L 2 AS 449/16 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 18 AS 1620/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 449/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 12. Juli 2016 wird aufgehoben und der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2016, längstens bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zur Sicherung der Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches in gesetzlicher Höhe zu erbringen.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) bzw. nach dem Zwölften Buch - Sozialhilfe (SGB XII).

Die am ... 1986 geborene Antragstellerin zu 1. ist in A. geboren und portugisische Staatsangehörige. Sie reiste nach eigenen Angaben im März 2013 nach Deutschland ein. Die am ... 2006 geborene Antragstellerin zu 2. und der am ... 2009 geborenen Antragsteller zu 3. sind die Kinder der Antragstellerin zu 1. und ebenfalls p. Staatsangehörige. Der Vater der Kinder hält sich nach den Angaben der Antragstellerin zu 1. in A. auf. Die Antragsteller bewohnen eine im Februar 2014 von der Antragstellerin zu 1. angemietete Wohnung in der ... in H. Für Unterkunft und Heizung sind monatlich 328,99 EUR aufzuwenden.

Vom 6. Mai bis 31. Juli 2013 war die Antragstellerin zu 1. als Helferin in einer Eisdiele in K. beschäftigt und vom 20. Juli 2014 bis zum 31. November 2014 war sie bei der Firma T. I. in ... L. geringfügig beschäftigt.

Dann war die Antragstellerin zu 1. vom 11. September 2015 bis ... 2015 bei der Firma K. G. GmbH in ... G. beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag war vereinbart, dass sie als Reinigungskraft in einem ...-Markt in der H.straße in K. jeweils montags bis samstags für 1,5 Stunden arbeiten sollte. Als Vergütung war ein Stundenlohn von 9,55 EUR vereinbart. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23. Oktober 2015. Darüber hinaus war die Antragstellerin zu 1. vom 1. bis 31. Oktober 2015 als Küchenhilfe in einem Restaurant in P. (in der Nähe von K.) beschäftigt. Vereinbart war eine Arbeitszeit von 50 Stunden im Monat und eine Vergütung von 9 EUR pro Stunde. Dieses Arbeitsverhältnis endete ebenfalls durch eine Kündigung des Arbeitgebers. Aus diesen beiden Beschäftigungen erzielte die Antragstellerin zu 1. im Oktober 2015 Einkommen in Höhe von insgesamt 636,74 EUR (186,78 EUR als Reinigungskraft und 450 EUR als Küchenhilfe). Im November 2015 erzielte die Antragstellerin aus der Beschäftigung als Reinigungskraft ein Einkommen von 364,73 EUR.

Die Antragstellerin zu 2. ist Schülerin und besucht die Grundschule H. Straße in H ... Nach dem von dieser Schule erteilten Halbjahreszeugnis der 3. Schulklasse vom 29. Januar 2016 über den Schulbesuch im Schuljahr 2015/2016 erscheint die Antragstellerin zu 2. regelmäßig zum Unterricht. Der Antragsteller zu 3. hat noch bis Ende Juli 2016 den Kindergarten besucht und ist erst zu Beginn des neuen Schuljahres eingeschult worden. Die Antragsteller zu 2. und 3. erhalten Kindergeld in Höhe von jeweils 190,00 EUR im Monat.

Für den Zeitraum vom 1. August 2015 bis zum 30. April 2016 bezogen die Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe nach dem SGB II aufgrund einer vom Senat mit Beschluss vom 21. Januar 2016 im Verfahren L 2 AS 624/15 B ER ausgesprochenen Verpflichtung. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den den Beteiligten bekannten Beschluss hingewiesen. In dem vorgenannten Eilverfahren hat die Antragstellerin in einem von der damaligen Berichterstatterin am 5. November 2015 durchgeführten Erörterungstermin zu den näheren Umständen ihrer zuletzt in K. und P. ausgeübten Tätigkeiten erklärt: Sie habe sich die Woche über in K. aufgehalten und bei einem Bekannten gewohnt. Die Kinder seien in H. von einer Bekannten betreut worden. An den Wochenenden bzw. an jedem zweiten Wochenende sei sie nach H. gekommen.

Einen am 20. April 2016 gestellten Weiterbewilligungsantrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 22. April 2016 mit der Begründung ab, es bestünden keine Ansprüche, weil sich die Antragstellerin zu 1. alleine zum Zwecke der Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Hiergeben haben die Antragsteller am 3. Mai 2016 Widerspruch erhoben.

