L 3 U 56/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 U 63/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 56/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Der Streitwert beträgt 68.557,67 Euro. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung von Beitragszuschlägen der Beklagten zum Umlagebeitrag.

Die Klägerin betreibt ein Hochbauunternehmen und ist Mitglied der Beklagten, vgl. Aufnahmebescheid und Veranlagungsbescheid vom 04. Februar 2009. Am 28. Mai 2009 kam es gegen 14.50 Uhr auf der von der Klägerin betriebenen Baustelle R Straße in B im sechsten Obergeschoss des Rohbaus eines Mehrfamilienhauses zum Einsturz einer im Aufbau befindlichen, 16,50 m langen und zwischen 1,70 und 2,20 m hohen Außenwand aus massivem Kalksandsteinmauerwerk, hinter welcher sich die zwei bei der Klägerin beschäftigten Bauarbeiter M D und T K aufgehalten hatten. Diese wurden von der umstürzenden Wand getroffen und mit erheblichen Verletzungen in Krankenhäuser gebracht. Der Präventionsdienst der Beklagten führte in seinem Untersuchungsbericht vom 09. Juni 2009 aus, die Klägerin habe es versäumt, die Außenmauer auch während der einzelnen Bauzustände standsicher zu errichten und Festlegungen in der Montageanweisung zu treffen, ob und wie die ca. 16,50 m lange Außenwand bis zum Aufmauern der aussteifenden Querwände zu sichern sei. Es liege ein Verstoß gegen die Unfallverhütungsvorschrift "Bauarbeiten" BGV C 22 § 6 Abs. 1 vor. Die Beklagte gewährte den beiden Bauarbeitern wegen der Unfallfolgen Entschädigungsleistungen in Höhe von 33.711,78 EUR und 26.420,49 EUR im Jahr 2009 sowie von 35.459,52 EUR und 38.198,81 EUR im Jahr 2010.

Die Beklagte erhob mit Beitragsbescheid vom 23. April 2010 von der Klägerin u.a. einen Beitragszuschlag in Höhe von 34.994,66 EUR (30 % der Summe des festgesetzten BG-Beitrags i.H.v. 116.648,88 EUR), weil die im Beitragsausgleichsverfahren ermittelte Eigenbelastung der Klägerin (0,5316) mehr als das Dreifache über der Durchschnittsbelastung aller Unternehmen (0,1419) lag. Gegen die Erhebung dieses Beitragszuschlags erhob die Klägerin unter dem 27. April 2010 Widerspruch mit der Begründung, dass der Unfall ihrer Beschäftigten auf höhere Gewalt zurückzuführen sei. Die Klägerin legte eine Wetterinformation der VdS Schadenverhütung GmbH vom 05. Juni 2009 mit Windmessungen in Tegel, Dahlem und Schönefeld, welche für den 28. Mai 2009 Windstärken von 8, 9 bzw. 7 ergaben, vor.

Die Beklagte holte unterdessen eine Auskunft beim Deutschen Wetterdienst (DWD) zur Wetterlage am Unfalltag und -ort vom 19. August 2010 ein, wonach am 28. Mai 2009 nach Auswertung der Radarbilder des Standorts Berlin-Tempelhof gegen 14.20 Uhr eine kleine Gewitterzelle aus Nordwest den Unfallort überquerte, bevor eine weitere Gewitterzelle zwischen 14.50 und 15.10 Uhr über Berlin hinweg zog, die ihr Intensitätsmaximum gegen 14.50 Uhr im Nordwesten Berlin erreichte. Aus den in Tegel und Tempelhof gemessenen Windspitzen von 17,7 m/s (8 Beaufort (Bft)) bzw. 14,6 m/s (7 Bft) sei zu folgern, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit zwischen 14.50 und 15.00 Uhr in unmittelbarer Gewitternähe am Unfallort maximale Windböen der Stärke 7 bis 8 Bft aus nördlichen Richtungen aufgetreten seien, wobei die Windmessungen in freiem unbebautem Gelände in einer Höhe von 10 m über Grund durchgeführt würden und die o.g. Werte sich auf bodennahe Luftschichten bezögen. Bewuchs, Bebauung und Landschaftsform könnten den Wind sowohl in Richtung als auch Geschwindigkeit deutlich abändern. Es seien z.B. zwischen Gebäuden oder Bewuchslücken durch Kanalisierung der Strömung deutliche Windgeschwindigkeitsüberhöhungen (sog. Düseneffekte) möglich. Ob und ggf. in welchem Ausmaße dies am Unfallort der Fall gewesen sei, lasse sich im Nachhinein nicht exakt angeben.

Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 13. September 2010 ergänzend mit, dass es die Klägerin versäumt habe, gemäß dem Merkblatt für das Aufmauern von Wandscheiben und den dort genannten DIN-Vorschriften das Mauerwerk auch während seiner Ausführung auszusteifen. Es hätten, solange die für das fertige Bauwerk vorgesehenen Aussteifungen noch nicht zur Verfügung gestanden hätten, zusätzliche Absteifungen gegen Kippen unter Windlast angebracht werden müssen. Zumindest hätte die Klägerin die Unfallstelle aufgrund der drohenden Einsturzgefahr der nicht gesicherten Mauer rechtzeitig sichern bzw. räumen müssen.

Die Klägerin ließ weiter vortragen, dass sich der Unfall während der Schicht ereignet habe, weshalb hier darauf abzustellen sei, ob und wodurch ihr Personal hätte voraussehen müssen, dass die Wetterlage so hohe Windgeschwindigkeiten habe erwarten lassen, dass zusätzliche Aussteifungen hätten vorgenommen werden müssen. Sie habe durch ein Ingenieurbüro errechnen lassen, dass bei einer Wandhöhe von 1,65 m eine Windgeschwindigkeit von 24,4 m/s (= Windstärke 9 Bft) erforderlich gewesen sei, um diese zum Einsturz zu bringen, bei einer Wandhöhe von 2,15 m eine Windgeschwindigkeit von 21,2 m/s (= Windstärke 9 Bft). Am Unfalltag seien für Berlin keine Unwetterwarnungen ausgegeben worden. Mit dem Aufkommen so starker Böen wie am Unfallort sei nicht zu rechnen gewesen. Objektiv habe kein Anlass bestanden, besondere Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Am Ende der Schicht wären alle erforderlichen Aussteifungen vorhanden gewesen.

Mit Beitragsbescheid vom 21. April 2011 erhob die Beklagte von der Klägerin mit der Beitragsumlage für das Jahr 2010 einen Beitragszuschlag in Höhe von 33.563,01 EUR (wiederum 30 % der Summe des festgesetzten BG-Beitrags i.H.v. diesmal 111.876,70 EUR), weil auch im Jahr 2010 die Eigenbelastung der Klägerin (0,6694) über dem Dreifachen der Durchschnittsbelastung (0,1459) lag. Die Klägerin erhob auch hiergegen unter dem 03. Mai 2011 Widerspruch.

Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2011 als unbegründet zurück. Gesetzliche Grundlage für die Erhebung eines Beitragszuschlags sei § 162 Abs. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII), wonach die Berufsgenossenschaften unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle mit Ausnahme bestimmter, hier nicht vorliegender Versicherungstatbestände (Wegeunfälle etc.) Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen hätten. § 30 Abs. 3 ihrer Satzung begrenze den Beitragszuschlag auf höchstens 30 % des Beitrags des Beitragspflichtigen. Nach § 30 Abs. 7 ihrer Satzung blieben u.a. Versicherungsfälle aufgrund höherer Gewalt außer Ansatz. Vorliegend könne hier indes nicht von höherer Gewalt ausgegangen werden. Bereits am 26. Mai 2009 habe die Berliner Feuerwehr als Folge des am 26. Mai 2009 aufgetretenen Sturmtiefs Felix fünfzigmal ausrücken müssen. Es sei sogar der Ausnahmezustand ausgerufen worden. Allein schon deshalb seien die zwei Tage später aufgetretenen Windböen voraussehbar gewesen. So fehle es am für den Begriff der höheren Gewalt erforderlichen Kriterium der Nichtvorhersehbarkeit. Auch das Gutachten des DWD habe erbracht, dass die Unfälle nicht durch elementare Naturkräfte hervorgerufen worden seien, die nach menschlicher Erfahrung und Einsicht unvorhersehbar gewesen seien.

Die Klägerin zahlte die Beitragszuschläge am 26. Mai 2010 bzw. 17. Mai 2011.

