L 18 AS 1641/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 30 AS 2629/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 1641/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. April 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wehrt sich gegen die Vollstreckung einer Geldforderung im Wege der Pfändungs- und Überweisungsverfügung.

Der 2000 geborene Kläger stand bis Oktober 2011 als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft seiner Mutter im Leistungsbezug des Beklagten und erhielt aufgrund des Bescheides vom 7. April 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. April 2011 bis 31. Oktober 2011 in Höhe von monatlich 197 EUR nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Im Oktober 2011 zog der Kläger zu seinem Vater. Mit einem an den Kläger, gesetzlich vertreten durch die Mutter, gerichteten Bescheid vom 18. Januar 2012 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung mit Wirkung ab dem 1. April 2011 ua im Hinblick auf die Mitteilung von Unterhaltszahlungen für den Bewilligungszeitraum sowie eines Anspruchs auf einen Mehrbedarf für Warmwasser auf, setzte die Leistungsbeträge für die Monate April (3 EUR) bis Oktober 2011 (monatlich 147 EUR) neu fest und forderte die Erstattung von insgesamt 924 EUR. Der Beklagte kündigte unter dem 12. Mai 2014 (dem Kläger, gesetzlich vertreten durch die Mutter), dem 8. Dezember 2014 (wie vor), dem 26. August 2015 (dem Kläger, gesetzlich vertreten durch den Vater) und dem 11. September 2015 (dem Kläger, gesetzlich vertreten durch den Vater) die Vollstreckung an.

Der Beklagte erließ unter dem 3. November 2015 eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung wegen einer Gesamtforderung in Höhe von 999,97 EUR (Grundforderung 924 EUR, Mahngebühren 10,23 EUR, Vollstreckungskosten 63 EUR, Versäumnisgebühren 2,74 EUR), die er dem Drittschuldner, der Sparkasse , zustellte, die unter dem 4. November 2015 eine Drittschuldnererklärung abgab, wonach die von der Pfändung betroffenen Konten zum Zeitpunkt der Pfändung kein ausreichendes pfändbares Guthaben auswiesen.

Seine Klage vor dem Sozialgericht Neuruppin (SG) hat der Beklagte als Widerspruch gewertet, den er mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2016 zurückgewiesen hat. Die Vollstreckungsvoraussetzungen seien erfüllt; der Kläger sei Vollstreckungsschuldner, nachdem ihm, gesetzlich vertreten durch die Mutter, der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 18. Januar 2012 bekanntgeben worden sei.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. April 2016 abgewiesen und wegen der Entscheidungsgründe auf die Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheides verwiesen.

Mit seiner Berufung macht der Kläger insbesondere eine Beschränkung seiner Haftung als Minderjähriger geltend.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. April 2016 und die Pfändungs- und Überweisungsverfügung des Beklagten vom 3. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2016 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Gerichtsakten, die Gerichtsakten des SG Neuruppin S 30 AS 2628/15/15 ER und die Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat entsprechend den vorliegenden Einverständnissen der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – hat entscheiden können, und zwar ohne, dass diesem Verfahren der Erlass eines Gerichtsbescheides im erstinstanzlichen Verfahren entgegenstehen würde (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 124 Rn. 3), und mit der Kläger seine erstinstanzlich sinngemäß erhobene Anfechtungsklage i.S.v. § 54 Abs. 1 SGG gerichtet auf die Aufhebung der Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 3. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2016 weiter verfolgt, ist unbegründet. Zwar war die Klage mangels Vorverfahrens zunächst verfrüht (vgl. § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG); mit Erlass des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2016 durch den Beklagten ist das Vorverfahren aber abgeschlossen.

Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist wegen des hier gegebenen Sachzusammenhangs mit der zugrundeliegenden Verwaltungstätigkeit des Beklagten nach dem SGB II eröffnet (vgl. BSG, Beschluss vom 25. September 2013 – B 8 SF 1/13 R – juris Rn. 3; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Dezember 2013 – OVG 9 L 48.13 – juris Rn. 2).

Dahinstehen kann, ob der Beklagte zur Vollstreckung der Erstattungsforderung auch gemäß § 66 Abs. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in entsprechender Anwendung der Zivilprozessordnung (ZPO) hätte vorgehen und beim zuständigen Amtsgericht einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hätte beantragen können mit der Folge, dass dem Kläger die Rechtsbehelfe offen gestanden hätte, die das Zwangsvollstreckungsrecht nach der ZPO vorsieht. Denn der Beklagte konnte stattdessen – wie geschehen – auch rechtmäßig die einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vergleichbare, streitgegenständliche Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 3. November 2015 durch ihre eigene Vollstreckungsbehörde erlassen (§ 66 Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB X iVm §§ 17 ff. Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Brandenburg vom 16. Mai 2013 (GVBl. I 2013, Nr. 18) – VwVGBbg.

