L 19 AS 32/17 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 19 AS 4609/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 32/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.12.2016 geändert. Für den Zeitraum vom 02.12.2016 bis zum 28.12.2016 wird die Beigeladene vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in Höhe des Regelbedarfs nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin E aus X beigeordnet.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist lediglich im tenorierten Umfang begründet. Der Antragstellerin steht für den Zeitraum vom 02.12.2016 bis zum 28.12.2016 zwar nicht gegen den Antragsgegner (1.), jedoch gegenüber der Beigeladenen (2.) ein Anspruch auf Erlass der begehrten Regelungsanordnung betreffend die Erbringung von Regelleistungen zu. Die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung ist nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens, denn die Antragstellerin hat gegen den insoweit ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts keine Beschwerde eingelegt. Für die Zeit ab dem 29.12.2016 ist die Beschwerde des Antragsgegners unbegründet (3.).

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung BSG, Beschluss vom 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B -; BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

1. Vorliegend hat die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner für die Zeit vom 02.12.2016 bis zum 28.12.2016 einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte greift zu ihren Ungunsten der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II i.d.F. bis zum 28.12.2016 (a.F.) ein. Dabei kann dahinstehen, ob die Antragstellerin als Unionsbürgerin über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizüG/EU verfügt hat. Denn sowohl erwerbsfähige Unionsbürger, die nur über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche verfügen als auch solche, die kein materielles Aufenthaltsrecht innehaben, unterfallen dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (vgl. BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 59/13 R, - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 und - B 4 AS 43/15 R - BSGE 120, 139; vom 16.12.2015 - B 14 AS 33/14 R und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 47). Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss nicht entgegen (vgl. BSG, Urteile vom 20.01.2016, a.a.O. und vom 17.02.2016 - B 4 AS 24/14 R).

Die Voraussetzungen der Aufenthaltsrechte aus §§ 2, 3, 4, 4a FreizügG/EU sind in diesem Zeitraum nicht glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin ist weder als Arbeitnehmerin beschäftigt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU) gewesen noch hat sie eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU). Die Voraussetzungen für ein nachwirkendes Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 3 FreizügG/EU liegen ebenfalls nicht vor. Insoweit wird auf die Ausführungen im Beschluss vom 16.01.2017 (L 19 SF 10/17 ER), die sich der Senat nach nochmaliger Prüfung zu Eigen macht, verwiesen.

Die Antragstellerin hat trotz des Umstandes, dass sie durchgehend seit dem 16.04.2011 in der Bundesrepublik gemeldet ist, auch die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a FreizügG/EU nicht glaubhaft gemacht. Nach § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU haben Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU, das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht). Ein ständiger Aufenthalt von fünf Jahren genügt allein allerdings nicht zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts i.S.v. §§ 2 Abs. 2 Nr. 7, 4a FreizügG/EU; vielmehr muss ein Unionsbürger in diesem Zeitraum auch durchgehend materiell aufenthaltsberechtigt gewesen sein. Der fünfjährige Aufenthalt eines Unionsbürgers verbunden mit der im FreizügG/EU enthaltenen generellen Freizügigkeitsvermutung (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R) begründet daher allein kein Daueraufenthaltsrecht i.S.v. §§ 2 Abs. 2 Nr. 7, 4a FreizügG/EU und steht auch nicht einer Verlustfeststellung nach §§ 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU entgegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.07.2015 - 1 C 22/14). Ein Daueraufenthaltsrecht nach §§ 2 Abs. 2 Nr. 7, 4a Abs. 1 FreizügG/EU setzt vielmehr einen fünfjährigen, auf Unionsrecht beruhenden rechtmäßigen Aufenthalt voraus (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 11.04.2016 - L 19 AS 555/15). Diese Voraussetzungen hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht, denn sie hat nichts dazu vorgetragen, dass sie während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik seit dem 16.04.2011 ununterbrochen über Aufenthaltsrechte aus § 2 Abs. 2 FreizügG/EU, insbesondere aus § 4 FreizügG/EU verfügt hat.

Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des AufenthG (vgl. zur Prüfung von Aufenthaltsrechten i.S.d. AufenthG BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 59/13 R -, - B 4 AS 44/15 R - und - B 4 AS 43/15 B ER) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

2. Der Antragstellerin ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig Hilfe zum Lebensunterhalt in Form des Regelbedarfs nach §§ 19, 27, 27a SGB XII für den Zeitraum 02.12.2016 bis 28.12.2016 zuzuerkennen.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII an die Antragstellerin sind nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen Prüfungsdichte jedenfalls bis zum 28.12.2016 gegeben. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Gewährung des Regelbedarfes als Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 19, 27, 27a SGB XII dem Grunde nach glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin ist hilfebedürftig i.S.v. § 19, 27 Abs. 1 SGB XII. Sie verfügt über kein Einkommen oder Vermögen. Insoweit stützt sich der Senat auf die Angaben der Antragstellerin in ihren - strafbewehrten, vgl. § 156 StGB - eidesstattlichen Versicherungen vom 01.12.2016 und vom 10.02.2017, wonach sie seit Antragstellung bei Gericht lediglich Unterstützung durch Bekannte erfahren habe. Eine eidesstattliche Versicherung stellt ein geeignetes Beweismittel in Verfahren nach § 86b SGG dar. Dafür, dass die Antragstellerin ab Antragstellung bei Gericht über weiteres, unbekanntes Einkommen oder Vermögen verfügt haben könnte, liegen keine durchgreifenden Anhaltspunkte vor.

Der Leistungsauschluss des § 23 SGB XII i.d.F. bis zum 28.12.2016 (a.F.) greift nicht zu Ungunsten der Antragstellerin ein. Bei der Antragstellerin handelte es sich bis zum 28.12.2016 um eine Unionsbürgerin ohne materielles Aufenthaltsrecht. Deshalb hat sie zwar nach § 23 Abs. 3 S. 1 2. Alt. SGB XII a.F. keinen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB XII, jedoch steht ihr ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt als Ermessensleistung nach § 23 Abs. 1 S. 3 SGB XII a.F. zu (BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 59/13 R, - B 4 AS 44/15 R und - B 4 AS 43/15 R, vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R, - B 14 AS 18/14 R und - B 14 AS 33/14 R, vom 20.01.2016 - B 14 AS 15/15 R und - B 14 AS 35/15 R, vom 17.02.2016 - B 4 AS 24/14 R und vom 17.03.2016 - B 4 AS 32/15 R). Durchgreifende Anhaltspunkte für eine Einreise zur Erlangung von Sozialhilfe im Sinne des Ausschlussgrundes nach § 23 Abs. 3 S. 1 1. Alt. SGB XII a.F. (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, a.a.O. und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R, a.a.O.) liegen nicht vor.

Das Ermessen der Beigeladenen ist im Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltes der Antragstellerin von weit mehr als sechs Monaten auf Null reduziert (vgl. BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R, a.a.O. und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R, a.a.O.). Im Hinblick auf die Dauer ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik seit 2011 und wegen fehlender Anhaltspunkte für die Einleitung oder auch nur Vorbereitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hat die Antragstellerin einen bereits verfestigten Aufenthalt (vgl. hierzu BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R a.a.O. und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/14 R a.a.O.). Gesichtspunkte, die trotz Vorliegens eines verfestigten Aufenthalts gegen eine Ermessensreduzierung auf Null sprechen könnten, fehlen.

