L 8 AY 18/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 AY 41/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 18/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Anspruch auf Mehrbedarf entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII für Leistungsbezieher nach §§ 3 f. AsylbLG ist nicht gegeben.
2. Es ist grundrechtlich und europarechtlich nicht zu beanstanden, für die Zeitdauer der ersten 15 Monate des Aufenthalts in Deutschland eine abweichende Bedarfslage anzunehmen, insbes. auch für den Mehrbedarf für Alleinerziehende.
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 21. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1988 geborene Klägerin (die Bezeichnung der Beteiligten aus der 1. Instanz wird beibehalten) begehrt die Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende im Zugunstenverfahren.

Die Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige und lebt zusammen mit ihrem am 25.07.2014 geborenen Kind, das sie alleine aufzieht. Sie verfügt über eine Aufenthaltsgestattung. Nachdem sie am 02.07.2014 einen Asylantrag gestellt hatte, bezog sie bis zum 02.10.2015 Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Seit dem 03.10.2015 erhält die Klägerin sog. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG. Die Tochter der Klägerin, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, erhält Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII.

Am 14.01.2015 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die bereits bestandskräftigen Bescheide über Leistungen nach dem AsylbLG gemäß § 44 SGB X zu überprüfen und neu über die Leistungen im Hinblick auf die Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII zu entscheiden und ihr ab sofort einen Mehrbedarf für Alleinerziehende gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zu gewähren. Auch bei Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG sei ein Mehrbedarf für Alleinerziehende in entsprechender Anwendung des § 30 Abs. 3 SGB XII als unerlässliche Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes und der Gesundheit anzuerkennen. Denn bei diesem Mehrbedarf handele es sich um einen bei Alleinerziehenden typischerweise auftretenden atypischen Bedarf. Dieser Mehrbedarf entstehe, weil Alleinerziehende wegen der Sorge für ihre Kinder typischerweise weniger Zeit hätten, preisbewusst einzukaufen und zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssten. Diese Sonderbedarfe könnten aus den zur Deckung des notwendigen Lebensunterhalts gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG nicht gedeckt werden. Der Gesetzgeber dürfe nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (18.07.2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11) bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Dies sei nur möglich, sofern der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG von dem anderer Bedürftiger signifikant abweichen würde. Die Anknüpfungstatsachen geringe Beweglichkeit, zusätzliche Aufwendungen für die Kontaktpflege und zusätzliche Aufwendungen für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter lägen bei Alleinerziehenden im Leistungsbezug nach § 3 AsylblG und nach dem SGB II gleichermaßen vor. Zwar treffe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Mehrbedarf keine Aussage, jedoch könnten auf der Grundlage des § 6 AsylbLG auch die laufenden Mehrbedarfe analog zum SGB XII beansprucht werden. Das Ermessen nach § 6 AsylbLG sei auf Null reduziert, den Alleinerziehenden-Zuschlag zu gewähren. Da kein sachlicher Rechtfertigungsgrund für eine Ungleichbehandlung vorliege, verstoße eine Weigerung, einen pauschalen Mehrbedarf auf Grundlage des § 6 AsylbLG entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII anzuerkennen, gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Der Beklagte lehnte die Bewilligung eines pauschalierten Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung ab dem 14.01.2015 mit Bescheid vom 09.02.2015 ab. Mit Bescheid gleichen Datums wurde aufgrund des Antrags auf Überprüfung gem. § 44 SGB X die rückwirkende Bewilligung eines pauschalierten Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung abgelehnt. Zwar sei der Überprüfungsantrag formell zulässig, der Antrag sei erst für die Zeit vor dem 01.01.2014 verfristet unter entsprechender Anwendung von § 116 a SGB XII i. V. m. §§ 9 Abs. 3 AsylbLG, 44 Abs. 4 S. 1 SGB X. Die rückwirkende Bewilligung von Leistungen sei jedoch aus materiell-rechtlichen Gründen abzulehnen. Die Bewilligung eines pauschalierten Mehrbedarfs für Alleinerziehende entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII sei in den §§ 3 bis 7 AsylbLG nicht vorgesehen. Eine einzelfallbezogene Leistung für Alleinerziehende könne im Rahmen des § 6 AsylbLG ebenfalls nicht gewährt wird. Dies sei nur möglich, wenn Bedarfe bestünden, die im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich, zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich seien. Derlei sei nicht konkret dargestellt worden.