Am 6. Mai 2016 haben die Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Halle (SG) gestellt mit dem Antrag, den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen ab dem 1. April 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

Das SG hat die Stadt H. als örtlichen Sozialhilfeträger beigeladen.

Mit Beschluss vom 12. Juli 2016 hat die 18. Kammer des SG durch den Kammervorsitzenden den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und ausgeführt: Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greife zu Lasten der Antragstellerin zu 1. und damit auch ihrer Kinder als Familienangehörige ein. Die Antragstellerin zu 1. habe aufgrund ihrer verschiedenen Tätigkeiten, die als "völlig untergeordnet und unwesentlich" einzustufen sein, keinen Arbeitnehmerstatus gehabt. Deshalb ergebe sich auch aus dem Schulbesuch der Antragstellerin zu 2. kein Aufenthaltsrecht. Auch ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen besteht nicht. Der dies in entsprechenden Fallkonstellationen bejahenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folge der Kammervorsitzende nicht.

Gegen den am 21. Juli 2016 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 27. Juli 2016 Beschwerde erhoben. Zur Begründung haben sie auf die Ausführungen des Senats im Beschluss 21. Januar 2016 im Verfahren L 2 AS 624/15 B ER Bezug genommen.

Die anwaltlich vertretenen Antragsteller haben auf Nachfrage des Berichterstatters mitgeteilt, dass im Hinblick auf die vom Senat im Beschluss vom 21. Januar 2016 im Verfahren L 2 AS 624/15 B ER ausgesprochene Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung vorläufiger Leistungen in diesem Verfahren eine Verpflichtung nur für die Zeit ab dem 1. Mai 2016 begehrt wird.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 12. Juli 2016 aufzuheben und den Antragsgegner - hilfsweise die Beigeladenen - zu verpflichten, ihnen vorläufig für die Zeit ab dem 1. Mai 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu erbringen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für richtig: Die Antragstellerin zu 1. habe keine Tätigkeiten als Arbeitnehmerin ausgeführt. Es komme auf eine Gesamtschau aller Umstände an. Dabei sei zu beachten, dass die Tätigkeit als Reinigungskraft in K. ausgeübt worden sei, während die Kinder der Antragstellerin zu 1. durch Dritte in H./S. betreut worden sein. Es sei kaum nachvollziehbar, dass eine Arbeitnehmerin bei einem maximalen Monatsentgelt von 450,00 EUR eine solche Situation schaffe.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für richtig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen.

II.

Streitgegenstand ist die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII für den Zeitraum ab dem 1. Mai 2016.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft nach § 172 Abs. 1 und 3 Nr. 1 SGG. Der Wert der Beschwerde übersteigt den Berufungswert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in Höhe von 750 EUR. Die Verpflichtung des Antragsgegners bzw. der Beigeladenen, den Antragstellern für die Zeit ab 1. Mai 2016 Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII zu bewilligen, überschreitet den maßgebenden Beschwerdewert von 750 EUR. Es ist davon auszugehen, dass vorläufige Leistungen zumindest für sechs Monate begehrt werden.

Die Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

Rechtsgrundlage für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist § 86b Abs. 2 SGG. Danach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte oder eine Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 929 Abs. 1 und Abs. 3 sowie die §§ 930 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten entsprechend. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist danach stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund, d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, und ein Anordnungsanspruch, d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs, glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO).

Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren nicht die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen. Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 86b, Rn. 16b). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02). Dies gilt ganz besonders dann, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05).

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch gegenüber dem Antragsgegner sind die §§ 19 Abs. 1 Sätze 1 und 3, Abs. 3 Satz 1, 20 Abs. 1 und 2, 22 Abs. 1 SGB II. Nach diesen Vorschriften erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich des Regelbedarfs sowie der Bedarfe für Unterkunft und Heizung, soweit diese Bedarfe nicht durch zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen gedeckt sind. Leistungsberechtigt sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die u. a. erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Einkommen und Vermögen sind nach Maßgabe der §§ 11 ff, 12 SGB II anzurechnen.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin zu 1. erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht. Auch ist sie, da ihr die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt werden könnte, in der Lage, in dem in § 8 Abs. 1 SGB II beschriebenen Umfang erwerbstätig zu sein. Denn nach § 8 Abs. 2 SGB II reicht hierfür die rechtliche Möglichkeit aus, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 des Aufenthaltsgesetzes aufzunehmen. Zudem hat die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil (SGB I) im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs (vgl. dazu BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R - juris, Rn. 18) in der Bundesrepublik Deutschland begründet. Seit dem 29. Januar 2013 tritt bei Unionsbürgern an die Stelle der Überprüfung der Voraussetzungen für die Ausstellung einer Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht die Prüfung über das Vorliegen oder den Fortbestand der Voraussetzungen für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Absatz , § 5 Abs. 3 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU). Die Antragsteller zu 2. und 3. erfüllen die Anspruchsvoraussetzungen nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II, da sie mit der Antragstellerin zu 1. in einer Bedarfsgemeinschaft leben und keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII haben.

