L 1 AS 1815/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 AS 1068/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 1815/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei einer schwangeren an HIV erkrankten bulgarischen Staatsbürgerin, die ein Kind von einem ausländischen Staatsbürger erwartet, der sich seit mehr als 8 Jahren rechtmäßig in Deutschland aufhält und das Kind gegenüber dem Jugendamt anerkannt hat, kann ein Aufenthaltsrecht wegen aufenthaltsrechtlicher Vorwirkungen jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn eine Rückkehr nach Bulgarien zur Durchführung des Sichtvermerkverfahrens die Gesundheit des ungeborenen Kindes beeinträchtigen würde.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.04.2017 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes darum, ob die Antragstellerin Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) hat. Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen seine Verpflichtung zur Leistungserbringung im Wege der einstweiligen Anordnung durch Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart (SG) vom 13.04.2017 für den Zeitraum ab dem 03.03.2017 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 02.09.2017.

Die 1980 geborene ledige Antragstellerin ist bulgarische Staatsangehörige und reiste nach ihren Angaben im Dezember 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seit September 2016 bewohnt sie eine ca. 40 m² große Wohnung in K./T., in der sie seit Dezember 2016 gemeinsam mit ihrem Vater, der nach ihren Angaben SGB II-Leistungen bezieht, lebt. Am 04.05.2017 kündigte sie dem Antragsgegner gegenüber an, ihr Vater werde aus der Wohnung ausziehen, da sie schwanger sei und die Wohnung ansonsten zu klein sei. Die Kaltmiete für die Wohnung beträgt 270 EUR monatlich, die Nebenkostenvorauszahlung 80 EUR. Die Antragstellerin ist schwanger, der voraussichtliche Entbindungstermin ist der 30.08.2017 (Bescheinigung der Frauenärztin Dr. F. vom 16.01.2017). Am 06.04.2017 erkannte der 1985 in S. geborene türkische Staatsbürger S. E. gegenüber dem K.E. (Urk.-Reg.-Nr. 376/2017) die Vaterschaft des ungeborenen Kindes an, die Antragstellerin erteilte ihre Zustimmung dazu. Beide gaben zudem übereinstimmend an, die elterliche Sorge für das zu erwartende Kind nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gemeinsam übernehmen zu wollen. Der Kindsvater hat sich gegenüber dem Kreisjugendamt mit einem Aufenthaltstitel (Nr. Y06VG9VY6) ausgewiesen. Er ist verheiratet und lebt mit seiner Ehefrau und einem gemeinsamen Kind zusammen. Nach Angaben der Antragstellerin war er stets in Deutschland wohnhaft und arbeitet bei der D. A ...

Am 10.01.2017 beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II und gab an, von Januar 2015 bis April 2015, von April 2015 bis November 2015, von Dezember 2015 bis Januar 2016 und zuletzt vom 01.09.2016 bis zum 29.12.2016 als Kellnerin in verschiedenen Betrieben beschäftigt gewesen zu sein, zuletzt in der B. I. in K./T ... Dem Leistungsantrag fügte sie die Kopie eines Schreibens des Inhabers dieser Lokalität vom 29.12.2016 bei, wonach sie bei der Arbeit ihren Pflichten nicht nachgekommen sei, immer nach ihrem eigenen Kopf gehandelt habe und seinen Anweisungen nicht gefolgt sei. Sie habe mehr telefoniert als gearbeitet und verantwortungslos gehandelt. In der Arbeitsbescheinigung, die am 02.02.2017 beim Antragsgegner einging, gab er an, der Antragstellerin wegen vertragswidrigen Verhaltens am 29.12.2016 persönlich fristlos gekündigt zu haben. Aus einem Aktenvermerk der antragsannehmenden Sachbearbeiterin über die persönliche Vorsprache der Antragstellerin vom 10.01.2017 geht hervor, dass diese im Erstgespräch spontan angegeben hat, einen Arbeitsvertrag nicht erhalten zu haben. Bei einem persönlichen Telefonat mit Ihrem Arbeitgeber am 27.12.2016 habe sie ihm gegenüber erwähnt, schwanger zu sein. Daraufhin sei sie mit Schreiben vom 29.12.2016 sofort fristlos gekündigt worden. Den Lohn habe sie jeweils in bar erhalten. Dieser sei höher gewesen als die am 27.12.2016 erstellten Lohnabrechnungen für September bis Dezember 2016. Nach Erhalt der Kündigung sei sie beim Anwalt gewesen, habe jedoch keine Kündigungsschutzklage eingereicht. Gemäß dem Vermerk des Antragsgegners vom 13.02.2017 sei die Arbeitslosigkeit von der Antragstellerin zu verantworten. Eine Kündigungsschutzklage sei nicht eingereicht worden.

