S 52 AY 14/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
52
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 52 AY 14/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die außergerichtlichen Kosten der Kläger sind von der Beklagten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Kläger wollen die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung höherer Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (im Folgenden: AsylbLG) erreichen.

Die Klägerin zu 1) und der mit ihr verheiratete Kläger zu 2) sind ä. Staatsangehörige. Sie sind 1991 ohne Ausweispapiere nach Deutschland eingereist. Sie sind vollziehbar ausreisepflichtig und Inhaber zeitlich befristeter Duldungen (§ 60a Aufenthaltsgesetz).

Die Kläger erhalten von der Beklagten seit 1994 Leistungen nach dem AsylbLG. Seit 1999 wird der Anspruch beider Kläger regelmäßig gemäß § 1a AsylbLG eingeschränkt. Die Leistungsgewährung erfolgte teilweise auf der Grundlage schriftlicher Bescheide, teilweise wurden die Leistungen tatsächlich gewährt. Schriftliche Bescheide ergingen am

• 15. Oktober 2010 (für November 2011), • 25. Januar 2011 (Februar 2011), • 19. April 2011 (Mai 2011), • 23. Mai 2011 (Juni 2011), • 14. Juni 2011 (Juli 2011), • 12. Juli 2011 (August 2011), • 22. September 2011 (Oktober 2011) • 16. November 2011 (Dezember 2011) • 21. Februar 2012 (März 2012) • 17. April 2012 (Mai 2012) und am • 24. Mai 2012 (Juni 2012).

Die Bescheide waren jeweils an die Kläger selbst adressiert, nicht dagegen an ihren Bevollmächtigten. Einzelne Bescheide, darunter der vom 21. Februar 2012, wurde den Klägern persönlich ausgehändigt.

Ohne schriftliche Bescheide wurden die Leistungen in den Monaten März, April, September und November 2011 sowie Januar, Februar und April 2012 erbracht.

Mit einem per Telefax übermittelten Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 20. Februar 2012 legten die Kläger Widerspruch gegen "alle noch nicht bestandskräftigen Bescheide über Leistungen nach dem AsylbLG" ein. Dem Widerspruchsschreiben war eine Vollmacht beigefügt, die ausschließlich per Telefax an die Beklagte übermittelt wurde. Die Kläger waren der Ansicht, dass die gesetzlichen Leistungen nicht ausreichten, um ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern. Unter Verweis auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts verlangten sie eine Anpassung der monatlichen Leistungen. Zugleich beantragten sie unter Berufung auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (im Folgenden: SGB X), die Leistungen "seit Beginn des Leistungsbezuges in entsprechender Höhe nachzuberechnen und nachzuzahlen". Zudem waren die Kläger der Ansicht, dass die Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG verfassungswidrig sei.

Die Beklagte beschied den Widerspruch am 31. Januar 2013. Sie verfügte im Widerspruchsbescheid eine Leistungsanpassung, die die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 (Az. 1 BvL 1/09) für die Monate März, April, September und November 2011 sowie Januar und Februar 2012 bei gleichzeitiger Beibehaltung der Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG berücksichtigte. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie führte aus, dass die Leistungsbescheide für die Monate Januar, Februar, Mai, Juni, Juli, August, Oktober und Dezember 2011 bestandskräftig seien und unter Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht rückwirkend korrigiert werden könnten. Gleiches gelte für die Monate März bis Juli 2012. Zur Anspruchseinschränkung führte die Beklagte aus, dass sie die Bestimmung des § 1a AsylbLG für verfassungsrechtlich unbedenklich hält. In der Sache sei eine Anwendung der Vorschrift geboten, weil aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen die vollziehbar ausreisepflichtigen Kläger nicht vollzogen werden könnten: Die Kläger hätten keine Pässe und würden bei der Passbeschaffung nicht mitwirken. Sie seien seitens der zuständigen Dienststellen der Beklagten mehrfach aufgefordert worden, Pässe oder jedenfalls Bescheinigungen über die Beantragung von Pässen vorzulegen; dem seien die Kläger nicht nachgekommen.

Dagegen richtet sich die am 26. Februar 2013 beim erkennenden Gericht eingegangene Klage, mit der die Kläger ihr Begehren weiter verfolgen. Sie sind der Auffassung, dass die schriftlichen Bescheide der Beklagten nicht bestandskräftig geworden seien, es an einer wirksamen "Zustellung" fehle: Die Bescheide aus dem Jahr 2012 seien zu Unrecht nicht dem Bevollmächtigten, sondern lediglich ihnen selbst bekannt gegeben worden.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide zu verpflichten, ihnen für die Zeit von Januar 2011 bis Juni 2012 Leistungen nach § 3 AsylbLG ohne Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden und führt ergänzend aus, dass die Bekanntgabe der fraglichen Bescheide an die Kläger selbst nicht zu beanstanden sei.

