L 6 AS 1315/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AS 3731/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1315/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialrechts Düsseldorf vom 09.06.2015 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten in beiden Rechtszügen. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 2846,25 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung weiterer 2846,25 EUR im Zusammenhang mit dem Aufenthalt der Frau C mit ihren drei minderjährigen Kindern T, geboren 1997, B, geboren 2002, und H, geboren 2004, in einem Frauenhaus in M in Anspruch. B und ihre Kinder, die zuletzt ihren Wohnsitz in N hatten, flohen vor häuslicher Gewalt und hielten sich während der Zeit vom 04.01.2011 bis zum 28.04.2011 (114 Tage) in dem Frauenhaus auf, dessen Kostenträgerin die Klägerin ist. Für die Zeit ihres Aufenthaltes erhielten sie vom Jobcenter M Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Zwischen der Klägerin und dem Verein "G e. V." besteht eine unter dem 30.10.2009 geschlossene Vereinbarung über den Betrieb und die Finanzierung eines Frauenhauses in M unter der Trägerschaft dieses Vereins (§ 1 Vertragsgegenstand). In § 2 der Vereinbarung werden Art und Umfang der Leistungen festgelegt. Der Verein erbringt seine Leistung auf der Basis des Rahmenkonzeptes der Frauenhäuser im Paritätischen NRW. Diese Konzeption wird im Zuge sich verändernder gesellschaftlicher Entwicklungen und Erkenntnisse der Frauenhaus Arbeit weiterentwickelt. Dabei vereinbaren die Vertragsparteien im Rahmen der Qualitätssicherung ein jährliches Abstimmungsgespräch mit dem Sozialdezernat, zu denen die Fachbereiche Frauenbüro und Soziales eingeladen werden. Nach § 3 der Vereinbarung (Finanzierung) berechnet der Verein für die Inanspruchnahme der Einrichtung einen Tagessatz. Dieser Tagessatz setzt sich zusammen aus den Kosten für Unterkunft und Betreuung. Die Betreuungskosten bestehen allein aus den Bruttopersonalkosten für 3 Planstellen abzüglich des Landeszuschusses i.H.v. 87.604 EUR, die Kosten der Unterkunft aus den Betriebskosten, den Miet- und Mietnebenkosten der Einrichtung (alle entsprechend der Finanzkalkulation des laufenden Jahres auf Basis des Vorjahresergebnisses) sowie der Personalkosten für eine Verwaltungsunterstützung im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung. Auf der Basis des so errechneten Tagessatzes erstellt der Verein monatlich an den Fachbereich Gesundheit und Soziales personenbezogene Einzelrechnungen (für Frauen mit ihren minderjährigen Kindern gemeinsam) getrennt nach Betreuungskosten und Kosten der Unterkunft für die tatsächlichen Belegtage. Nach § 4 der Vereinbarung (Betriebskostenabrechnung und Anpassung der Tagessätze, Prüfung der Wirtschaftlichkeit) treffen sich die Vertragspartner bis zum 30. März eines jeden Jahres, um über die Höhe der künftigen Tagessätze ab dem 1. Mai zu verhandeln. Der Kostenträger (Klägerin) erhält ein Prüfungsrecht hinsichtlich der rechnerischen Richtigkeit sowie der Wirtschaftlichkeit. Im Übrigen enthält der Vertrag Regelungen zum Datenschutz, zur Unwirksamkeit, zum Inkrafttreten, zur Dauer und zur Kündigung. In der Zeit vom 01.05.2010 bis zum 30.04.2011 betrug der "Tagesmietsatz" für die Unterkunft pro Person 14,60 EUR und für die Betreuung der Frauen 24,75 EUR.

Unter dem 05.01.2011 teilte eine Mitarbeiterin des Frauenhauses der Klägern mit, dass Frau C am Tag zuvor mit ihren Kindern in das Frauenhaus aufgenommen worden sei. Aufgrund der aktuellen Bedrohungssituation und der daraus folgenden starken Belastung sei sie unbedingt auf die umfassende psychosoziale Betreuung, die durch ein Frauenhaus geleistet werden könne, angewiesen. Nur so könnten bei ihr die Voraussetzungen geschaffen werden, die eine Eingliederung in eine Erwerbstätigkeit in der Zukunft ermöglichten.

