L 9 AS 2050/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 1379/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2050/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zieht eine Verletzung von Pflichten aus dem Eingliederungsverwaltungsakt auch unter Berücksichtigung der Frist des § 31a Abs. 1 Satz 5 SGB II einen kompletten Wegfall der Leistungen nach dem SGB II nach sich, so ist hierauf in der Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich hinzuweisen.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 25. April 2017 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10. April 2017 (Az.: S 14 AS 1380/17) gegen den Sanktionsbescheid vom 14. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2017 angeordnet.

Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die Vollziehung der genannten Bescheide rückgängig zu machen durch vorläufige Auszahlung der einbehaltenen Leistungen.

Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.

Gründe:

I. Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Sanktionsbescheid des Antragsgegners, mit dem die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 01.03.2017 bis 31.05.2017 vollständig entfallen ist.

Der 1983 geborene, erwerbsfähige Antragsteller bezieht vom Antragsgegner seit 2013 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Bescheid vom 26.04.2016, zuletzt abgeändert durch den Bescheid vom 15.02.2017, wurden dem Antragsteller vom Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.05.2016 bis 30.04.2017 bewilligt. Neben Regelbedarf in Höhe von 404,00 Euro bzw. 409,00 Euro ab 01.01.2017 wurden Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe 39,98 Euro abzüglich eines um die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 Euro bereinigten monatlichen Einkommens (=Taschengeld) in Höhe von 99,49 Euro, mithin monatliche Leistungen in Höhe von 379,49 Euro bewilligt.

Der Antragsteller wurde seit 2016 zu verschiedenen Meldeterminen vom Antragsgegner eingeladen (am 25.02.2016, 21.03.2016, 18.04.2016, 09.05.2016, 08.07.2016, 10.10.2016 und 19.01.2017), zu denen er jeweils nicht erschienen ist. Ihm waren zudem bereits mehrfach durch Eingliederungsvereinbarungen ersetzende Verwaltungsakte (EGV) Pflichten auferlegt worden, vor dem hier relevanten Bewilligungszeitraum zuletzt mit Bescheid vom 13.04.2016.

Mit Schreiben vom 17.08.2016 übersandte der Antragsgegner dem Antragsteller erneut eine auf den 01.09.2016 datierte Eingliederungsvereinbarung mit der Bitte, diese bis zum 31.08.2016 unterschrieben an den Antragsgegner zurückzusenden. Nachdem der Antragsteller hierauf nicht reagierte, erließ der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller am 20.10.2016 einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt ("Eingliederungsverwaltungsakt"). Darin wurde für den Zeitraum vom 01.09.2016 bis 28.02.2017 unter anderem die Verpflichtung des Antragsstellers geregelt, Initiativbewerbungen bei monatlich fünf Firmen einzureichen oder sich auf zumutbare Stellenangebote aus Zeitungen, dem Internet oder anderen Medien zu bewerben. Des Weiteren wurde der Antragsteller verpflichtet, diese Bewerbungsbemühungen durch Vorlage einer Bewerbungsübersicht unter Angabe von Datum, Arbeitgeber, Ansprechpartner beim Arbeitgeber, Art und Bezeichnung der Stelle, regelmäßig monatlich vorzulegen. Sofern er keine Rückmeldung vom Arbeitgeber erhalte, sei das Bewerbungsschreiben vorzulegen. Die Nachweise seien jeweils zum ersten jeden Monats beim persönlichen Ansprechpartner einzureichen. Zudem enthielt der Verwaltungsakt den Hinweis, dass die Kosten für die Erstellung und Versendung der Bewerbungen auf Antrag und Nachweis durch entsprechende Originalbelege vom Antragsgegner erstattet würden. Dem Bescheid war eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, in der u.a. aufgeführt wurde, dass bei einer Weigerung, die auferlegten Pflichten zu erfüllen, die Leistungen für die Dauer von drei Monaten in einer ersten Stufe um 30% des für den Antragsteller maßgeblichen Regelsatz gemindert würden. Bei einer wiederholten Pflichtverletzung mindere sich das Arbeitslosengeld II um 60% des maßgeblichen Regelsatzes und bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung entfalle das Arbeitslosengeld II vollständig.

