S 5 AL 143/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 AL 143/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 285/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Frage der Versicherungspflichtigkeit im Rahmen der Arbeitslosenversicherung bei einem Beschäftigungsverhältnis neben einem Studium.
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 4. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Mai 2015 dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld ab 1. April 2015 zu gewähren.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Arbeitslosengeld.

Die am 1989 geborene Klägerin war als Verkäuferin bzw. Tankstellenmitarbeiterin vom 01.08.2013 bis 15.12.2013 bzw. 01.01.2014 bis 31.12.2014 bei der Fa. A. -S. -Tankstation bzw. Fa. J. Tankstelle angestellt. Die regelmäßige Arbeitszeit betrug nach den Arbeitsbescheinigungen 20 Wochenstunden.

Am 05.03.2015 meldete sich die Klägerin mit Wirkung zum 01.04.2015 bei der Beklagten arbeitslos. Mit Bescheid vom 04.05.2015 lehnte es diese sodann ab, ihr Arbeitslosengeld zu bewilligen. Die Klägerin sei in den letzten zwei Jahren vor dem 01.04.2015 weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen und habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt.

Im nachfolgenden Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, dass sie die Anwartschaftszeit erfüllt habe. Sie habe insgesamt 14 Monate lang eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt. Es seien hierfür Beiträge geleistet worden.

Gleichwohl wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.05.2015 zurück. Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit habe, wer unter anderem die Anwartschaftszeit erfüllt habe. Die Anwartschaftszeit erfülle, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Dabei entspräche ein Monat 30 Kalendertagen, folglich entsprächen zwölf Monate 360 Kalendertagen. Die Rahmenfrist betrage zwei Jahre und beginne mit dem Tage vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Rahmenfrist umfasse daher die Zeit vom 01.04.2013 bis 31.03.2015. Innerhalb der Rahmenfrist seien nur 61 Kalendertage zu berücksichtigen, in denen die Klägerin versicherungspflichtig gewesen sei. Dabei handele es sich um die Zeit vom 01.08.2013 bis 30.09.2013. Ausweislich der vorliegenden Studienbescheinigung vom 07.04.2015 sei die Klägerin in der Zeit vom 16.09.2013 bis 31.03.2015 als Studentin an der Universität A-Stadt immatrikuliert gewesen. Abweichend vom Immatrikulationsbeginn könne die Zeit bis zum 30.09.2013 anerkannt werden. Die Klägerin habe zwar auch während ihres Studiums im Rahmen ihrer weiterhin ausgeübten Beschäftigung tatsächlich Beiträge zur Arbeitsförderung entrichtet. Es komme aber nicht darauf an, ob Beiträge entrichtet (oder zu Unrecht nicht entrichtet) worden seien, sondern darauf, ob die Beschäftigung versicherungspflichtig gewesen sei. Die Beschäftigung während des Studiums sei jedoch im Sinne des hier maßgeblichen Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) versicherungsfrei gewesen. Der Klägerin stehe es im Übrigen frei, bei der Krankenkasse die Beitragserstattung zu beantragen. Die Klägerin habe daher die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, weil sie nicht mindestens zwölf Monate (= 360 Kalendertage) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Sie habe deshalb keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Dagegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 29.05.2015 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) läge die Versicherungsfreiheit im Sinne des Werkstudentenprivilegs nur vor, wenn und solange das Studium, d.h. nach Zweck und Dauer untergeordnet, ausgeübt werde. Eine Erwerbstätigkeit sei jedenfalls dann nicht mehr privilegiert, wenn sie 20 Wochenstunden überschreite, da die Beschäftigung dann den Studenten in der Regel so stark beanspruche, dass die Beschäftigung als Arbeitnehmer sein Erscheinungsbild präge. Es bestehe eine Vermutung der Nichtverfügbarkeit bei Studierenden. Es gebe somit auch die Möglichkeit, dass das Studentenprivileg widerlegt werden könne. Die Vermutung der Versicherungsfreiheit sei dann als widerlegt anzusehen, wenn der Arbeitslose darlege und nachweise, dass der Ausbildungsgang die Ausübung einer versicherungspflichtigen, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung, bei ordnungsgemäßer Erfüllung der in den Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen vorgeschriebenen Anforderungen zulasse. Versicherungsfreiheit bestehe nur, wenn die Tätigkeit nach Zweck und Dauer zum ausgeübten Studium eine Nebenbeschäftigung darstelle. Letzteres sei aber nicht der Fall, da die Beschäftigung für die Klägerin durchaus prägende Bedeutung gehabt habe und gleichgewichtet oder stärker gewichtet zum Studium ausgeübt worden sei. Die Klägerin habe durchgehend während des Studiums 20 Wochenstunden gearbeitet. Art. 3 Grundsetz (GG) fordere, dass Studierende, welche die Anwartschaft für den Bezug von Arbeitslosengeld erfüllt hätten, wie insoweit vergleichbare andere Arbeitslose eine reale Chance haben müssten, ihren Leistungsanspruch zu verwirklichen. Dies habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 18.11.1986 grundlegend entschieden. Die Widerlegung der Vermutung dürfe daher nicht gänzlich oder doch praktisch ausgeschlossen sein. Die Art und Weise der Anwendung der Sozialversicherungsfreiheit durch die Arbeitsagentur verstoße im vorliegenden Fall gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Das Studium diene neben der ausgeübten Tätigkeit einer späteren beruflichen Orientierung und sei lediglich nebenbei ausgeübt worden. Daher sei es auch zu einem Wechsel der Studienrichtung innerhalb der 3-semestrigen Studiendauer gekommen. Aus den Stundenplänen ginge hervor, dass die Klägerin ohne Weiteres am Freitag, den Wochenenden und abends eine versicherungspflichtige Beschäftigung habe ausüben können. Die Klägerin habe sich auf ihre Haupttätigkeit bei der Tankstelle konzentrieren können. Diese Tätigkeit sei nötig gewesen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Das Studium habe lediglich zur Orientierung über die spätere berufliche Tätigkeit gedient. Ab September 2015 habe die Klägerin ein neues Studium als Handelsfachwirtin aufgenommen.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 04.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.05.2015 zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosengeld ab 01.04.2015 zu gewähren.