Der Leistungsanspruch ist auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. Danach haben Ausländer und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten keinen Leistungsanspruch, wenn sie weder in der Bundesrepublik Arbeitnehmer oder Selbständige, noch aufgrund von § 2 Abs. 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind. Im Übrigen haben Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, keinen Leistungsanspruch.

Diese Ausschlussnormen greifen nicht ein. Es besteht zumindest ein anderes Aufenthaltsrecht der Antragstellerin zu 1. als das zum Zwecke der Arbeitsuche. Deshalb greift der Leistungsausschluss nicht ein. Aufgrund des Leistungsanspruchs der Antragstellerin zu 1. gegen den Antragsgegner besteht gem. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II auch ein Leistungsanspruch der Antragsteller zu 2. und 3. auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Diese bilden als mit der Antragstellerin zu 1. zusammenlebende Kinder eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II.

Den Antragstellerinnen zu 1. und zu 2. steht auch für den Zeitraum ab 1. Mai 2016 ein Aufenthaltsrecht nach § 3 Abs. 4 FreizügG/EU zu. Danach haben Kinder, die sich in der Schulausbildung bzw. Ausbildung befinden, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zusammen mit dem sorgeberechtigten Elternteil. Dieses Aufenthaltsrecht ist allein an den Zugang zur Ausbildung gebunden und setzt weiter nur voraus, dass ein Elternteil bereits freizügigkeitsberechtigt als Arbeitnehmer war, das Kind in Ausbildung ist und der Elternteil mit diesem Kind zusammenlebt. Die Antragstellerin zu 2. besucht die Schule und die Antragstellerin zu 1. übt das Sorgerecht aus.

Hintergrund dieser Regelung ist Art. 10 der Verordnung 492/11 vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der EU. Danach können Kinder eines Mitgliedsstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, unter den gleichen Bedingungen am allgemeinen Unterricht sowie der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedsstaates wohnen. Diese Kinder haben nach der Rechtsprechung des EuGH ein eigenständiges Aufenthaltsrecht unabhängig von dem ggf. beendeten Aufenthaltsrecht der Eltern nach einer abhängigen Beschäftigung. Denn wenn das Aufenthaltsrecht der Kinder entfallen würde, weil das Aufenthaltsrecht der Eltern als Arbeitnehmer beendet worden ist, könnten diese Kinder ihre Ausbildung nicht fortsetzen. Dieses ausbildungsbezogene Aufenthaltsrecht der Kinder besteht unabhängig von den Voraussetzungen der Freizügigkeits-Richtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 29. April 2004 (ABl. vom 30. April 2004 Nr. L 158/77). Insbesondere müssen diese Kinder und der sorgeberechtigte Elternteil nicht über einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen (vgl. EuGH, Urteil vom 23. Februar 2010, C-480/08 Texeira zu der inhaltsgleichen Regelung in Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 vom 15. Oktober 1968). Zusammen mit dem in der Ausbildung befindlichen Kind hat der sorgeberechtigte Elternteil ein von diesem abgeleitetes Aufenthaltsrecht, auch wenn das auf den Freizügigkeitsregelungen beruhende eigene Aufenthaltsrecht des Elternteils bereits nicht mehr besteht (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 zu B 4 AS 43/15 R). Der Antragsteller zu 3. hat ein Aufenthaltsrecht nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU, da er seine Mutter begleitet.

Die Antragstellerin zu 1. hatte durch die Aufnahme der Tätigkeit ab 11. September 2015 ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizüg/EU als Arbeitnehmerin erworben. Dass dieses wieder entfallen ist, ist - wie oben ausgeführt - für das Freizügigkeitsrecht aus § 3 Abs. 4 FreizügG/EU nicht von Bedeutung.