Mit Schreiben vom 12.01.2011 meldete die Klägerin einen Erstattungsanspruch bei der Beklagten an, den sie unter dem 18.05.2011 getrennt nach Kosten der Unterkunft (6446,46 EUR) und Betreuungskosten (2846,25 EUR) mit insgesamt 9292,71 EUR bezifferte. Die Beklagte zahlte an die Klägerin die geltend gemachten Kosten der Unterkunft, die Zahlung der Betreuungskosten verweigerte sie mit der Begründung, es handele sich dabei um nicht erstattungsfähige Kosten.

Mit ihrer am 23.12.2011 erhobenen Klage hat die Klägerin die Erstattung auch des Restbetrages verlangt. Dabei handele es sich um die auf Frau C bezogenen Kosten der psychosozialen Betreuung. Sie ist der Ansicht, auch diese Kosten seien über § 36a SGB II erstattungsfähig. Entscheidend sei, dass die psychosoziale Betreuung auch dazu diene, die Eingliederung in das Erwerbsleben zu fördern. Vor diesem Hintergrund seien auch Kinderbetreuungskosten zu übernehmen, da die dauerhafte Eingliederung der Mutter gar nicht ohne Betreuung und gegebenenfalls psychische und soziale Stabilisierung der Kinder erfolgen können.

Die Beklagte hat geltend gemacht, sie habe weitere Kosten nicht zu übernehmen, da nicht erwiesen sei, dass erstattungsfähige Betreuungsleistungen überhaupt erbracht worden sein. Es sei aber auch davon auszugehen, dass es sich bei dem täglichen Satz von 24,75 EUR um eine Pauschale handele, die einen Zuschuss zu den allgemeinen Personalkosten des Frauenhauses enthalte und somit den so genannten institutionellen Kosten zuzurechnen sei.

Auf Anfrage des Gerichts hat Frau S, Vorstandsmitglied des Trägervereins, das Betreuungsangebot des Frauenhauses erläutert (Schreiben vom 30.04.2013). Innerhalb von Bürokernzeiten stehe mindestens eine Fachkraft für Fragen und Probleme der Zufluchtsuchenden zur Verfügung. Neben diesem niedrigschwelligen würden auch klientenzentrierte Beratungs- und Hilfsangebote unterbreitet. Diese reichten von der Krisenintervention, Gesprächen zur Bearbeitung von Gewalterfahrung und aktueller Trennungssituation, Begleitung zu Behörden und Vermittlung von Behörden, Institutionen und Hilfseinrichtungen bis hin zur Hilfe bei der Suche einer neuen Wohnung und Unterstützung bei den dadurch notwendigen Anträgen, Wegen und Umzugshilfen. Die Stabilisierung der Lebenssituation, die Klärung der Zukunftsperspektive, die Anmietung einer Wohnung und vieles mehr sei in der Regel notwendige Voraussetzung, um eine Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen. Ziel der Angebote sei es, Frauen bei der Überwindung bzw. Bewältigung der von Gewalt geprägten Lebenssituation zu helfen, sie in ihrer Entscheidungskompetenz zu stärken, ihnen die Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens ohne Gewalt aufzuzeigen und in der Schaffung einer finanziellen Basis unabhängig von Misshandlung zu unterstützen. Die Annahme dieser Angebote sei freiwillig und richte sich in Art und Häufigkeit nach dem Bedarf der betroffenen Frauen und Kinder.

