S 29 AS 597/11

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 29 AS 597/11
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klagen werden abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Erteilung einer Zusicherung über die Angemessenheit der Nettokaltmiete für seine bereits angemietete Wohnung sowie die Übernahme der tatsächlichen Nettokaltmiete für diese Wohnung ab seinem Einzug am 1.1.2011.

Der 1961 geborene Kläger bezieht seit 2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Er hat drei Kinder, P. geb. xxxxx1995 sowie die Zwillinge P1 und P2, geb. xxxxx2001. Der Kläger ist geschieden, lebt allein und bewohnte zunächst die Wohnung G., in H. mit einer Wohnfläche von 38,95 m² bestehend aus eineinhalb Zimmern sowie Flur, Küche bzw. Kochnische, Bad und Balkon. Die Grundnutzungsgebühr (Nettokaltmiete) betrug 178,06 EUR.

Am 2.11.2010 unterzeichnete der Kläger den Mietvertrag für die Wohnung G1, Erdgeschoss, rechts, in H. mit einer Wohnfläche von 45,76 m². Die Wohnung besteht ebenfalls aus eineinhalb Zimmern sowie Küchenraum, Bad mit WC, Flur und Terrasse. Die Grundnutzungsgebühr beträgt 189,15 EUR.

Am 10.11.2010 beantragte der Kläger die Zusicherung des Beklagten zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft. Er teilte dem Beklagten mit, dass er ab 1.12.2010 eine neue Wohnung unter derselben Hausanschrift beziehen werde und bat um Zustimmung sowie Anpassung der Mietkosten. Als Gründe des Umzugs nannte der Kläger einen Bedarf an größere Wohnfläche zur Verbesserung der gesundheitlichen, persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse sowie eine bessere Umgangsgestaltung mit seinen Kindern (mehr Freiraum, Erdgeschoss, Garten).

Mit Bescheid vom 12.11.2010 lehnte der Beklagte die Zusicherung ab. Zur Begründung führte er aus, dass ein Umzugsgrund nicht anerkannt werden könne. Der Umzug sei nicht erforderlich. Die Wohnung habe eine Größe von 39 m² und biete ausreichend Platz für eine Person.

Am 15.11.2010 stellte der Kläger einen Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ab dem 1.1.2011. Mit Bewilligungsbescheid vom 24.11.2010 gewährte der Beklagte Leistungen für den Zeitraum vom 1.1.2011 bis 30.6.2011 und zahlte dabei Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 291,60 EUR, wobei er lediglich die bisherigen Kosten der Unterkunft für die Nettokaltmiete in Höhe von178,06 EUR berücksichtigte.

Gegen beide Bescheide (Ablehnungsbescheid vom 12.11.2010 und Leistungsbescheid vom 14.11.2010) erhob der Kläger mit Schreiben vom 9.12.2010 (Eingang bei dem Beklagten am 10.12.2010) Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass er in beengten und miserablen Wohnverhältnissen lebe, wobei der Bezug einer geeigneten Wohnung für seine psychosomatische Erkrankung notwendig sei. Die Änderung der Wohnsituation sei eines der Therapieziele in der stationären Rehabilitation und der psychosomatischen Nachsorge gewesen. Seine alte Wohnung verfüge über ein halbes Bettzimmer von etwa 5 m², welches jedoch kaum als Schlafzimmer zu benutzen sei. Deshalb habe er sein Bett im Wohnzimmer. Die Wohnung sei auch sehr dunkel. Er verfüge über Umgangs- und Sorgerecht für seine 3 Kinder. Sein Sohn sei 15, seine Töchter seien Zwillinge und 9 Jahre alt. Es sei bei dem Umgang sehr beengt, die Mädchen würden viel Toben, das Wohnen im Erdgeschoss sei viel günstiger. Hinsichtlich der räumlichen Enge liege der Umzug auch im großen Interesse seiner Kinder.

