S 23 AS 587/16 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
23
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AS 587/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 31.03.2016 gegen den Bescheid vom 02.03.2016 wird angeordnet. Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners fehlt es auch im Hinblick auf das Schreiben des Antragstellers vom 18.04.2016 nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn unzweifelhaft ist, dass die begehrte Entscheidung die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Klägers nicht verbessern würde (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, Vor § 51, Rn. 16a). Dies ist hier nicht der Fall. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller bereits zu der Verhängung einer Sanktion wegen der derzeitigen Nichtdurchführung der Arbeitsgelegenheit angehört wurde, ist diesem - unabhängig davon, ob er tatsächlich inzwischen den Willen hat, an der Maßnahme teilzunehmen - weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis zuzubilligen.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 31.03.2016 gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 02.03.2016 war gem. § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) anzuordnen, da das Aufschubinteresse des Antragstellers das Vollziehungsinteresse des Antragsgegners überwiegt. Denn der mit dem Widerspruch angefochtene Eingliederungsverwaltungsakt ist offensichtlich rechtswidrig.

Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage - wie hier gem. § 39 Nr. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) - keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG.

§ 86 b Abs. 1 SGG regelt allerdings selbst nicht die Voraussetzungen, unter denen das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen kann. Im Falle des § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG bestimmt § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG, dass die Aussetzung der Vollziehung erfolgen soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Regelung des § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG betrifft hingegen nicht die Fälle des § 86 a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 SGG. Die Lücke ist unter Berücksichtigung der Regelung in § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG zu schließen (Binder in HK-SGG, § 86 b, Rn. 13). Das Gericht nimmt insoweit eine rechtlich gebundene Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des Einzelnen an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung und dem Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung vor. Im Rahmen der Interessenabwägung ist nach der Systematik der Regelung im SGG zu berücksichtigen, dass in den Fällen des § 86 a Abs. 2 SGG, auf den der § 86 b Abs. 1 SGG verweist, ein Regel-Ausnahme-Verhältnis besteht. Hiernach hat im Zweifel das Vollzugsinteresse Vorrang. Dies folgt daraus, dass der Gesetzgeber zunächst einmal ein Entfallen der aufschiebenden Wirkung angeordnet hat. Es besteht in diesen Fällen nur dann ein hinreichender Grund von dem Regel-Ausnahme-Verhältnis abzuweichen, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss dabei eine Ausnahme bleiben, die nur mit gewichtigen Argumenten zu begründen ist. So muss zur Begründung eines überwiegenden Interesses eine offenbare Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes vorliegen. Die Abschätzung der Erfolgsaussichten ist nach summarischer Prüfung vorzunehmen.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist in Verfahren nach § 86 b Abs. 1 SGG - im Gegensatz zu Verfahren nach § 86 b Abs. 2 SGG - allerdings weder die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs noch eines Anordnungsgrundes erforderlich. Es kommt mithin für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht auf eine Eilbedürftigkeit bzw. darauf an, ob es dem Antragsteller zumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Der streitige Eingliederungsverwaltungsakt vom 02.03.2016 ist nach summarischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig, denn er verletzt das Bestimmtheitserfordernis des § 33 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Dem Eingliederungsverwaltungsakt können keinerlei konkrete Angaben zu der Arbeitsgelegenheit, der der Antragsteller zugewiesen worden ist, entnommen werden. Aus ihm ergibt sich insbesondere nicht, um welche konkrete Art von Tätigkeit bei welchem Träger es sich handelt (diese wird nur sehr allgemein als "Garten- und Landschaftspflege" bezeichnet), welche Aufgaben diese genau umfasst, welche Arbeitszeit angedacht ist und in welchem Zeitraum diese absolviert werden soll. Dem Antragsteller (und auch dem Gericht) ist es daher nicht möglich, zu prüfen, inwieweit die von ihm erwartete Tätigkeit zumutbar ist und ob die Voraussetzungen des § 16 d SGB II wie Zusätzlichkeit, und Wettbewerbsneutralität vorliegen. Der Hinweis des Antragsgegners auf das Schreiben vom 07.03.2016, mit welchem dem Antragsteller der Maßnahmeträger sowie der Arbeitsbeginn mitgeteilt wurde, geht ebenso fehl wie sein Hinweis auf die Amtsermittlungspflicht des Gerichts und die Möglichkeit, auf der Internetseite der Firma F gGmbH Erkundigungen einzuholen. Denn das Bestimmtheitsgebot des § 33 Abs. 1 SGB X verlangt gerade, dass der Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein muss. Die notwendigen Informationen müssen sich demnach aus dem Bescheid - bzw. diesem beigefügten Anlagen - ergeben, dieser muss aus sich selbst heraus verständlich sein. Maßgebender Zeitpunkt für die Bestimmtheit des Verwaltungsaktes ist der Zeitpunkt seines Zugangs. Umstände, die erst nach Zustellung bzw. Bekanntgabe desselben hinzutreten, können nicht zu dessen Verständnis herangezogen werden (vgl. Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 33, Rn. 4). Der Verweis auf ein später folgendes Schreiben (aus dem sich im Übrigen wiederum nicht die konkrete Art der Tätigkeit sowie die umfassten Aufgaben ergeben) reicht daher ebenso wenig aus, wie die Möglichkeit, sich (nach Kenntniserlangung von der Identität des Trägers) im Internet zu informieren. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb es von der Verwaltung, die selbst ja vor der Zuweisung von Leistungsempfängern zu einer Arbeitsgelegenheit im Hinblick auf die durch sie zu prüfenden Voraussetzungen des § 16 d SGB II Kenntnis vom genauen Inhalt derselben haben muss, nicht zu leisten sein soll, die von dem Antragsteller im Rahmen der Arbeitsgelegenheit zu verrichtenden Tätigkeiten (wie z. B. Rasen mähen, Verlegen von Platten, Gehölzpflege etc.) genau zu benennen. Entgegen den Ausführungen des Antragsgegners ist auch nicht etwa gerichtsbekannt, dass die bei den Arbeitsgelegenheiten des Trägers F gGmbH zu verrichtenden Arbeiten sämtlich zusätzliche Arbeiten i. S. d. § 16 d SGB II darstellen, die im öffentlichen Interesse liegen und wettbewerbsneutral sind. Ohne genaue Kenntnis der zu verrichtenden Tätigkeiten kann eine Beurteilung dieser Kriterien nicht stattfinden. Die allgemeine Aussage, dass die F gGmbH ein gemeinnütziger Träger sei, dessen Beschäftigungsmaßnahmen von öffentlichem Interesse seien, ermöglicht diese Beurteilung nicht und ist erst recht keine Garantie dafür, dass sämtliche Beschäftigungsmaßnahmen des Trägers die Voraussetzungen des § 16 d SGB II erfüllen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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