S 4 AS 1827/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 1827/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 252,71 € kann für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft nach Art. 45 AEUV ausreichend sein (vgl. EuGH vom 4.2.2010 - C-14/09 - Rechtssache „Genc“, Slg. 2010, I-931). Dies gilt insbesonde-re, wenn eine unbefristete Beschäftigung besteht und die Zusi-cherung des Arbeitgebers vorliegt, dass bei weiterer Verbesse-rung der Deutschkenntnisse auch noch mehr Arbeitsstunden geleistet werden können.

2. An das für die Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft nach Art. 45 AEUV erforderliche monatliche Mindesteinkommen sind keine höheren Anforderungen zu stellen, weil der Erwerbstäti-ge für den Unterhalt anderer Personen - hier: seine Ehefrau und drei gemeinsame minderjährige Kinder - verantwortlich ist. Für die Frage, ob ein hinreichender Bezug eines EU-Ausländers zum deutschen Arbeitsmarkt vorliegt, ist die Frage nach Unterhaltsverpflichtungen irrelevant.
Tenor: 1. Der Beklagte wird unter Aufhebung seiner Bescheide vom 18.03.2016 und 23.05.2016 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 23.05.2016 verurteilt, den Klägern für den Zeitraum vom 01.03.2016 bis zum 28.02.2017 Leis-tungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. 2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 3. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klä-ger zu 3/4.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ab November 2015 im Streit.

Die Kläger sind Kriegsflüchtlinge aus Syrien und am 21.10.2015 nach Deutschland eingereist. Anträge auf Asyl bzw. die Anerkennung als Kriegsflüchtlinge haben die Kläger nicht beantragt. Der Kläger Ziff. 1 besitzt die spanische Staatsangehörigkeit, welche er während seines Architekturstudiums in Spanien erworben hat. Die Klägerin Ziff. 2 ist seine Ehefrau und besitzt die syrische Staatsbürgerschaft. Die drei gemeinsamen minderjährigen Kinder, die Kläger Ziff. 3 bis 5, besitzen wie ihr Vater die spanische Staatsbürgerschaft. Die Klägerin Ziff. 2 hat bei ihrer Einreise ein Visum für den Schengen-Raum vorgezeigt.

Am 04.11.2015 wurde der Kläger Ziff. 1 bei dem Beklagten vorstellig und beantragte erstmalig die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für sich und seine Familie.

Mit ordnungsbehördlicher Anordnung der Stadt X vom 11.11.2015 wurden die Kläger zur Vermeidung von Obdachlosigkeit in ihre Wohnung in X eingewiesen, wobei der Sofortvoll-zug angeordnet wurde.

Der Beklagte lehnte die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 18.11.2015 mit der Begründung ab, dass die Kläger weder Arbeitnehmer noch Selbständige nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Freizügigkeitsgesetz/EU seien und auch ein Daueraufenthaltsrecht gemäß § 4 a Abs. 7 Freizügigkeitsgesetz/EU nicht bestehe. Die Entscheidung wurde auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gestützt. Der deswegen am 30.11.2015 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2016 zurückgewiesen; eine Klage wurde deswegen nicht erhoben.

Mit Bescheid vom 27.11.2015 bewilligte die Familienkasse Y dem Kläger Ziff. 1 für die Klägerin Ziff. 3 Kindergeld von Oktober 2015 bis Juni 2027 in Höhe von 188,00 Euro monatlich, für die Klägerin Ziff. 4 Kindergeld für die Zeit von Oktober 2015 bis Oktober 2028 in Höhe von ebenfalls 188,00 Euro monatlich sowie für den Kläger Ziff. 5 Kindergeld für den Zeitraum Oktober 2015 bis Februar 2030 in Höhe von 194,00 Euro monatlich.

Am 25.02.2016 stellte der Kläger Ziff. 1 für seine Bedarfsgemeinschaft einen erneuten Leis-tungsantrag, den er damit begründete, dass er ab dem 01.03.2016 einen Minijob aufweisen könne, in welchem er 6 Stunden pro Woche zu einem Bruttolohn von 8,50 Euro als Helfer im Bereich Lager/Logistik arbeite. Der Kläger legte einen "Arbeitsvertrag für geringfügig Beschäftigte" mit der Firma Z vor, wonach er befristet für 6 Monate ab dem 01.03.2016 zu einem Stundenlohn von 8,50 Euro als Logistikmitarbeiter mit einer Stundenzahl von 6 Stun-den pro Woche arbeiten sollte.

