L 19 AS 1459/15 NZB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AS 4012/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1459/15 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 03.07.2015 - S 12 AS 4012/13 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Mit Bescheid vom 07.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2013 bewilligte der Beklagte der Klägerin ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II zum Ausgleich von Energiekostenrückständen i.H.v. 300,71 EUR. Des Weiteren verfügte er die Aufrechnung der Darlehensforderung ab dem 01.09.2013 in monatlichen Teilbeträgen von derzeit 38,20 EUR gegen laufende Leistungsansprüche nach § 42a SGB II.

Mir ihrer am 15.11.2013 erhobenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Aufrechnung gewendet und angegeben, sie könne die vom Beklagten durchgeführte Aufrechnung aufgrund finanzieller Probleme nicht verkraften.

Durch Gerichtsbescheid vom 03.07.2015 - S 12 AS 4012/13 - hat das Sozialgericht Düsseldorf die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Hiergegen hat die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.

II.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf ist statthaft. Die Berufung bedarf gemäß § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung, weil der streitige Betrag nicht die für die zulassungsfreie Berufung erforderliche Summe von mehr als 750,00 EUR nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG erreicht und keine Leistungen für mehr als ein Jahr streitig sind (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG). Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn

1. die Sache grundsätzliche Bedeutung hat,

2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Diese Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1.) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein Individualinteresse genügt nicht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 144 Rn. 28 f. m.w.N.). Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein (vgl. BSG, Beschluss vom 15.09.1997 - 9 BVg 6/97 zum gleichlautenden § 160 SGG). Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein.

Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen weisen keine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne auf. Sie sind nicht klärungsbedürftig. Eine Rechtsfrage ist klärungsbedürftig, wenn sie sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden ist (vgl. BSG, Beschluss vom 15.09.1997 - 9 BVg 6/97 - zum gleichlautenden § 160 SGG).

Streitgegenständlich ist die vom Beklagten verfügte Aufrechnung einer Darlehensforderung mit laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 42a Abs. 2 SGB II. Solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt (Satz 1). § 43 Abs. 3 gilt entsprechend (Satz 2). Die Aufrechnung ist gegenüber den Darlehensnehmern schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären (Satz 3). Satz 1 gilt nicht, soweit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Darlehen erbracht werden (Satz 4). Die Vorschrift des § 42a Abs. 2 S. 1 und S. 3 SGB II regelt zwingend Fälligkeit, Höhe und Modalitäten der Darlehenstilgung während des Leistungsbezuges. Dem Grundsicherungsträger ist als Darlehensgeber weder ein Entschließungs- noch eine Auswahlermessen eingeräumt (Bittner in Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB II, 4. Aufl., § 42a Rn. 39f; Bender in Gagel, SGB II, Stand Mai 2016, § 42a Rn 16ff; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 42a Rn. 163ff; Greiser in Eicher, SGB II, 11. Aufl., § 42a Rn. 29; Conradis in LPK-SGB II, 5. Aufl., § 42a Rn. 15 f; siehe auch BT-Drs. 17/3982 S. 10 zu Nr. 22 Art. 2 Nr. 32; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17.02.2016 - L 32 AS 516/15 B PKH).

Soweit in Teilen der Judikatur (vgl. Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 17.02.2016 - L 32 AS 516/15 B PKH) bei außergewöhnlichen Sachverhaltsgestaltungen eine Ermessensausübung des Verwaltungsträgers hinsichtlich des "Ob" der Aufrechnung im Rahmen von § 42 a SGB II gefordert wird, ist die Frage, ob dieses Erfordernis besteht, für den vorliegenden Fall nicht klärungsbedürftig, da der Beklagte Ermessen ausgeübt hat, zudem keine außergewöhnliche Sachverhaltsgestaltung vorliegt.

Soweit in Teilen der Judikatur vertreten worden ist, die laufende Minderung der Leistung zur Deckung des Regelbedarfes wegen Aufwendungen für ein Darlehen verzehre in verfassungsrechtlich nicht tolerabler Weise den Ansparanteil der Regelleistung (u.a. Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 18.11.2013 - L 10 AS 1793/13 B PKH), sind nachfolgende höchstrichterliche Rechtsprechung und Kommentierung dem im Hinblick auf gesetzliche Kompensationsmöglichkeiten bei besonderen Bedarfslagen nicht gefolgt. Denn nach nun herrschender Auffassung bestehen keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Rückführung von Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II bzw. § 22 Abs. 8 SGB II durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs während des Leistungsbezuges nach § 42a Abs. 2 S. 1 SGB II (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.03.2015 - L 20 AS 261/13 - mit Darstellung des Meinungstandes; Bender in Gagel, SGB II, Stand Mai 2016, § 42a Rn. 17ff.).