Sie hat am 11. Juli 2011 Klage zum Sozialgericht Neuruppin (SG) erhoben und ihr vorprozessuales Vorbringen untermauert. Es sei im Unfallzeitpunkt eine Windstärke von 9 Bft im Rahmen eines Düseneffekts aufgetreten, der von ihr nicht vorhersehbar gewesen sei, weil das Ergebnis von Windstärke, Windrichtung und Bebauung und so objektiv nicht prognostizierbar gewesen sei. Es habe somit höhere Gewalt vorgelegen.

Das SG hat u.a. den Zeitungsbericht der Berliner Morgenpost vom 27. Mai 2009 über das Sturmtief Felix beigezogen, ferner Farbfotos von der Unfallstelle und die Verarbeitungsrichtlinie des Baustofflieferanten der Klägerin. Es hat die Klage mit Urteil vom 26. Februar 2015 abgewiesen. Die Erhebung der Beitragszuschläge durch die Beklagte sei weder dem Grunde noch der Höhe nach rechtswidrig. Insbesondere liege ein Versicherungsfall durch höhere Gewalt nicht vor. Unstreitig seien die Arbeitnehmer der Klägerin unmittelbar durch die umstürzende Wand geschädigt worden. Diese hätten sich baustellenspezifisch an einem besonders gefährdungsbehafteten Ort aufgehalten. Die Aussteifung der Wände während des Aufmauerns habe unstreitig erst bei Windgeschwindigkeiten von mehr als 12,0 m/s und einer Windstärke von 6 Bft zu erfolgen. Doch der Klägerin habe nach DIN 1053-1 die Aussteifung auch während der Ausführung oblegen. Ihr sei auch das Verhalten der Arbeitnehmer zuzurechnen, wenn sie bei einer plötzlich auftretenden Gewitterzelle die Nähe einer unausgesteiften Wand gesucht bzw. sich in ihrer Nähe aufgehalten hätten.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 23. März 2015 zugestellte Urteil am 23. April 2015 Berufung eingelegt. Sie macht u.a. geltend, dass Aussteifungen während des Aufmauerns nicht erforderlich gewesen seien, und bezieht sich hierfür auf die Angaben der Baustoffherstellerin. Aussteifungen während des Errichtungsvorgangs seien in der Tat nicht vorgenommen worden. Sie seien während der Errichtung unüblich und hinderlich. Neben dem zu errichtenden Gebäude auf dem Boden habe sich ein Kran mit einer Windmessanlage befunden, welche vor dem Unfall keine Windstärke von 6 Bft oder mehr angezeigt habe. Beim Sturmtief Felix seien die Arbeiten unterbrochen worden. Gegen 14.20 Uhr habe kein Gewitter die Baustelle überquert. Dies hätte man am Windmessgerät am Baukran bemerkt. Es habe deshalb keine Veranlassung bestanden, die Bauarbeiten einzustellen.

Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 26. Februar 2015 sowie die ihr mit den Bescheiden der Beklagten vom 23. April 2010 und 21. April 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 2011 auferlegten Beitragszuschläge von 34.994,66 EUR bzw. 33.563,01 EUR aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die vorgenannten Beitragszuschläge nebst Zinsen in Höhe von 4 % ab dem 27. Mai 2010 bzw. ab dem 05. Juni 2011 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Offen sei zudem, wann die für die Statik der Mauer bedeutsame Kimmschicht ausgehärtet gewesen sei. Es hätte bei den vorhandenen Windstärken die Mauer nur 77 cm hoch sein dürfen. Die Baustelle hätte spätestens nach den um 14.20 Uhr über die Baustelle hinweg gezogenen Windböen geräumt werden müssen. Sie reicht eine Ausfertigung des Urteils des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 27. Juli 2015 (L 2 U 100/14) zu den Akten.

Die Beteiligten haben zuletzt mit Schreiben vom 24. März und 12. April 2016 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Wege ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat kann in Ausübung des ihm insofern eröffneten richterlichen Ermessens im schriftlichen Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Bescheide der Beklagten vom 23. April 2010 und 21. April 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 2011 sind mit der in ihnen enthaltenen Auferlegung von Beitragszuschlägen rechtmäßig und beschweren die Klägerin nicht. Deshalb hat die Klägerin auch nicht den von ihr geltend gemachten Erstattungsanspruch.