Mit Bescheid vom 18.03.2016 lehnte die Beklagte erneut die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab, wobei sie die Begründung des vorausgegangenen Ablehnungsbeschei-des wiederholte und zusätzlich darauf verwies, dass es sich bei der geringfügigen Beschäfti-gung ab dem 01.03.2016 um eine völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit handele. Die Entscheidung wurde erneut auf "§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II" gestützt.

Der Kläger beantragte am 22.03.2016 einstweiligen Rechtsschutz beim Amtsgericht X, der am 30.03.2016 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) unter dem Aktenzeichen S 16 AS 1046/16 ER einging. Mit Beschluss vom 08.04.2016 wurde der Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Klägern für die Zeit vom 22.03.2016 bis zum 31.08.2016, längstens jedoch bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 18.03.2016, vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu erbringen.

Zuvor hatte der zu dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beigeladene Landkreis X mit Stellungnahme vom 07.04.2016 die Auffassung vertreten, dass der Kläger Ziff. 1 die Arbeitnehmereigenschaft besitze, da er aufgrund seines Arbeitsvertrags, wenngleich dieser geringfügig sei, Anspruch auf Lohnfortzahlung habe und nach der vorliegenden Aussage der Firma, dass die Arbeitszeit bei Bedarf erhöht werde, als in den Betrieb integriert anzusehen sei und durchaus Chancen habe, mit einer höheren Arbeitszeit längerfristig beschäftigt zu werden.

Mit Bescheid vom 21.04.2016 wurde den Klägern in Ausführung des Beschlusses des SG vom 08.04.2016 vorläufig Leistungen nach dem SGB II bewilligt.

Der Beklagte fragte bei der Firma Z bezüglich Einzelheiten des Arbeitsverhältnisses an. Mit Auskunft vom 12.04.2016 wurde von dort mitgeteilt, dass Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bestehe, jedoch kein Urlaubsanspruch. Die Dauer von 6 Stunden wöchentliche Arbeitsleistung sei eine Obergrenze. Die tatsächliche Arbeitszeit habe in der ersten Märzwo-che 4,5 Stunden, in der zweiten Märzwoche 5,75 Stunden, in der dritten Märzwoche 7 Stun-den, in der vierten Märzwoche 7,25 Stunden und in der fünften Märzwoche 3,5 Stunden be-tragen.

Die Kläger hingegen legten am 09.05.2016 Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 21.04.2016 ein und stellten gleichzeitig einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X in Hinblick auf den Ablehnungsbescheid vom 18.03.2016.

Mit Bescheid vom 23.05.2016 wurde der Überprüfungsantrag vom 09.05.2016 zurückgewie-sen, da die Ablehnungsentscheidung vom 18.03.2016 mit der dortigen Begründung nicht zu beanstanden sei. Die zwischenzeitlich vom Arbeitgeber erteilte Bescheinigung über den wö-chentlichen Arbeitsumfang bestätige eine völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit, welche nicht die Arbeitnehmereigenschaft begründe.

Mit weiteren Bescheiden vom 23.05.2016 machte der Beklagte einerseits gegenüber dem Kläger Ziff. 1 persönlich und in seiner Eigenschaft als Vertreter der Kläger Ziff. 3 bis 5 und andererseits mit dem anderen Bescheid gegenüber der Klägerin Ziff. 2 die Erstattung der bisher nach dem SGB II gewährten Leistungen geltend, wozu er seine bisherige Auffassung wiederholte, dass ein Leistungsanspruch wegen fehlender Arbeitnehmereigenschaft nicht bestehe.

Außerdem wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2016 der Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.04.2016 in der Fassung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 23.05.2016 zurückgewiesen.

Am 15.05.2016 stellten die Kläger einen Weiterbewilligungsantrag.