Gegen den Überprüfungsbescheid vom 09.02.2015 legte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 10.03.2015 Widerspruch ein und wiederholte die im Antrag formulierte Begründung. Gegen den weiteren Bescheid vom 09.02.2015 betreffend die Leistungen ab dem 14.01.2015 wurde ebenfalls Widerspruch eingelegt, das Widerspruchsverfahren wurde ruhend gestellt. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Niederbayern vom 02.09.2015 als unbegründet zurückgewiesen. Eine Pauschalierung des durch Alleinerziehung bedingten Mehrbedarfs nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG sei ausgeschlossen. Eine Pauschalierung des Mehrbedarfs sei auch nicht verfassungsrechtlich geboten.

Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 17.09.2015 Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) erhoben und beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 09.02.2015 und des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2015 zu verpflichten, der Klägerin ab 25.07.2014 Leistungen nach dem AsylbLG unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII zu gewähren.

Das Ermessen nach § 6 AsylbLG sei auf Null reduziert, den Alleinerziehenden-Zuschlag zu gewähren. Eine andere verfassungskonforme Auslegung sei nicht denkbar, da eine Alleinerziehende, die lediglich Grundleistungen nach § 3 AsylbLG beziehe, den gleichen Einschränkungen unterliege wie Alleinerziehende, die sog. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG oder Leistungen nach dem SGB II oder XII erhielten. Für diese bestünde jedoch unstreitig ein Anspruch auf Mehrbedarf. Ein sachlicher Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung liege nicht vor. Auch stelle der Mehrbedarf nach einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (BT-DRS. 18/1628) einen Ausgleich dafür dar, dass die Regelbedarfe für Kinder nach dem SGB II und SGB XII aus den Verbrauchsangaben von Familienhaushalten ermittelt würden, die Kosten für die Haushaltsführung jedoch größtenteils bei der Regelbedarfsstufe 1 berücksichtigt würde.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Ein Anspruch auf pauschalierte Mehrbedarfsleistungen analog § 30 Abs. 3 SGB XII bestehe nicht. Ein unerlässlicher Bedarf, der im Einzelfall entstanden sei und nach § 6 Abs. 1 SGB XII gedeckt werden könne, sei nicht konkret dargelegt worden.

Die Klage ist mit Gerichtsbescheid vom 21.10.2015 als unbegründet abgewiesen worden. Ein Anspruch auf pauschalierte Mehrbedarfsleistungen für Alleinerziehende könne nicht aus einer analogen Anwendung von § 30 Abs. 3 SGB XII hergeleitet werden. Die richterliche Rechtsfortbildung im Wege der Analogie dürfe nur Platz greifen, wenn das Gericht aufgrund einer Betrachtung des einfachen Gesetzestextes eine Regelungslücke festgestellt habe und der nicht geregelte Sachverhalt mit dem geregelten vergleichbar sei. Dagegen sei es den Gerichten in Fällen eindeutig normativer Entscheidungen verwehrt, diese aufgrund eigener rechtspolitischer Überlegungen durch eine judikative Lösung zu ersetzen. Eine im Wege der Analogie zu schließende Gesetzeslücke liege nur vor, wenn der Anwendungsbereich der Norm wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck nicht vereinbaren Regelungsversäumnisses unvollständig sei und sich aufgrund einer Gesamtwürdigung feststellen lasse, dass der Gesetzgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er diesen bedacht hätte (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28.07.2010, 1 BvR 2133/08, BVerwG, Urteil vom 25.04.2013, 6 C 5.12, BSG, Urteil vom 27.05.2014, B 8 SO 1/13 R). Eine im Wege der Analogie zu schließende Gesetzeslücke liege nicht vor. Der Gesetzgeber habe im AsylbLG bewusst von einer entsprechenden Mehrbedarfsregelung Abstand gehalten. Er habe mit § 6 AsylbLG lediglich eine leistungsrechtliche Auffangvorschrift geschaffen, mit der zusätzlicher Mehrbedarf aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles anerkannt werden könne. Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte daneben ein ergänzender Rückgriff auf Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz nicht in Betracht kommen. Auch § 6 AsylbLG sei keine Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin. Die Vorschrift sei als restriktiv auszulegende Ausnahmebestimmung für außergewöhnliche und atypische Bedarfsfälle konzipiert und daher von vornherein nicht geeignet, strukturelle Leistungsdefizite im Regelbereich des § 3 AsylbLG zu kompensieren. Daher lasse sich ein Anspruch auf einen pauschalen Mehrbedarf wegen Alleinerziehung nicht auf § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gründen. Ein solcher wäre dem AsylbLG auch systemfremd, da Grundgedanke die konkret-individuelle Bedarfsdeckung durch Sachleistungen sei. Auch Leistungen nach § 6 AsylbLG seien nach § 6 Abs. 1 S. 2 AsylbLG vorrangig als Sachleistungen zu gewähren. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände könnten Leistungen als Geldleistung gewährt werden. Ein konkreter auf den Umstand der Alleinerziehung zurückzuführender unerlässlicher Mehrbedarf sei nicht nachgewiesen worden. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz sei nicht zu erkennen. Abweichendes ergebe sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10). Das Gericht habe sich dort nicht zur Frage der Auslegung des § 6 AsylbLG verhalten. Soweit die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage (BT-Drs. 18/1628) mitteile, dass die im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes im Jahr 1985 verankerten Vorschriften und Begründungen zur Einführung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende für die heutige Regelbedarfssystematik ohne Bedeutung sei, rechtfertige dies keine abweichende Bewertung. Denn es sei für die Frage eines pauschalierten Leistungsanspruches nach § 6 AsylblG oder einer konkret-individuellen Betrachtungsweise ohne Belang, welche Gründe der Gesetzgeber für die Zuerkennung eines pauschalierten Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung in anderen Existenzsicherungssystemen gibt.