Mit Bescheid vom 16.02.2017 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin gestützt auf § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ab, da sie als bulgarische Staatsbürgerin, die sich zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland aufhalte, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts habe. Eine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt ergebe sich auch nicht aufgrund der vorherigen Beschäftigung bei der B. I ... Insoweit liege eine freiwillige Arbeitslosigkeit vor, weshalb der Arbeitnehmerstatus nach Beendigung der Tätigkeit nicht bestehen bleibe.

Am 23.02.2017 meldete sich der Sozialarbeiter S. L. von der Aids-Hilfe S. e.V. nach Übersendung einer Schweigepflichtentbindungserklärung der Antragstellerin bei dem Antragsgegner und bat um Erteilung von Auskünften.

Mit Schreiben vom 23.02.2017 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid des Antragsgegners und führte aus, sie sei wegen ihrer Familie nach Deutschland gekommen und habe geschaut, dass sie Arbeit bekomme. Sie habe dann auch gearbeitet, und zwar habe sie im August 2015 mit der Arbeit angefangen bis November. Dann habe sie bei einer anderen Firma drei weitere Monate gearbeitet und in K. im Jahr 2016 nochmals vier Monate. Sie sei dann schwanger geworden, dann habe ihr Arbeitgeber ihr am Telefon gekündigt. Das, was im Kündigungsschreiben stehe, stimme so nicht. Am Telefon habe er gesagt, dass er ihr kündigen werde, weil sie schwanger sei.

Am 03.03.2017 hat die Antragstellerin beim SG einstweiligen Rechtsschutz beantragt und ausgeführt, es liege keine freiwillige Arbeitslosigkeit vor. Ihr Chef habe ihr wegen ihrer Schwangerschaft gekündigt. Die im Kündigungsschreiben aufgeführten Gründe seien unzutreffend. Der Antragsgegner ist dem Antrag entgegengetreten und hat ausgeführt, die Antragstellerin habe angegeben, im Dezember 2015 nach Deutschland eingereist zu sein und bis April 2016 als Kellnerin gearbeitet zu haben. Vom 01.09.2016 bis 29.12.2016 sei sie als Kellnerin im G. I. beschäftigt gewesen. Sie sei weniger als ein Jahr Arbeitnehmerin in Deutschland gewesen. Zwar wirke bei einer von der zuständigen Agentur für Arbeit festgestellten unfreiwilligen Arbeitslosigkeit der Arbeitnehmerstatus weitere sechs Monate fort, jedoch habe die Agentur für Arbeit aufgrund der Ausführungen des Arbeitgebers in seinem Kündigungsschreiben sowie in der Arbeitgeberbescheinigung vom 02.02.2017 die freiwillige Arbeitslosigkeit festgestellt. An diese Entscheidung sei der Antragsgegner gebunden. Außerdem habe die Antragstellerin der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden. Auch nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit (vom 09.01.2017 bis 20.01.2017) habe sie sich nicht für die Vermittlung zur Verfügung gestellt bzw. die Ausführung der von ihr übernommenen Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung vom 10.01.2017 nachgewiesen.