Am 1.1.2011 bezog der Kläger die neue Wohnung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.1.2011 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte er aus, dass eine Zusicherung nicht erteilt werden könne, weil es an der Erforderlichkeit des Umzuges fehle. Die bisherigen Wohnverhältnisse seien nicht unzumutbar gewesen. Nach den fachlichen Vorgaben der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz der Freien und Hansestadt Hamburg zu § 22 SGB II sei ein Umzug unter anderem dann erforderlich, wenn die Wohnverhältnisse unzumutbar beengt seien. Dies sei der Fall, wenn die Wohnung aufgrund familiärer Veränderungen nicht mehr ausreiche (Voraussetzung für einen Dringlichkeitsschein vom Wohnungsamt). Eine unzureichende Unterbringung liege vor, wenn 2 Personen nicht mindestens 35 m² und für jede weitere Person nicht jeweils 10 m² anteilige Wohnfläche zur Verfügung stünden. Ferner liege eine unzureichende Unterbringung vor, wenn 2 Wohnräume von mehr als 3 und 3 Wohnräume von mehr als 5 Personen bewohnt würden. Ein Wohnraum über 20 m² Wohnfläche sei dabei doppelt, also mit 2 Wohnräumen anzusetzen. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe sei die Wohnung des Klägers für eine Person deutlich ausreichend gewesen. Auch ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen komme nicht in Betracht. Nach den fachlichen Vorgaben sei ein Umzug bei gesundheitlicher Gefährdung erforderlich, aber daran seien hohe Ansprüche geknüpft. Dies sei der Fall, wenn die Wohnung ein für menschenwürdiges Leben auf Dauer nicht mehr geeignet sei, also sich in nicht renoviertem Zustand befinde oder über kein Bad oder WC verfüge und ein solches nicht eingebaut werden könne. Dass die Wohnung durch davor stehende Bäume dunkel sei und dass das Bett im Wohnzimmer stehen müsse, weil ihm das andere Zimmer zu klein sei, seien keine der genannten Gründe. Eine nachträgliche Zusicherung komme nicht in Betracht. Ebenso scheide die Übernahme der erhöhten Kosten aus.

Daraufhin hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass er einen Dringlichkeitsschein vom Wohnungsamt gehabt habe, so dass die Erforderlichkeit des Umzuges vorgelegen habe. Der Beklagte habe seine Gesamtsituation nicht ausreichend berücksichtigt. Neben seinen psychosomatischen Beschwerden sei es echt schwer gewesen, in der alten Wohnung das Umgangsrecht umzusetzen. Die Besuchsregelung sei nunmehr dergestalt geregelt, dass die Töchter alle 2 Wochen von freitags 19.00 Uhr bis sonntags 19.00 zu Besuch seien. Der Sohn besuche seinen Vater an dem Zwischenwochenende jeweils von Samstag bis Sonntagabend.

Am 14.1.2013 hat ein Erörterungstermin stattgefunden.

Der Kläger beantragt nach Lage der Akten (Bl. 96), ihm die Kosten der Unterkunft, die er jetzt bewohnt, ab Einzug zu erstatten und fortlaufend zu bezahlen sowie den Beklagten zu verpflichten, die Zusicherung zu erteilen, dass die Kosten für den Umzug in die jetzt bewohnte Wohnung vom Kläger übernommen werden.

Der Beklagte beantragt nach Lage der Akten, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung beruft er sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden sowie das durchgeführte Eilverfahren unter dem Aktenzeichen S 56 AS 4507/10 ER.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schreiben vom 25.3.2013 bzw. 26.3.2013 zugestimmt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, auf die Prozessakte sowie auf die Akten des durchgeführten Eilverfahrens S 56 AS 4507/10 ER verwiesen. Die Akten haben der Kammer vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG hat die Kammer ohne mündliche Verhandlung entschieden.

Die Klage auf Zusicherung der Übernahme der Kosten der Unterkunft (dazu unter 1.) ist unzulässig. Soweit der Kläger die Gewährung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 1.1.2011 bis 30.6.2011 (dazu unter 2.) begehrt, ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Soweit der Kläger darüber hinaus für den Zeitraum nach dem 30.6.2011 die Gewährung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft begehrt, ist die Klage ebenfalls unzulässig (dazu unter 3.).

1. Die Klage des Klägers auf Erteilung einer Zusicherung der Übernahme der Unterkunftskosten für die Wohnung G1, Erdgeschoss rechts in H., die er seit 1.1.2011 bewohnt, ist unzulässig. Gem. § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der Fassung bis zum 31.12.2010 bzw. § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II in der Fassung ab dem 1.1.2011 soll der erwerbsfähige Hilfebedürftige die Zusicherung des zuständigen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Nach Satz 2 ist der Träger nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Das Zusicherungsverfahren hat allein Aufklärungs- und Warnfunktion für einen Leistungsberechtigten vor einem beabsichtigten Umzug. Allerdings entfällt das Rechtsschutzinteresse an der Erteilung einer gesonderten Zusicherung als vorgreiflicher Teilregelung für die Übernahme angemessener Unterkunftskosten wegen grundsätzlicher Erforderlichkeit des Umzuges, wenn aufgrund zwischenzeitlich vollzogenem Wohnungswechsels nunmehr in einem (anderen) Streitverfahren wegen der Höhe der Unterkunftskosten über den Gegenstand einer möglichen Zusicherung selbst zu befinden ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 6.4.2011, Az B 4 AS 5/10 R, Rn. 15). Der Kläger bewohnt bereits seit dem 1.1.2011 die neue Wohnung. Die mit Bescheid vom 24.11.2010 bewilligte Höhe der Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 1.1.2011 bis 30.6.2011 ist konkret Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens (siehe unter 2.). In diesem Zusammenhang ist über die Erforderlichkeit des Umzuges des Klägers zu befinden. Da der Kläger beide Klageanträge gleichzeitig anhängig gemacht hat, war die Klage auf Erteilung der Zusicherung von Anfang an unzulässig.