Nach § 162 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben die gewerblichen Berufsgenossenschaften unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen. Nach § 162 Abs. 1 S. 3 SGB VII bestimmt das Nähere die Satzung; dabei kann sie Versicherungsfälle, die durch höhere Gewalt oder durch alleiniges Verschulden nicht zum Unternehmen gehörender Personen eintreten, und Versicherungsfälle auf Betriebswegen sowie Berufskrankheiten ausnehmen. Die Höhe der Zuschläge und Nachlässe richtet sich nach der Zahl, der Schwere oder den Aufwendungen für die Versicherungsfälle oder nach mehreren dieser Merkmale, vgl. § 162 Abs. 1 S. 4 SGB VII. Die Satzung kann nach § 162 Abs. 1 S. 5 SGB VII bestimmen, dass auch die nichtanzeigepflichten Versicherungsfälle für die Berechnung von Zuschlägen oder Nachlässen berücksichtigt werden. Von dieser Ermächtigung hat die Beklagte mit § 30 ihrer Satzung Gebrauch gemacht. Nach § 30 Abs. 7 ihrer Satzung bleiben die Aufwendungen für Versicherungsfälle nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII (Wegeunfälle), Versicherungsfälle auf Betriebswegen außerhalb der Betriebsstätte, Berufskrankheiten, Versicherungsfälle durch höhere Gewalt und Versicherungsfälle aufgrund alleinigen Verschuldens nicht zum Unternehmen gehörender Personen außer Ansatz.

Soweit die Klägerin die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide allein mit der Begründung in Zweifel zieht, dass hier ein Beitragszuschlag wegen höherer Gewalt ausgeschlossen sei, ist dem nicht zu folgen. Ein Versicherungsfall aufgrund höherer Gewalt i.S.v. § 30 Abs. 7 der Satzung der Beklagten liegt nicht vor. In Anlehnung an die einschlägige höchstrichterliche Zivilrechtsprechung ist höhere Gewalt ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 16. Oktober 2007 – VI ZR 173/06 –, zitiert nach juris Rn. 14). Dementsprechend wird selbst etwa das Umstürzen eines Baumes bei einem ungewöhnlich starken Sturm ("Orkan Kyrill") nicht als höhere Gewalt angesehen, weil diese Gefahr örtlich (Sturmgebiet) und zeitlich individuell eingrenzbar war und wohl auch durch äußerste Sorgfalt Unfälle vermieden werden können (vgl. Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, Beschluss vom 03. Juni 2013 – 4 U 42/13 –, zitiert nach juris Rn. 8 unter Verweis auf OLG Celle, Urteil vom 13. April 2011 – 14 U 146/10 –, zitiert nach juris Rn. 7). Dass Versicherungsfälle, die durch höhere Gewalt oder durch alleiniges Verschulden nicht zum Unternehmen gehörender Personen eintreten, aus dem Beitragsausgleichsverfahren ausgenommen werden können, liegt im Normzweck, die Präventionsarbeit in den Unternehmen durch Beitragsanreize zu stärken, begründet. Denn derartige Versicherungsfälle sind in der Regel dem Einflussbereich des Unternehmers entzogen und stehen nicht im Zusammenhang mit dem Betriebsrisiko (vgl. Brandenburg/ K. Palsherm in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 162 SGB VII, Rn. 36; vgl. zu alldem auch Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 27. Juli 2015 – L 2 U 100/14 -, S. 7 bzw. Blatt 158 Gerichtsakte).

Hieran gemessen liegen zur Überzeugung des Senats (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) zwei für Beitragsaufschläge berücksichtigungsfähige Versicherungsfälle vor. Der Einsturz der im Aufbau befindlichen Mauer und die darauf beruhenden Versicherungsfälle standen unzweifelhaft im Zusammenhang mit dem Betrieb bzw. dem betrieblichen Risiko des klägerischen Unternehmens, und zwar ungeachtet dessen, ob es die Klägerin als Unternehmerin (schuldhaft) unterließ bzw. ihre Beschäftigten auf der Baustelle es (schuldhaft) unterließen, während des Errichtens der Mauer Aus- bzw. Absteifungen anzubringen oder Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die etwa auch im Verlassen der Baustelle bestehen konnten.

Hiervon ausgehend erscheint bereits fraglich, ob der Einsturz der Mauer auf der Baustelle der Klägerin, auf welchem die beiden Versicherungsfälle der Beschäftigten der Klägerin beruhen, überhaupt höhere Gewalt im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung ist, welcher der Senat folgt. Diese fordert einhellig ein betriebsfremdes Ereignis, wohingegen sich im Einsturz einer im Aufbau befindlichen Mauer auf der Baustelle doch typischerweise ein betriebliches Risiko realisiert (vgl. in diese Richtung gehend nochmals LSG Rheinland-Pfalz, a.a.O.).