Mit Bescheid vom 17.11.2016 stellte der Antragsgegner nach vorheriger Anhörung gegenüber dem Antragsteller den Eintritt einer Sanktion in der Zeit vom 01.12.2016 bis 28.02.2017 in Form des vollständigen Wegfalles des Arbeitslosengeldes II in dieser Zeit wegen Nichtvorlage der Eigenbemühungen fest. Der Antragsteller habe die Möglichkeit, die Bewerbungsbemühungen beim Meldetermin am 10.10.2016 vorzulegen, nicht wahrgenommen. Auch von der ihm eingeräumten Möglichkeit, im Rahmen der Anhörung die Unterlagen nachzureichen, habe er keinen Gebrauch gemacht.

Bereits für die Zeit vom 01.07.2016 bis 30.09.2016 (Bescheid vom 17.06.2016) und vom 01.09.2016 bis 30.11.2016 (Bescheid 15.08.2016), war das Arbeitslosengeld II vollständig entfallen, weil der Antragsgegner eine entsprechende Sanktion mit der Begründung verhängt hatte, der Antragsteller sei seinen im Eingliederungsverwaltungsakt vom 13.04.2016 niedergelegten Pflichten nicht nachgekommen und es sich jeweils um eine wiederholte Pflichtverletzung gehandelt habe.

Mit Schreiben vom 26.01.2017 hörte der Antragsgegner den Antragsteller erneut nach § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu einer geplanten Sanktion an. Auch zum Meldetermin am 19.01.2017 sei der Antragsteller nicht erschienen und habe keine Bewerbungsbemühungen vorgelegt. Zu diesem Termin war er mit Schreiben vom 12.01.2017 eingeladen und aufgefordert worden, an diesem Termin die Bewerbungsbemühungen wie in der Eingliederungsvereinbarung festgelegt, vorzulegen. Er war in diesem Schreiben darauf hingewiesen worden, dass, sollte er nicht zum Meldetermin kommen, das Arbeitslosengeld II sich für die Dauer von drei Monaten um 10% des für ihn maßgebenden Regelbedarfs gemindert werde.

Hierzu teilte der Antragsteller mit Schreiben vom 27.01.2017 mit, dass in einer Phase der Nichtzahlung von Leistungen nicht auf die Durchführung von fünf Bewerbungen pro Monat bestanden werden dürfe.

Nach vorheriger Anhörung stellte der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller mit Bescheid vom 09.02.2017 fest, dass das Arbeitslosengeld II um 10% des für den Antragsteller maßgebenden Regelbedarfs gekürzt werde für den Zeitraum vom 01.03.2017 bis 31.05.2017, weil der Antragsteller zu dem Termin am 19.01.2017 nicht erschienen sei.

Mit Bescheid vom 14.02.2017 stellte der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller den vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II dann auch in der Zeit vom 01.03.2017 bis 31.05.2017 fest, weil der Antragsteller bislang der Verpflichtung aus der Eingliederungsvereinbarung vom 01.09.2016 nicht nachgekommen sei. Er habe auch nicht die Möglichkeit, am Termin vom 19.01.2017 Bewerbungsbemühungen vorzulegen, wahrgenommen.

Mit Bescheid vom 15.02.2017 hob der Antragsgegner die Leistungsbewilligung nach § 48 Abs. 1 SGB X für die Zeit vom 01.03.2017 bis 30.04.2017 aufgrund der Sanktionsbescheide vom 09.02.2017 und 14.02.2017 auf. Der Antragsteller erhalte in dieser Zeit keine Leistungen ausbezahlt.

Gegen den Sanktionsbescheid vom 14.02.2017 erhob der Antragsteller Widerspruch und verwies zur Begründung im Wesentlichen darauf, dass es beim vollständigen Wegfall von Arbeitslosengeld II nicht möglich sei, Bewerbungsbemühungen zu tätigen. Einen gesonderten Widerspruch gegen den Bescheid vom 15.02.2017 erhob der Antragsteller nicht.

Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.04.2017 zurück. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller die Möglichkeit habe, seine Bewerbungen kostenlos im Bewerberzimmer der AföG in Lahr zu erstellen. Er habe auch die Möglichkeit verstreichen lassen sein Anliegen bei den 13 anberaumten Terminen vorzubringen, zu denen er allesamt nicht erschienen sei.