Am 25.05.2016 legten der Kläger Ziff. 1 und die Klägerin Ziff. 2 jeweils getrennt Wider-spruch gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23.05.2016 ein; hinsichtlich des Bescheides vom 23.05.2016 betreffend den Überprüfungsantrag des Klägers Ziff. 1 legte nur dieser einen entsprechenden Widerspruch ein. Am 06.06.2016 schaltete sich die Bevollmächtigte der Kläger in das Verwaltungsverfahren ein und legte ebenfalls einen Widerspruch gegen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23.05.2016 im Namen aller Kläger ein.

Ebenfalls am 06.06.2016 ging beim SG ein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz der Kläger selbst ein, den diese am 31.05.2016 beim Amtsgericht X gestellt hatten. In dem Verfahren des SG mit dem Aktenzeichen S 4 AS 1828/16 ER erging am 13.06.2016 der richterliche Hinweis, dass der Antrag der Kläger auf einstweiligen Rechtsschutz unter dem Aktenzeichen S 16 AS 1046/16 ER als Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.03.2016 auszulegen sei (mit Hinweis auf LSG Essen vom 24.09.2008 - L 16 B 36/08 KR-ER, juris Rdnr. 21). Dies sei auch für den Überprüfungsantrag anzunehmen. Schließlich gelte dies auch, weil die Bescheide vom 21.04.2016 und vom 23.05.2016 jeweils den Bescheid vom 18.03.2016 abänderten und deswegen selbst noch nicht bestandskräftig seien.

Im Hinblick auf diesen Hinweis fand das ER-Verfahren S 4 AS 1828/16 ER am 20.06.2016 dadurch seine Erledigung, dass die Kläger-Bevollmächtigte das Anerkenntnis auf vorläufige Weiterzahlungen der Leistungen gemäß dem sozialgerichtlichen Beschluss vom 08.04.2016 annahm.

Am 03.06.2016 hat die Kläger-Bevollmächtigte beim SG Klage gegen den Bescheid vom 21.04.2016 in der Fassung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 23.05.2016, die-ser wiederum in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2016, erhoben. Die Kla-ge wird im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Kläger Ziff. 1 Arbeitnehmer im Sinne des EU-Rechts aufgrund seiner ausgeübten geringfügigen Beschäftigung sei und daher mit seiner Familie nicht von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen werden dürfe.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 18.11.2015 und 23.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2016 und unter Aufhebung des Be-scheides vom 18.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2016 zu verurteilen, ihnen Leistungen nach dem SGB II im gesetzlichen Umfang ab No-vember 2015 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und geht dabei davon aus, dass der Kläger wegen einer geringfügigen und völlig untergeordneten Beschäftigung nicht Arbeitnehmer im Sinne der maßgeblichen Vorschriften sei.

Im parallel zum Klageverfahren laufenden weiteren Verwaltungsverfahren holte der Beklagte weitere Auskünfte von den Klägern über ihre aktuelle Bedürftigkeit ein.

Am 15.06.2016 wurde in Ausführung des Anerkenntnisses die vorläufige Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II verfügt.

Auch gegen diesen Bescheid wurde Widerspruch eingelegt, da hierin nicht alle Kosten be-rücksichtigt worden seien. Aufgrund der nach Auffassung der Kläger zu geringfügigen Leis-tungsbewilligung durch den Bescheid vom 15.06.2016 hat die Kläger-Bevollmächtigte am 12.07.2016 beim SG weiteren einstweiligen Rechtsschutz zu dem Akten S 4 AS 2323/16 ER beantragt. Diesen Antrag hat die erkennende Kammer mit Beschluss vom 22.07.2016 wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abgelehnt, da der Beklagte bereits zwei Tage nach Ein-gang des Eilantrages die mit dem Widerspruch angemahnten Änderungen umgesetzt hatte, insbesondere die Klägerin Ziff. 2 in die Bedarfsgemeinschaft aufgenommen und entsprechende Leistungen bewilligt hatte, und weil auch im Hinblick auf insoweit noch nicht übernommene KdU die Leistungsbereitschaft des Beklagten bei Vorlage entsprechender Nachweise (Nebenkostenabrechnung 2015/2016) bereits angezeigt gewesen sei. Dieser Beschluss des SG, mit dem ebenfalls die Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist, ist durch Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) vom 04.10.2016 (Az. L 12 AS 2996/16 B) bestätigt worden.