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach Auffassung der Beklagten sei maßgeblich für die Beurteilung der Versicherungsfreiheit bzw. -pflicht das äußere Erscheinungsbild. Der Student soll versicherungsfrei sein, wenn die neben dem Studium ausgeübte Beschäftigung keine prägende Bedeutung erlangt habe. Nach ständiger Rechtsprechung gelte dies für Studenten, wenn sie während der Vorlesungszeit nicht mehr als 20 Wochenstunden arbeiteten, obwohl auch hier eine starre zeitliche Regelung grundsätzlich abgelehnt werde. Es komme grundsätzlich auf den Einzelfall an. Etwas anderes gelte nur für Teilzeitstudenten. Nach den vorliegenden Arbeitsverträgen habe die Klägerin nicht mehr als 20 Wochenstunden gearbeitet. Die Tätigkeiten hätten keine Ausbildung erfordert und seien klassische Möglichkeiten gewesen, um der Klägerin neben ihrem Studium den Lebensunterhalt zu sichern. Eine prägende Bedeutung dieser Beschäftigungen sei nicht anzuerkennen. Auch nach den Stundenplänen stelle das Studium den Schwerpunkt dar. Ein Studienwechsel könne hieran nichts ändern. Die Klägerin falle unter das sog. Werkstudentenprivileg.