Zur konkreten Beratungssituation der Frau C hat Frau S angegeben, diese sei sehr gut in der Lage gewesen, ihren und den Alltag ihrer Kinder zu organisieren. Der Tagesablauf habe sich dementsprechend anhand der im Frauenhaus vorgegebenen Alltagsstruktur mit Versorgung und Schulzeiten der Kinder, Erledigung von Ämtergängen, Bereitung der Mahlzeiten, Beratungsgesprächen, Teilnahme an Gruppen- und Freizeitangeboten gestaltet. Frau C habe das Beratungs- und Hilfsangebot regelmäßig angenommen, sei jedoch immer darauf bedacht gewesen, ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu behalten. Dabei habe sie sich in der Regel sehr zuverlässig verhalten, die Kinder hätten regelmäßig an Einzel- und an Freizeitangeboten teilgenommen. In der Anfangszeit habe sich auch vor dem Hintergrund von Nachstellungen des Ehemannes und des Streits um den Aufenthalt der Kinder die Betreuung auf den Abbau von Ängsten und die Stabilisierung der Lebenssituation konzentriert. Es sei gemeinsam eine erste Orientierung und Planung erfolgt, welche weiteren Schritte in der Zukunft notwendig seien. Der Themenbereich Erwerbstätigkeit sei dabei behandelt worden. Vordringliche Ziele der Beratung und Unterstützungstätigkeit seien die Regelung des Sorge- und Umgangsrechts sowie die Deeskalation der Familiensituation gewesen. Die Umgangskontakte seien mit Frau C und ihren Kindern vor- und nachbereitet worden, die Kinder seien zu den Umgangskontakten begleitet worden. Zudem habe Frau C eine umfassende Unterstützung bei Erziehungsfragen und Verhaltensauffälligkeiten der Kinder erhalten. In der Arbeit mit den Kindern seien die traumatischen Erlebnisse aufgegriffen, bearbeitet und ein Umgang mit Wut und anderen Gefühlen eingeübt worden. Die Stabilisierung der familiären Situation habe dazu geführt, dass Frau C sich sehr schnell entschlossen habe, in M sesshaft zu werden und hier eine neue Basis für ihr Leben zu begründen. Sie habe innerhalb kurzer Zeit für sich und ihre Kinder eine Wohnung finden können, dabei sei sie sehr selbstständig vorgegangen und habe sich bewusst von den Hilfsangeboten des Frauenhauses distanziert.

Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 09.06.2015 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin den Restbetrag zu zahlen; die Berufung hat es zugelassen. Das Gericht hat die Voraussetzungen des § 36a SGB II als erfüllt angesehen. Art und Umfang des Erstattungsanspruchs richteten sich nach den Leistungen, die rechtmäßiger Weise nach den Vorschriften des SGB II an die hilfebedürftige Person erbracht werden durften. Dazu gehörten neben den bereits ausgeglichenen Kosten der Unterkunft auch Ermessensleistungen wie die psychosoziale Betreuung nach § 16a SGB II (§ 16 Abs. 2 SGB II a.F.). Die erbrachten psychosozialen Betreuungsleistungen seien erforderlich gewesen, um die Wiedereingliederung in Arbeit zu erreichen. Es sei eine unabdingbare Voraussetzung oder gar Teil der "Erwerbsfähigkeit", dass eine Person das Privat- und Familienleben soweit geregelt haben müsse, dass es ihr möglich ist, eine Arbeitsstelle regelmäßig, pünktlich und zuverlässig aufzusuchen. Gestützt auf die schriftliche Auskunft des Trägervereins hat es die Auffassung vertreten, ohne die psychische Stabilisierung von Mutter und Kindern auch im Rahmen der eher niedrigschwelligen Angebote des Frauenhauses sei eine Wiedereingliederung in Arbeit nicht möglich gewesen.

Der errechnete (Betreuungs-)Tagessatz von 24,75 EUR bilde den Betreuungsaufwand für vier Personen realitätsgerecht ab. Die Beklagte sei auch verpflichtet gewesen, die Aufwendungen für die Betreuungsleistungen zu übernehmen, da diese auf der Grundlage einer nach Maßgabe des § 17 Abs. 2 SGB II geschlossenen Vereinbarung erbracht worden seien. Die Vorschriften der für die vorliegende Konstellation geltenden §§ 111 und 113 SGB X seien eingehalten worden.