Mit Beschluss vom 16.03.2017 hat das SG die Beiladung des zuständigen Sozialhilfeträgers bewirkt. Dieser hat ausgeführt, dass Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus der Arbeitssuche ableite, nach der gesetzlichen Neuregelung dauerhaft von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II und dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) ausgeschlossen seien. Durch den neugefassten § 23 Abs. 3 S. 1 SGB XII werde klargestellt, dass ein Leistungsausschluss im SGB II nicht zu einem Leistungsanspruch nach dem SGB XII führe. Über § 11 Abs. 2 FreizügigG/EU komme für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer das Aufenthaltsgesetz zur Anwendung. Sollte eine Ableitung eines Aufenthaltsrechts über den Vater des Kindes nicht möglich sein, kämen für den Fall der berechtigten Ablehnung von SGB II-Leistungen allenfalls die Gewährung von eingeschränkten Überbrückungsleistungen bis zur Ausreise nach § 23 Abs. 3 S. 3 und 5 SGB XII für längstens einen Monat sowie Rückreisekosten auf Darlehensbasis (§ 23 Abs. 3a SGB XII) durch den Beigeladenen in Betracht.

Im Erörterungstermin vom 10.04.2017 hat die Antragstellerin eine beglaubigte Kopie der Urkunde über die schriftliche Vaterschaftsanerkennung des ungeborenen Kindes durch S. E., ihre Zustimmungserklärung und die Erklärung zum gemeinsamen Sorgerecht vor dem L. E.(K ...) vom 06.04.2017 vorgelegt. Sie hat angegeben, der Vater des Kindes, ein türkischer Staatsangehöriger, sei hier geboren und lebe hier. Er arbeite fest angestellt bei der D. A ... Es sei nicht beabsichtigt, nach der Geburt des Kindes zusammenzuleben, da der Kindsvater noch verheiratet sei. Mit seiner Ehefrau habe er bereits ein Kind. Er wolle sich aber nach der Geburt um das Kind kümmern und mit ihm auch Kontakt haben. Er lege Wert auf ein Mitbestimmungsrecht. Man habe über den Namen des Kindes gesprochen und darüber, welche Religion das Kind annehmen solle. Er habe ihr auch vor zwei Monaten 200 EUR gegeben, um sie zu unterstützen.

Das SG hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 13.04.2017 verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit ab 03.03.2017 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 02.09.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, betreffend den Zeitraum vom 10.01.2017 bis zum 02.03.2017, abgelehnt. Zur Begründung hat es sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.01.2013 (B 4 AS 54/12 R) berufen und ausgeführt, auch im vorliegenden Verfahren sehe es die aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung als gegeben an, mit der Folge, dass die Antragstellerin von ihrem (noch ungeborenen) Kind das Aufenthaltsrecht ableiten könne. Zwar beabsichtige die Antragstellerin nicht, mit dem Kindesvater eine gemeinsame Wohnung zu beziehen. Ausschlaggebend sei jedoch nicht das Verhältnis der Mutter zum Vater des Kindes. Entscheidend seien nicht die formal-rechtlichen familiären Bindungen, sondern die tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Vater, der Mutter und dem Kind. Der Kindsvater habe das Kind förmlich anerkannt, die Eltern wollten die elterliche Sorge gemeinsam übernehmen. Außerdem wolle er sich nach den glaubhaften Angaben der Antragstellerin nach der Geburt des Kindes um dieses kümmern. Er wolle nach der Geburt Unterhalt und auch rein tatsächlich einen Beitrag zur Erziehung des Kindes leisten.