In der mündlichen Verhandlung vom 15.10.2015 hat die Klägerin ergänzend erklärt, dass sie zunächst eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Angestellten absolviert habe. In diesem Beruf habe sie anschließend fünf Jahre lang gearbeitet, bevor sie ihr Fachabitur nachgeholt habe. Danach habe sie das Studium der Anglistik und Geschichte aufgenommen. Dabei habe sie nur die Vorlesungen besucht, ohne an den obligatorischen Prüfungen teilzunehmen. Auf Empfehlung ihres Studienberaters habe sie das Studienfach gewechselt. Nach nur einem Monat habe sie jedoch auch im Fach Komparatistik feststellen müssen, dass für sie ein Studium an der Universität nicht in Frage komme. Ab 01.09.2015 habe sie ein duales Studium als Handelsfachwirtin aufgenommen. Die Klägerin habe sich nur deshalb erst ab 01.04.2015 arbeitslos gemeldet, da sie noch immatrikuliert gewesen sei. Sie habe nicht gewusst, dass sie sich schon vorher exmatrikulieren könne.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Beklagten- und Gerichtsakten sowie die Sitzungsniederschrift vom 15.10.2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die gemäß §§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Klage zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Augsburg (§§ 8, 51 Abs. 1 Nr. 4, 57 SGG) ist zulässig.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 04.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.05.2015 verletzt die Klägerin in ihren Rechten nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Ihr steht ab 01.04.2015 ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu.

Nach §§ 136 Abs. 1, 137 Abs. 1 SGB III setzt der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit neben der Arbeitslosigkeit und der Arbeitslosmeldung bei der Agentur für Arbeit - Anspruchsvoraussetzungen, die bei der Klägerin gegeben sind - das Erfüllen der Anwartschaftszeit voraus. Diese bemisst sich nach den Vorschriften des § 142 SGB III. Danach hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Zeiten, die vor dem Tag liegen, an dem der Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen des Eintritts einer Sperrzeit erloschen ist, dienen nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit (Abs. 1). Für Arbeitslose, die die Anwartschaftszeit nach Abs. 1 nicht erfüllen sowie darlegen und nachweisen, dass sich die in der Rahmenfrist zurückgelegten Beschäftigungstage überwiegend aus versicherungspflichtigen Beschäftigungen ergeben, die auf nicht mehr als zehn Wochen im Voraus durch Arbeitsvertrag zeit- oder zweckbefristet sind (Nr. 1), und das in den letzten zwölf Monaten vor der Beschäftigungslosigkeit erzielte Arbeitsentgelt die zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung maßgebliche Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 des Vierten Buches (SGB IV) nicht übersteigt (Nr. 2), gilt bis zum 31.12.2015, dass die Anwartschaftszeit sechs Monate beträgt. § 27 Abs. 3 Nr. 1 SGB III bleibt unberührt.

Nach § 143 SGB III beträgt die Rahmenfrist zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Rahmenfrist reicht nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der die oder der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte. In die Rahmenfrist werden Zeiten nicht eingerechnet, in denen die oder der Arbeitslose von einem Rehabilitationsträger Übergangsgeld wegen einer berufsfördernden Maßnahme bezogen hat. In diesem Fall endet die Rahmenfrist spätestens fünf Jahre nach ihrem Beginn.

Demzufolge umfasst hier die maßgebliche Rahmenfrist den Zeitraum vom 01.04.2013 bis 31.03.2015. In diesem Zeitraum stand die Klägerin mehr als zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis. Infolgedessen erfüllt sie die für den Arbeitslosengeldanspruch notwendige Anwartschaftszeit.

Abweichend der Auffassung der Beklagten übte die Klägerin bei der Fa. A. -S. -Tankstation bzw. Fa. J. Tankstelle jeweils eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus.

Ob ein Versicherungspflichtverhältnis vorliegt, bestimmt sich nach den §§ 24 bis 28a SGB III.