Der Senat sieht in fortgesetzter Rechtsprechung (vgl. z.B. Urteil vom 11.04.2016 - L 19 AS 555/15; Beschlüsse vom 24.02.2016 - L 19 AS 1834/15 B ER, vom 24.03.2016 - L 19 AS 289/16 B ER, vom 22.06.2016 - L 19 AS 919/16 B ER und vom 01.08.2016 - L 19 AS 1437/16 B ER), auch unter Berücksichtigung gegenteiliger Rechtsprechung (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2016 - L 29 AS 20/16 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11.02.2016 - L 3 AS 668/15 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 22.02.2016 - L 9 AS 1335/15 B ER und vom 17.03.2016 - L 9 AS 1580/15 B ER; LSG Hamburg, Beschluss vom 14.04.2016 - L 4 AS 76/16 B ER; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 07.07.2016 - L 9 SO 12/16 B ER, L 9 SO 13/16 B PKH), keinen Anlass, von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Anwendung und Auslegung des § 23 SGB XII a.F. bei Unionsbürgern abzuweichen.

Die Antragstellerin ist auch nicht nach § 21 Abs. 1 S. 1 SGB XII vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Sie ist nicht i.S.d. § 21 Abs. 1 S. 1 SGB XII als Erwerbsfähige dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II. Denn bis zum 28.12.2016 unterfällt sie § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II a.F. und ist damit trotz ihrer Erwerbsfähigkeit von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen (BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 59/13 R, - B 4 AS 44/15 R - und - B 4 AS 43/15 R, vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R, -B 14 AS 18/14 R und - B 14 AS 33/14 R, vom 20.01.2016 - B 14 AS 15/15 R und - B 14 AS 35/15 R, vom 17.02.2016 - B 4 AS 24/14 R und vom 17.03.2016 - B 4 AS 32/15 R; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2016 - L 29 AS 20/16 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11.02.2016 - L 3 AS 668/15 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 22.02.2016 - L 9 AS 1335/15 B ER und vom 17.03.2016 - L 9 AS 1580/15 B ER. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen. Der Senat sieht keinen Anlass, von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Anwendung und Auslegung des § 21 SGB XII bei Unionsbürgern abzuweichen.

Die nach § 18 Abs. 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen vom Hilfebedarf der Antragstellerin liegt vor. Die Beigeladene muss sich die Kenntnis des Antragsgegners aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen zurechnen lassen (vgl. BSG, Urteile vom 03.12.2015 - B 4 AS 44/15 R a.a.O. - m.w.N., vom 16.12.2015 - B 14 AS 33/14 R und vom 20.01.2016 - B 14 AS 35/15 R a.a.O.).

Der Anordnungsgrund hinsichtlich des Regelbedarfs ergibt sich aus der glaubhaft gemachten Mittellosigkeit der Antragstellerin.

Die Beigeladene ist als örtlicher Sozialhilfeträger für die Gewährung der Hilfe nach dem Dritten Kapitel des SGB XII zuständig, da die Antragstellerin sich in ihrem Zuständigkeitsbereich tatsächlich aufhält (§§ 97 Abs. 1, 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII i.V.m. § 1 AG SGB XII NRW).

3. Für die Zeit ab dem 29.12.2016 hat die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin hat das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II für die Zeit ab dem 29.12.2016 glaubhaft gemacht. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II) und ist erwerbsfähig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 8 SGB II. Anhaltspunkte für eine gesundheitliche Einschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit liegen nicht vor. Die Antragstellerin hat ferner ihre Hilfebedürftigkeit i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB II glaubhaft gemacht; insoweit wird auf die Ausführungen unter 2. verwiesen. Schließlich hat die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I, denn sie hält sich zukunftsoffen in X auf.

Für die Zeit ab dem 29.12.2016 greift zu Ungunsten der Antragstellerin auch nicht mehr der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ein. Denn nach § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016 (BGBl. I 3155), in Kraft getreten am 29.12.2016 (n.F.), erhalten Ausländerinnen und Ausländer sowie ihre Familienangehörigen abweichend von S. 2 Nr. 2 Leistungen nach dem SGB II, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben.