Mit Bescheid vom 14.07.2016 wurde der Bescheid vom 15.06.2016 insoweit aufgehoben, als eine Anpassung der Leistungen erfolgte; auf dem Bescheid beigefügten Berechnungsbogen wird Bezug genommen. Am 26.07.2016 erging ein weiterer Änderungsbescheid, der insoweit ebenfalls in Bezug genommen wird.

Im weiteren Verwaltungsverfahren wurden insbesondere Lohnnachweise und Kontoauszüge vorgelegt. Außerdem hat die Kläger-Bevollmächtigte die Änderung des Arbeitsvertrages vom 15.08.2016 vorgelegt, wonach das Arbeitsverhältnis seit dem 01.09.2016 unbefristet fortgeführt und das Grundentgelt (Stundenlohn) auf 9,00 Euro pro Stunde angehoben wurde. In der Änderung findet sich auch die Regelung, dass in dem Entgelt sämtliche finanziellen Ansprüche auf Einmalzahlungen, insbesondere anteiliges Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld, bereits enthalten seien.

Am 15.09.2016 hat die Kläger-Bevollmächtigte darauf hingewiesen, dass für den Monat September 2016 Leistungen nicht mehr überwiesen worden seien und deswegen eine Gefährdung des Existenzminimums vorliege.

Die Kläger-Bevollmächtigte hat deswegen am 11.10.2016 erneut einstweiligen Rechtsschutz beim SG beantragt, welcher unter dem Az. S 4 AS 3412/16 ER geführt wurde. Der Beklagte erwiderte in dem Verfahren, dass aufgrund der Anfrage der Kläger-Bevollmächtigten vom 13.09.2016 der Brief des Beklagten vom 20.07.2016 am 04.10.2016 nochmals versandt wor-den sei, in dem um nähere Auskunft bzw. Nachweis gebeten worden war.

Nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 20.10.2016 die Leistungsbewilligung ab dem 01.09.2016 vorläufig wieder aufgenommen hatte, hat die erkennende Kammer den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit Beschluss vom 24.10.2016 wegen von Anfang an fehlenden Rechtsschutzbedürfnis abgelehnt, da die von dem Beklagten verlangten Nachweise ohne weitere Schwierigkeiten direkt bei diesem hätten vorgelegt werden können. Dieser Beschluss, mit dem erneut die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wurde, ist mit Beschluss des LSG vom 22.11.2016 (Az. L 3 AS 4030/16 ER B und L 3 AS 4308/16 B) bestätigt worden.

Am 13.10.2016 haben die Kläger einen neuen Weiterbewilligungsantrag gestellt.

Am 15.11.2016 ist im SG ein Erörterungstermin durchgeführt worden. Der Kläger hat hierin unter anderem angegeben, dass sein letzter Monatslohn etwas weniger als 300,00 Euro betra-gen habe. Die Kläger-Bevollmächtigte hat ergänzt, dass der Arbeitgeber in Aussicht gestellt habe, den Kläger in größerem Umfang zu beschäftigen, wenn der Kläger bessere Sprach-kenntnisse aufweisen könne. Der Kläger arbeite deswegen nur zum Teil und nehme im Übri-gen täglich - ebenso wie die Klägerin Ziff. 2 - Unterricht bei der Volkshochschule. Der Kläger gab im Übrigen an, dass er nach seinem 20jährigen Aufenthalt in Spanien das Spanische als seine Muttersprache bezeichnen würde.

Die Beteiligten haben am Ende des Termins ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erklärt.

Nach dem Termin hat die Kläger-Bevollmächtigte vereinbarungsgemäß die Lohnbescheini-gungen des Klägers für die Beschäftigung ab März 2016 vorgelegt, aus denen sich monatliche Bezüge für die Zeit März 2016 bis Oktober 2016 von durchschnittlich 252,71 Euro ergeben (153,00 Euro im März 2016, 216,75 Euro im April 2016, 295,40 Euro im Mai 2016, 278,38 Euro im Juni 2016, 284,76 Euro im Juli 2016, 320,88 Euro im August 2016, 189,00 Euro im September 2016 und 283,50 Euro im Oktober 2016).

