L 4 AS 14/16

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AS 2128/11
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 14/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen. Der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Dessau-Roßlau wird klarstellend wie folgt gefasst: Für die Klägerin wird der Bescheid des Beklagten vom 18. Mai 2009 in der Fassung des Bescheids vom 28. Juli 2011 und der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2011 sowie für den Kläger der Bescheid vom 19. Juni 2009 in der Fassung des Bescheids vom 28. Juli 2011 und der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2011 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 30. April 2011 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger für beide Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Kläger auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsu-chende (SGB II) in der Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 30. April 2011.

Die 1968 geborene Klägerin ist die Ehefrau des 1952 geborenen Klägers. Die Kläger lebten im verfahrensgegenständlichen Zeitraum gemeinsam mit der im Oktober 1993 geborenen Tochter der Klägerin in einer 68,30 qm großen Mietwohnung im örtlichen Zuständigkeitsbe-reich des Beklagten. Für die Wohnung waren zunächst 218,06 EUR Grundmiete, 66,35 EUR Modernisierungszuschlag und Abschläge in Höhe von 80,00 EUR auf Betriebskosten sowie 65,00 EUR auf Heizkosten zu zahlen. Ab März 2011 erfolgte die Erhöhung der Betriebskosten auf 114,15 EUR/Monat. Die Kläger zahlten gesondert eine Müllgrundgebühr am 15. März (53,15 EUR) und 15. September (53,14 EUR) eines jeden Jahres. Im November 2010 war eine Forderung des Vermieters aus der Nebenkostenabrechnung für 2009 in Höhe von 485,60 EUR fällig, die der Beklagte mit Bescheid vom 4. Mai 2012 als Bedarf im Monat Dezember 2011 in Höhe von 285,92 EUR übernahm. Die Aufbereitung des Warmwassers erfolgt zentral.

Der Kläger ist als Fahrlehrer selbständig tätig. Er beschäftigt die Klägerin als Bürohilfe. Der Kläger zahlte im verfahrensgegenständlichen Zeitraum titulierten Unterhalt für eine Tochter in Höhe von monatlich 252,50 EUR. Der Kläger ist seit Januar 1991 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Er ist Versicherungsnehmer einer Riester-Rentenversicherung, auf die keine Beiträge gezahlt werden. Er ist weiter seit dem 1. Mai 2008 Versicherungsnehmer einer Risikolebensversicherung mit monatlichen Beiträgen in Höhe von 54 EUR sowie einer kapitalbildenden Rentenversicherung mit monatlichen Beiträgen in Höhe von 283,06 EUR, ab April 2010 in Höhe von 309,88 EUR. Im Hinblick auf die Absicherung gegen die Risiken der Krankheit und Pflege hat sich der Kläger für eine freiwillige gesetzliche Krankenversicherung entschieden. Dafür zahlte er an die AOK Sachsen-Anhalt im Jahr 2010 monatlich 311,39 EUR sowie im Jahr 2011 monatlich 322,89 EUR.

Die Klägerin erhält für ihre Beschäftigung bei dem Kläger 100,00 EUR im Monat.

Die Tochter der Klägerin verfügt über Einnahmen aus Halbwaisenrente in Höhe von monatlich 74,32 EUR und Kindergeld in Höhe von monatlich 184,00 EUR. Wegen der Teilnahme an einem Skilager waren 339,00 EUR im November 2010 zu zahlen.

Aufgrund eines Bescheides vom 2. Juni 2010 erhielten die Kläger im Jahr 2010 monatlich Wohngeld in Höhe von 156,00 EUR. Dabei floss ihnen die Nachzahlung für die Monate Januar bis Juni 2010 mit dem laufenden Zahlbetrag für Juli 2010 in Höhe von insgesamt 1.092 EUR Ende Juni 2010 zu.

Der Kläger ist Eigentümer eines 2.118 qm großen Grundstücks, das unmittelbar an einer Bundesstraße gelegen und im Grundbuch als Gartenland ausgewiesen ist. Auf dem Grund-stück ist eine Werbetafel aufgebaut. Als Nutzungsentgelt für die Bereitstellung des Grundstücks und den Aufbau der Tafel erhält der Kläger 365,04 EUR/Quartal, jeweils im Januar, April, Juli und Oktober. Abweichend davon wurden im April 2010 jeweils 365,04 EUR für das erste und das zweite Quartal 2010 gezahlt. Für das Grundstück entrichtet der Kläger im Juli eines jeden Jahres eine Grundsteuer in Höhe von 10,90 EUR.

Die Kläger erhielten gemeinsam mit der Tochter der Klägerin – mit Unterbrechungen wegen Einnahmen aus einer Erbschaft der Tochter und einer Erziehungsrente der Klägerin – von Februar 2005 bis Mai 2007 Arbeitslosengeld II durch den Beklagten.