Gegen das ihr am 13.07.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30.07.2015 Berufung eingelegt. Sie bestreitet, dass überhaupt Betreuung für Frau C und ihre Kinder geleistet worden sei. Die Klägerin habe bisher nicht den Nachweis erbracht, welche Leistungen im Sinne des § 16a SGB II im Einzelnen tatsächlich während des Aufenthaltes im Frauenhaus angefallen seien. Der Betrag von täglich 24,75 EUR beziehe sich anders als vom Sozialgericht angenommen allein auf die Kindesmutter. Es handele sich auch nicht nur um eine geringe Tagespauschale. Die Klägerin habe nicht einmal im Ansatz dargelegt und plausibel gemacht, durch welche Betreuungsleistungen dieser Kostenaufwand gerechtfertigt gewesen sein sollte. Vor diesem Hintergrund liege die Annahme näher, dass es sich bei den aufgeführten "Betreuungskosten" um einen Zuschuss zu den allgemeinen Personalkosten des Frauenhauses und somit um so genannte institutionelle Kosten handele. Unter diesen Kosten einer Einrichtung seien die Sach- und Personalkosten der Einrichtung zu verstehen. Bereits die Überschrift des § 3 der Vereinbarung ("Finanzierung") lasse darauf schließen, dass keine Regelung über die Art und Weise von einzelfallbezogenen Betreuungsleistungen getroffen worden sei, sondern eine solche über die allgemeine Finanzierung des Frauenhauses als Institution. Zu Unrecht gehe das Sozialgericht auch davon aus, dass die Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Trägerverein vom 30.10.2009 den Anforderungen des § 17 Abs. 2 SGB II entspreche. Es würden weder zu der Art der angebotenen psychosozialen Leistungen zur Eingliederung in das Erwerbsleben Festlegungen getroffen, noch zu deren Kostenstruktur/Vergütung. Auch im Hinblick auf die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Angebotes könnten auf der Grundlage der Vereinbarung keine Rückschlüsse gezogen zu werden. Im Übrigen verweist die Beklagte darauf, dass in einigen Bundesländern, wie etwa Rheinland-Pfalz, Vereinbarungen zwischen dem Landkreis- und Städtetag geschlossen wurden, die die Übernahme von regelmäßig anfallenden Betreuungskosten in einem Frauenhaus über § 36a SGB II hinaus regeln. Das bedeute im Umkehrschluss, dass in Rheinland-Pfalz davon ausgegangen werde, dass über die Erstattungspflicht aus § 36a SGB II nicht alle "Vorhaltekosten" für Frauenhäuser umfasst sein könnten. Denn wäre das der Fall, wären die Vereinbarungen obsolet. Die Kostenregelung in § 36a SGB II habe das Ziel, in einem gewissen Umfang einen Kostenausgleich im Hinblick auf den Unterhalt bzw. die Unterstützung von Frauenhäusern durch Kommunen zu schaffen. Es sei aber nicht Sinn und Zweck dieser Erstattungsregelung, die institutionelle Förderung solcher Einrichtungen über § 36a SGB II hinaus auf die kommunale Ebene zu verlagern.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.06.2015 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält die angefochtene Entscheidung im Ergebnis für zutreffend, meint aber, dass es nicht sachgerecht sei, zwischen Kosten der Unterkunft und Betreuungskosten zu unterscheiden; die Beklagte sei zur Erstattung sämtlicher Kosten verpflichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes einschließlich des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Klägerin; dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die durch Zulassung statthafte Berufung (§ 174 Abs. 1, Abs. 3 SGG) ist zulässig, insbesondere ist das Rechtsmittel von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 SGG).

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an die Klägerin 2846,25 EUR zu zahlen.

Zur Zahlung dieses Betrages ist die Beklagte verpflichtet, weil sie der Klägerin die Aufwendungen für die Unterbringung der Frau C und ihrer drei Kinder im Frauenhaus in M nicht nur mit Blick auf die Kosten der Unterkunft, sondern auch auf die Kosten für die psychosoziale Betreuung der Frau C zu erstatten hat.

Der zulässigerweise mit der echten Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG verfolgte Erstattungsanspruch nach § 36a SGB II umfasst gebundene Leistungen und Ermessensleistungen nach dem SGB II, die an die leistungsberechtigte Frau und ihre Kinder für die Zeit des Aufenthaltes im Frauenhaus rechtmäßig erbracht werden (BSG Urteil vom 23.05.2012 - B 14 AS 190/11 R). Ist schon deshalb wegen der rechtlichen Einordnung der Leistungen entgegen der Auffassung der Klägerin nach deren Art und Umfang zu unterscheiden, ist die Beklagte nicht nur zur Erstattung der bereits übernommenen Kosten der Unterkunft i.H.v. 6446,46 EUR verpflichtet, sondern hat auch die von der Beklagten geforderten Kosten der psychosoziale Betreuung i.H.v. 2846,25 EUR zu erstatten.