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Akten des SG Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und für die Zeit ab dem 01.03.2016 begründet. Die Entscheidung erging aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG.

Die Kammer weist darauf hin, dass sie von einer Beiladung des Sozialhilfeträgers abgesehen hat, weil dessen Leistungspflicht nach Auffassung der Kammer nicht in Betracht kommt (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11. August 2016 – L 3 AS 376/16 B ER –, Rn. 29 ff., juris).

Streitgegenständlich ist die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab November 2015, was sich klarstellend aus dem Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 17.10.2016 ergibt. Der Streitgegenstand wird durch den vom Kläger erhobenen Anspruch bestimmt.

Die Klage ist hinsichtlich des Antrags auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit bis zum 29.02.2016 jedoch bereits deswegen unbegründet, weil der Ablehnungsbe-scheid vom 18.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.03.2016 nicht mit der Klage angefochten und deswegen bestandskräftig geworden ist. Die Ablehnung ist trotz des zweiten Leistungsantrags vom 25.02.2016 bis zum 29.02.2016 bestandskräftig, weil der zweite Leistungsantrag sich ersichtlich auf den Umstand der ab dem 01.03.2016 vorhandenen Beschäftigung bezog, da er maßgeblich hiermit begründet worden ist, und daher aus Sicht beider Beteiligter davon auszugehen war, dass der zweite Antrag erst mit Wirkung vom 01.03.2016 gestellt werden sollte.

Die Kammer weist im Übrigen darauf hin, dass der Bescheid vom 18.11.2016 auch in der Sache nicht zu beanstanden sein dürfte, weil in den ersten drei Monaten des Aufenthalts in Deutschland der Leistungsausschlussgrund in § Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II galt. Da sich in der Familie der Kläger bis zum 29.02.2016 keine Person befand, die als Arbeitnehmer oder Selbständiger im Sinne des EU-Rechts anzusehen ist, war es auch zulässig, in diesem Zeit-raum keine Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen. (EuGH, Urteil vom 25. Februar 2016 – C-299/14 –, Rn. 49 ff., juris).

Ab dem 01.03.2016 besteht für die Bedarfsgemeinschaft der Kläger ein Leistungsanspruch nach dem SGB II, weil alle Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind. Diese Leistungen sind ebenfalls streitgegenständlich, da insgesamt auf Gewährung der nach dem SGB II zustehen-den Leistungen ab November 2015 geklagt wird. Unschädlich für diese Auslegung ist, dass der mit Schriftsatz vom 03.06.2016 formulierte Antrag auf die Bescheide vom 21.04.2016 in der Fassung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 23.05.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2016 begrenzt ist. Dadurch, dass der vorläufige Bewilli-gungsbescheid vom 21.04.2016 bei der Klageerhebung am 03.06.2016 genannt worden ist, wurde fristgerecht die Art und Höhe der Leistungsbewilligung ab dem 01.03.2016 dem Ge-richt zur Überprüfung vorgelegt. Da der Bescheid vom 23.05.2016 sich auf den 21.04.2016 bezieht und diesen abändert, wurde er nach § 86 SGG - auch nach der Feststellung des Be-klagten in dem angegriffenen Widerspruchsbescheid - Gegenstand des Verfahrens. Durch den Widerspruchsbescheid vom 23.05.2016, der die Bescheide vom 21.04.2016 und vom 23.05.2016 umfasst, wurde mithin die Leistungsbewilligung ab dem 01.03.2016 insgesamt zum Streitgegenstand der vorliegenden Klage. Da diese Entscheidungen Abänderungen der Ablehnungsentscheidung vom 18.03.2016 darstellen, ist auch diese Entscheidung vom 18.03.2016 - in der Gestalt des Überprüfungsbescheides vom 23.05.2016 - Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden. Hierfür ist unschädlich, dass hinsichtlich des Überprü-fungsverfahrens einerseits nur der Kläger Ziff. 1 Widerspruch eingelegt hat und andererseits auch ein Widerspruchsbescheid nicht ausdrücklich zu diesem Verwaltungsverfahren ergangen ist. Denn insofern stellt der Widerspruchsbescheid vom 23.05.2016 sowohl nach seinem Inhalt als auch dem letztlich maßgeblichen Empfängerhorizont eine umfassende rechtliche Regelung der Ansprüche der Bedarfsgemeinschaft ab dem 01.03.2016 dar, die mithin insoweit auch der gerichtlichen Prüfung unterfällt.