Mit Schriftsatz vom 24. März 2014 hat die Beklagte erklärt, die Leistungen für den Monat April 2012 an die Vorgaben des BVerfG-Urteils vom 18. Juli 2012 anzupassen.

Entscheidungsgründe:

1. Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (im Folgenden: SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung binnen angemessener Frist hatten.

2. Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die begehrte Anhebung der Sozialleistungen. Die Beklagte ist daher nicht antragsgemäß zu verpflichten (vgl. § 54 SGG).

a) Soweit die Kläger rügen, dass die Beklagte für die Monate Januar, Februar, Mai, Juni, Juli, August, Oktober und Dezember 2011 die gewährten Leistungen nicht rückwirkend an die Rechtsprechung des BVerfG (Urteil vom 18. Juli 2012, Az. Az. 1 BvL 1/09) angepasst hat, hat die Klage keinen Erfolg. Zwar trifft es zu, dass die in diesen Zeiträumen gewährten Leistungen nicht den Vorgaben des BVerfG hinsichtlich der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums entsprechen. Dennoch ist eine rückwirkende Korrektur, wie sie die Kläger nun verlangen, für die genannten Monate ausgeschlossen.

Das BVerfG hat in der zitierten Entscheidung ausdrücklich ausgeführt, dass eine rückwirkende Anhebung der AsylbLG-Leistungen nur für die Zeit vom Januar 2011 bis zum 31. Juli 2012 möglich ist, und auch dies nur für Zeiträume, in denen keine bestandskräftigen Bescheide vorliegen (BVerfG a.a.O., Textziffer 113).

Im Fall der Kläger galt das nur für die Monate März April, September und November 2011 sowie Januar, Februar und April 2012: Hier hatte die Beklagte Leistungen ohne schriftlichen Bescheid erbracht, sodass eine Bestandskraft noch nicht eingetreten war. Die Beklagte hat die Fehlerhaftigkeit der Leistungen für die genannten Monate (mit Ausnahme des April 2012; dazu u. Abschnitt b) mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2013 korrigiert, indem sie eine Erhöhung der Leistungen sowie eine Nachzahlung verfügt hat.

Für die Monate Januar, Februar, Mai, Juni, Juli, August, Oktober und Dezember 2011 liegen hingegen schriftliche Leistungsbescheide vor, die vor der Entscheidung des BVerfG bestandskräftig geworden sind, denn die Verwaltungsakte sind den Klägern jeweils wirksam bekanntgegeben worden, und die Kläger haben sie nicht innerhalb der Frist des § 87 SGG mit einem Widerspruch angegriffen.

b) Eine nachträgliche Anpassung der Leistungen für die Monate März bis Juni 2012 scheidet ebenfalls aus.

aa) Für die Monate März, Mai und Juni 2012 liegen bestandskräftige Bescheide vor, die nach der bereits zitierten Rechtsprechung des BVerfG nicht rückwirkend korrigiert werden können.

Die Beklagte hat für diese Monate schriftliche Bescheide erlassen, die den Klägern bekannt gegeben worden sind. Dass die Kläger die Bescheide jeweils erhalten haben, ist unstreitig. Auch der Vortrag des Bevollmächtigten in der Klagschrift vom 22. Februar 2013 ändert daran nichts. Darin wird nämlich nicht grundsätzlich bestritten, dass die Kläger die Bescheide erhalten haben. Der Bevollmächtigte bemängelt lediglich, dass die Bescheide nicht ihm "zugestellt" worden sind.

Dieser Vortrag ist unerheblich. Er steht der Wirksamkeit der Bekanntgabe nicht entgegen.

Zunächst ist klarzustellen, dass sich die Bestimmungen für das Verwaltungsverfahren im Bereich des AsylbLG entgegen der Auffassung der Kläger und der Beklagten im Grundsatz nicht aus dem Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (im Folgenden: SGB X) ergeben, sondern aus dem Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetz (im Folgenden: HmbVwVfG). Das AsylbLG ist nämlich nicht in den Katalog des Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) aufgenommen worden, sodass das SGB X dem Grunde nach nicht anwendbar ist (§ 1 SGB X). Lediglich für den - hier nicht einschlägigen – Aspekt der Rücknahme und des Widerrufs von Verwaltungsakten ordnet § 9 Abs. 3 AsylbLG die Anwendung der §§ 44 ff. SGB X an.