2. Die Klage auf Gewährung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft für die Wohnung G1, Erdgeschoss rechts, H., für den Zeitraum vom 1.1.2011 bis 30.6.2011 ist zulässig, aber nicht begründet.

Der Beklagte hat mit Bescheid vom 24.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.1.211 nach dem Umzug des Klägers ab dem 1.1.2011 zu Recht lediglich die bisherige Nettokaltmiete in Höhe von 178,06 EUR anerkannt und bewilligt. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung höherer Kosten der Unterkunft, d.h. die Übernahme der tatsächlichen angemessenen Nettokaltmiete von 189,15 EUR. Denn der Umzug des Klägers war nicht erforderlich.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht in vollem Umfang Bezug auf die ausführliche Begründung des Widerspruchsbescheides vom 18.1.2011 (§ 136 Abs. 3 SGG).

Ergänzend hierzu wird ausgeführt, dass die Ausübung des Umgangsrechts durch den Kläger mit seinen Kindern nicht zu einem anderen Ergebnis führt. Denn auch unter Berücksichtigung der regelmäßigen Besuche der Kinder beim Kläger an den Wochenenden war die bisherige Wohnung ausreichend groß und angemessen. Dabei berücksichtigt die Kammer die Wichtigkeit des Umgangsrechts, das der Aufrechterhaltung der Beziehungen zwischen dem getrennt lebenden Elternteil und seinen leiblichen Kindern dient und auch nach der Trennung der Familie unter dem Schutz des Art. 6 GG steht. Unzumutbar beengte Wohnverhältnisse, die die abwechselnden Besuche des Sohnes und der Zwillinge erschwert oder behindert hätten, liegen nicht vor. Eine unzureichende Unterbringung liegt nach Ziffer 8.2 der Fachanweisung zu § 22 SGB II erst dann vor, wenn drei Personen nicht mindestens 45 qm anteilige Wohnfläche zur Verfügung stehen oder wenn zwei Wohnräume von mehr als drei Personen bewohnt werden. Vorliegend werden selbst bei dem Besuch der Zwillinge zwei Wohnräume nicht von mehr als drei Personen bewohnt. Zwar hatte die alte Wohnung lediglich eine Größe von 39 qm, also von weniger als 45 qm. Allerdings ist der Aufenthalt der Kinder auf das Wochenende oder die Ferien beschränkt, so dass sie nicht als Bewohner der Wohnung angesehen werden können. Zudem ermöglichte auch die alte Wohnung den Kindern für ihre Besuche einen eigenen Wohnbereich, der einen Aufenthalt über das Wochenende oder in den Ferien für mehrere Tage erlaubte. Da der Kläger nach eigenem Vortrag nicht im Schlafzimmer, sondern im Wohnzimmer sein Bett stehen hatte, konnten die Kinder das Schlafzimmer als Aufenthaltsbereich nutzen und sich während des Besuches bei Bedarf zurückziehen.

3. Soweit der Kläger die Gewährung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft für die neue Wohnung G1, Erdgeschoss rechts, H., laufend ab dem 1.7.2011 begehrt, ist die Klage unzulässig. Denn dies ist nicht Gegenstand der vorliegenden Klage vom 17.2.2011. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, ist gem. § 95 SGG Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. Der ursprüngliche Verwaltungsakt betrifft vorliegend ausschließlich den Bewilligungszeitraum vom 1.1.2011 bis 30.6.2011. Weitere Bewilligungszeiträume sind vom Widerspruchsbescheid vom 18.1.2011 nicht erfasst. Insoweit fehlt es bezogen auf die folgenden Bewilligungszeiträume ab dem 1.7.2011 an einem Vorverfahren. Nach § 78 SGG sind vor Erhebung der Anfechtungsklage Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Soweit ersichtlich hat der Kläger den Bewilligungsbescheid für den Zeitraum ab 1.7.2011 nicht angefochten, so dass dieser bestandskräftig geworden ist. Andererseits sind andere Bewilligungszeiträume bereits am Sozialgericht als streitig anhängig, so vom 1.7.2012 bis 31.12.2012 (S 29 AS 2483/13) und vom 1.1.2014 bis 30.6.2014 (S 29 AS 1224/14).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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