Nach § 24 Abs. 1 SGB III stehen Personen in einem Versicherungspflichtverhältnis, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind. Versicherungspflichtig sind Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt (versicherungspflichtige Beschäftigung) sind, § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Nach § 7 Abs. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Diese Voraussetzungen liegen bei den Beschäftigungen der Klägerin bei der Fa. A. -S. -Tankstation bzw. Fa. J. Tankstelle vor.

Gemäß § 27 Abs. 4 Satz 1 SGB III sind Personen versicherungsfrei, die während der Dauer ihrer Ausbildung an einer allgemeinbildenden Schule (Nr. 1) oder ihres Studiums als ordentliche Studierende einer Hochschule oder einer der fachlichen Ausbildung dienenden Schule (Nr. 2) eine Beschäftigung ausüben. Satz 1 Nr. 1 gilt nicht, wenn die oder der Beschäftigte schulische Einrichtungen besucht, die der Fortbildung außerhalb der üblichen Arbeitszeit dienen, § 27 Abs. 4 Satz 2 SGB III.

Bei Studenten kommt es naturgemäß häufiger zu nebenher ausgeübten Beschäftigungen, teilweise um damit das Studium zu finanzieren, teilweise aber auch als Teil der Berufsausbildung (z.B. duales Studium). Maßgebend ist zunächst für das Vorliegen des Versicherungsbefreiungstatbestandes, dass das Studium als ordentlicher Student betrieben wird. Das wiederum setzt volle und dauerhafte nicht begrenzte Immatrikulation voraus (BSG, Urteil vom 29.09.1992, 12 RK 15/92). Um dem Erscheinungsbild eines ordentlichen Studierenden zu entsprechen, muss der Student auch tatsächlich noch studieren, d.h. ausreichende Anstrengungen unternehmen, um den sich die für den akademischen Abschluss erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nach den geltenden Ausbildungs- und Prüfungsordnungen anzueignen. Dies bedeutet, dass ein versicherungspflichtig beschäftigter Student nicht allein dadurch nach § 27 Abs. 4 Satz 1 1 Nr. 2 SGB III versicherungsfrei wird, dass er sich nur pro forma an einer Hochschule, Fachhochschule oder Fachschule immatrikuliert.

In zeitlicher Hinsicht kann die Beschäftigung eines ordentlich Studierenden nur versicherungsfrei sein, wenn sie während der Dauer des Studiums oder des Schulbesuchs ausgeübt wird. Zum Studium gehört auch die vorlesungsfreie Zeit. Die Semesterferien unterbrechen die Versicherungsfreiheit nicht, da es sich um eine vorlesungsfreie Zeit handelt und das Erscheinungsbild als Student dadurch nicht beeinträchtigt wird. Das Studium umfasst daher die Tage, an denen programmgemäß keine Lehrveranstaltungen stattfinden, also die Wochenenden und Feiertage während des Semesters und alle Tage der Semesterferien (BSG, Urteil vom 11.02.1993, 7 RAr 52/92). Zeitlich beendet ist das Studium mit den in der Prüfungsordnung vorgesehenen Abschlussprüfungen.

