L 9 KR 239/17 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 7 KR 399/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 239/17 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Zu den Maßstäben für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

2. Bezugnahme auf L 9 KR 504/14 B ER:

a) Die Arbeitsunfähigkeit muss durch einen Arzt, aber nicht zwingend durch einen Vertragsarzt festgestellt werden; dieser muss für die Feststellung die dafür vorgesehenen Vordrucke nach § 5 Abs. 1 oder § 6 Abs. 1 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie nicht verwenden.

b) Wenn ein Arzt einer stationären Einrichtung einem Versicherten bei der Entlassung aus stationärer Krankenhausbehandlung Arbeitsunfähigkeit ohne genaue Angabe des Endzeitpunkts bescheinigt und diese Bescheinigung der Krankenkasse übersendet, ist davon auszugehen, dass die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit jedenfalls den Zeitraum zwischen der Entlassung und dem Eingang bei der Krankenkasse umfassen soll.

3. Bezugnahme auf Bundessozialgericht, Urteil vom 11. Mai 2017, B 3 KR 22/15 R: Erweiterung der bislang in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle zu § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V namentlich für diejenigen Fälle, in denen keine Zweifel an der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit im maßgeblichen Zeitraum vorliegen und keinerlei Anhaltspunkte für einen Leistungsmissbrauch ersichtlich sind.
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 20. März 2017 aufgehoben. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für den Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Potsdam unter Beiordnung seines o.g. Prozessbevollmächtigten ohne Festsetzung von Ratenzahlungen gewährt. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 20. März 2017, mit dem dieses die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klage abgelehnt hat, mit der er die Gewährung von Krankengeld über den 10. Juni 2016 hinaus verfolgt, ist gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 127 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowie §§ 172 und 173 SGG zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten für den Rechtsstreit vor dem Sozialgericht.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der ZPO entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO). Dabei hat das angerufene Gericht die Erfolgsaussicht regelmäßig ohne abschließende tatsächliche und rechtliche Würdigung des Streitstoffes zu beurteilen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) soll die Prüfung der Erfolgsaussicht im Rahmen des § 114 ZPO nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern. Dieses darf nicht an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten, weil das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz fordert, nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen soll (BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Februar 2008, 1 BvR 1807/07, zitiert nach juris, sowie BVerfGE 81, 347, 357). Im Hinblick auf die fehlende Aussicht auf Erfolg einer Klage oder eines Antrages im vorläufigen Rechtsschutzverfahren darf Prozesskostenhilfe nur verweigert werden, wenn die Klage bzw. der Antrag (bei summarischer Prüfung) völlig aussichtslos ist oder ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine Entfernte ist (BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2005, 1 BvR 175/05; LSG Berlin-Brandenburg, 1. Senat, Beschluss vom 10. März 2006, L 1 B 1150/05 KR PKH, jeweils zitiert nach juris).

Danach stand der Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch das Sozialgericht eine fehlende Erfolgsaussicht der Klage nicht entgegen.

Der Kläger befand sich bis einschließlich 10. Juni 2016 (Freitag) in teilstationärer Behandlung beim A Fachklinikum T, offenbar – das ist den Akten bislang nicht hinlänglich zu entnehmen – aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung. Ein bei dem Verwaltungsvorgang der Beklagten befindlicher Datenbankauszug (Ausdruck vom 30. August 2016) verzeichnet insoweit, dass der Kläger am 10. Juni 2016 "als arbeitsunfähig" entlassen wurde. Er bemühte sich nach seinem Vorbringen noch vor seiner Entlassung um einen Termin bei der ihn behandelnden Psychiaterin Dr. H, um eine lückenlose Fortsetzung seiner ärztlichen Behandlung sowie der Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit sicherzustellen. Ein solcher Termin habe ihm erst für Dienstag, 14. Juni 2016 angeboten werden können. An jenem Tag sprach der Kläger in der Arztpraxis vor und erhielt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die auf den 13. Juni 2016 rückdatiert war. Unter Hinweis auf § 46 Satz 1 Nr. 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ließ die Beklagte dies nicht genügen und lehnte die Weitergewährung von Krankengeld nach dem 10. Juni 2016 ab, weil es zu einer Lücke in der Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit gekommen sei und damit die nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V fortbestehende Mitgliedschaft mit Anspruch auf Krankengeld ihr Ende gefunden habe. In seinem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss vom 20. März 2017 hat das Sozialgericht Potsdam die Sichtweise der Beklagten für rechtlich beanstandungsfrei erklärt.

Diese Entscheidung wird den bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe und der Handhabung von § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V anzulegenden Maßstäben nicht gerecht.

So ist zum einen nicht auszuschließen und bedarf der weiteren Sachaufklärung, ob nicht eine nahtlose Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit dadurch vorlag, dass das A Fachklinikum T der Beklagten zeitnah bei Entlassung des Klägers am 10. Juni 2016 mitteilte, dass dieser arbeitsunfähig sei. Denn offensichtlich hat die Beklagte von der Klinik eine entsprechende Mitteilung erhalten. Schon in dieser könnte die erforderliche, nicht weiter formgebundene "ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit" im Sinne von § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V liegen. Insoweit hat der Senat unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bereits entschieden, dass die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt, aber nicht zwingend durch einen Vertragsarzt festgestellt werden muss und dieser für die Feststellung die dafür vorgesehenen Vordrucke nach § 5 Abs. 1 oder § 6 Abs. 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie - AU-RL) nicht verwenden muss. Wenn ein Arzt einer stationären Einrichtung einem Versicherten bei der Entlassung aus stationärer Krankenhaus- oder Rehabilitationsbehandlung Arbeitsunfähigkeit ohne genaue Angabe des Endzeitpunkts bescheinigt und diese Bescheinigung der Krankenkasse übersendet, ist davon auszugehen, dass die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit jedenfalls den Zeitraum zwischen der Entlassung und dem Eingang bei der Krankenkasse umfassen soll (Beschluss vom 2. April 2015, L 9 KR 504/14 B ER, zitiert nach juris, dort Rdnr. 7).

Unabhängig davon muss das Sozialgericht den Sachverhalt im Lichte der zwischenzeitlich ergangenen neuesten Rechtsprechung des nunmehr für Krankengeldrecht alleinzuständigen 3. Senats des Bundessozialgerichts würdigen. Dieser hat in einem Urteil vom 11. Mai 2017 (siehe Terminbericht vom 12. Mai 2017 auf der Internetseite des Bundessozialgerichts, B 3 KR 22/15 R) entschieden, dass die bislang in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle zu § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V unter näher zu prüfenden Voraussetzungen zu erweitern seien, und zwar namentlich für diejenigen Fälle, in denen – wie vorliegend – , keine Zweifel an der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit im maßgeblichen Zeitraum vorliegen und keinerlei Anhaltspunkte für einen Leistungsmissbrauch ersichtlich sind.

Aus den genannten Gründen ist dem Kläger Prozesskostenhilfe für den Rechtsstreit vor dem Sozialgericht zu gewähren; seine Bedürftigkeit hat er hinreichend dargelegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 73 a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177).
Rechtskraft
Aus
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