Wegen der Ablehnung der Leistungsgewährung für die Zeit ab dem 1. Juni 2007 führten die Kläger bei dem Sozialgericht Dessau-Roßlau ein Klageverfahren unter dem Aktenzeichen S 18 AS 2264/07. Mit Schriftsatz vom 27. März 2009 wies der Beklagte in diesem Verfahren darauf hin, dass bislang kein neuer Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt worden sei, um die Aktualität der Ablehnung prüfen zu lassen. Im Übrigen erließ er am 5. Juni 2009 einen Bewilligungsbescheid für Juni bis Dezember 2007.

Am 16. April 2009 beantragten die Kläger erneut die Zahlung von Leistungen nach dem SGB II in Form von Arbeitslosengeld II. Der Beklagte bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 18. Mai 2009 unter Hinweis auf § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung einen vorläufigen Zuschuss zu den Beiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung des Klägers und die Zeit vom 16. April bis zum 31. August 2009, hob diese Entscheidung aber mit Bescheid vom 19. Juni 2009 zum 1. Juli 2009 wegen der Höhe der Einnahmen des Klägers gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auf. Gegen die Bescheide vom 18. Mai und 19. Juni 2009 sollte der Widerspruch statthafter Rechtsbehelf sein. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Entschei-dungen wird auf Blatt 55ff. und 64ff. Band IV der Verwaltungsakten Bezug genommen. Ausdrücklich als endgültige Festsetzungen bezeichnete Verwaltungsakte erließ der Beklagte in der Folgezeit nicht.

Im Verfahren S 18 AS 2264/07 erklärten die Kläger im Anschluss an die Übersendung des Bewilligungsbescheids für Juni bis Dezember 2007, diese Entscheidung werde akzeptiert, nicht aber diejenige vom 18. Mai 2009. Die Klägerin legte gegen den Bescheid vom 18. Mai 2009 am 17. Juni 2009 Widerspruch ein, den der nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Kläger im Januar 2010 begründete: Der Gewinn sei jetzt ausgewiesen und könne berechnet werden. Unterhaltszahlungen an die Tochter seien zu berücksichtigen. Es fehle ein Mehrbedarf wegen der entfernten Galle erforderlicher kostenaufwändiger Ernährung, und die KFZ-Haftpflichtversicherung sei nicht berücksichtigt. Sodann teilte der Beklagte im Verfahren S 18 AS 2264/07 mit, die Bescheide vom 18. Mai und 19. Juni 2009 seien nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden, weil mit der erneuten Antragstellung eine Unterbrechung des Klagezeitraums erfolgt sei. Im Verfahren S 18 AS 2264/07 erklärten die Beteiligten am 9. März 2010, sie seien sich darüber einig, dass der verfahrensgegenständliche Zeitraum bis zum 15. April 2009 dauere. Aufgrund eines in diesem Verfahren in einem Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 23. November 2010 geschlossenen Vergleichs erhielten die Kläger Arbeitslosengeld II als Zuschuss für die Zeit von Januar 2008 bis Dezember 2009. Punkt 3) des Vergleichs lautet: "Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass damit das gegen den Bescheid vom 18.05.2009 noch laufende Widerspruchsverfahren für den Zeitraum bis zum 31.12.2009 erledigt ist". Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vergleichs wird auf Blatt 291 der aus dem Verfahren S 18 AS 2264/07 beigezogenen Gerichtsakte verwiesen. Handschriftlich ist in der Verwaltungsakte des Beklagten auf einer Kopie des Vergleichs zu Punkt 3) undatiert vermerkt: "für den übrigen Zeitraum bitte Abhilfe-bescheid erstellen. Auch hier zur Begr. auf den Vgl. verweisen. Kostenentscheidung analog 2/3". Weiter ist vermerkt: "Der Vergleich erstreckt sich auch auf den noch anhängigen Widerspruch für den Zeitraum bis zum 31.12.2009. Achtung: Soweit sich der Widerspruch auch auf den Zeitraum nach dem 31.12.2009 bezieht, ist für diesen Abschnitt ein gesonderter Abhilfebescheid erforderlich! Bitte beiliegenden Vergleich durch Änderungsbescheid vollziehen und zusätzlich einen Abhilfebescheid für die Zeit ab dem 01.01.10 erstellen".