Hinsichtlich der Tenorierung weist die Kammer darauf hin, dass diese sich lediglich auf die Bescheide bezieht, welche eine endgültige Regelung zu den Leistungsansprüchen nach dem SGB II treffen. Ergeht während eines gerichtlichen Verfahrens über eine vorläufige Leis-tungsbewilligung ein Bescheid mit einer endgültigen Leistungsbewilligung, so wird dieser gem. § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens und ersetzt den Bescheid über die vorläufige Leistungsbewilligung vollständig (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 17. November 2016 – L 7 AS 2045/13 –, juris). Nichts anderes gilt nach § 86 SGG für das Ver-hältnis dieser beiden Bewilligungsarten im Widerspruchsverfahren.

Die Voraussetzungen der Leistungsbewilligung nach dem SGB II im gesetzlichen Umfang liegen für die Bedarfsgemeinschaft seit dem 01.03.2016 vor. Insbesondere sind der Kläger Ziff. 1 und die Klägerin Ziff. 2 erwerbsfähig, und ihre Bedarfsgemeinschaft insgesamt ist auch bedürftig im Sinne der §§ 19 ff. SGB II, was von dem Beklagten zu Recht nicht in Frage gestellt wird. Hierzu wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 21.04.2016 und den beigefügten Berechnungsbogen verwiesen.

Der von dem Beklagten in dem Widerspruchsbescheid vom 23.05.2016 angeführte Leistungsausschlussgrund des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greift im Falle der Kläger entgegen der Auffassung des Beklagten nicht ein. Nach dieser Vorschrift in der hier maßgeblichen, bis zum 28.12.2016 geltenden Fassung sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen. Dies ergibt sich daraus, dass der Kläger unter Berücksichtigung des vorrangigen EU-Rechts nicht als Arbeitsuchender, sondern als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist. Liegen die Voraussetzungen für ein mögliches anderes Aufenthaltsrecht als ein solches zum Zwecke der Arbeitssuche vor, so kommt ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht in Betracht (vgl. BSG Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R = juris Rn. 31 ff.; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R = juris Rn. 17, BSG Urteil vom 25.01.2012 - B 14 AS 138/11 R = juris Rn. 20 f.).

Der Arbeitnehmerbegriff i.S. des Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist nach der maßgeblichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ein autonomer Begriff des Unionsrechts, der nicht eng ausgelegt werden darf (EuGH, Urteil vom 21.02.2014 - C-46/12 = juris Rn. 39 m.w.N.). Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Die beschränkte Höhe dieser Vergütung oder der Umstand, dass sie nur eine geringe Anzahl von Wochenstunden Arbeit leistet, schließen es nicht aus, dass eine Person als Arbeitnehmer i.S. des Art. 45 AEUV anerkannt wird. Allerdings ist für die Qualifizierung als Arbeitnehmer erforderlich, dass eine Person eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, die keinen so geringen Umfang hat, dass sie sich als vollständig untergeordnet und unwesentlich darstellt (EuGH Urteil vom 21.02.2014 - C-46/12 = juris Rn. 40 ff. - Rechtssache L.N). Die Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft erfordert eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalles (EuGH Urteil vom 21.02.2014 - C-46/12 = juris Rn. 43; zitiert nach SG Aachen, Urteil vom 25. Oktober 2016 – S 11 AS 357/16 –, Rn. 39 ff.).

Zur Prüfung der Voraussetzungen der Arbeitnehmereigenschaft iS von § 2 Abs 2 Nr 1 Frei-zügG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) ist eine Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Dabei sind regelmäßig auch geringfügige Beschäftigungen bzw sog. Minijobs als "tatsächliche und echte" Arbeitsverhältnisse im Sinne des Freizügigkeitsrechts zu qualifizieren. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Anschluss an EuGH vom 4.2.2010 - C-14/09 - Rechtssache "Genc", Slg. 2010, I-931), reicht eine Arbeitsleistung von 5,5 Stunden wöchentlich und ein Verdienst von etwa 175 EUR monatlich aus, um die Arbeitnehmereigenschaft anzunehmen (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Juni 2016 – L 4 AS 193/16 B ER –, juris; so auch Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07. Oktober 2016 – L 12 AS 965/16 B ER –, juris). Sogar eine geringfügige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einem monatlichen Einkommen von 160 EUR soll hierfür schon ausreichen können (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. Juni 2016 – L 4 AS 249/16 B ER –, juris Rn. 32).