Gegen den am 28.10.2015 zugestellten Gerichtsbescheid des SG hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 25.11.2015 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt und zur Begründung die Ausführungen der ersten Instanz wiederholt.

In der mündlichen Verhandlung am 18.07.2017 begründet der Prozessbevollmächtigte der Klägerin weiter, dass der Mehrbedarf primär zur Sicherung des physischen Existenzminimums gewährt werde. Ein solcher sei seiner Natur nach nicht konkret bezifferbar.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Abänderung des Gerichtsbescheides vom 21.10.2015 und des Bescheides des Beklagten vom 09.02.2015 sowie des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2015 zu verpflichten, der Klägerin für den Zeitraum 25.07.2014 bis13.01.2015 Leistungen nach dem AsylbLG unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende in Höhe von 140,76 Euro monatlich bzw. 143,64 Euro monatlich ab 01.01.2015 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Vervollständigung des Sachverhalts wird auf die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten und die Widerspruchsakte der Regierung von Niederbayern verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht gemäß § 151 SGG am 25.11.2015 gegen den am 28.10.2015 zugestellten Gerichtsbescheid erhoben. Sie ist auch gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750.-Euro übersteigt. Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII für den Zeitraum 25.07.2014 bis 13.01.2015 in Höhe von monatlich 140,76 Euro im Jahr 2014 sowie 143,64 Euro im Jahr 2015. Insgesamt begehrt die Klägerin damit weitere Leistungen i. H. v. 798,88 Euro (140,76 Euro x 5 plus 7/30 von 140,76 Euro plus 13/30 von 143,64 Euro).

B.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. I.

Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 09.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Niederbayern vom 02.09.2015, mit dem der Beklagte aufgrund des Überprüfungsantrages gemäß § 44 SGB X die rückwirkende Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende unter Aufhebung/Änderung der bestandskräftigen Leistungsbescheide abgelehnt hat. Streitgegenständlicher Zeitraum ist entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der Zeitraum vom 25.07.2014 bis 13.01.2015.

II.

