S 41 AS 2383/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
41
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 41 AS 2383/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Bescheide vom 27.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2015 werden dahingehend abgeändert, dass das Darlehen für die Mietkaution für die Wohnung K.-Str. 4 in Essen nur der Klägerin zu 1) bewilligt wird und die Aufrechnung des Darlehens ebenfalls nur gegenüber der Klägerin zu 1) in monatlicher Höhe von 10 % des jeweils maßgeblichen monatlichen Regelsatzes erfolgt.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.

Tatbestand:

Die Klägerin zu 1) steht mit ihren Kindern, den Klägern zu 2) bis 4), bei der Beklagten im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II).

Mit Bescheid vom 02.02.2015 erteilte die Beklagte gegenüber der Klägerin zu 1) die Zusicherung zu dem von ihr gewünschten Umzug in die Wohnung K.-Str. 4 in Essen. Partei des Mietvertrages für diese Wohnung war auf Mieterseite nur die Klägerin zu 1), nicht aber die Kläger zu 2) bis 4). Im weiteren Verlauf beantragte die Klägerin zu 1) anwaltlich vertreten mit Schreiben vom 04.02.2015 die Bewilligung eines Darlehens für die für das neue Mietverhältnis zu leistende Kaution in Höhe von 1.270,00 EUR. Die Klägerin zu 1) unterschrieb den Mietvertrag für die Wohnung K.-Str. 4 am 18.02.2015. Mit Bescheid vom 27.02.2015 bewilligte die Beklagte das beantragte Darlehen für die Mietkaution, wobei das Darlehen nicht nur an die Klägerin zu 1) erteilt wurde, sondern auch gegenüber den Klägern zu 2) bis 4). Die Kläger zu 2) bis 4) sollten ausweislich des Bescheides nicht als Gesamtschuldner haften, da sie minderjährig waren. Zur Begründung der Erteilung des Darlehens auch gegenüber den Klägern zu 2) bis 4) gab die Beklagte an, dass das Darlehen allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft gewährt werde, weil es sich dabei um existenzsichernde Bedarfe der Bedarfsgemeinschaft handele. Mit weiterem Bescheid vom 27.02.2015 erklärte die Beklagte für die Rückzahlung des Darlehens die Aufrechnung in Höhe von monatlich 10% des jeweils maßgebenden Regelbedarfs der Kläger, insgesamt in Höhe von monatlich 113,34 EUR. Mit Schreiben vom 13.03.2015 erhoben die Kläger anwaltlich vertreten Widerspruch gegen den Darlehensbescheid vom 27.02.2015 sowie den am gleichen Tag ergangenen Aufrechnungsbescheid der Beklagten. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.06.2015 wies die Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück. Darin führt sie aus, das Gesetz räume dem Grundsicherungsträger ein Ermessen ein, ob er ein beantragtes Darlehen einem oder mehreren Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft gegenüber erbringt. Da bei einem Mietkautionsdarlehen der existenzssichernde Wohnbedarf alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gleichermaßen betreffe, sei es sachgerecht, das Darlehen an alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu vergeben. Das Darlehen für die Mietkaution diene der Sicherung des Wohnraums auch der minderjährigen Kinder. Ohne die Übernahme der Mietkaution wäre ein neuer Mietvertrag, der dem erhöhten Wohnbedarf nach der Geburt des jüngsten Kindes, der Klägerin zu 4), gerecht werde, wohl nicht zustande gekommen. Am 13.06.2015 erhoben die anwaltlich vertretenen Kläger eine als "Untätigkeitsklage" bezeichnete Klage vor dem Sozialgericht.

Die Kläger tragen vor, das beantragte Darlehen für die Mietkaution hätte allein an die Klägerin zu 1) vergeben werden dürfen. Antragsteller für das Darlehen sei nur die Klägerin zu 1) gewesen, nicht aber die Kläger zu 2) bis 4). Auch sei nur die Klägerin zu 1) Vertragspartei des Mietvertrages. Die Kläger zu 2) bis 4) hätten das Darlehen nicht in Anspruch genommen. Ein Grund, das Darlehen auch an sie zu vergeben, bestehe nicht. Durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung würden die den Klägern zustehenden Leistungen in nicht zumutbarerer Weise reduziert.

Die Kläger beantragen,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, durch ein Mietkautionsdarlehen werde die Eingehung eines neuen Mietverhältnisses abgesichert. Gegenüber dem Vermieter bestehe der Vermögenswert in Form des Anspruchs gegen den Vermieter bei Beendigung des Mietverhältnisses fort. Es sei gerechtfertigt, die minderjährigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft in das Darlehen einzubeziehen, da es sich um existenzsichernde Bedarfe der Bedarfsgemeinschaft handele. Die minderjährigen Kläger zu 2) bis 4) hafteten auch nicht als Gesamtschuldner, sondern nur in Höhe des kopfanteiligen Bedarfes.