Am 11. Januar 2011 übersandte der Beklagte dem Prozessbevollmächtigten der Kläger den in Ausführung des gerichtlichen Vergleichs vom 23. November 2010 erlassenen Änderungsbescheid vom selben Tag sowie "für eine Weiterbewilligung ab 01.01.2010" einen Folgeantrag mit der Bitte, diesen an die Kläger weiterzuleiten, damit diese den Antrag ausfüllen und an den Beklagten zurückgeben könnten. Den auf diesem Wege ausgereichten Formularfortzahlungsantrag erhielt der Beklagte am 30. Mai 2011. Die Kläger erklärten abschließende Werte zum Einkommen des Klägers aus Selbständigkeit im Jahr 2010 (Summe der Be-triebseinnahmen: 53.438,35 EUR; Summe der Ausgaben: 42.242,90 EUR = Gewinn 11.195,45 EUR). Sie baten weiter um schnelle Bearbeitung für das Jahr 2010. Für die Zeit ab Mai bis Dezember 2011 bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 25. November 2011 vorläufig Leistungen nach dem SGB II, dabei für Mai 2011 in Höhe von 110,19 EUR für die Klägerin und 110,20 EUR für den Kläger. Im Rahmen der endgültigen Festsetzung für Mai bis Dezember 2011 beschied der Beklagte am 29. Oktober 2012 unter anderem Leistungsansprüche der Klägerin in Höhe von 19,04 EUR und des Klägers in Höhe von 19,04 EUR für Mai 2011.

Hingegen lehnte der Beklagte auf das am 30. Mai 2011 eingegangene Antragsformular die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 30. April 2011 mit Bescheid vom 28. Juli 2011 ab, weil Leistungen nicht für die Zeit vor Antragstellung erbracht würden. Gegen den Ablehnungsbescheid legten die Kläger Widerspruch ein, weil unter Punkt 3) des Vergleichs in der Sache S 18 AS 2264/07 lediglich die Erledigung des Zeitraums bis zum 31. Dezember 2009 für das noch laufende offene Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 18. Mai 2009 geregelt worden sei. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2011 zurück: Die Kläger seien im Bescheid vom 18. Mai 2009 auf die Notwendigkeit eines Fortzahlungsantrags hingewiesen worden. Auch bei vorangegangenem Bezug von Leistungen nach dem SGB II sei der Antrag erforderlich und habe konstitutive Wirkung. Der am 30. Mai 2011 eingegangene Antrag wirke nur auf den 1. Mai 2011 und nicht auf den 1. Januar 2010 zurück.

Am 14. November 2011 haben die Kläger Klage vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben und neben der Aufhebung des Bescheids vom 27. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2011 die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 30. April 2011 an sie als Gesamtgläubiger beantragt. Sie haben vorgetragen, durch den Vergleich im Verfahren S 18 AS 2264/07 sei nur ein zeitlicher Teilbereich erledigt worden. Der sich anschließende Zeitraum ab dem 1. Januar 2010 sei durch die generelle und zeitlich unbefristete Beantragung nicht erledigt, auch habe der Beklagte bislang nicht abschließend über die Zeit nach dem 1. Januar 2010 entschieden. Zudem sei der erneute Antrag vom 16. April 2009 zu berücksichtigen. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat mitgeteilt, er habe in Erinnerung, dass der Kläger im Rahmen der Erörterung – sogar auf Rückfrage des Vorsitzenden – erklärt habe, er wolle einen Leistungsantrag stellen. Das sei wohl im Zusammenhang mit der Diskussion der Frage geschehen, ob ein mündlicher Antrag bei der Behörde gelte und ob dies dort so aufgenommen oder vergessen sein könnte Der Beklagte hat erwidert, er gehe davon aus, dass mit dem Vergleich vom 23. November 2010 der Antrag vom 16. April 2009 vollumfänglich erledigt worden sei und damit kein unbeschiedener Antrag für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 30. April 2011 vorliege. Aus dem Schreiben vom 11. Januar 2011 ergebe sich keinesfalls eine noch offene Zeit ab dem 1. Januar 2010. Vielmehr werde von ihm mit jedem Bewilligungsbescheid ein Folgeantrag versandt.

Mit Urteil vom 2. Dezember 2015 hat das Sozialgericht Dessau-Roßlau der Klage (bis auf die begehrte Verurteilung zur Zahlung an die Kläger als Gesamtgläubiger) stattgegeben. Es hat ausgeführt: Für den streitigen Zeitraum liege ein Antrag vor, nämlich derjenige vom 16. April 2009. Dieser Antrag sei durch die Entscheidung vom 18. Mai 2009 nicht verbraucht. Denn aufgrund des nicht lediglich gegen die Höhe der Leistungsbewilligung gerichteten Widerspruchs sei eine Bindung im Sinne des § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht eingetreten. Hiervon seien offenbar auch die Beteiligten beim Abschluss des Vergleichs im Verfahren S 18 AS 2264/07 ausgegangen. Das ergebe sich auch aus Punkt 1) des Ver-gleichs, denn anderenfalls sei die Vereinbarung einer Leistungsgewährung bis Ende 2009 rechtswidrig. Dem Antrag auf Erlass eines Grundurteils sei zu entsprechen, weil die Kläger unmittelbar vor dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum monatlich insgesamt 416,72 EUR und im Mai 2011 110,19 EUR beziehungsweise 110,20 EUR bezogen hätten. Daher stehe zumindest mit Wahrscheinlichkeit fest, dass der Höhe nach ein Geldbetrag zu zahlen sei.