1. Der Antrag der Klägerin war gem. § 123 SGG dahingehend auszulegen, dass die Klägerin die Aufhebung des Überprüfungsbescheides sowie die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung der zur Überprüfung gestellten Leistungsbescheide und Neuverbescheidung mit Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende im streitigen Zeitraum begehrt. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG. Das Gericht hat auf Anfechtungsklage über die Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs auf Rücknahme des Verwaltungsaktes zu entscheiden, mit der damit verbundenen Verpflichtungsklage wird die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des früheren Verwaltungsaktes und der Erlass des beantragten Verwaltungsaktes verfolgt (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Aufl., § 54 Rn. 20 c). Da die Klägerin von einer Ermessensreduzierung auf Null bzgl. des Leistungsanspruches aus § 6 AsylbLG ausgeht, wäre im Falle des Obsiegens die Verpflichtung des Beklagten zum Erlass des beantragten Verwaltungsaktes nach § 131 Abs. 2 Satz 1 SGG auszusprechen gewesen (Keller a. a. O., Rn. 29).

2. Die Klägerin hat jedoch bereits keinen Anspruch auf Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 09.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2015. Anspruchsgrundlage für das Überprüfungsbegehren stellt § 9 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 und S. 2 AsylbLG, § 44 Abs. 1.S. 1 SGB X dar. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist.

a. Der Beklagte hat hier zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Sachprüfung angenommen und eine solche durchgeführt. Der Antrag auf Überprüfung wurde am 14.01.2015 für die Zeit ab 25.07.2014 gestellt, so dass die Einjahresfrist des § 9 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 AsylbLG i. V. m. § 44 Abs. 4 S. 1 SGB X für die rückwirkende Erbringung von Leistungen gegeben gewesen wäre. Da eine konkrete rechtliche Fragestellung (Anspruch auf Mehrbedarf) benannt wird, stellt dies den erforderlichen Antrag auf Einzelfallüberprüfung dar, (BSG, Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 22/13 R). Denn für ein Prüfanliegen nach § 44 SGB X ist es erforderlich, dass eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung benannt wird, die überprüft werden soll. Hier werden konkrete, zur Überprüfung gestellte Bescheide nicht benannt (die zugrundeliegenden Leistungsbescheide für den streitigen Zeitraum 25.07.2014 bis 13.01.2015 datieren auf den 09.09.2014, der den Bescheid vom 22.07.2014 ersetzt, 03.12.2014 und 09.11.2015), der Antrag geht auf Überprüfung der bestandskräftigen Bescheide und Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 3 SGB XII, somit eine konkrete Rechtsfrage. Diese bestimmt den Umfang des Überprüfungsauftrags und der Überprüfungspflicht durch die Behörde, so dass der Beklagte die (nicht konkret bezeichneten) zugrundeliegenden Bescheide aufgrund des klaren Überprüfungsantrags nur auf einen möglichen Anspruch auf Mehrbedarf entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII zu überprüfen hatte.

b. Der Beklagte hat im Rahmen der Überprüfung zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen entsprechend § 30 Abs. 3 SGB XII und damit die Rücknahme der bestandskräftigen Leistungsbescheide insoweit abgelehnt. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Deckung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende in entsprechender Anwendung von § 30 Abs. 3 SGB XII.

Der Senat sieht von einer Wiederholung der Gründe des Gerichtsbescheides vom 21.10.2015 ab und macht sich diese nach eigener rechtlicher Überprüfung gem. § 153 Abs. 2 SGG zu eigen. Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:

aa. Eine analoge Anwendung von § 30 Abs. 3 SGB XII im Rahmen einer Leistungsgewährung in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts in Deutschland nach § 3 AsylbLG scheidet auch aus folgenden Gründen aus: § 9 Abs. 1 AsylbLG schließt Leistungen nach dem SGB XII für Asylbewerber explizit aus. Die analoge Anwendung der Vorschriften über den pauschalierten Mehrbedarf für Alleinerziehende war weder in der bis 28.02.2015, noch in den ab 01.03.2015 oder ab 24.10.2015 geltenden Fassungen des AsylbLG im Rahmen der Leistungsgewährung nach § 3 AsylbLG vorgesehen. Nachdem in den weiteren Gesetzgebungsverfahren des AsylbLG (Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 16.03.2016, Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 29.07.2016 und Integrationsgesetz vom 05.08.2016) auf die Einführung der im Leistungssystem des SGB II und SGB XII gewährten Mehrbedarfe bewusst verzichtet wurde, liegt eine klare gesetzgeberische Entscheidung hierzu vor. Zutreffend hat das SG deshalb ausgeführt, dass keine gesetzgeberische Regelungslücke vorliegt, die im Wege der Analogie zu schließen sei. Der Gesetzgeber hat in § 6 AsylbLG eine leistungsrechtliche Auffangvorschrift geschaffen, mit der zusätzliche Bedarfe auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalles zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder der Gesundheit anerkannt und primär mit Sachleistungen gedeckt werden können. Danach kann auch ein konkret geltend gemachter und nachgewiesener Mehrbedarf gewährt werden. Den ergänzenden Rückgriff auf pauschale Leistungen nach dem SGB XII hat der Gesetzgeber unmissverständlich für die Dauer des Bezugs von Leistungen nach § 3 AsylbLG ausgeschlossen.