Die Voraussetzungen des § 36a SGB II im Verhältnis der Beteiligten zueinander sind dem Grunde nach erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist der kommunale Träger am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort verpflichtet, dem durch die Aufnahme im Frauenhaus zuständigen kommunalen Träger des Frauenhauses die Kosten für die Zeit des Aufenthaltes im Frauenhaus zu erstatten, wenn eine Person in einem Frauenhaus Zuflucht sucht. Anspruchsberechtigt ist insoweit der kommunale Träger gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II, in dessen Gebiet sich das Frauenhaus befindet, und der in rechtmäßiger Anwendung der Vorschriften des SGB II Leistungen an die zufluchtsuchenden Personen erbracht hat (BSG Urteil vom 23.05.2012 - B 14 AS 156/11 R; Aubel in jurisPK SGB II Stand 26.09.2016 § 36a Rn. 8), erstattungspflichtig derjenige am Ort des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsortes (s. auch zur Aktiv- und Passivlegitimation BSG aaO). Die Kostenerstattungspflicht umfasst neben den bereits ausgeglichenen Kosten der Unterkunft grundsätzlich auch die Leistungen der psychosozialen Betreuung nach § 16 a Nr. 3 SGB II (vgl. BSG Urteil vom 23.05.2012 - B 14 AS 190 / 11 R; juris Rn. 24,25 mwN).

Frau C wurde im Frauenhaus psychosozial betreut; dabei handelte es sich um eine nach § 16 a Nr. 3 SGB II rechtmäßig erbrachte Leistung.

Die hilfebedürftige Frau C - und ihre Kinder - gehörten zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 - 4; Abs. 2 SGB II), ohne dass es darauf ankommt, ob sie bereits am früheren Wohnort leistungsberechtigt waren oder es mit der Aufnahme ins Frauenhaus wurden. Sie erhielten in dem gesamten Aufenthaltszeitraum Leistungen nach dem SGB II.

Frau C wurde psychosozial im Sinne des § 16 a Nr. 3 SGB II durch die Beschäftigten des Frauenhauses betreut.

Der Begriff der psychosozialen Betreuung ist weit gefasst. Er umfasst nicht nur medizinisch indizierte psychiatrische oder psychotherapeutische Interventionen (Betreuung im engeren Sinne), sondern alle Maßnahmen, die zur psychischen und sozialen Stabilisierung des Betroffenen zu dienen bestimmt sind (LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23.02.2010 - L 1 AS 36 / 09; juris Rn. 33; Radüge in jurisPK 4. Aufl. Stand 22.06.2015 § 16 a Rn. 22). Zur psychosozialen Betreuung können insbesondere die in § 33 Abs. 6 SGB IX aufgeführten Maßnahmen gehören (Radüge a.a.O.). Genannt werden dort Hilfen zur Unterstützung bei der Krankheits- und Behinderungsverarbeitung, Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen, Information und Beratung von Partnern und Angehörigen sowie von Vorgesetzten und Kollegen, Vermittlung von Kontakten zur örtlichen Selbsthilfe und zu Beratungsmöglichkeiten, Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz, unter anderen durch Training sozialer und kommunikativer Fähigkeiten und im Umgang mit Krisensituationen, Training lebenspraktischer Fähigkeiten, Anleitung und Motivation zur Inanspruchnahme von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Beteiligung von Integrationsfachdiensten im Rahmen ihrer Aufgabenstellung (§ 110 SGB IX).

Auf der Grundlage der Auskunft des Trägervereins mit Schreiben vom 30.04.2013 zum Betreuungskonzept der Einrichtung und zur Betreuung im konkreten Einzelfall sieht der Senat den Nachweis erbracht, dass insbesondere Frau C Leistungen erhalten hat, die qualitativ als psychsoziale Betreuung einzuordnen ist. Denn danach finden sich mit Ausnahme der behinderungsspezifischen Betreuungsansätze viele der in § 33 Abs. 6 SGB IX aufgeführten Einzelaspekte/-maßnahmen in der Betreuung gerade der Frau C wieder, die für eine solche Betreuung typisch sind. Diese und die Hilfestellungen, Beratung und Unterstützung im Übrigen charakterisieren die Betreuung als psychosozial im Sinne des § 16a Nr. 3 SGB II/§ 16 Abs. 2 SGB II a.F.