Gegen diesen ihm am 20.04.2017 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 05.05.2017 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Antragstellerin sei schwanger und HIV-positiv. Durch die A. f. A. sei festgestellt worden, dass freiwillige Arbeitslosigkeit vorliege. Im Erörterungstermin vor dem SG habe sie eine Anerkennungsurkunde des Kindesvaters vorgelegt, der türkischer Staatsangehöriger und bereits seit seiner Geburt in Deutschland sei. Ihre Beziehung sei keine feste, da der Kindesvater verheiratet sei und die Ehe noch weitergeführt werde. Sie lebe weiterhin alleine und werde sich auch alleine um das Kind kümmern, wenn es so weit sei. Er habe nach der Geburt finanzielle Unterstützung zugesichert. Es sei nicht geplant, dass er seine Familie für die Gründung einer neuen Familie mit der Antragstellerin verlasse. Das SG habe zu Unrecht einen Anordnungsanspruch bejaht. Zunächst sei Grundvoraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch nach § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG, so dass einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts entgegenstehe. § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG sei in seiner Ausgestaltung somit auch nicht günstiger als das dem EU-Bürger bereits eingeräumte Aufenthaltsrecht nach § 4 FreizügG/EU. Dieser eröffne keinen Zugang zu SGB II-Leistungen, da Grundvoraussetzung für dieses Aufenthaltsrecht sei, dass ausreichende Mittel zum Lebensunterhalt vorhanden seien und der Betreffende über einen Krankenversicherungsschutz verfüge. Die Anwendung des §§ 7 AufenthG auf EU-Bürger widerspreche damit der bisherigen gängigen Rechtsprechung. Außerdem sei der im Urteil des BSG vom 30.01.2013 verhandelte Fall nicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Dort sei die Intention des BSG gewesen, die neu zu gründende Familie zu schützen. Im vorliegenden Fall habe ein Zusammenleben mit dem Kindsvater weder in der Vergangenheit vorgelegen, noch sei ein Zusammenleben in der nahen Zukunft, auch nach Geburt des Kindes, geplant. Dieser sei mit einer anderen Frau verheiratet, habe mit dieser ein gemeinsames Kind und wolle sich nicht trennen. Weder ein ungeborenes Kind noch ein nach der Geburt aufenthaltsberechtigtes Kind, das den Unterhalt seines Familienangehörigen nicht sichern könne, könne ein Aufenthaltsrecht vermitteln.

Der Antragsgegner beantragt, den Beschluss vom 13.04.2017 aufzuheben und den Antrag abzulehnen, hilfsweise die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung aus dem Beschluss vom 13.04.2017 auszusetzen.

Die Antragstellerin hat, ebenso wie der Beigeladene, keinen Antrag gestellt.

In Ausführung des Beschlusses des SG hat der Antragsgegner der Antragstellerin mit Bescheid vom 26.04.2017 für den Zeitraum vom 03.03.2017 bis zum 02.09.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 653,53 EUR (darin enthalten der Regelbedarf i.H.v. 409 EUR, Mehrbedarf für werdende Mütter i.H.v. 69,53 EUR und Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe der Hälfte der Grundmiete und Nebenkosten [135 EUR zuzüglich 40 EUR]), für März und September 2017 anteilige Leistungen, vorläufig bewilligt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2017 hat der Antragsgegner den Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid über die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II vom 16.02.2017 zurückgewiesen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners und die Prozessakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragsgegners ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Sie ist allerdings nicht begründet. Das SG hat den Antragsgegner durch einstweilige Anordnung im Ergebnis zu Recht verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit ab 03.03.2017 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 02.09.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragssteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 12. Auflage 2017, § 86b RdNr. 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG, 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg v. 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und v. 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - (beide juris) jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Ausgehend von diesen Voraussetzungen sieht der Senat vorliegend einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund als glaubhaft gemacht an.

Besteht Hilfebedürftigkeit i.S.d. § 9 Abs. 1 SGB II, erhalten erwerbslose Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II (§ 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Leistungen der Unterkunft und Heizung (§ 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II).

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 8 Abs. 1 SGB II).