Die Abgrenzung, ob ein Schüler oder Student bei Ausübung einer Beschäftigung während des Studiums versicherungspflichtig ist oder nicht, erfolgt entsprechend den Gesetzesmotiven danach, ob das Erscheinungsbild der durch die nicht versicherungspflichtige schulische und universitäre Ausbildung geprägten Personen durch ihre Beschäftigung neben dem Studium verloren geht oder nicht (BT-Drucks. 11/3603 S. 129). Die Beschäftigung ist nur versicherungsfrei, wenn sie neben dem Studium, d.h. ihm nach Zweck und Dauer untergeordnet, ausgeübt wird, das Studium also die Haupt-, die Beschäftigung die Nebensache ist. Umgekehrt ist derjenige, der seinem Erscheinungsbild nach zum Kreis der Beschäftigten gehört, durch ein gleichzeitiges Studium nicht versicherungsfrei; Versicherungsfreiheit besteht vielmehr nur für Personen, deren Zeit und Arbeitskraft überwiegend durch das Studium beansprucht wird (BSG, Urteil vom 22.02.1980, 12 RK 34/79). Versicherungsfreiheit besteht also nur, wenn das durch ein ordentliches Studium geprägte Erscheinungsbild des Studenten durch die Beschäftigung während des Studiums nicht wieder verloren geht. Ob dies der Fall ist, ist im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung aller konkreten Einzelumstände zu prüfen. Die Beschäftigung darf während des Studiums keine das Erscheinungsbild prägende Auswirkungen haben (BSG, Urteil vom 30.03.1994, 11 RAr 67/93). Überwiegt die Beschäftigung, handelt es sich um einen bloß "studierenden Arbeitnehmer oder sog. Werkstudenten", der, wenn er nach § 25 Abs. 1 SGB III versicherungspflichtig ist, davon nicht wieder nach § 27 Abs. 4 SGB III befreit wird. Wird dagegen die Arbeitskraft des Studenten überwiegend durch das ordentliche Studium in Anspruch genommen, bleibt er also "arbeitender Studierender", wird er von seiner Versicherungspflicht nach § 25 Abs. 1 SGB III befreit.

Ob die Beschäftigung während des Studiums eine das Erscheinungsbild prägende Bedeutung erlangt, hängt nicht von der Art dieser Beschäftigung, sondern von ihrem zeitlichen Umfang und ihrer Lage in der vorlesungs- oder vorlesungsfreien Zeit ab (BSG, Urteil vom 26.06.1975, 3/12 RK 14/73). Beschäftigungen in der vorlesungsfreien Zeit, z.B. nur in den Semesterferien oder nur an den Wochenend- und Feiertagen während des Semesters sind unabhängig von ihrem zeitlichen Umfang nicht versicherungspflichtig, wenn während des Semesters das Studium für den Status des Betreffenden prägend war und dies bei vorausschauender Betrachtung weiterhin zu erwarten ist (BSG, Urteil vom 22.02.1980, 12 RK 34/79; BSG, Urteil vom 30.11.1998, 12 RK 45/77). Dies gilt nicht auch für Beschäftigungen in den Abend- und Nachtstunden an den Werktagen während des Semesters. Diese Zeiten gehören ebenso wie die Tage des Semesters, die nur für bestimmte Studenten nach deren speziellen Studienplänen vorlesungsfrei sind, nicht zur vorlesungsfreien Zeit.

Ob jemand seinem gesamten Erscheinungsbild nach "arbeitender Studierender" oder "studierender Arbeitnehmer" ist, ist nach einer auf den Beginn der Beschäftigung abzustellenden und vorausschauenden Betrachtungsweise zu beurteilen. Das BSG hat dabei eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als Richtwert angesehen (BSG, Urteil vom 26.06.1975, 3/12 RK 14/73). Bis zu einem Zeitraum von 20 Wochenstunden ist die Beschäftigung grundsätzlich unschädlich und führt nicht zur Versicherungspflicht. Bei einer diesen Richtwert überschreitenden Arbeitszeit besteht Grund zur Annahme, dass die Beschäftigung gegenüber Studium oder Schulbesuch überwiegt. Diese Schlussfolgerung ist allerdings keineswegs zwingend, denn es kommt auf die übrigen Umstände des Einzelfalls an (BSG, Urteil vom 11.02.1993, 7 RAr 52/92).

Wird ein Teilstudium absolviert, kann daraus geschlossen werden, dass das Studium den Studenten nicht mehr überwiegend in Anspruch nimmt (Landesssozialgericht - LSG - Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11.06.2008, L 9 KR 1041/05). Ist eine Beschäftigungszeit von über 20 Stunden allerdings den Erfordernissen des Studiums angepasst und untergeordnet, kann eine Versicherungsfreiheit nach § 27 Abs. 4 SGB III gleichwohl in Betracht kommen (BSG 22.02.1980, 12 RK 34/79). Dabei trägt die Feststellungslast für das Vorliegen dieser Umstände derjenige, der sich darauf beruft.