Gegen das ihm am 17. Dezember 2015 zugestellte Urteil hat der Beklagte am
8. Januar 2016 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er ausgeführt: In verfahrensrechtlicher Hinsicht sei der Antrag mit Erlass des Bewilligungsbescheids verbraucht, sofern der Hilfebedürftige die in Übereinstimmung mit § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II vorgenommene Befristung nicht mit Widerspruch und Klage angreife. Hier seien durch die Kläger nur Einzelheiten der Leistungsberechnung angegriffen worden. Der Bewilligungsbescheid verliere mit Ablauf des Bewilligungszeitraums seine Wirksamkeit. Ein neues Verwaltungsverfahren könne nur durch einen Folgeantrag eingeleitet werden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 2. Dezember 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verbleiben bei ihrer Ansicht zu einem auch nach Abschluss des Vergleichs in der Sache S 18 2264/07 für den hier verfahrensgegenständlichen Zeitraum noch nicht beendeten Verwaltungsverfahren. Außerdem sei ein (weiterer) mündlicher Antrag gestellt worden. Das sei durch die Übersendung von Antragsunterlagen durch den Beklagten belegt.

Die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten des Sozialgerichts Dessau-Roßlau zum Verfahren S 18 AS 2264/07 und die Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen. Ihr Inhalt ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Senats gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt dieser Akten ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Dabei kommt es auf die wertmäßige Beschwer des Beklagten nicht an. Die Berufung findet hier gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statt, weil sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Form von Arbeitslosengeld II für einen Zeitraum von 16 Monaten und damit laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau, mit dem dieses den Bescheid des Beklagten vom 28. Juli 2011 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheids vom 14. Oktober 2011 aufgehoben und den Beklagten dem Grunde nach zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 30. April 2011 verurteilt hat. Nicht zu entscheiden ist über einen Leistungsanspruch der Tochter der Klägerin, die in diesem Zeitraum Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Kläger war. Für diese ist am 14. November 2011 keine Klage erhoben worden, weshalb sich das angegriffene Urteil nicht zu deren Leistungsansprüchen verhält. Der Beklagte ist folglich bezogen auf Leistungsansprüche der Tochter der Klägerin durch die Entscheidung des Sozialgerichts Dessau-Roßlau nicht beschwert.

Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Dessau-Roßlau hat den Beklagten in dem angegriffenen Urteil zu Recht verurteilt, den Klägern Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 30. April 2011 zu gewähren. Allerdings ist im Hinblick auf die Klägerin bereits der dieses Begehren ablehnende Bescheid des Beklagten vom 18. Mai 2009 in der Fassung des Bescheids vom 28. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2011 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Für den Kläger gilt dies, als für ihn nicht mit Bescheid vom
18. Mai 2009, sondern mit Bescheid vom 19. Juni 2009 Leistungen nach dem SGB II ab Juli 2009 abgelehnt worden sind. Leistungsansprüche der Kläger im verfahrensgegenständlichen Zeitraum scheiden nicht in jeglicher Hinsicht von vornherein aus (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 105/11 R - juris, Rn. 12). Zutreffend haben die Kläger insoweit mit ihrer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG lediglich den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) beantragt und hat das Sozialgericht Dessau-Roßlau über einen solchen Antrag entschieden.

Einem Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem SGB II – hier als Arbeitslosengeld II – steht ein fehlender (oder "verbrauchter") Antrag auf solche Leistungen nicht entgegen (dazu 1.). Die Kläger erfüllen auch die Anspruchsvoraussetzungen, die das SGB II im Hinblick auf die Gewährung von Arbeitslosengeld II aufstellt (dazu 2.).

1. Erforderlich für die Erbringung von Leistungen nach dem SGB II ist ein Antrag. Gemäß
§ 37 Abs. 1, Abs. 2 SGB II werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Antrag und nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Seit dem 1. Januar 2011 wirkt ein Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf den Ersten des Monats zurück, während zuvor lediglich ein unverzüglich gestellter Antrag auf diesen Tag zurück-wirkte, an dem die Anspruchsvoraussetzungen eintraten, der zuständige Träger von Leistun-gen nach dem SGB II aber nicht geöffnet hatte.

Der Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ist nicht nur bei einem erstmaligen Leistungsbegehren zu stellen. Das Antragserfordernis gilt vielmehr auch im Fortzahlungsfall (vgl. BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 4 AS 99/10 R - juris, Rn. 15; Urteil vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 166/11 R - juris, Rn. 15; zu den Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsan-spruchs in diesem Zusammenhang vgl. BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 4 AS 29/10 R - juris).