Dies zugrunde gelegt, richtet sich die Bekanntgabe von Bewilligungsbescheiden im Rahmen des AsylbLG nach § 41 HmbVwVfG. Danach bedarf es entgegen der Auffassung der Kläger keiner formellen Zustellung, da ein entsprechendes Erfordernis nicht gesetzlich aufgestellt worden ist (vgl. § 41 Abs. 5 HmbVwVfG). Die Bekanntgabe kann also auch auf andere Weise, namentlich durch persönliche Übergabe oder durch Übermittlung mittels (einfacher) Post erfolgen.

Die Bekanntgabe an die Kläger ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil sie unter Außerachtlassung des Bevollmächtigten erfolgt ist. Zwar trifft es zu, dass der Beklagten seit dem 20. Februar 2012 das Engagement des Bevollmächtigten bekannt war. Das führt im hier zu entscheidenden Fall jedoch nicht dazu, dass seit diesem Tag die Beklagte ihre Bescheide ausschließlich an ihn hätte richten müssen. Dabei kann es dahinstehen, ob die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts in der hier allein gewählten Form des Telefaxes gegenüber der Beklagten in ausreichender Weise nachgewiesen worden ist. Jedenfalls zwingt die hier maßgebliche Bestimmung des § 41 Abs. 1 Satz 2 HmbVwVfG, die dem § 14 Abs. 3 HmbVwVfG für die Frage der Bekanntgabe von Verwaltungsakten als speziellere Vorschrift vorgeht (vgl. BVerwG, NVwZ 1998, S. 1292), nicht zur Bekanntgabe gegenüber dem Bevollmächtigten, sondern räumt der Beklagten insoweit ein Ermessen ein ("kann"). Die Entscheidung der Beklagten, die fraglichen Bescheide für die Monate nicht dem Bevollmächtigten, sondern den Klägern selbst auszuhändigen, liegt im Rahmen des eingeräumten Ermessensspielraums und ist nicht fehlerhaft.

bb) Für den Monat April 2012 können die Kläger dagegen eine Leistungsanpassung verlangen, da diesbezüglich kein bestandskräftiger Leistungsbescheid vorliegt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 24. März 2014 eine entsprechende Leistungsanpassung verfügt. Damit sind die Kläger für diesen Zeitraum klaglos gestellt, sodass es einer ausdrücklichen gerichtlichen Verpflichtung nicht mehr bedarf.

c) Die Kläger können auch nicht verlangen, dass ihnen Leistungen ohne Anspruchseinschränkung gemäß § 1a AsylbLG gewährt werden. Entgegen der Auffassung der Kläger begegnet § 1a AsylbLG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (dazu sogleich aa). Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind zudem erfüllt (dazu bb).

aa) Eine Verfassungswidrigkeit von § 1a AsylbLG ergibt sich nicht im Hinblick auf die von den Klägern zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 (Az. 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11). In dieser Entscheidung äußert sich das BVerfG nicht zum Kürzungstatbestand des § 1a AsylbLG. Es gibt auch keine durchgreifenden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung, die das Gericht zu einer verfassungskonformen Auslegung veranlassen könnten. Dies ist von der Kammer mehrfach entschieden worden. Das LSG Hamburg hat diese Auffassung mit Beschluss vom 29. August 2013 (Az. L 4 AY 5/13 ER) ausdrücklich bestätigt. Wegen der Einzelheiten wird auf die dortige Entscheidung Bezug genommen.

bb) Die Anspruchskürzung ist auch in der Sache berechtigt.

Nach § 1a Nr. 2 AsylbLG erhalten Personen, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG grundsätzlich leistungsberechtigt sind, dann eingeschränkte Leistungen, wenn aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen an ihnen nicht vollzogen werden können. Diese Voraussetzungen sind unter anderem dann erfüllt, wenn der Ausländer über seine Identität täuschte oder keine Ausweispapiere vorlegte (Fasselt in: Fichtner/Wenzel, SGB XII AsylbLG, Kommentar 4. Auflage 2009, § 1a Rnr. 13).

Die Kläger erfüllen diese Voraussetzungen. Sie verfügen unstreitig nicht über Ausweispapiere ihres Heimatstaates und wirken bei der Beschaffung von Ausweispapieren nicht mit. Die Verwaltungsakte der Beklagten enthält Hinweise darauf, dass die Kläger in der Vergangenheit wiederholt aufgefordert wurden, sich beim ä. Konsulat um Ausweispapiere zu bemühen. Nach Maßgabe der Verwaltungsakte legten die Kläger bislang keine Personaldokumente vor; sie haben auch nicht dargelegt, warum ihnen dies nicht möglich sein soll. Weder im Verwaltungs- noch im Klagverfahren ist hierzu substantiiert vorgetragen worden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache.
Rechtskraft
Aus
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