Die Antragstellerin zu 1. nahm am 11. September 2015 eine Beschäftigung als Reinigungskraft bei der Firma K. G. GmbH mit Einsatzort in K. auf. Bei dieser Tätigkeit handelte es sich entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht nur um eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind freizügigkeitsberechtigt Arbeitnehmer, die eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausüben mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt (EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007, C-213 "Geven", Rnr. 16). Die Tätigkeiten der Antragstellerin zu 1. dürften nicht als völlig untergeordnet und unwesentlich eingestuft werden können. Dies hat der EuGH für eine Arbeitnehmertätigkeit mit einem Durchschnittslohn von etwa 175 EUR pro Monat verneint, ohne sich auf eine feste Untergrenze festzulegen. Dabei hat der EuGH auch herausgehoben, dass es auf eine Gesamtbetrachtung aller Umstände ankommt (Urteil vom 4. Februar 2010 in der Rechtssache Genc - C-14/09 - Slg 2010, I-931).

Die bisher bekannten Umstände sprechen dafür, dass es sich bei der Reinigungstätigkeit der Antragstellerin zu 1. um eine normale Teilzeitbeschäftigung gehandelt hat, die die Arbeitnehmereigenschaft begründete. Die Antragstellerin zu 1. sollte neun Stunden in der Woche tätig sein und die Arbeitgeberin hatte sich verpflichtet, ein Entgelt von 9 EUR in der Stunde zu zahlen. An Entgelten flossen aus dieser Tätigkeit im Oktober 2015 186,78 EUR und im November 2015 364,73 EUR zu. Die Tätigkeit endete aufgrund einer Arbeitgeberkündigung am 7. November 2015. Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass die Tätigkeit aus Sicht der Antragstellerin zu 1. von vornherein nur für kurze Zeit ausgeübt werden sollte. Dies ergibt sich auch nicht zwingend aus der familiären Situation der Antragstellerin zu 1., die in der Zeit dieser Tätigkeit während der Woche in K. gelebt und die Kinderbetreuung in H./S. über eine Bekannte geregelt hatte. Eine berufsbedingte Abwesenheit einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers von der Restfamilie in der Woche ist nicht unüblich. Ob sich hier aufgrund des verhältnismäßig geringen Umfangs der Tätigkeit und des Entgelts und der Situation der Antragstellerin zu 1. als Alleinerziehenden etwas anderes in dem Sinne ergibt, dass die Tätigkeit von Anfang an nur für kurze Zeit ausgeübt werden sollte, was für eine untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit sprechen könnte, mag im Hauptsacheverfahren aufgeklärt werden. Nach Sicht des Senats drängen sich jedenfalls im Eilverfahren keine gewichtigen Gründe dafür aus, den Arbeitnehmerstatus der Antragstellerin zu 1. aufgrund dieser Beschäftigung in Zweifel zu ziehen.

Als Bedarf ist bei der Antragstellerin zu 1. der Regelsatz für Alleinstehende zuzüglich des Alleinerziehungszuschlags nach § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen. Die Antragsteller haben einen Sozialgeldbedarf nach § 23 SGB II. Bedarfe für Unterkunft und Heizung sind in tatsächlicher Höhe kopfanteilig zu berücksichtigen. Einkünfte sind nach §§11ff. SGB II auf den Bedarf anzurechnen. Das Kindergeld ist jeweils bei den Kindern und eventuelle Einkünfte der Antragstellerin zu 1. entsprechend der Bedarfsanteile am Gesamtbedarf bei allen drei Familienmitgliedern anzurechnen. Die sich danach ergebenden Leistungsansprüche für Unterkunft und Heizung sind aufgrund der erteilten Abtretungserklärung an die Vermieterin zu zahlen.

Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund geltend gemacht. Sie konnten ihren Lebensunterhalt seit Mai 2016 nur unzureichend sichern. Es bestehen bereits Mietschulden, die zum Verlust der Wohnung führen können.

Der Senat hält es für geboten, die Dauer der auszusprechenden vorläufigen Verpflichtung auf höchstens sechs Monate zu begrenzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Das ursprünglich auch – wohl aufgrund eines Versehens – die Verpflichtung zur Leistungserbringung für April 2016 beantragt worden war, fällt nach der erfolgten klarstellenden Erklärung nicht ins Gewicht.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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