Am 10.04.2017 hat der Antragsteller hiergegen Klage beim Sozialgericht (SG) Freiburg (Az.: S 14 AS 1380/17) erhoben und zugleich den vorliegenden Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz gestellt. Der Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 14.02.2017, mit dem der vollständige Wegfall des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 01.03.2017 bis 31.05.2017 verfügt worden sei, sei schon deshalb rechtswidrig, weil schon der dem Sanktionsbescheid zugrunde liegende Eingliederungsverwaltungsakt in mehrfacher Hinsicht nichtig sei. Es bestehe kein ausgewogenes Verhältnis zwischen den wechselseitigen Verpflichtungen und es finde keine Anpassung an die Lebensumstände des Antragstellers statt. Insbesondere sei die Verpflichtung zur Vorlage von mindestens fünf Bewerbungen monatlich, deren Kosten nur auf Antrag erstattet würden, rechtwidrig, wenn man, wie der Antragsteller, seit Monaten aufgrund des vollständigen Entfalles von Leistungen kein Geld mehr vom Antragsgegner erhalte.

Mit Beschluss vom 25.04.2017 hat das SG den Antrag des Antragstellers abgelehnt. Der angegriffene Sanktionsbescheid vom 14.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2017 sei nach vorläufiger Prüfung rechtmäßig. Der Antragsteller sei vor Erlass des Bescheides angehört worden und die Voraussetzungen der § 31 Abs. 1 S. 1 Nr.1, § 31a Abs. 1 Satz 3 und § 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II seien erfüllt. Der Antragsteller habe gegen Pflichten verstoßen, die in dem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt geregelt seien. Der Bescheid enthalte entgegen der Sicht des Antragstellers eine konkret und verbindlich bestimmte Unterstützung durch Leistungen des Jobcenters in Form der Übernahme von Bewerbungskosten und verstoße daher nicht gegen das Koppelungsverbot. Auch sei dem Antragsteller die Möglichkeit eingeräumt worden, Bewerbungsunterlagen im Bewerberzimmer der AföG in L. kostenlos zu erstellen, so dass auch die Tatsache, dass der Antragsteller seit Monaten keine Leistungen mehr vom Antragsgegner erhalte, nicht dazu führe, dass die Verpflichtung zur Abgabe von Bewerbungsbemühungen rechtswidrig sei. Zudem entstünden z.B. durch Email-Bewerbungen auch keine zusätzlichen Kosten. Am 24.05.2017 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den ihm am 29.04.2017 zugestellten Beschluss des SG eingelegt. Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt, dass der Verweis auf das Bewerberzimmer und die Möglichkeit Bewerbungen per Email zu schreiben, nicht ausreichend sei. Zudem enthalte der angegriffene Verwaltungsakt keine individuellen Vereinbarungen und sei daher schon aufgrund der neuen Rechtsprechung des BSG nicht rechtmäßig.

Mit Bescheid vom 23.06.2017 hat der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen bewilligt für den Zeitraum vom 01.05.2017 bis 30.04.2018 unter Zugrundelegung einer - sanktionsbedingten- Leistungshöhe von 0 Euro für den Monat Mai 2017 und 379,49 Euro ab Juni 2017. Dieser Bescheid ist bislang nicht angefochten.

Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 25. April 2017 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10. April 2017 (Az.: S 14 AS 1380/17) gegen den Bescheid vom 14. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2017 anzuordnen und die Vollziehung des Bescheides rückgängig zu machen durch vorläufige Auszahlung der Leistungen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf den angefochtenen Beschluss und hat ergänzend mitgeteilt, dass der Antragsteller nach wie vor keine Bewerbungsnachweise vorgelegt habe.

II.

Die frist- und formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Sie ist auch begründet. Das SG hat zu Unrecht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 14.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.04.2017 abgelehnt, soweit darin der vollständige Wegfall des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 01.03.2017 bis 31.05.2017 verfügt worden ist. Dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war stattzugeben. Gleiches gilt für den Antrag auf Rückgängigmachung der Vollziehung. § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG erfasst als unselbständigen Folgenbeseitigungsanspruch auch die Rückgängigmachung bereits erfolgter Vollziehungshandlungen (LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 05.09.2017 - L 7 AS 484/16 ER-B - juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 86b Rn. 10m.w.N.).

Statthafter Rechtsbehelf hinsichtlich des Aufhebungs- und Sanktionsbescheids vom 14.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.04.2017 ist, worauf das SG zutreffend hingewiesen hat, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG. In Verfahren nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG entscheidet das Gericht über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Vollziehung einer behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt der Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu. Dabei ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell den Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt. Eine Abweichung von diesem Regel-/Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn dafür überwiegende Interessen des Antragstellers sprechen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder wenn besondere private Interessen überwiegen (vgl. Keller a.a.O. § 86b Rn. 12c mit weiteren Nachweisen).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Überprüfung der Sanktionsentscheidung ergibt, dass diese voraussichtlich der gerichtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren nicht standhält.