Für das weitere Vorbringen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Leistungsakte verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Anfechtungsklage, § 54 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGG), zulässig. Zwar wurde sie als "Untätigkeitsklage" überschrieben, jedoch ist sie aufgrund des gestellten Antrags als Anfechtungsklage gegen den Darlehens- und den Aufrechnungsbescheid, jeweils vom 27.02.2015, auszulegen.

Die Klage ist auch begründet. Sowohl der Darlehensbescheid vom 27.02.2015 als auch der auf diesem beruhende Aufrechnungsbescheid vom selben Tag sind gegenüber den Klägern zu 2) bis 4) rechtswidrig und verletzen sie in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 SGG.

Nach § 22 Abs. 6 S. 1 Hs. 2 SGB II können Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Gem. § 22 Abs. 6 S. 3 SGB II sollen Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile als Darlehen erbracht werden. Die Beklagte hat vorliegend das von der Klägerin zu 1) beantragte Darlehen für die Mietkaution der neuen Wohnung K.-Str. 4 in Essen durch den Darlehensbescheid vom 27.02.2015 bewilligt und somit die entsprechenden Aufwendungen als Bedarf anerkannt. Insoweit ist der Bescheid vom 27.02.2015 zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die Beteiligten streiten vielmehr über die Modalitäten des Darlehens. Nach § 42a Abs. 1 S. 2 SGB II können Darlehen an einzelne Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften oder an mehrere gemeinsam vergeben werden. Die Rückzahlungsverpflichtung trifft nach § 42a Abs. 1 S.3 SGB II die Darlehensnehmer. Die Beklagte hat das ihr danach zustehende Ermessen hinsichtlich der Frage, ob sie ein Darlehen vergibt, (vgl. Eicher/Greiser, SGB II, 3. Aufl., § 43a Rz. 10) hier dahin ausgeübt, dass sie das Darlehen für die beantragte Mietkaution nicht nur an die Klägerin zu 1) vergeben hat, sondern an alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, d.h. auch an die Kläger zu 2) bis 4). Des Weiteren ist zwischen den Beteiligten die aus dem Darlehen folgende Aufrechnung der Beklagten streitig. Gemäß § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen, solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt. Da die Beklagte das Darlehen an alle Kläger vergeben hat, hat sie entsprechend mit weiterem Bescheid vom 27.02.2015 auch gegenüber allen Klägern die Aufrechnung erklärt.

Vorliegend bedarf es keiner Entscheidung, ob ein Mietkautionsdarlehen nach § 22 Abs. 6 SGB II überhaupt unter den Tatbestand des § 42a Abs. 1 SGB II fällt (zuletzt anhängig beim BSG unter dem Az.: B 4 AS 24/15 R, am 08.12.2016 ohne streitige Entscheidung beendet). Denn die Kläger wenden sich alleine gegen die Bewilligung des Darlehens auch an die Kläger zu 2) bis 4) und die entsprechende Aufrechnung gegenüber den Klägern zu 2) bis 4) in den angefochtenen Bescheiden vom 27.02.2015. Soweit diese Bescheide folglich angefochten sind, erweisen sie sich als rechtswidrig und verletzen die Kläger zu 2) bis 4) in ihren Rechten.

Zwar ist - soweit ersichtlich - bislang nicht obergerichtlich oder höchstrichterlich entschieden worden, ob die Bewilligung eines Mietkautionsdarlehens auch an solche Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, die nicht Vertragspartei des Mietvertrages sind, ermessensfehlerhaft ist. Jedoch hat das BSG in Bezug auf ein Darlehen für Mietschulden gem. § 22 Abs. 5 SGB II entschieden, dass ein solches Darlehen unabhängig vom Kopfteilprinzip gleichmäßig auf diejenigen Personen aufzuteilen, die aus dem Mietvertrag verpflichtet sind (vgl. BSG, Urt. v. 18.11.2014, Az.: B 4 AS 3/14 R, Rz. 25 - juris). Das BSG führt in dieser Entscheidung aus, dass zwar nach seiner gefestigter Rechtsprechung die laufenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen sind. Bei der Leistung für Mietschulden als einmaliger Leistung für Unterkunft sei jedoch keine Kopfteilung vorzunehmen. Die mit dem Grundsicherungsrecht nach dem SGB II befassten Senate des BSG hätten eine Abweichung vom Kopfteilprinzip für diejenigen Fälle bejaht, in denen bei objektiver Betrachtung eine andere Aufteilung angezeigt ist. Eine solche Abweichung nimmt das BSG für den Fall eines Darlehens für Mietschulden nach § 22 Abs. 5 SGB II an (vgl. BSG a.a.O., Rz. 26 f. - juris). Denn würde das Darlehen gem. § 22 Abs. 5 SGB II kopfteilig auf die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaften verteilt, so folgte hieraus letztlich eine faktische Mithaftung der nicht am Mietvertrag Beteiligten, insbesondere auch der Kinder einer Bedarfsgemeinschaft, für unerfüllte Mietvertragsforderungen. Unter Berücksichtigung § 42&8201;a Abs. 1 S. 3 SGB II träfe eine Rückzahlungsverpflichtung dann auch das nicht durch den Mietvertrag verpflichtete Bedarfsgemeinschaftsmitglied unabhängig davon, ob eine Einwirkungsmöglichkeit auf die Zahlungsmoral des mietvertraglich Verpflichteten besteht. Zudem könnten sich aus der Möglichkeit, die Verpflichtungen aus Mietverträgen auf Dritte zu verlagern, erhebliche Fehlanreize für die Mietvertragspartner ergeben. Daher erscheine es allein sachgerecht, nur die durch den Mietvertrag zivilrechtlich verpflichteten Personen als Darlehensnehmer anzusehen (vgl. BSG a.a.O., Rz. 28 - juris mit Verweis auf Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, Stand: III/14, K, § 22 Rn. 366; Luik in Eicher, SGB II, § 22 Rn. 253).