Für beide Kläger ist der hier maßgebliche Antrag am 16. April 2009 gestellt. Die auf diesen Antrag erlassenen Bescheide waren nicht Kraft Gesetzes gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens S 18 AS 2264/07. Solche Wirkung kommt einem ablehnenden Bescheid, der auf einen erneuten Antrag – nach ursprünglicher Ablehnung oder in die Zukunft gerichteter Aufhebung nach erfolgter Bewilligungsentscheidung – ergeht, nicht zu (vgl. BSG, Beschluss vom 19. September 2008 - B 14 AS 44/08 B - juris). Der Antrag vom 16. April 2009 ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht in dem Sinne "verbraucht", dass er keine Grundla-ge für ein Verwaltungsverfahren (beziehungsweise Verwaltungsrechtsverhältnis) bilden kann, in dem über Leistungsansprüche in der Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 30. April 2011 zu entscheiden ist. Daher kommt es auf eine Rückwirkung des Antrags vom 30. Mai 2011 ebenso wenig an wie darauf, ob der Kläger in einem Termin vor dem Sozialge-richt Dessau-Roßlau einen mündlichen Leistungsantrag formuliert hat.

Der Antrag vom 16. April 2009 wirkt auch noch für den hier verfahrensgegenständlichen Zeitraum, weil er nicht durch Bewilligungsbescheide des Beklagten "verbraucht" ist. Für die Klägerin hat der Beklagte auf den Antrag vom 16. April 2009 schon am 18. Mai 2009 einen Ablehnungsbescheid erlassen (dazu a). Für den Kläger hat der Beklagte zwar mit diesem Bescheid Leistungen bewilligt, aber zum einen vorläufig und zum anderen nicht das begehrte Arbeitslosengeld II. Letztendlich hat der Beklagte mit dem Bescheid vom 19. Juni 2009 ablehnend über den Antrag des Klägers auf Arbeitslosengeld II entschieden (dazu b).

a) Den Antrag vom 16. April 2009 hat der Beklagte für die Klägerin mit Bescheid vom
18. Mai 2009 abgelehnt. Hierzu hat er zwar im Verfügungssatz dieser Entscheidung keine ausdrück-liche Regelung getroffen. Gleichwohl ergibt sich aus dem weiteren Inhalt des Bescheids vom 18. Mai 2009, dass Leistungen nach dem SGB II für die Klägerin nicht erbracht werden sollten.

Die Ablehnung der Gewährung von Arbeitslosengeld II an die Klägerin – ein Zuschuss nach § 26 Abs. 2 SGB II kam für diese mangels abgeschlossener Versicherungen von vornherein nicht in Betracht – hat der Beklagte am 18. Mai 2009 hinreichend deutlich in der Begründung seiner Entscheidung geregelt. Das Setzen einer potentiell verbindlichen Rechtsfolge, also die Regelung eines zwischen der Behörde und dem Antragsteller bestehenden Rechtsverhält-nisses, ist Tatbestandsmerkmal eines Verwaltungsakts (§ 31 Satz 1 SGB X). Sie liegt vor, wenn durch die Entscheidung ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt oder die Begründung, Änderung, Aufhebung oder verbindliche Feststellung solcher Rechte abgelehnt wird (vgl. Engelmann in von Wulf-fen/Schütze, SGB X, Kommentar, 8. Aufl. 2014, § 31 Rn. 23). Maßgeblich ist der objektive Sinngehalt der Erklärung der Behörde, also die Antwort auf die Frage, wie der Empfänger die Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste (vgl. zur Maßgeblichkeit des objektiven Empfängerhorizonts: BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 10 RKg 4/92 - juris).

Für die Klägerin ergibt sich aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts als beabsichtigte Rechtsfolgensetzung des Beklagten durch den Bescheid vom
9. Mai 2009, dass die beantragte Gewährung von Arbeitslosengeld II ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt werden sollte. Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus dem Verfügungssatz, aber aus diesem in Zusammenschau mit drei in der Begründung und in weiteren Hinweisen (vgl. zur Regelung in Anlagen und Hinweisen: BSG, Urteil vom 10. Juli 2012 - B 13 R 85/11 R - juris, Rn. 25) erfolgten Ausführungen. Diese lauten: (1) könnten Personen Leistungen nach § 26 Abs. 2 SGB II erhalten, die keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezögen, (2) übersteige das monatliches Einkommen den Bedarf und (3) weise der Beklagte darauf hin, dass die Bewilligung des Zuschuss nach § 26 SGB II (analog) keine weiteren Leistungsansprüche nach dem SGB II begründe. In Zusammenschau mit dem Tenor der Entscheidung vom 18. Mai 2009 – nach dem nicht ihr, sondern dem Kläger ein Zuschuss zu den Beiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung gewährt werden sollte – konnte sich für die Klägerin nur ergeben, dass für sie die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt werden sollte. Bestärkt wird diese Auslegung durch die dem Antrag vom 16. April 2009 vorangegangene Aufforderung des Beklagten im Verfahren
S 18 AS 2264/07, die Kläger sollten einen neuen Leistungsantrag zu stellen, "um die Aktualität der Ablehnung prüfen zu lassen" sowie das nach Setzung der Regelung "Ablehnungsentschei-dung" am 19. Mai 2009 unterlassene weitere Betreiben eines Verwaltungsverfahrens (vgl. § 20 SGB X) bezüglich der Ansprüche der Klägerin auf den Antrag vom 16. April 2009.