Die 1980 geborene Antragstellerin erfüllt sämtliche genannten Leistungsvoraussetzungen für den Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II. Sie ist 1980 geboren und erfüllt somit die Voraussetzung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Trotz bestehender Schwangerschaft und HIV-Infektion hat der Senat keinerlei Anhaltspunkte für eine Einschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Sie hat gegenwärtig kein Einkommen und verfügt nach ihren glaubhaften Angaben gegenüber dem Antragsgegner nicht über nennenswertes Vermögen. Sie hat darüber hinaus auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden und ausführlichen Ausführungen im Beschluss des SG Bezug und sieht von einer erneuten Wiedergabe ab (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Der Senat sieht es darüber hinaus auch als glaubhaft gemacht an, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22.12.2016 (AuslPersGrSiuSHRegG, BGBl. I S. 3155), gültig ab 29.12.2016, einem Leistungsanspruch der Antragstellerin nicht entgegen steht. Von Leistungen ausgenommen sind hiernach u.a. Ausländerinnen und Ausländer, a) die kein Aufenthaltsrecht haben, b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt oder c) die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten, und ihre Familienangehörigen (§ 7 SGB 2 in der Fassung vom 22.12.2016). Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde (§ 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II).

Von SGB II genannten Ausschlussgründen kommt hier von vorneherein nur § § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b in Betracht. Dabei kann offenbleiben, ob die Antragstellerin derzeit noch Arbeit sucht oder sie sich nur noch zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und Vorbereitung einer Entbindung in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Denn das BSG hat klargestellt, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II über die wortwörtlich geregelten Fälle hinaus erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedsstaaten der EU umfasst, die wie die Antragstellerin keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU noch über ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen. Denn dem Gesetzgeber kann, wie das BSG zur Begründung überzeugend ausgeführt hat, nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die z.B. über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind (BSG, Urteil vom 16.12.2015 – B 14 AS 15/14 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr. 48, Rn. 20).

Jedenfalls nicht erfasst werden demgegenüber vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Unionsbürger, bei denen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU oder dem Aufenthaltsgesetz, welches begrenzt subsidiär anwendbar ist, aus anderen Gründen als dem Zweck der Arbeitssuche vorliegen. Der Ausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst nicht diejenigen Unionsbürger, die sich auch auf ein anderes Aufenthaltsrecht als die Arbeitssuche berufen können (BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 34, juris, Rn. 27). Vorliegend spricht nach summarischer Prüfung bereits viel dafür, dass sich die Antragstellerin für einen Zeitraum von 6 Monaten nach Verlust ihrer letzten Arbeitsstelle in der B. "I." am 29.12.2016, also bis zum 29.06.2017 auf eine nachwirkende materielle Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU) berufen kann. Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU bleibt die Freizügigkeitsberechtigung für Arbeitnehmer nach weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von sechs Monaten bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit unberührt. Aufgrund der zum Teil widersprüchlichen Angaben der Antragstellerin zu Zeiten bzw. der Dauer vorangegangener Arbeitsverhältnisse in ihrem Erstantrag im Vergleich zu ihren Ausführungen im Widerspruchsschreiben vom 23.02.2017 sieht der Senat nur Beschäftigungszeiten von elf Monaten, und damit nicht von mehr als einem Jahr, als glaubhaft gemacht an. Ausgehend von den im Übrigen glaubhaften Angaben der Antragstellerin ist die Kündigung durch ihren letzten Arbeitgeber nicht erfolgt, weil sie, wie von diesem im Kündigungsschreiben behauptet, seinen Anweisungen zuwider gehandelt hat und ihre Arbeitspflichten auch sonst häufig und gröblich verletzt hat, sondern als Reaktion auf und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer telefonischen Mitteilung von ihrer Schwangerschaft. Hinzu kommen die sonstigen Begleitumstände, wie das Fehlen eines schriftlichen Arbeitsvertrages, die verspätete Anfertigung schriftlicher Lohnabrechnungen durch ihren Arbeitgeber erst am 27.12.2016, die nach den glaubhaften Angaben der Antragstellerin zudem erheblich geringer ausfielen als die tatsächlichen Lohnzahlungen, und eine wohl verspätete Entrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung. Aufgrund dessen sieht es der Senat zumindest als fraglich an, ob man allein gestützt auf das Kündigungsschreiben und aus den Umstand, dass sich die Antragstellerin letztlich dazu entschieden hat, gegen ihre Kündigung nicht arbeitsgerichtlich vorzugehen, ohne Weiteres darauf schließen durfte, die Arbeitslosigkeit sei durch die Antragstellerin zu verantworten und nicht unfreiwillig, wie im E-Mail des Antragsgegners vom 15.02.2017 ausgeführt. Diese Einschätzung lässt sich nur schwer damit vereinbaren, dass vom Antragsgegner selbst aufgrund der Schilderungen der Antragstellerin der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit (Schwarzarbeit) geäußert und die Akte deshalb an die dafür zuständige Stelle abgegeben worden ist (Schreiben vom 01.03.2017, Bl. 80 VA).