Die Voraussetzungen für eine Minderung des Arbeitslosengeldes II um 100 Prozent in der Zeit vom 01.03.2017 bis 31.05.2017 liegen nach derzeitigem Sachstand nicht vor. Als einzig denkbarer Pflichtverletzungstatbestand, auf welchen der Beklagte den vollständigen Wegfall des Leistungsanspruchs stützen könnte, kommt § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II in Betracht. Danach verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten, wenn sie sich trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen. Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II).

Nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II mindert sich das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs. Bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 SGB II mindert sich das Arbeitslosengeld II um 60 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Gemäß § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II entfällt bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 SGB II das Arbeitslosengeld II vollständig. Eine wiederholte Pflichtverletzung liegt nur vor, wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt wurde; sie liegt nicht vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt (§ 31a Abs. 1 Sätze 4 und 5 SGB II). Erklären sich erwerbsfähige Leistungsberechtigte nachträglich bereit, ihren Pflichten nachzukommen, kann der zuständige Träger die Minderung der Leistungen nach Satz 3 ab diesem Zeitpunkt auf 60 Prozent des für sie nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs begrenzen (§ 31a Abs. 1 Satz 6 SGB II). Nach § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II kann der Träger auf Antrag bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 Prozent des nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Der Auszahlungsanspruch mindert sich nach § 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II mit Beginn des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der die Pflichtverletzung und den Umfang der Minderung der Leistung feststellt. Der Minderungszeitraum beträgt drei Monate; die Feststellung der Minderung ist nur innerhalb von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung zulässig (§ 31b Abs. 1 Sätze 3 und 5 SGB II).

Der Senat hat hier bereits Bedenken, ob der angegriffene Sanktionsbescheid formell rechtmäßig ist. Der Antragsteller wurde zwar ordnungsgemäß vor Erlass des Bescheides angehört, so dass die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 SGB X erfüllt sind. Bedenken bestehen aber hinsichtlich der Bestimmtheit des Bescheides (vgl. § 33 Abs. 1 SGB X). Es lässt sich dem Bescheid schon nicht eindeutig entnehmen, für welchen Pflichtverstoß hier genau sanktioniert werden soll. Im angegriffenen Bescheid wird ausgeführt, dass der Antragsteller gegen seine Pflicht aus dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 20.10.2016, nämlich monatlich fünf Bewerbungen vorzulegen, verstoßen habe, da er bislang keinerlei Bewerbungen vorgelegt habe. Auch die Möglichkeit, diese beim anberaumten Termin vom 19.01.2017 vorzulegen, habe er nicht wahrgenommen. Diesen Ausführungen lässt sich aber gerade nicht entnehmen, auf welchen Monat sich der Verstoß gegen die Pflichten bezieht, oder ob der Antragsgegner hier sogar dafür sanktioniert wird, dass bislang für keinen Monat die geforderten Bewerbungsbemühungen nachgewiesen worden sind. Dies wäre aber insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Antragsgegner bereits am 17.11.2016 wegen Verstoßes gegen dieselbe Verpflichtung aus dem Bescheid vom 20.10.2016 einen Sanktionsbescheid erlassen hat, dem ebenfalls nicht entnommen werden kann, für welchen Zeitraum Pflichtverstöße vorgeworfen werden, erforderlich gewesen.

Dies kann aber letztlich dahinstehen, da vieles dafür spricht, dass der angefochtene Bescheid materiell rechtswidrig ist. Die ausgesprochene Sanktion ist mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, weil bereits keine Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II vorliegt. Der Antragsteller hat hier zwar unstreitig keinerlei Bewerbungsbemühungen vorgelegt. Diese Obliegenheit des Antragstellers zur Vornahme und zum Nachweis von Eigenbemühungen war hier aber voraussichtlich nicht gegeben, da der Eingliederungsverwaltungsakt vom 20.10.2016 bereits rechtswidrig sein dürfte.