Durch seinen Bescheid vom 19. Mai 2009 hat der Beklagte zwar das Verwaltungsverfahren im engeren Sinn beendet (vgl. § 8 Halbsatz 2 SGB X). Soweit der Beklagte im Hinblick auf die Beendigung eines solchen Verwaltungsverfahrens (im engeren Sinn) durch Erlass eines Verwaltungsakts meint, aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergebe sich der Verbrauch eines Antrags auf Leistungen nach dem SGB II durch Bewilligung oder Ablehnung (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 166/11 R - juris, Rn. 17), folgt auch der Senat dieser Rechtsprechung. Sie bezieht sich allerdings auf die Frage, inwieweit nach dem Ablauf eines Zeitraums, für den Leistungen nach dem SGB II bewilligt worden sind, aufgrund von § 37 Abs. 1 SGB II ein neuer Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt werden muss und betrifft die Bedeutung des Antrags für die Befugnis der Behörde zur Eröffnung eines neuen Verwaltungsverfahrens (§ 18 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Hingegen betrifft sie nicht die Frage des Verfahrensgegenstands nicht bestandskräftiger Ablehnungsentscheidungen und nachfolgender Rechtsbehelfsverfahren (die – je nach Definition des Verwaltungsverfahrens-begriffs – ggf. eine Frage des Verwaltungsrechtsverhältnisses und hieraus entstehender Rechte und Pflichten ist).

Diese Frage ist vielmehr in ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wie folgt zu beantworten: Wie auch für Klageverfahren gilt, dass die Dauer eines Bewilligungszeitraums den (verwaltungs-)verfahrensrechtlichen Streitgegenstand entsprechend begrenzt. Eine solche Begrenzung kommt aber nur in Betracht, wenn dem Widerspruchsverfahren ein Bewilligungsbescheid zugrunde liegt, mit dem dem Begehren eines Antragstellers zumindest teilweise entsprochen wird. Auf den Fall der Leistungsablehnung kann diese Begrenzung nicht übertragen werden (vgl. zur st. Rspr des BSG wegen der zeitlichen Begrenzung des Klageanspruchs: BSG, Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R - juris, Rn. 19).

Insoweit hatte der Beklagte zu dem durch den Widerspruch vom 17. Juni 2009 eröffneten Widerspruchsverfahren zunächst keine Entscheidung getroffen. Erst am 23. November 2010 hat sich das Widerspruchsverfahren insoweit erledigt, als sich die Beteiligten über Leis-tungsansprüche bis einschließlich zum 31. Dezember 2009 geeinigt haben. Damit war das Widerspruchsverfahren gleichwohl nicht beendet. Denn es erfasste einen über den
31. Dezember 2009 hinausgehenden Zeitraum. Das haben im Übrigen auch die Beteiligten in ihrem Vergleich vom 23. November 2010 erkannt, nach dessen Inhalt beide davon ausge-gangen sind, über den im Widerspruchsverfahren anhängigen Zeitraum ab dem
1. Januar 2010 sei noch zu entscheiden.

Anlass zu einer solchen Entscheidung hat der Beklagte mit dem am 30. Mai 2011 bei ihm eingegangenen Formantrag gesehen, in dem die Kläger ausdrücklich ihr weiterhin beste-hendes Leistungsbegehren für das Jahr 2010 formuliert haben. Diese Formulierung eines Leistungsbegehrens ist kein neuer Antrag für die Zeit ab dem 1. Januar 2010, sondern lediglich eine Bekräftigung des bereits am 16. April 2009 gestellten Antrags. Insoweit hat der Beklagte das noch offene Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 18. Mai 2009 beendet und den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom
14. Oktober 2011 zurückge-wiesen. Der zuvor erlassene weitere Ablehnungsbescheid vom 27. Juli 2011 war Gegenstand des Widerspruchsverfahrens (§ 86 SGG; vgl. zum weiteren Ablehnungsbescheid nach erneuter Sachprüfung: BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 - B 4 AS 37/14 R - juris, Rn. 13).

b) Dem Kläger hat der Beklagte auf den Antrag vom 16. April 2009 Leistungen nach dem SGB II bewilligt, aber nur in Form eines Zuschusses nach § 26 Abs. 2 SGB II sowie vorläufig.