Letztlich kann dies jedoch für die Entscheidung im vorliegenden Eilverfahren dahinstehen. Denn die Wahrscheinlichkeit für die Antragstellerin, unter Berufung auf ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, hier vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs. 1 FreizügG/EU, in einem Hauptsacheverfahren gegenüber dem Antragsgegner zu obsiegen, ist jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt und nach der hier allein möglichen summarischen Prüfung höher einzuschätzen als diejenige, zu unterliegen. Daraus ergibt sich für den gesamten hier streitigen Zeitraum ein glaubhaft gemachter Anordnungsanspruch der Antragstellerin.

§ 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU in der ab dem 24.10.2015 geltenden Fassung vom 20.10.2015 bestimmt, dass das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) weiterhin auch auf Unionsbürger Anwendung findet, wenn es eine günstigere Regelung vermittelt als das FreizügG/EU. Unter Inbezugnahme auf § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, wonach in begründeten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden kann, hat das BSG (Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R –, a.a.O., juris, Rn. 33 ff.) ein anderes Aufenthaltsrecht im vorstehend dargelegten Sinne bei aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung angenommen. In dem vom BSG entschiedenen Fall hatte eine Bulgarin, deren Leistungsanspruch im Streit stand, ein Kind von ihrem Lebensgefährten, einem griechischen Staatsbürger, erwartet, der sich mehr als acht Jahre rechtmäßig in Deutschland aufgehalten hatte, und mit dem sie eine gemeinsame Wohnung anzumieten beabsichtigte. Das BSG hatte deshalb schon für die Zeit vor Anerkennung der Vaterschaft eine vorwirkende Schutzwirkung, die ein Aufenthaltsrecht wegen des bevorstehenden familiären Zusammenlebens begründet hat, angenommen. Für die Zeit ab der Vaterschaftsanerkennung mit Zustimmung der Mutter samt gemeinsamer Sorgerechtserklärung – hier vollzogen am 06.04.2017 vor dem Kreisjugendamt Esslingen – hat es mit Blick auf die Vaterschaft des im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich eines ungeborenen Kindes (auch) einer ausländischen Staatsangehörigen aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungshindernisses angenommen, die einen anderen Aufenthaltszweck als den der Arbeitssuche begründen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art.1 Abs. 1 GG abzuleitende Schutzpflicht für die Gesundheit der werdenden Mutter und des Kindes dies gebieten, oder wenn beide Elternteile bereits in Verhältnissen leben, die eine gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung sicher erwarten lassen und eine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung eines Sichtvermerkverfahrens nicht zumutbar ist.