Davon abgesehen sind für den Unfalltag am Unfallort keine Wetterverhältnisse erwiesen, welche die Voraussetzungen der höheren Gewalt erfüllten. Der DWD ermittelte laut seiner Auskunft vom 19. August 2010 Windstärken lediglich an 10 bzw. 7 km entfernten Messpunkten (Flugwetterwarte Berlin-Tegel bzw. Wetterstation Berlin-Tempelhof). Der DWD führte in seiner Stellungnahme vom 19. August 2010 ferner nachvollziehbar aus, dass aus den in Tegel und Tempelhof gemessenen Windspitzen von 17,7 m/s (8 Bft) bzw. 14,6 m/s (7 Bft) allenfalls zu folgern ist, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit zwischen 14.50 und 15.00 Uhr in unmittelbarer Gewitternähe am Unfallort maximale Windböen der Stärke 7 bis 8 Bft aus nördlichen Richtungen auftraten, wobei die Windmessungen in freiem unbebautem Gelände in einer Höhe von 10 m über Grund durchgeführt wurden und die o.g. Werte sich auf bodennahe Luftschichten bezogen; Bewuchs, Bebauung und Landschaftsform können den Wind sowohl in Richtung als auch Geschwindigkeit deutlich abändern, so dass z.B. zwischen Gebäuden oder Bewuchslücken durch Kanalisierung der Strömung deutliche Windgeschwindigkeitsüberhöhungen (sog. Düseneffekte) möglich sind, ohne dass im Nachhinein exakt angegeben werden kann, ob und ggf. in welchem Ausmaße dies am Unfallort der Fall war.

Sollte gleichwohl davon ausgegangen werden, dass am Unfallort zum Unfallzeitpunkt – so, wie an den Messpunkten in Tegel und Tempelhof - maximale Windstärken von 7 bis 8 Bft herrschten, also maximal stürmischer Wind, wie er mitunter eben auch in Berlin anzutreffen und zu erwarten ist, stellt dies gerade kein unvorhersehbares Wetterereignis dar, mit welchem man nicht rechnen muss. Soweit die Klägerin behauptet, dass eine Windstärke von mindestens 9 Bft, also ein Sturm vorgelegen haben müsse, der ggf. im Wege eines sog. Düseneffekts auf der Baustelle verstärkt worden sei, so ist dies nach dem zuvor Gesagten wiederum nicht bewiesen. Der DWD sieht sich zu einer entsprechenden Festlegung laut seiner Auskunft vom 19. August 2010 aufgrund nachvollziehbarer Umstände außerstande. Anhaltspunkte, die der Senat für weitere Ermittlungen hätte zum Anlass nehmen können, sind auch eingedenk der ihm aus § 103 SGG obliegenden Untersuchungsmaxime nicht ersichtlich. Die Klägerin trägt vielmehr selbst vor, dass auffällige Werte am in der Nähe befindlichen Messgerät eines Baukrans nicht gemessen wurden.