Vorliegend hat der Kläger Ziff. 1 von März bis Oktober ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 252,71 EUR erzielt, was deutlich über der vom EuGH in der Rechtssache Genc anerkannten Einkommen von 175 EUR monatlich liegt. Hinsichtlich der erforderlichen Einzel-fallbetrachtung ist festzustellen, dass der Kläger Ziff. 1 nicht nur inzwischen über eine unbe-fristete Anstellung verfügt, sondern auch über die Zusicherung seines Arbeitgebers, mehr Arbeitsstunden leisten zu können, wenn er seine Deutschkenntnisse verbessert. Die Kläger Ziff. 1 und 2 haben in dem Erörterungstermin vom 15.11.2016 glaubhaft dargelegt, dass sie regelmäßig Deutschkurse belegen und sehr daran interessiert sind, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern. Die Kammer hatte auch den Eindruck, dass die Kläger Ziff. 1 und Ziff. 2, welche akademische Abschlüsse aus Spanien (Kläger Ziff. 1: Architekt) bzw. Syrien (Klägerin Ziff. 2: Bachelor in Arabistik) vorweisen können, eine realistische Aussicht haben, ihre Deutschkenntnisse in nicht allzu langer Zeit für einen umfangreicheren Einsatz auf dem Arbeitsmarkt verbessern zu können. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger zu Ziff. 1 bereits zweisprachig mit dem Sprachen Arabisch und Spanisch ist und er beim Hinzutreten brauchbarer Deutschkenntnisse mit dann drei Sprachen für zahlreiche andere Arbeitgeber von Interesse sein könnte, zumal er auch ausgebildeter Architekt mit langjähriger Berufspraxis ist.

Sofern der Beklagte vorgetragen hat, der Lohn des Klägers Ziff. 1 müsse kritischer betrachtet werden, weil dieser eine fünfköpfige Familie ernähren müsse, vermag dies nicht zu überzeugen. Die Kammer hält es für nicht angängig, die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des maßgeblichen EU-Rechts von der Anzahl der zu ernährenden Familienangehörigen abhängig zu machen. Jedenfalls müsste dann - die Zulässigkeit dieser Betrachtungsweise unterstellt - auch das den Klägern bewilligte Kindergeld in die erzielten Monatseinkünfte einbezogen werden, wonach sich für die Zeit von März bis Oktober 2016 bereits durchschnittliche Monatseinkünfte von 822,71 EUR ergäben.

Im Ergebnis hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass die Kläger bereits jetzt einen hinreichenden Bezug zum deutschen Arbeitsmarkt aufweisen. Insofern kann die Kammer offenlassen, ob sich nicht aufgrund des Aufenthalts seit November 2015 - und mithin von mehr als einem Jahr - ein verfestigtes Aufenthaltsrecht aus anderem Grund ergibt. Dies gilt auch für die Frage, ob den Klägern ein dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II entgegenstehendes anderes Aufenthaltsrecht deswegen zusteht, weil die am 25.06.2009 geborene Klägerin Ziff. 3 inzwischen regelmäßig die Schule besucht. Denn ein Aufenthaltsrecht kann sich auch daraus ergeben, dass Kinder eines (ehemals) einer Erwerbstätigkeit nachgehenden Elternteils in der Bundesrepublik Deutschland dauerhaft zur Schule gehen (Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21. Oktober 2016 – L 7 AS 973/16 B ER –, juris).

Die Begrenzung der Leistungsbewilligung auf ein Jahr erfolgte aufgrund der Regelung in § 41 Abs. 3 Satz 1 SGB II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und dem überwiegenden Erfolg der Klage.
Rechtskraft
Aus
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