Nach § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts kommt es in § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II n.F. im Gegensatz zur Regelung des Daueraufenthaltsrechts in § 4a Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU nicht an. Dies ergibt sich auch explizit aus der Gesetzesbegründung, denn dort heißt es, die Frist von fünf Jahren sei angelehnt an den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts, setze im Gegensatz zu diesem aber keine materielle Freizügigkeitsberechtigung voraus (BT-Drucks. 18/10211, S. 14). Soweit der Gesetzgeber ferner annimmt, von einem verfestigten Aufenthalt in Deutschland sei nach Ablauf eines gewöhnlichen Aufenthalts von mindestens fünf Jahren ab Meldung bei der Meldebehörde auszugehen, ist diese Voraussetzung im Falle der Antragstellerin erfüllt, denn diese ist seit dem 16.04.2011 durchgehend in X gemeldet.

An dem verfestigten Aufenthalt der Antragstellerin ändert sich auch nichts dadurch, dass sie nach eigenem Bekunden zwischen Oktober 2014 und Juni 2015 zur Pflege ihrer Mutter zwischen X und Polen gependelt ist und sich in diesem Zeitraum für etwa vier Monate in Polen aufgehalten hat. Mit Blick auf § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I hat das Bundessozialgericht entschieden, für die Beurteilung des "gewöhnlichen Aufenthaltes" seien maßgebend ein zeitliches Element ("nicht nur vorübergehend"), der Wille der Person als subjektives Element und die objektiven Gegebenheiten ("unter Umständen") mit einer vorausschauenden Betrachtung künftiger Entwicklungen, die eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit des Aufenthaltes erfordern, nicht jedoch eine Lückenlosigkeit (BSG, Urteil vom 23.05.2012 - B 14 AS 133/11 R). Wechselt der Aufenthaltsort, besteht der gewöhnliche Aufenthalt dort, wo jemand einen faktisch dauerhaften Schwerpunkt der Lebensverhältnisse hat und sich dort zukunftsoffen aufhält (BSG, Urteil vom 27.01.1994 - 5 RJ 16/93 - SozR 3-2600 § 56 Nr. 7; Schlegel in jurisPK-SGB I, 2. Aufl., § 30 SGB I Rn. 34, 36). Dies war für die Antragstellerin auch weiterhin X, denn dort hatte sie ihren Lebensmittelpunkt, zumal sie dort bis August 2015 gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten wohnte. Dass der zeitweise Aufenthalt in Polen für den gewöhnlichen Aufenthalt in X unschädlich gewesen ist, ergibt sich im Übrigen auch aus der Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II n.F. bzw. zur Parallelvorschrift in § 23 Abs. 3 S. 7 SGB XII n.F ... Denn danach sollen für den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 4 SGB II "unwesentliche Unterbrechungen" des Aufenthalts in Deutschland unschädlich sein (BT-Drucks. 18/10211, S. 14). In § 23 Abs. 3 S. 7 SGB XII n.F. wird explizit der Begriff "ohne wesentliche Unterbrechung" verwandt, zu dem der Gesetzgeber in der Begründung ausgeführt hat, es blieben Unterbrechungen wegen kurzfristiger Auslandsaufenthalte, wie z.B. Klassenfahrten, Besuche von Angehörigen oder die Teilnahme an Beerdigungen von Angehörigen, leistungsrechtlich außer Betracht. Bei der Prüfung, ob ein Aufenthalt im Ausland zu einer "wesentlichen" Unterbrechung führe, sei neben der Dauer des Aufenthalts auch zu berücksichtigen, wodurch dieser veranlasst sei (zum Beispiel familiäre, schulische Gründe) und welches Gewicht diese Gründe für den Betroffenen haben (BT-Drucks. 18/10211, S. 16). Vor diesem Hintergrund ist die Unterbrechung des Inlandsaufenthalts zur Pflege der Mutter als unwesentlich zu beurteilen.

Der Anordnungsgrund hinsichtlich des Regelbedarfs, den das Sozialgericht bis einschließlich 27.03.2017 vorläufig zugesprochen hat, ergibt sich auch hier aus der glaubhaft gemachten Mittellosigkeit der Antragstellerin.

Die Antragstellerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten der Prozessführung aufzubringen (§ 73a SGG i.V.m. § 115 ZPO), so dass ihr ratenfrei Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen und die zu ihrer Vertretung bereite Rechtsanwältin beizuordnen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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