Die Aufrechnung in Höhe von 10% des maßgebenden Regelbedarfs für Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II und § 22 Abs. 8 SGB II ist auch im Hinblick auf den einhergehenden Entzug des im Regelbedarf enthaltenen Ansparbetrags mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09). Der Gefahr einer Bedarfsunterdeckung bei langer Aufrechnungsdauer kann begegnet werden. Für einmalige Bedarfsspitzen aufgrund vom Regelbedarf umfasster Aufwendungen sieht § 24 Abs. 1 SGB II zur Vermeidung von Deckungslücken eine darlehensweise Leistungsgewährung vor. Die parallele Tilgung mehrerer Darlehen i.S.v. § 42a Abs. 1 SGB II ist auf maximal 10 % des Regelbedarfs begrenzt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.03.2015 - L 20 AS 261/13; Bittner in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 42a Rn. 48). Nach § 44 SGB II kann die Darlehensforderung des Grundsicherungsträgers dem Leistungsberechtigten erlassen bzw. gestundet oder niedergeschlagen werden, wenn dessen Einziehung nach Lage des Falles unbillig wäre (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 09.03.2016 - B 14 AS 20/15 R). Eine Aufrechnung nach § 42a Abs. 2 SGB II neben einer Aufrechnung in Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs nach § 43 SGB II ist ausgeschlossen. Für Härtefallmehrbedarfe sieht § 21 Abs. 6 SGB II einen Zuschuss vor.

Auch die Gestaltung des Einzelfalles hinsichtlich Höhe und Dauer der aus der Tilgung resultierenden Leistungsbeschränkung wirft keine Frage grundsätzlicher Bedeutung auf. Unter Hinzuziehung im Verlauf des vorliegenden Verfahrens ergangener Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist der erst-recht-Schluss (argumentum de maiore ad minus) möglich, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken aus der Höhe der bei der Klägerin vorgesehenen Höhe der Aufrechnung von unter 10. % der zustehenden Regelleistung bei einer absehbaren Dauer von weniger als 8 Monaten (300,71 Euro: 38,20 Euro = 7,87 Monate) erwachsen. In obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung ist weitgehend anerkannt, dass die Aufrechnung mit Erstattungsansprüchen gegen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 30 % des Regelbedarfs über bis zu 3 Jahre nach § 43 SGB II im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Verursachung durch vorwerfbares Verhalten und desweiteren im Hinblick auf bestehende Korrekturmöglichkeiten (Gewährung weiterer Darlehen, Niederschlagung/Erlass) mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar sind (BSG, Urteil vom 09.03.2016 - B 14 AS 20/15 R mit Darstellung des Meinungsstandes; Senat, Urteil vom 13.09.2013 - L 19 AS 662/13).

Zwar entfällt bei der Rückführung von Darlehen nach § 42 a Abs. 2 SGB II der für die Zulässigkeit der Aufrechnung in Höhe von 30 % des Regelsatzes nach § 43 SGB II auch maßgebliche Gesichtspunkt der schuldhaften Verursachung einer Überzahlung. Dies wird jedoch kompensiert durch den Umstand, dass das nach § 42a Abs. 2 SGB II zurückzuführende Darlehen auf bewusstem Handeln , nämlich dem in Kenntnis der Rückzahlungsbedingungen gefassten Willensentschluss des Leistungsempfängers beruht, das Darlehen in Anspruch zu nehmen, während § 43 SGB II eine Aufrechnung in wesentlich belastenderer Höhe von 30 % des Regelbedarfs über bis zu 3 Jahre bereits dann zulässt, wenn die zurückzuführende Überzahlung nur auf grob fahrlässiges Verhalten des Leistungsempfängers zurückzuführen ist (§§ 48 Abs. 2 Satz 3, 45 Abs. 2 SGB X) zurückzuführen ist.

Angesichts der hier nur 10 % gegenüber 30 % bei der Anwendung von § 43 SGB II umfassenden Höhe der durch die Aufrechnung entstehenden Leistungsminderung sowie der nur 8 Monate umfassenden Tilgungsdauer - gegenüber 36 Monaten bei Ausschöpfung des in § 43 SGB II vorgegebenen zulässigen Zeitmaßes wirft auch die konkrete Gestaltung des Einzelfalles keine verfassungsrechtliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG auf.

2) Ebenso ist der Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht gegeben. Eine Divergenz i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG kommt nur dann in Betracht, wenn ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des Sozialgerichts nicht den Kriterien entspricht, die die oberen Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn es diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall begründet keine Divergenz i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG (vgl. BSG, Beschluss vom 05.10.2010 - B 8 SO 61/10 B - mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen zum gleichlautenden § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Einen mit der Divergenzbeschwerde zu rügenden abstrakten Rechtssatz hat das Sozialgericht nicht aufgestellt.

3) Schließlich ist auch der Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht gegeben. Die Klägerin macht keinen Verfahrensmangel geltend.

Mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde wird der Gerichtsbescheid rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 S. 4 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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