So liegt der Fall nach summarischer Betrachtung auch hier. Zwar folgt aus dem Umstand, dass das ungeborene Kind mit der Geburt im Inland nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) die deutsche Staatsbürgerschaft und damit ein Aufenthaltsrecht für sich und seine Mutter erwirbt, weder ein Anspruch auf eine Geburt im Inland, noch resultieren allein daraus aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen. Anderes gilt aber dann, wenn die mit der Durchführung des Visumsverfahrens verbundene Trennung zu einer Beeinträchtigung der Entwicklung des noch ungeborenen Kindes führt (vgl. Beschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Nordrhein-Westfalen vom 08.09.2009 – 18 B 1156/09 –, juris, Rn. 10 ff., ihm folgend VG Oldenburg, Beschluss vom 29.01.2013 – 11 B 37/13 – AuAS 2013, 39-41, juris, Rn. 8). Letzteres ist hier nach summarischer Prüfung anzunehmen: Die Antragstellerin ist, was auch der Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung nochmals ausdrücklich angeführt hat, HIV-positiv. Das Risiko der Infektion eines Kindes durch eine HIV-infizierte Mutter während der Schwangerschaft, also in der Gebärmutter, wird auf 7% geschätzt. Kurz vor oder während der Geburt wird das Kind mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 18% angesteckt. Durch antiretrovirale Therapie in Kombination mit einer Geburt durch geplanten Kaiserschnitt kann das Risiko einer Ansteckung des Kindes aber auf 1 bis maximal 2 % gesenkt werden (Online-Information des Berufsverbandes der Frauenärzte e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.: http://www.frauenaerzte-im-netz.de (Abruf am 31.05.2017)). Eine Schwangerschaft in Kombination mit einer HIV-Infektion wird als Risikoschwangerschaft eingestuft (Jessica Schmid, HIV (AIDS) in der Schwangerschaft, Online-Zeitschrift "9monate": http://www.9monate.de/schwangerschaft-geburt/Beschwerden-erkrankungen/hiv-aids-in-der-schwangerschaft-id94445.html (Abruf am 31.05.2017)). Eine regelmäßige und engmaschige ärztliche Betreuung ist bei HIV-infizierten schwangeren Frauen unerlässlich. Üblicherweise beginnt die medikamentöse Therapie spätestens ab der 24. Schwangerschaftswoche. Nach der Geburt erhält auch das Neugeborene in den ersten Wochen ebenfalls Medikamente gegen HIV, um Viren, die möglicherweise doch in den Körper des Kindes gelangt sind, sofort an ihrer Vermehrung zu hindern (Dr. Annette Haberl, HIV-Center des Universitätsklinikums Frankfurt am Main, in: HIV-Infektion und Schwangerschaft, Baby und Familie, Stand 11.009.2014: http://www.baby-und-familie.de/HIV-Schwangerschaft (Abruf am 31.05.2017)). Ausgehend von der Ärztlichen Bescheinigung der Frauenärztin Dr. F., wonach sich die Antragstellerin am 16.01.2017 in der 8. Schwangerschaftswoche befand, besteht spätestens seit Eintritt in die 24. Schwangerschaftswoche am 08.05.2017 die Notwendigkeit einer ununterbrochenen medikamentösen Therapie mit engmaschiger ärztlicher Betreuung. Zwar gibt es in Bulgarien, einem EU-Land, ebenso wie in Deutschland adäquate ärztliche Behandlungsmöglichkeiten und Krankenhäuser. Eine Rückkehr der mittellosen Antragstellerin nach Bulgarien, wo die Antragstellerin, die im Schreiben vom 23.02.2017 an den Antragsgegner glaubhaft angegeben hat, dass sich ihre gesamte Familie bis auf eine in Spanien wohnhafte Schwester gegenwärtig in Deutschland befindet, offenbar keine familiären Bezugspersonen hat, würde zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch aller Voraussicht nach die ordnungsgemäße ununterbrochene Durchführung der erforderlichen ärztlichen Therapie mit engmaschiger Kontrolle gefährden. Denn die Antragstellerin hat, soweit auf Grundlage ihres Vorbringens summarisch feststellbar, in Bulgarien weder eine Wohnung oder einen sonstigen Ort, wo sie unterkommen kann. Außerdem bedarf es nach einer Wiedereinreise aus dem Ausland erfahrungsgemäß eines gewissen zeitlichen Vorlaufs, bis vor Ort alle erforderlichen Anträge gestellt und bearbeitet sind und die zuständigen Sozialbehörden die erforderliche medizinische Betreuung auch rein tatsächlich sicherstellen (können), die an ihrem derzeitigen Aufenthaltsort, auch wegen der Betreuung durch die AIDS-Hilfe S. e.V., ohne Weiteres gesichert ist. Angesichts dieser Umstände ist der Antragstellerin die Ausreise zur Durchführung eines Sichtvermerkverfahrens gegenwärtig nicht zuzumuten (vgl. auch Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen – L 2 AS 1119/14 B ER – juris, Rn. 8).

