger einzahlt (Hessisches LSG, Beschluss vom 21.06.2013 – L 9 AS 103/13 B ER, juris, Rn. 17).

Nach der Antragstellung haben sich die Zahlungsmodalitäten zwar verändert. So hat F ... der Antragstellerin ausweislich ihrer Kontoauszüge am 01.09.2016 400,00 EUR, am 07.10.2016 375,00 EUR, am 28.10.2016 400,00 EUR, am 30.11.2016 400,00 EUR, am 02.01.2017 500,00 EUR und am 31.01.2017 sogar 700,00 EUR für Miete überwiesen. Die Überweisung von monatlich unterschiedlichen, tendenziell steigenden Beträgen spricht nach Einschätzung des Senats für eine veränderte wirtschaftliche Belastbarkeit des F ... und der Antragstellerin, nicht aber gegen eine Wirtschaftsgemeinschaft. Eine für eine bloße Wohngemeinschaft typische Kostenteilung liegt nämlich auch nunmehr gerade nicht vor.

c) Dass die Antragstellerin und F ... für einander Verantwortung tragen und für einander einstehen, wird gesetzlich gemäß § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II vermutet, da beide länger als ein Jahr zusammen in einer Wohnung leben. Diese Vermutung haben beide nicht widerlegt. F ... hat vor dem SG zum Ausdruck gebracht, aus freiem Willen bereit zu sein, für die Antragstellerin einzustehen. Auch sprechen die seit Antragstellung gestiegenen Überweisungen des F ... an die Antragstellerin für sein praktisches Einstehen für die Antragstellerin. Im Übrigen hat auch diesbezüglich der Antragsgegner zutreffend ausgeführt, wer in auskömmlichen Zeiten wie ein Paar zusammen lebt und wirtschaftet, kann dies auch in Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht plötzlich für beendet erklären.

Das Ergebnis wird auch dadurch bestätigt, dass die Antragstellerin in den Anträgen vom 31.05.2012, 25.10.2012, 10.04.2013, 19.07.2013, 13.01.2014 und 03.01.2015 angab, mit F ... in Bedarfsgemeinschaft zu leben und die Bewilligung von Leistungen unter Annahme einer mit F ... bestehenden Bedarfsgemeinschaft unbeanstandet hinnahm.

3. Der Antragsgegner hat die maßgeblichen Ermittlungen entsprechend der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 01.07.2009 – B 4 AS 78/08 R, Rn. 17; Beschluss vom 25.02.2013 – B 14 AS 133/12 B, Rn. 6; Urteil vom 25.06.2015 – B 14 AS 30/14 R, Rn. 21) gegenüber der Antragstellerin und gegenüber F ... eingeleitet. Er hat beide u. a. mit Schreiben vom 27.01.2016, 18.10.2016 und 06.12.2016 aufgefordert, detailliert Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse, u.a. den Bezug von Arbeitslosengeld durch F ..., zu geben und die diesbezüglichen Belege vorzulegen. Hierzu waren beide bisher nicht bereit.

Damit sind im vorliegenden Verfahren die Anspruchsvoraussetzungen für einen vorläufigen Leistungsanspruch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben, weil die Antragstellerin ihre Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 9 Abs. 1 und 2 SGB II nicht glaubhaft gemacht.

Da die Antragstellerin und F ... bisher eine vollständige Aufstellung über ihre Einkommensverhältnisse weder im Verwaltungs- noch im Antrags- bzw. Beschwerdeverfahren vorgelegt haben, kann gegenwärtig nicht festgestellt werden, in welcher Höhe Einkommen zu berücksichtigen ist. Ohne Mitwirkung der Antragstellerin und von Frank Wilde ist eine Ermittlung von Amts wegen nicht möglich.

Sind infolge unzureichender Mitwirkung der Antragstellerin und ihres Partners die möglichen Ermittlungsmaßnahmen zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgeschöpft, kann nur eine Entscheidung auf der Grundlage der materiellen Beweislast (Feststellungslast) erfolgen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.08.2013 – L 9 SO 307/13 B ER, juris, Rn. 20; SächsLSG, Beschluss vom 01.10.2014 – L 7AS 606/14 B ER; SächsLSG, Beschluss vom 27.01.2015 – L 7 AS 1195/14 B ER; Beschluss vom 19.04.2016 – L 7 AS 172/16 B ER). Die Antragstellerin trägt die materielle Beweislast (Feststellungslast) für das Vorliegen ihrer Hilfebedürftigkeit (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 01.10.2014 – L 7 AS 606/14 B ER; Beschluss vom 27.01.2015 – L 7 AS 1195/14 B ER; Beschluss vom 19.04.2016 – L 7 AS 172/16 B ER). Sie und F ... haben es zudem in der Hand, durch Offenlegung ihrer Einkommens- und Vermögenssituation Abhilfe zu schaffen.

Nach alldem ist die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

4. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gemäß § 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren abzulehnen.

5. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Weinholtz Wagner Dr. Anders
Rechtskraft
Aus
Saved