Der Senat hat bereits erhebliche Zweifel, ob die dem Eingliederungsveraltungsakt beigefügte Rechtsmittelbelehrung ausreichend konkret, vollständig und einzelfallbezogen war. Es wurde nur allgemein auf die Rechtsfolgen und die möglichen Sanktionsstufen hingewiesen. Ein Hinweis darauf, dass in der konkreten Situation bereits der erstmalige Verstoß gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 20.10.2016 eine weitere wiederholte Pflichtverletzung darstellte, war der Rechtsmittelbelehrung dagegen nicht zu entnehmen. Hier hätte aber berücksichtigt werden müssen, dass die Leistungen des Antragstellers bereits unmittelbar vor Erlass dieses Eingliederungsverwaltungsaktes bereits mit Bescheiden vom 17.06.2016 und vom 15.08.2016 für insgesamt fünf Monate komplett entfallen sind wegen Verstoßes gegen Pflichten aus dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 13.04.2016. Damit zog jede weitere Verletzung gegen Pflichten aus dem Eingliederungsverwaltungsakte vom 20.10.2016 auch unter Berücksichtigung der Frist des § 31a Abs. 1 Satz 5 SGB II unweigerlich einen weiteren kompletten Wegfall der Leistungen nach sich. Der Antragsgegner hätte hierauf bereits konkret hingewiesen können und auch müssen. Dies dürfte insbesondere auch aufgrund der schwerwiegenden Wirkung der vollständigen Herabsetzung der Grundsicherungsleistungen zu fordern sein (vgl. hierzu auch LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 30.06.2016 - L 7 AS 414/16 B ER - Juris), auch wenn – was der Senat nicht verkennt - damit strenge Anforderungen an eine hinreichende Rechtsfolgenbelehrung gestellt werden.

Vorliegend dürfte der der Sanktion zugrunde liegende Eingliederungsverwaltungsakt weiterhin deshalb rechtswidrig sein, weil nicht erkennbar ist, dass der Antragsgegner bei Erlass des Eingliederungsverwaltungsakts vom 20.10.2016 pflichtgemäßes Ermessen ausgeübt hat. Es ist also wahrscheinlich, dass der Eingliederungsverwaltungsakt vom 20.10.2016 insgesamt rechtswidrig ist. Damit war auch eine Obliegenheit des Antragstellers zur Vornahme und zum Nachweis von Eigenbemühungen nicht gegeben. Eine Pflichtverletzung lag mithin nicht vor. Der Antragsgegner hat bereits versäumt, seine Entscheidung zu begründen. Es fehlt in dem Bescheid jegliche Erläuterung der Gesichtspunkte, die eine Entscheidung, wie sie der Antragsgegner getroffen hat, im Rahmen einer Ermessensausübung tragen könnten. Damit ist davon auszugehen, dass der Antragsgegner das ihm bei Erlass eines Eingliederungsverwaltungsakts eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat. Ersetzt das Jobcenter - vorliegend also der Antragsgegner - eine Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt, sind nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 23.06.2016 - B 14 AS 42/15 R und B 14 AS 30/15 R - ) die ersetzenden Regelungen im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens (§ 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I ) nach denselben Maßstäben zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen, wie sie für die konsensuale Eingliederungsvereinbarung gelten. Daher hat das Jobcenter auch bei Ersetzungsentscheidungen nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II neben der ggf. die Sanktionsfolgen nach §§ 31a, 31. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II auslösenden Konkretisierung der Eigenbemühungen des Leistungsberechtigten eine der individuellen Bedarfslage des erwerbsfähigen Leistungsbeziehers gerecht werdende Konkretisierung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit vorzunehmen. Ein Verstoß gegen das Koppelungsverbot des § 58 Abs. 2 NR. 4 SGB X liegt hier zwar noch nicht vor (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23.06.2016 - B 14 AS 30/15 R -), da immerhin die Übernahme von Bewerbungskosten als Unterstützungsleistungen des Antragsgegners angeboten wurde. Die Übernahme dieser Kosten stellt aber noch keine ausreichende Konkretisierung der Leistungen zur Eingliederung in Arbeit an den Antragsteller durch den Antragsgegner dar. Vielmehr lässt der Eingliederungsverwaltungsakt vom 20.10.2016 nach seinem Aufbau und Wortlaut darauf schließen, dass im konkreten Fall kein Ermessen ausgeübt wurde. Etwas konkreter gefasst sind in den Eingliederungsverwaltungsakten vom 20.10.2016 lediglich die Pflichten des Antragstellers (Pflicht zur monatlichen Bewerbung auf fünf Stellen, Vorlage einer Übersicht über die getätigten Bewerbungsbemühungen nebst entsprechender Nachweise sowie die Vorlage dieser Unterlagen jeweils zum 1. eines Monats). Die Leistungsübersicht enthält nur eine bausteinartige Zusammenstellung möglicherweise in Betracht kommender gesetzlicher Leistungen des Antragsgegners, die ohne jeglichen Bezug auf den Einzelfall des Antragstellers formuliert sind. Tatsächlich lässt sich nicht feststellen, dass der Antragsgegner dem Antragsteller im hier fraglichen Zeitraum irgendwelche Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gewährt hat. Der Hinweis auf die Möglichkeit, das Bewerberzimmer der AföG in L. zu nutzen, erfolgte erstmals im Widerspruchsbescheid vom 05.04.2017. Über den Verweis auf die Rechtsansprüche zur Erstattung von Bewerbungskosten und eventuell entstehenden Kosten für Bewerbungsgespräche sowie die Zusage der Unterstützung des Antragstellers durch ein Beratungsangebot durch den persönlichen Ansprechpartner sowie die Übermittlung geeigneter Stellenangebote hinaus hat der Antragsgegner in dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 20.10.2016 somit keine konkreten Leistungen zur Eingliederung in Arbeit bezeichnet. Hierfür mag es im Falle des Antragstellers durchaus Gründe gegeben haben. In solchen Fällen kommt ein Verzicht auf Eingliederungsangebote nach § 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB II, die auf die individuelle Situation zugeschnitten sind, ausnahmsweise in Betracht, obwohl die gesetzliche Konzeption eine regelhafte Beschränkung des Eingliederungsverwaltungsakts auf die ausschließliche Bestimmung von Pflichten des Leistungsberechtigten ausschließt. Auch bei einem solchen Verzicht im Rahmen des § 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB II muss aber pflichtgemäßes Ermessen ausgeübt werden. Fehlt es hieran, ist der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt in einer das Regelungskonzept des SGB II verfehlenden Weise allein auf die sanktionsbewehrte Kontrolle der Eigenaktivitäten des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beschränkt und damit insgesamt rechtswidrig (vgl. zu den Anforderungen insbesondere BSG Urteil vom 23.06.2016 - B 14 AS 42/15 R - juris Rn 21; im Anschluss daran Bayrisches LSG, Beschluss vom 06.12.2016 - L 18 AS 770/16 B -).