Soweit die Beklagte auch in Kenntnis dieses Schreibens des Trägervereins bestreitet, dass überhaupt psychosoziale Betreuungsleistungen erbracht worden sind, hat sich der Senat zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts nicht veranlasst gesehen. Die Beklagte greift nicht die tatsächlichen Angaben in dem Schreiben an; der Senat hat keine Bedenken, diese Feststellungen zugrunde zu legen.

Soweit die Beklagte allein aus der von ihr bewerteten Kostenstruktur ableitet, dass mit den geltend gemachten Kosten keine tatsächliche Betreuungsleistung abgegolten, sondern so genannte institutionelle Kosten verlagert werden sollen, ist dies angesichts der getroffenen Feststellungen unerheblich, überzeugt aber auch inhaltlich nicht. Denn die Betreuungskosten werden ausweislich der Vereinbarung vom 30.09.2009 ermittelt aus den Bruttopersonalkosten für drei Planstellen abzüglich eines Landeszuschusses im hohen fünfstelligen Bereich. Schon daraus folgt, dass nicht die institutionellen Kosten, zu denen auch der Landeszuschuss als existentielle Säule gehört, sondern nur weit niedrigere Aufwendungen an die Kostenträger weiter gegeben werden. Der Umstand, dass im Ausgangspunkt Bruttopersonalkosten für drei Stellen eingerechnet werden, begegnet keinen substantiellen Bedenken. Abzüglich Urlaub, Feiertage und Abwesenheitszeiten wegen Krankheit ist die Betreuung im Frauenhaus durchgängig nur mit deutlich weniger als zwei Beschäftigten gewährleistet, so dass auch hier jedenfalls nicht die Vermutung genährt wird, es würden allgemeine Personalkosten jenseits der psychosozialen Betreuung hinzugerechnet. Der Tagessatz von 24,75 EUR als solcher bietet ebenfalls keine Veranlassung zu zweifeln, hier würden Aufwendungen jenseits der eigentlichen Betreuungsleistung eingepreist. Die Vertragspartner der Vereinbarung vom 30.09.2009 haben ausweislich des Schreibens der Fachabteilung Gesundheit und Soziales an den Trägerverein vom 13.04.2010 den Tagessatz vereinbarungsgemäß aufgrund der Verwendungsnachweise für das Jahr 2009 in dieser Höhe ermittelt und vereinbart. Dass die Aufwendungen für psychosoziale Betreuung in einem Tagessatz (nur) für "(die) Frauen" einfließen, ohne wie möglicherweise in anderen Einrichtungen mit den Kosten der Kinder einen Durchschnittswert zu bilden, macht die Kalkulation nicht in dem von der Beklagten reklamierten Sinne zu einem Tagessatz institutioneller Kosten. Er trägt offensichtlich dem (zutreffenden) rechtlichen Ansatz Rechnung, dass die Kinderbetreuung (- minderjähriger Kinder -) jenseits der psychosozialen Betreuung auch eine der Mutter zu erbringende Betreuungsleistung ist (§ 16a Nr. 1 SGB II).