Auch den Antrag des Klägers auf Arbeitslosengeld II hat der Beklagte durch Erlass des Bescheids vom 19. Mai 2009 abgelehnt. Anders als bei der Klägerin hat der Beklagte aber vorläufig Leistungen nach § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 SGB II für die Beiträge zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung beziehungsweise nach
§ 26 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB II für die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung bis zum 31. August 2009 bewilligt. Mit der vorläufigen Bewilligung von Leistungen aufgrund von § 40 Abs. 1 Nr. 1a SGB II in Verbindung mit § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III war eine endgültige Entscheidung selbst über einen nur auf diese Leistungen gerichteten Antrag nicht getroffen. Vielmehr bedurfte es einer das Verwaltungsverfahren (§ 8 SGB X) auf den ursprünglichen Leistungsantrag abschließenden Regelung (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2015 - B 14 AS 31/14 R - juris, Rn. 24).

Eine solche Regelung hat der Beklagte mit Erlass des Bescheides vom 19. Juni 2009 für die Monate Juli und August 2009 durch Aufhebung des vorläufigen Bewilligungsbescheids verfügt. Eine vorläufige Ablehnungsentscheidung sieht
§ 328 Abs. 1 SGB III nicht vor. Vielmehr kann nach dieser Regelung nur über "die Erbringung" von Geldleistungen ent-schieden werden (in diese Richtung: BSG, Urteil vom 2. Mai 2012 - B 11 AL 23/10 R - juris, Rn. 20). In der Entscheidung über die Aufhebung der Leistungsgewährung für die Zukunft mit Bescheid vom 19. Juni 2009 liegt somit zugleich eine endgültige Ablehnung des Leis-tungsantrags für den Kläger, die sowohl die Leistungen nach § 26 SGB II als auch das begehrte Arbeitslosengeld II betrifft. Nicht anders können die Ausführungen des Beklagten unter den Punkten "Hinweise: Kranken- und Rentenversicherung: Da Ihnen keine Leistungen nach dem SGB II gewährt werden " sowie "Meldung beitragsfreier Zeiten bei der Rentenver-sicherung: Voraussetzung ist, dass sich bei der Agentur arbeitslos melden und Ihr Vermitt-lungsgesuch im Abstand von drei Monaten erneuern, sowie Arbeitslosengeld II wegen fehlender Hilfebedürftigkeit nicht beziehen." verstanden werden.

Daher erfasste auch das zwischenzeitlich durch Widerspruch vom 17. Juni 2009 gegen den Bescheid vom 18. Mai 2009 eröffnete Widerspruchsverfahren die gesamte Zeit bis zum Erlass eines Widerspruchsbescheids oder einer anderen den Bescheid vom
19. Juni 2009 (vgl. zur Einbeziehung eines endgültigen Festsetzungsbescheids in das Rechtsbehelfsver-fahren gegen die vorläufige Entscheidung: BSG, Urteil vom 19. August 2015 - B 14 AS 13/14 R - juris, Rn. 16) erledigenden Regelung. Für die Zeit bis zum
31. Dezember 2009 haben die Beteiligten eine solche Regelung im Vergleich vom
23. November 2010 getroffen. Demge-genüber stand der Abschluss des Widerspruchsverfahrens für die Zeit ab Januar 2010 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids vom 14. Oktober 2011 auch für den Kläger noch aus.

2. Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem SGB II – hier im Hinblick auf Arbeitslosengeld II – sind § 19 Satz 1 in Verbindung mit §§ 7, 9 und §§ 20, 21 und 22 SGB II. Für die Zeit ab dem 1. Januar 2011 gelten § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 in Verbindung mit §§ 20, 21 und 22 SGB II. Nach diesen Vorschriften erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) beziehungsweisen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung umfassende Leistungen (§ 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II in der ab dem
1. Januar 2011 geltenden Fassung).

Die Kläger erfüllten im verfahrensgegenständlichen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Nach dieser Vorschrift erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,

2. erwerbsfähig sind,

3. hilfebedürftig sind und

4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben

(erwerbsfähige Hilfebedürftige).

Die 1968 geborene Klägerin und der 1952 geborene Kläger hatten im verfahrensgegen-ständlichen Zeitraum das Lebensalter von 67 Jahren beziehungsweise 65 Jahren und sechs Monaten noch nicht vollendet. Sie waren erwerbsfähig und hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Mithin erfüllten sie die Voraussetzungen der
§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II.

Nach der für den Erlass eines Grundurteils erforderlichen Gewissheit steht auch fest, dass die Kläger hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II waren.

Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht

1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit

2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen

sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 bis 3 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverhei-rateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig.