Die Pfändungs- und Überweisungsverfügung hat sich nicht erledigt mit der Folge, dass das Rechtsschutzbedürfnis entfallen wäre (vgl. § 13 VwVGBbg). Zwar erledigt sich eine Pfändungs- und Überweisungsverfügungen durch die Zahlung des Drittschuldners (BFH, Beschluss vom 11. April 2001 – VII B 304/00 – juris Rn. 11). Solches ist hier, wie sich aus der Drittschuldnererklärung der Bank vom 4. November 2015 erhellt, indes nicht geschehen. Dahinstehen kann, ob die Drittschuldnererklärung gemäß § 840 ZPO den Wegfall des Rechtsschutzinteresses für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren bewirkt. Denn jenes ist nicht gegenständlich, sondern aufgrund des Beschluss des SG Neuruppin vom 4. Januar 2016 – S 30 AS 2628/15 ER – rechtskräftig beendet. Für die vorliegende Klage bewirkt die Drittschuldnererklärung nicht den Wegfall des Rechtsschutzinteresses, nachdem der Drittschuldner die Pfändung für künftige Ansprüche vorgemerkt hat.

Die angefochtene Pfändungs- und Überweisungsverfügung ist rechtmäßig und beschwert den Kläger daher nicht (§ 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGG). Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung ist gemäß § 40 Abs. 6 SGB II, § 66 SGB X i.V.m. §§ 3 Nr. 1, 6 VwVGBbg, dass ein Verwaltungsakt, der u.a. zu einer Geldleistung verpflichtet, unanfechtbar geworden ist, ein gegen ihn gerichteter Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat und die sonstigen Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt sind (§ 3 Nr. 1 - 3 VwVGBbg) und der Kläger Vollstreckungsschuldner eines entsprechenden Titels über eine Geldforderung – hier in Höhe von 924 EUR – ist (§ 6 Abs. 1 und 2 Nr. 1 VwVGBbg). So liegt es hier im Hinblick auf den bestandskräftigen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 18. Januar 2012. Insofern ist es für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten gegenüber Minderjährigen nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung unter Heranziehung des Zustellungsrechts des Bundes unabhängig davon, dass die Vermutungsregelung des § 38 SGB II für die Zurechnung von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden nicht greift (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 2/13 R – juris Rn. 26), ausreichend, dass die Bekanntgabe gegenüber einem gesetzlichen Vertreter – hier gegenüber der Mutter – erfolgt ist (vgl. BSG, Urteile vom 4. Juni 2014 – B 14 AS 2/13 R – juris Rn. 15, 23, vom 13. November 2008 – B 14 AS 2/08 R – juris Rn. 21 und vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 R – juris Rn. 25).

Der Beklagte ist gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 VwVGBbg für die Vollstreckung zuständig. Die weiteren, sich insbesondere aus § 19 Abs. 2 VwVGBbg ergebenden Vollstreckungsvoraussetzungen – insbesondere die Bekanntgabe des Bescheides vom 18. Januar 2012, wie ausgeführt – sind ebenfalls erfüllt.

Soweit der Kläger meint, aufgrund seiner Minderjährigkeit sei die angefochtene Pfändungs- und Überweisungsverfügung rechtswidrig, trifft dies nicht zu. Zwar beschränkt sich gemäß § 1629a Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht oder sonstige vertretungsberechtigte Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, oder die auf Grund eines während der Minderjährigkeit erfolgten Erwerbs von Todes wegen entstanden sind, auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes; dasselbe gilt für Verbindlichkeiten aus Rechtsgeschäften, die der Minderjährige gemäß §§ 107, 108 oder § 111 BGB mit Zustimmung seiner Eltern vorgenommen hat oder für Verbindlichkeiten aus Rechtsgeschäften, zu denen die Eltern die Genehmigung des Familiengerichts erhalten haben. Insofern gilt die Beschränkung der Minderjährigenhaftung bereits im Erstattungs- und nicht erst im Vollstreckungsverfahren, und zwar im SGB II entsprechend (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 R – juris Rn. 40 ff.). Indes gilt bis zum Eintritt der Volljährigkeit die unbeschränkte Haftung des Minderjährigen (BSG, a.a.O. Rn. 47; Hamdan in jurisPK-BGB, 8. Auflage 2017, § 1629a Rn. 20). Erst mit der Volljährigkeit, die der Kläger im Januar 2018 erreicht, kommt die – ggf. einredeweise geltend zu machende – Haftungsbeschränkung zum Zuge (vgl. § 1629a Abs. 1 Satz 2 BGB), soweit das an diesem Tag bestehende pfändbare Vermögen hinter den unter § 1629a BGB fallenden Verbindlichkeiten zurückbleibt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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