Die psychosoziale Betreuung war auch im Sinne des § 16a SGB II erforderlich für die Wiedereingliederung in Arbeit. Das Sozialgericht hat eingehend und überzeugend darauf abgestellt, dass in einer u.a. durch Gewalterfahrung, Verlust von bisherigen Bindungen und der Wohnung als Lebensmittelpunkt geprägten Situation, wie sie für Zufluchtsuchende im Frauenhaus typisch ist, die Entwicklung tragfähiger neuer, insbesondere auch (neuer) beruflicher Perspektiven ohne eine psychische und soziale Stabilisierung nicht denkbar (Aubel aaO Rn 13; LSG NRW Urteil vom 23.02.2010 - L 1 AS 36/09), jedenfalls aber in der Prognose nach allgemeiner Lebenserfahrung wenig erfolgversprechend erscheint (vgl. BSG Urteil vom 23.05.2012 - B 14 AS 190/11 R). Sind aber die psychosoziale Betreuung und die übrigen in § 16a SGB II aufgeführten Leistungen wie die Betreuung minderjähriger Kinder, die Schuldnerberatung und Suchtberatung eine eher die Wiedereingliederung vorbereitende, ggfs begleitende Leistung, ist auch das Merkmal der Erforderlichkeit in der Prognoseentscheidung in diesem vorbereitenden bzw. zielführenden Kontext auszulegen. In diesem Sinne war die psychosoziale Betreuung der Frau C erforderlich, da sie grundsätzlich darauf gerichtet war, Frauen bei der Überwindung bzw. Bewältigung der von Gewalt geprägten Lebenssituation zu helfen, sie in ihrer Entscheidungskompetenz zu stärken, ihnen die Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens ohne Gewalt aufzuzeigen und in der Schaffung einer finanziellen Basis unabhängig von Misshandlung zu unterstützen. Im Falle von Frau C hat situationsbedingt dabei zunächst die Beratung und Unterstützung zur Regelung des Sorge- und Umgangsrechts sowie zur Deeskalation der Familiensituation im Vordergrund gestanden.

Vor diesem Hintergrund bedarf es sowohl keiner weiteren Zielformulierung für die psychosoziale Betreuung als auch keiner ins Einzelne gehenden Substantiierung der erbrachten Leistungen. Auch hier hat das Sozialgericht zutreffend darauf abgestellt, dass in der besonderen Situation im Frauenhaus (nur) ein ständig präsentes, auch niedrigschwelliges Angebot, mit dem jederzeit bedarfsgerecht auf die aktuellen Bedürfnisse der betreuten Frauen (und Kinder) reagiert werden kann, zielführend ist. Diese notwendige Flexibilität macht jedenfalls eine weitere Dokumentation, als sie offensichtlich der Auskunft des Trägervereins zugrunde lag, entbehrlich, da der o.a. Zielsetzung entsprechend eine Betreuung in veränderter, angepasster Intensität und Qualität für den Aufenthalt in diesem Frauenhaus kennzeichnend war/ist.

Soweit der Beklagte diese Form der Kostenermittlung für das Erstattungsverfahren für unzuträglich hält, da dann der Umfang der erstattungsfähigen Kosten allein von der Abrede zwischen Trägerverein des Frauenhauses und kommunalem Träger abhängig sei, folgt dem der Senat nicht. Denn diese Abhängigkeit wäre deshalb unschädlich, weil die Abrede nach Maßgabe des § 17 Abs. 2 SGB II zu erfolgen, diese Vereinbarung ihrerseits dann aber auch den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit zu genügen hat (§ 17 Abs. 2 Satz 2 SGB II). Sollte es wegen unterschiedlicher Handhabung über die Ländergrenzen hinaus zu finanziellen Unzuträglichkeiten und Schieflagen kommen, könnte ihnen - soweit notwendig - durch Vereinbarungen auf unterschiedlichen Ebenen begegnet werden, im Übrigen aber auch durch eine regional ausreichende Struktur für zufluchtsuchende Frauen, die es zu solchen Schieflagen dann nicht kommen lässt.

Der Erstattungsanspruch scheitert auch nicht daran, dass es an einer Vereinbarung nach Maßgabe des § 17 Abs. 2 SGB II fehlt. Entgegen der Auffassung des Beklagten genügt die Vereinbarung vom 30.09.2009 in allen Belangen den gesetzlichen Vorgaben. Denn sie enthält Regelungen zu Inhalt, Umfang und Qualität (Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) der psychosozialen Betreuung in § 2 (Art und Umfang der Leistung mit Verweis auf das Rahmenkonzept der Frauenhäuser des Paritätischen NRW), zur Vergütung, die sich aus Pauschalen und Beträgen für einzelne Leistungsbereiche zusammensetzen kann (Abs. 2 Satz 1 Nr. 2), in §§ 3, 4 sowie zur Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen (Abs. 2 Satz 1 Nr. 3) in § 2 Abs. 5, §§ 3, 4. Anhaltspunkte dafür, dass institutionelle Kosten hier verlagert werden, sieht der Senat, wie oben ausgeführt, nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193 Abs. 1, 197a SGG.

Die Revision hat der Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Die (endgültige) Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Rechtskraft
Aus
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