Handelt es sich um die Fortsetzung einer bereits vor der Immatrikulation ausgeübten Tätigkeit bei demselben Arbeitgeber, die mit geringerer Stundenzahl im Semester und in Vollzeit während der vorlesungsfreien Zeit, verrichtet wird, ist nicht allein auf den zeitlichen Umfang der Beschäftigung abzustellen. Besteht ein innerer Zusammenhang zwischen fortgesetzter Berufstätigkeit und Studium, ist diesem eine größere Bedeutung bei der Feststellung des Erscheinungsbildes als Student oder Beschäftigter zuzumessen (BSG, 11.11.2003, B 12 KR 24/03 R).

Von diesen Grundsätzen ausgehend kommt das Gericht nach Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 15.10.2015 zu dem Ergebnis, dass diese bei der Fa. A. -S. -Tankstation und Fa. J. Tankstelle jeweils eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat. Dabei spielt es aus Sicht der Kammer keine ausschlaggebende Rolle, dass die Klägerin regelmäßig nur 20 Wochenstunden arbeitete. Auch ist für die Kammer nicht maßgebend, dass es sich bei diesen Tätigkeiten um klassische Berufsfelder für Studenten handelt, welche ihren Lebensunterhalt neben der Ausübung ihres Studiums sichern wollen. Nach Ansicht der Kammer waren die Beschäftigungen im Verhältnis zum Studium nicht von untergeordneter Bedeutung. Zeit und Arbeitskraft waren nicht überwiegend durch das Studium der Anglistik und Geschichte bzw. der Komparatistik beansprucht. Dabei berücksichtigte die Kammer vor allem, dass die Klägerin bereits vor ihrer Immatrikulation die Teilzeitbeschäftigung bei der Fa. A. -S. -Station ausübte. Eine Einschränkung der Arbeitszeit fand nach Aufnahme des Studiums der Anglistik nicht statt. Insofern vermag die Kammer nicht zu erkennen, weshalb sich das vormals versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis in ein versicherungsfreies umgewandelt haben soll. Das zweite Beschäftigungsverhältnis bei der Fa. J. Tankstelle hatte denselben zeitlichen Umfang wie dasjenige der Fa. A. -S. -Station. Trotz unterschiedlicher Arbeitgeber kann die Kammer aufgrund des gleichen Berufsfeldes und der identischen Arbeitsdauer einen inneren Zusammenhang zwischen den beiden Beschäftigungen erkennen. Weiter ist für die Kammer entscheidend, dass die Klägerin ihr Studium nur eingeschränkt ausgeübt hat. So nahm sie an keinen Prüfungen teil. Im Studienfach Komparatistik besuchte sie die Vorlesungen sogar nur einen Monat lang. Die glaubhaften Angaben der Klägerin vermittelten der Kammer den Eindruck, dass sich diese noch in einer beruflichen Findungsphase befand und die Ausübung ihres Studiums nur eine nachgeordnete Rolle spiele. Die Kammer ist jedenfalls überzeugt davon, dass die Klägerin bei Terminkollisionen ihrer damaligen Beschäftigung den Vorrang gegenüber dem Studium eingeräumt hätte. Dass sich die Klägerin nicht exmatrikulierte, als ihr klar war, dass sie das Studium an der Universität nicht weiter betreiben wolle, führt zu keinem anderen Ergebnis, da dieser offensichtlich nicht bewusst war, dass sie sich unter dem Studiensemester abmelden kann.

Da die Klägerin die Anwartschaftszeit erfüllt, steht ihr ab 01.04.2015 dem Grunde nach ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu. Die Klage hatte daher in vollem Umfang Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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