Nicht mehr prüfen musste der Senat daher den Einwand des Antragstellers, dass aufgrund des schon seit Monaten bestehenden völligen Wegfalls von Leistungen nach dem SGB II von ihm keine Bewerbungsbemühungen, deren Kosten erst nachträglich ersetzt werden, verlangt werden dürfen.

Nicht näher nachzuprüfen musste der Senat weiter, ob der Eingliederungsverwaltungsakt auch deshalb rechtwidrig war, weil er zumindest für einen Zeitraum, der vor Erlass des Bescheides liegt, Pflichten auferlegt. Sollte er nämlich - wie sich aus dem vorgelegten Auszug aus der elektronischen Verwaltungsakte ergibt, tatsächlich erst am 20.10.2016 erlassen worden sein, dürften schon deshalb erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Eingliederungsverwaltungsaktes bestehen, weil er einen Zeitraum mitumfasst (01.09.2016 bis 28.02.2017), der vor Erlass des Verwaltungsaktes liegt und der Kläger für diesen Zeitraum gar nicht mehr verpflichtet werden konnte. Dies gilt umso mehr, als der Sanktionsentscheidung nicht entnommen werden kann, für welche Verstöße genau sanktioniert wird (s.o.).

Da nach alledem erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Sanktionsbescheides vom 14.02.2017 bestehen, vermag der Senat ein vorrangiges Vollzugsinteresse des Antragsgegners nicht festzustellen. Die aufschiebende Wirkung der Klage vor dem SG Freiburg (Az: S 14 AS 1380/17) war daher anzuordnen und dem Antragsgegner aufzugeben, dem Antragsteller die bereits einbehaltenen Leistungen vorläufig auszubezahlen. Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller gegen den Bescheid vom 15.02.2017, mit dem die Leistungsbewilligung aufgrund des Sanktionsbescheides vom 14.02.2017 nach § 48 SGB X aufgehoben worden war, keinen gesonderten Widerspruch erhoben hat. Eines solchen bedurfte es nicht, da die Sanktionsentscheidung und der Leistungsminderungsbescheid als Einheit anzusehen sind. Gleiches gilt hinsichtlich des Bescheides vom 23.06.2017, der den Folge-Bewilligungszeitraum regelt (vgl. Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB, 05/16, § 31b SGB II Rdn. 14 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und berücksichtigt den Erfolg des Antragstellers in beiden Rechtszügen. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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