Die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf den geltend gemachten pauschalen Mehrbedarf bei Alleinerziehung hat, beantwortet sich damit eindeutig aus §§ 6, 9 AsylbLG. Weiterhin steht einem Anspruch auf die Gewährung einer pauschalen Geldleistung zur Deckung eines Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung entgegen, dass ein solcher dem AsylbLG im Rahmen der Leistungsgewährung nach § 3 AsylbLG systemfremd ist, da nach diesem Gesetz eine konkret individuelle Bedarfsdeckung durch (vorrangige) Sachleistungen erfolgt. Zutreffend hat das SG insoweit auf die Entscheidung des BSG vom 20.12.2012, B 7 AY 1/11 R verwiesen, in dem zu den Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise im AsylbLG Geldleistung anstelle der vorrangig zu erbringenden Sachleistungen zu erbringen sind, Stellung genommen wird. Sogar die früher im Schrifttum vertretene einzelne Rechtsauffassung, wonach bei dem vergleichbaren Bedarf werdender Müttern nach der 12. Schwangerschaftswoche in Anlehnung an § 30 Abs. 2 SGB XII ein Mehrbedarf gleichsam typisierend zu unterstellen sei, wird nicht mehr vertreten (vgl. Ferichs in Schlegel/Voelzke, juris-PK- SGB XII, Stand 22.05.2017, § 6 AsylbLG, Rn. 53.1).

bb. Zutreffend hat das SG auch ausgeführt, dass die sozialpolitische Entscheidung des Gesetzgebers, wegen des Alleinerziehenden-Mehrbedarfes im SGB II und SGB XII pauschale Geldleistungen zu gewähren und andererseits im AsylbLG eine konkret individuelle Bedarfsdeckung vorzusehen, unter Grundrechtsgesichtspunkten nicht zu beanstanden sei. Der Senat schließt sich den Ausführungen des SG an. Berücksichtigt werden muss zudem, dass auch das AsylbLG zwei Leistungsformen vorsieht, abhängig von der Dauer des Aufenthalts. So werden Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, die primär als Sachleistungen konkret-individuell gewährt werden, in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts in Deutschland gewährt, ab dem 16. Monat besteht gem. § 2 AsylbLG ein Anspruch auf die pauschale Gewährung von Geldleistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII, auch bzgl. der Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII, jedenfalls bei dezentraler Unterbringung. Auch diese Differenzierung ist nach Überzeugung des Senats verfassungskonform. Dies gilt auch im Hinblick auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10. Dort hat das BVerfG ausgeführt, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ein Menschenrecht sei, das deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zustehe (Rn. 62 f.). Weiter stellt das BVerfG klar, dass der Umfang des Leistungsanspruchs auf Existenzsicherung nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden könne. Auch wurde der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums bestätigt. So bleibe es dem Gesetzgeber unter anderem überlassen, ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichere. Weiterhin wird betont, dass der Gestaltungsspielraum enger sei, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiere und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gehe.