Die Kläger bildeten als verheiratete Hilfebedürftige eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des
§ 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II. Die hier nicht verfahrensbeteiligte im Oktober 1993 geborene Tochter war ebenfalls Mitglied dieser Bedarfsgemeinschaft, weil sie als dem Haushalt angehörendes unverheiratetes und unter 25 Jahre altes Kind der Klägerin die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen decken konnte, § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II. Sie verfügte lediglich über Einnahmen aus Kindergeld und Halbwaisenrente in Höhe von monatlich insgesamt 258,32 EUR. Dieses Einkommen war ihr zwar aufgrund von § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II vollständig bei der Erfassung des eigenen Hilfebedarfs zuzuordnen. Mit 258,32 EUR konnte sie aber schon den Regelbedarf in Höhe von 287,00 EUR (bis zum 31. Dezember 2010) beziehungsweise 291,00 EUR (ab dem 1. Januar 2011) nicht decken.

Für die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ermitteln sich die Bedarfe im Jahr 2010 – ausgenommen der Monate März, September und November, in denen zusätzliche Bedarfe zu berücksichtigen waren – wie folgt:

Klägerin

Kläger

Tochter

Regelbedarf

323,00 EUR

323,00 EUR

287,00 EUR

+

1/3 KdU1

121,47 EUR

121,47 EUR

121,47 EUR

+

1/3 KdH2

16,05 EUR

16,05 EUR

16,06 EUR

=

Bedarf

460,52 EUR

460,52 EUR

424,53 EUR

-

Kindereinkommen

258,32 EUR

=

Bedarf nach Kindereinkommen

460,52 EUR

460,52 EUR

166,21 EUR

1.087,25 EUR

1 Kosten der Unterkunft: 218,06 EUR+ 66,35 EUR + 80 EUR = 364,41 EUR

2 Kosten der Heizung: 65 EUR - 5,83 EUR - 5,83 EUR- 5,18 EUR = 48,16 EUR

In Anbetracht der im Verfahren S 18 AS 2264/07 für das Jahr 2009 vorgelegten Erklärung zu den Einnahmen aus dem Gewerbebetrieb in Höhe von 60.291,13 EUR und einem Gewinn von 13.214,55 EUR, den die Beteiligten mit einem monatlichen Betrag von 1.101,21 EUR als Einkommen zugrunde gelegt haben, bestehen keine Zweifel an einer Hilfebedürftigkeit der Kläger. Auch von dem Gewinn im Jahr 2010 in Höhe von 11.195,45 EUR (= 932,95 EUR im Monat) verbleibt nach Absetzung der Einkommensfreibeträge einschließlich des titulierten und an die Tochter des Klägers gezahlten Unterhalts bis einschließlich März 2010 ein laufendes monatliches Einkommen in Höhe von 198,77 EUR. Das ergibt sich aus folgender Berechnung:

Bruttoeinkommen (Gewinn)

932,95 EUR

-

Rentenversicherungsbeitrag

§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3b SGB II

283,06 EUR

-

Versicherungspauschale

§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V

30,00 EUR

-

Werbungskostenpauschale

§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 3a Alg II-V

15,33 EUR

-

Unterhalt

§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II

252,50 EUR

-

Freibetrag 1. Stufe

§ 30 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB II

140,00 EUR

-

Freibetrag 2. Stufe

§ 30 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB II

13,29 EUR

=

Anrechenbares Einkommen

198,77 EUR

Im April 2010 verringert sich das anzurechnende Einkommen des Klägers aus der Erwerbs-tätigkeit weiter durch die Erhöhung der Zahlungen auf die kapitalbildende Rentenversicherung. Im Jahr 2011 erhöhten sich die Bedarfe wegen der Erhöhung der Regelbedarfe zum 1. Januar 2011 und der Erhöhung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ab dem 1. März 2011.

Wegen der Differenz zwischen dem Bedarf nach Gesamteinkommen (899,48 EUR) und dem anrechenbaren Einkommen des Klägers (198,77 EUR) wirken sich nachfolgend erzielte Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie die Einnahmen aus Wohngeld nicht in einem Umfang anspruchsschädlich aus, der berechtigterweise annehmen lassen könnte, Leistungsansprüche der Kläger würden im verfahrensgegenständlichen Zeitraum in jeglicher Hinsicht von vornherein ausscheiden. Insoweit hat das Sozialgericht Dessau-Roßlau zutreffend aus der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab Mai 2011 den Schluss gezogen, auch für die ersten vier Monate des Jahres 2011 stehe kein bedarfsdeckendes Einkommen zur Verfügung. Weil zudem Vermögen in einer die Freibeträge übersteigenden Höhe nicht vorliegt, hat das Sozialgericht Dessau-Roßlau ebenfalls zu Recht durch Erlass eines Grundurteils entschieden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 SGG genannten Zulassungsgründe vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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