Das Gericht vermag nicht zu erkennen, warum diese Erwägungen des BSG nicht in vergleichbarer Weise auch für Mietkautionsdarlehen gelten sollten. Insoweit ist hier zunächst zu beachten, dass nur die Klägerin zu 1) Vertragspartei des Mietvertrages für die Wohnung K.-Str. 4 in Essen war, nicht aber die Kläger zu 2) bis 4). Nach dem Darlehensbescheid vom 27.02.2015 haften die Kläger zu 2) bis 4), wenn auch nur anteilig und nicht gesamtschuldnerisch, faktisch für die Kaution mit, obwohl sie nicht am Mietvertrag beteiligt sind. Insoweit verfängt auch das Argument der Beklagten im Schriftsatz vom 09.02.2016 nicht, der Vermögenswert bestehe nach Beendigung des Mietvertrages in Form des Anspruchs gegen den Vermieter fort. Denn Gläubiger des Rückzahlungsanspruchs gegen den Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses sind gerade nicht die Kläger zu 2) bis 4), sondern nur die Klägerin zu 1). Für die Kläger zu 2) bis 4) besteht daher für auf die Kaution geleistete Beträge auch kein Vermögenswert fort. Vielmehr wären für sie die wegen Aufrechnung aus ihrem Regelbedarf abgezweigten Beträge verloren. Das Gericht erachtet die vorliegende Konstellation eines Mietkautionsdarlehens für die hier streiterhebliche Frage, ob das Darlehen an alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu vergeben ist, auch im Übrigen mit der eines Darlehens für Mietschulden vergleichbar. Zwar ist Hintergrund eines Mietkautionsdarlehens anders als bei einem Darlehen für Mietschulden nicht unmittelbar die Zahlungsmoral der Mietvertragspartei, auf die am Mietvertrag Unbeteiligte keinen Einfluss haben. Jedoch haben nicht am Mietvertrag Beteiligte wie die Kläger zu 2) bis 4) insofern noch weniger Einfluss auf die Mietvertragspartei, als es um das "Abwohnen" einer Wohnung geht. Gleichzeitig würde durch eine Aufrechnung auch ihnen gegenüber der der Bedarfsgemeinschaft monatlich zur Verfügung stehende Geldbetrag erheblich gemindert, sodass ihre Lebenssituation bei einem unverhältnismäßigen "Abwohnen" nicht nur durch das "Abwohnen" beeinträchtigt würde, sondern auch durch die finanzielle Mehrbelastung. Auch die weiteren von der Beklagten vorgebrachten Argumente für eine Einbeziehung der Kläger zu 2) bis 4) in das Darlehen und damit die Aufrechnung nach § 42a Abs. 1, Abs. 2 SGB II verfangen nicht. Denn das Argument, es gehe auch um existenzsichernde Bedarfe der Kläger zu 2) bis 4) würde noch weitaus mehr bei einem Mietschuldendarlehen relevant sein, weil dort die Kündigung des Mietverhältnisses durch den Vermieter im Raum steht. Für Mietschuldendarlehen hat das BSG jedoch wie ausgeführt eine Darlehensgewährung an nicht am Mietvertrag Beteiligte gerade abgelehnt. Schließlich ist das Argument der Beklagten, ohne die Übernahme der Mietkaution wäre wohl kein Mietvertrag zustande gekommen, der dem nach Geburt der Klägerin zu 4) bestehenden erhöhten Wohnraumbedarf der Kläger Rechnung trage, jedenfalls vorliegend nicht zutreffend. Denn die Klägerin zu 1) hat den Mietvertrag für die Wohnung K.-Str. 4 ausweislich Bl. 829 der Leistungsakte bereits am 18.02.2015 und damit vor der Bewilligung des Darlehens und Erklärung der Aufrechnung am 27.02.2015 unterschrieben. Eine Kausalität des Mietkautionsdarlehens für das Zustandekommen des Mietvertrages ist folglich vorliegend nicht gegeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Rechtsstreits Rechnung.
Rechtskraft
Aus
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