Der Mehrbedarf für Alleinerziehende ist nicht - wie die Klägerin hat vortragen lassen - primär zur Sicherung der physischen Existenz erforderlich, sondern soll vielmehr einen pauschal angenommenen Mehrbedarf für soziale Belange (Kontaktpflege, Unterstützung in Erziehungsangelegenheiten) sowie eine geringere Möglichkeit des kostenbewussten Einkaufs kompensieren (BT-Drs. 10/3079, S. 5). Der Gesetzgeber ist hier tendenziell freier in der Ausgestaltung. Es ist grundrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber für den ersten Zeitraum des Aufenthalts in Deutschland eine Bedarfsdeckung durch einzelfallbezogene Sachleistungen, entsprechend der Leistungssystematik einer konkreten Bedarfsdeckung im AsylbLG, nach § 6 AsylbLG vorsieht und erst im Rahmen der Gewährung sog. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG pauschale Leistungen zur Deckung des Mehrbedarfs gewährt. Durch die Herabsetzung der Aufenthaltsdauer von 48 auf 15 Monate für einen Anspruch auf sog. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG durch das Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10. Dezember 2014 zum 01.03.2015 hat der Gesetzgeber die Zeitdauer für die Inanspruchnahme von reduzierten Leistungen nach § 3 AsylbLG deutlich reduziert. Die Klägerin erhält entsprechend dieser neuen Gesetzeslage seit 03.10.2015 Leistungen nach § 2 AsylbLG mit dem pauschalierten Mehrbedarf für Alleinerziehende.

Der reduzierte Leistungsumfang nach § 3 AsylbLG ist einer abweichenden Bedarfslage mindestens in den ersten 15 Monaten geschuldet. Denn in dieser Zeit ist eine Perspektive auf einen Daueraufenthalt in Deutschland noch nicht gegeben, vielmehr ist von einem vorläufigen Aufenthalt auszugehen, da ein Asylverfahren mit ggf. anschließendem Gerichtsverfahren in etwa 15 Monate dauert (Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes vom 10. Dezember 2014, BT-Drs. 18/2592). Es ist grundrechtlich nicht zu beanstanden, für diese Zeitdauer eine abweichende Bedarfssituation anzunehmen, gerade auch für den Mehrbedarf für Alleinerziehende, da eine erhöhte Bedarfslage der durch den Mehrbedarf auszugleichenden Bedarfe (Beratung, Unterstützung in Erziehungsangelegenheiten, Betreuungsleistungen bzw. aufgrund geringerer Möglichkeiten eines preisbewussten Einkaufs) aufgrund der primären Gewährung von Sachleistungen, Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen (§§ 44, 47 AsylG) bzw. Gemeinschaftsunterkünften (§ 53 AsylG) und der ungewissen Bleibeperspektive in dieser Zeit nicht pauschal angenommen werden kann.

Ein dennoch bestehender Bedarf der alleinerziehenden Leistungsempfänger nach dem AsylbLG kann in diesem Zeitraum über § 6 AsylbLG konkret-individuell mittels Sachleistungen gedeckt werden. Der Senat teilt die Ansicht der Klägerin nicht, dass ein solcher Bedarf nicht bezifferbar und eine konkrete Darlegung nicht möglich ist. So könnte z. B. ein konkreter Betreuungsbedarf für einen auswärtigen Termin der Mutter (im Rahmen des Asylverfahrens etc.) rechtzeitig vorab geltend gemacht werden.

Das Bestehen eines solchen Mehrbedarfs der Klägerin wurde jedoch nur pauschal behauptet.

cc. Auch ein Verstoß gegen EU-Recht liegt nicht vor. Insbesondere gebietet Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU vom 26.06.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen nicht, dass Mehrbedarfsleistungen entsprechend dem SGB XII gewährt werden. Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie besagt, dass die Mitgliedstaaten in den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie die spezielle Situation von besonders schutzbedürftigen Personen wie Minderjährigen, unbegleiteten Minderjährigen, Behinderten, älteren Menschen, Schwangeren, Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern, Opfern des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, berücksichtigen. Im Folgenden werden in der Richtlinie in den Art. 23 bis 25 spezielle Vorgaben für Minderjährige, unbegleitete Minderjährige und Opfer von Folter und Gewalt gemacht. Für Alleinerziehende verbleibt es bei der allgemeinen Regelung in Art. 21 der Richtlinie. Diesen europarechtlichen Vorgaben wird durch § 6 AsylbLG, der im Einzelfall die Gewährung sonstiger Leistungen im Ermessenswege vorsieht, entsprochen. Art. 21 ff. der Richtlinie sieht gerade keine pauschale Mehrbedarfsgewährung vor.

Im Ergebnis hat das SG zutreffend die Klage abgewiesen, da der Überprüfungsbescheid vom 09.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.09.2015 rechtmäßig ist. Die Klägerin hat keinen Anspruch Rücknahme der bisherigen Bewilligungsbescheide und auf die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 3 SGB XII in streitigen Zeitraum. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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