Wegen ihrer HIV-Erkrankung ist sie zudem sowohl in den Monaten vor der Geburt als auch während der Geburt in besonderer Weise auf den Schutz und Rückhalt sowohl ihres in ihrer Wohnung lebenden Vaters als auch des Kindsvaters angewiesen, auch wenn letzterer aller Voraussicht nach nicht mit der Antragstellerin zusammenleben wird, weil das Kind, das er förmlich anerkannt hat, außerehelich gezeugt wurde und er seine Familie (Ehefrau und gemeinsames Kind) nicht verlassen möchte. Die von der Antragstellerin im Erörterungstermin vom 10.04.2017 gemachten Ausführungen lassen erwarten, dass der Kindsvater einen regelmäßigen Umgang mit seinem Kind beabsichtigt, was nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 09.01.2009 – 2 BvR 1064/08NVwZ 2009, 387 ff., juris, Rn. 16) ausreicht, um von einer die Schutzwirkung des Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG auslösenden familiären Gemeinschaft zu sprechen.

Der Senat verkennt nicht, dass es durchaus berechtigte Kritik an der Rechtsprechung des BSG gibt. So ist ein Abschiebungshindernis nicht ohne Weiteres einem Aufenthaltsrecht gleichzusetzen. Außerdem entspricht es der herrschenden Meinung im Ausländerrecht, dass bei einem Aufenthaltstitel nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels "in der Regel" u.a. voraussetzt, dass – was vorliegend gerade nicht der Fall ist – der Lebensunterhalt gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), vorliegen müssen (Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 7 Rn. 29 m.w.N.). Allerdings hat das BSG in mehreren Entscheidungen nach dem Urteil vom 30.01.2013 (B 4 AS 54/12 R) die dort begründete Rechtsprechung zwar einschränkend ausgelegt (BSG, Urteile vom 16.12.2015 – B 14 AS 15/14 R – SozR 4-1500 § 7 Nr. 48, juris, Leitsatz und Rn. 31 ff., und vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 RNZS 2016, 552-554, juris, Leitsatz und Rn. 29), aber nicht aufgegeben. Es ist aber nicht Aufgabe des Eilverfahrens, in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes schwierige und umstrittene Abgrenzungsfragen der Hauptsache einer grundsätzlichen Klärung zuzuführen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.02.2017 – 1 BvR 2507/16 –, juris, Rn. 19). Ob der Umstand, dass die Antragstellerin bei der zu erwartenden Geburt ihres von einem in Deutschland geborenen und sich seit mehr als 8 Jahren dauerhaft rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden türkischen Staatsbürgers empfangenen Kindes in Deutschland über die zum Zeitpunkt der Geburt begründete deutsche Staatsangehörigkeit ihres Kindes (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 StAG) ein Aufenthaltsrecht (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AufenthG) unabhängig von einer Arbeitssuche erwerben wird, ihr eine adäquate "längerfristige Bleibeperspektive" vermittelt, wie sie vom BSG im Urteil vom 20.01.2016 (B 14 AS 35/15 R, a.a.O. Rn. 29) gefordert worden ist, bleibt demgemäß einer Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Für die vom Antragsgegner hilfsweise beantragte Aussetzung der Vollstreckung der einstweiligen Anordnung aus dem Beschluss des SG vom 13.04.2017 ist nach einer endgültigen Zurückweisung der Beschwerde gegen diesen kein Raum mehr.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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