Bei dieser Sachlage ist nicht nur nicht der Beweis für die tatsächlichen Voraussetzungen höherer Gewalt erbracht, sondern spricht eben auch mehr dafür, dass der Mauereinsturz auf einer der Klägerin bzw. ihren Arbeitnehmern zuzurechnenden unzureichenden Absicherung der Mauer beruhte, sich also eben nur schlichtweg ein betriebliches Risiko realisierte. Hierzu bezieht sich der Senat auf die zur Haftung des Grundstücksbesitzers bzw. Gebäudeunterhaltungspflichtigen ergangenen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Zivilrechtsprechung. Danach beweist, weil ein Gebäude oder Werk mit sämtlichen Einrichtungen der Witterung standhalten muss, die Loslösung von Teilen in Folge einer Witterungseinwirkung im Allgemeinen nach der Lebenserfahrung sogar, dass die Anlage fehlerhaft errichtet oder mangelhaft unterhalten war. Dies gilt nur dann nicht, wenn ein außergewöhnliches Naturereignis vorliegt, dem auch ein fehlerfrei errichtetes oder mit der erforderlichen Sorgfalt unterhaltenes Werk nicht standzuhalten vermag (BGH, Urteil vom 08. Februar 1972 – VI ZR 155/70 –, zitiert nach juris Rn. 21). Der Eigenbesitzer des Werkes muss Sturmstärken in seine Betrachtung einbeziehen und entsprechende Vorsorge für die Festigkeit der Teile des Gebäudes oder Werkes treffen. In der Regel kann deshalb der Anscheinsbeweis auch nicht dadurch erschüttert werden, dass das Schadensereignis durch eine Sturmböe verursacht wurde. Eine Ausnahme muss bei Orkanstärken oberhalb von 12 Bft der insoweit nachträglich auf 17 Stufen erweiterten Windstärkenskala gelten. Dies gilt u.a. deshalb, weil Windstärken bis 12 Bft bisher als Grenze der Windlast gelten, denen nach den für Baustatik geltenden Normen (Normenausschuss im Bauwesen im DIN, Deutsches Institut für Normung e.V., DIN 1055 Teil 4 - Lastannahmen für Bauten. Verkehrslasten. Windlasten nicht schwingungsanfälliger Bauwerke, 1977; zuletzt Ausgabe August 1986 mit Änderungen und Berichtigung von Juni 1987) Werke und Traglasten widerstehen sollen (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 09. Februar 2004 - 12 U 11/03 -, zitiert nach juris und OLGR Koblenz 2004, 367, 369). Der Anscheinsbeweis für eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht eines Gebäudeunterhaltspflichtigen wird in der höchstrichterlichen Zivilrechtsprechung etwa bei Herabfallen von Dachteilen im Einzelfall - mangels Feststellungen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten - auch dann noch angenommen, wenn es sich um einen Orkan handelte, wobei in jenem Fall aber Windstärken um 12 bis 13 Bft im Raum standen (vgl. BGH, Urteil vom 23. März 1993 – VI ZR 176/92 –, zitiert nach juris Rn. 7, 12).

Die am Unfalltag gemessenen Windgeschwindigkeiten unterschritten diese Werte deutlich. Anhaltspunkte dafür, dass auf der Baustelle 12 Bft oder mehr erreicht wurden, bestehen nicht; eine derartige Windstärke wird von der Klägerin im Übrigen auch nicht behauptet. Dann aber kann ein Anscheinsbeweis für eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht erschüttert und bereits so höhere Gewalt nicht angenommen werden.

Dessen ungeachtet hätte der Unfall bei Anwendung äußerster Vorsicht selbst dann verhindert werden können, wenn es tatsächlich kurzfristig zu übermäßigen Windstärken im Baustellenbereich gekommen wäre. Denn angesichts des bloß zwei Tage zuvor über Deutschland hinweggezogenen Sturmtiefs Felix, anlässlich dessen die Berliner Feuerwehr noch am 26. Mai 2009 sogar den Ausnahmezustand ausgerufen hatte, vgl. Artikel der Morgenpost vom 27. Mai 2009, hätte die Klägerin mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt den Unfall verhüten können, indem sie die Bauarbeiten nicht nur während des Sturms Felix, sondern vorsichtshalber auch für die Folgetage unterbrochen oder ggf. auch mehr als nur DIN-gerechte Vorsichtsmaßnahmen im Wege von Aus- oder Absteifungen vorgenommen hätte. Ob sie, indem sie dies unterließ, schuldhaft, d.h. zumindest fahrlässig im Sinne der Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt handelte (vgl. § 276 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB)), muss nicht entschieden werden. Es bedurfte deshalb auch keiner weiteren Aufklärung ggf. unter Einholung eines schriftlichen Bausachverständigengutachtens, ob nach den geltenden DIN-Vorschriften die Mauer im Unfallzeitpunkt bereits eine Aus- oder Absteifung hätte aufweisen müssen.

Die Berufung hat dementsprechend auch mit den auf die Erstattung der gezahlten Beitragszuschläge gerichteten Anträgen keinen Erfolg. Da die gegen die Auferlegung der Beitragszuschläge gerichtete Klage abgewiesen worden bzw. die hiergegen gerichtete Berufung zurückzuweisen ist, besteht mit den angefochtenen Bescheiden der rechtliche Grund für den Einbehalt der abgeführten Beiträge auf Seiten der Beklagten fort.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Streitwert war gemäß § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3 S. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Höhe der verfahrensgegenständlichen Beitragszuschläge auf insgesamt 68.557,67 EUR festzusetzen.

Die Revision ist mangels Revisionszulassungsgrundes nach § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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