S 81 KR 719/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
81
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 81 KR 719/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einem rein telemedizinisch durchgeführten Sondenentwöhnungsprogramm (Netcoaching) handelt es sich um eine neue Behandlungsmethode i.S.d. § 135 Abs. 1 SGB V, auf die mangels positiver Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung derzeit kein Anspruch besteht.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für ein telemedizinisches Sondenentwöhnungsprogramm in Höhe von insgesamt 4.360 EUR.

Der 2015 geborene Kläger ist über seine Mutter bei der Beklagten familienversichert. Er wurde mit einer langstreckigen Ösophagusatresie (angeborene Fehlbildung der Speiseröhre) geboren, die im April 2016 nach mehreren – zum Teil mit Komplikationen verbundenen – Eingriffen erfolgreich operativ behandelt wurde. Der Kläger wurde in diesem Zusammenhang über einen längeren Zeitraum über eine Sonde ernährt. Hierdurch hatte sich eine Sondendependenz entwickelt, welche sich in oraler Aversion, rezidivierendem Würgen und Erbrechen sowie Verweigerung ausreichender oraler Nahrungsaufnahme äußerte.

Die Mutter des Klägers beantragte bei der Beklagten am 27. Oktober 2016 die Übernahme der Kosten für ein telemedizinisches Sondenentwöhnungsprogramm (Netcoaching) bei der in Österreich (G.) ansässigen N. GmbH. Inhalt des von der Universität G. entwickelten Netcoaching ist die Betreuung der betroffenen Familien bei der Sondenentwöhnung in ihrem häuslichen Umfeld auf telemedizinischem Wege durch ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, klinischen Psychologen, Psychotherapeuten und Füttertherapeuten. Das Coaching läuft über ein Online-Ticketsystem, in dem die Eltern zu Hause mit den Therapeuten kommunizieren und Ernährungsprotokolle und Videos hochladen können. Das Netcoaching besteht unter anderem aus Videoanalysen, zwei täglichen Cybervisiten sowie einer individuellen Beratung per E-Mail. Zusätzlich gibt es eine psychologische Begleitung der Eltern. Die Behandlungsdauer ist individuell und endet nach erfolgreicher Entwöhnung. Die Betreuung steht den Familien durchgehend 24 Stunden am Tag an 7 Tagen in der Woche zur Verfügung. Als Vergütung rechnet die Firma N. GmbH eine Gesamtpauschale in Höhe von 4.240 EUR ab. Hinzu kommen 120 EUR für die Vordiagnostik.

Nach dem von der Mutter des Klägers eingereichten Schreiben der Firma N.GmbH wurden im Rahmen des vorgenannten Sondenentwöhnungsprogramms seit 2009 bereits mehr als 300 Patienten erfolgreich behandelt mit einer Erfolgsrate von ca. 90 %. Die Wirksamkeit und Validität der Methode seien in einer klinischen Studie wissenschaftlich evaluiert und mit einem klinischen stationär-ambulanten Programm verglichen worden.

Mit Bescheid vom 10. November 2016 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers, dem unter anderem befürwortende Stellungnahmen des Vereins T. e.V. und des Facharztes für Kinder- und Jugendmedizin T. beigefügt waren, wies die Beklagte nach Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2017 zurück. Zur Begründung führte sie aus, bei dem telemedizinischen Sondenentwöhnungsprogramm der Firma N. handele es sich um eine neue Behandlungsmethode, auf die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung kein Anspruch bestehe, weil der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hierzu noch keine positive Empfehlung ausgesprochen habe. Ein Anspruch gemäß § 2 Abs. 1a SGB V scheide ebenfalls aus, weil es sich bei der Erkrankung des Klägers nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung gehandelt habe und zudem anerkannte Behandlungsalternativen zur Verfügung stünden. Ein Großteil der Therapiekomponenten des streitigen Sondenentwöhnungsprogramms könne auch im Rahmen einer ambulanten Behandlung abgebildet und nach dem EBM abgerechnet werden. Als weitere Alternative stünden im vertragsärztlichen Bereich die Verordnung geeigneter Maßnahmen der Ergotherapie sowie der Logopädie zur Verfügung. In schwerwiegenden Fällen bestünde die Möglichkeit der stationären Sondenentwöhnung.

Der Kläger und seine Mutter haben das Sondenentwöhnungsprogramm ab Ende November 2016 auf eigene Kosten durchgeführt und erfolgreich abgeschlossen. Die Voruntersuchung fand bereits am 12. September 2016 statt. Die Firma N. stellte der Mutter des Klägers die Kosten der Voruntersuchung in Höhe von 120 EUR am 12. September 2016 und die Kosten des Sondenentwöhnungsprogramms in Höhe von 4.240 EUR am 24. November 2016 in Rechnung. Die Kosten wurden von den Großeltern des Klägers vorläufig beglichen.

Am 18. April 2017 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er die Erstattung der vorgenannten Gesamtkosten in Höhe von 4.360 EUR begehrt. Das Sondenentwöhnungsprogramm der Firma N. sei die beste Lösung gewesen, um ihn so schnell wie möglich von der Sonde zu entwöhnen und ihm ein normales Leben im häuslichen Umfeld zu ermöglichen. Eine stationäre Sondenentwöhnung wäre auch in Anbetracht der Entfernung eines Teils der Lunge mit einer erheblichen Ansteckungsgefahr verbunden, zumal die Sondenentwöhnung regelmäßig auf Stationen stattfinde, auf denen auch infektiöse Kinder behandelt würden. Ein weiterer Klinikaufenthalt hätte den Kläger zudem auch psychisch erheblich belastet. Eine ambulante Sondenentwöhnung habe jedenfalls im näheren Umkreis der familiären Wohnung nicht zur Verfügung gestanden. Das Sondenentwöhnungsprogramm sei optimal verlaufen und überaus erfolgreich gewesen. Hierdurch seien der Beklagten auch weitere erhebliche Kosten erspart geblieben. Die Beklagte hätte sich mit dem G-BA in Verbindung setzen und die Aufnahme in die Liste der zugelassenen Methoden prüfen lassen müssen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 10. November 2016 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 30. März 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Kosten für das telemedizinische Sondenentwöhnungsprogramm der Firma N. in Höhe von insgesamt 4.360 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die auf Erstattung der Kosten des Sondenentwöhnungsprogramms gerichtete Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht. Er hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten des Sondenentwöhnungsprogramms.

Als Rechtsgrundlagen für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch kommen § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und § 13 Abs. 4 SGB V in Betracht.

§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

Nach § 13 Abs. 4 SGB V sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in anderen Staaten im Geltungsbereich des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum an Stelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung.

Beide Anspruchsgrundlagen setzten jeweils voraus, dass die selbst beschaffte Leistung im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung als Sachleistung in Deutschland hätte erbracht werden dürfen (zu § 13 Abs. 3 SGB V siehe BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 4/16 R –, Rn. 7, m.w.N.; zu § 13 Abs. 4 SGB V siehe BSG, Urteil vom 27. September 2005 – B 1 KR 28/03 R –, Rn. 28; Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 19/08 R –, Rn. 9 f.; Schifferdecker, in KassKomm-SGB V, 93. EL 2017, § 13 Rn. 173 m.w.N.). Dies war vorliegend aus den von der Beklagten in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid zutreffend dargelegten Gründen nicht der Fall.

Versicherte haben gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

Ungeachtet der Frage, wie das telemedizinische Sondenentwöhnungsprogramm der Firma N. leistungsrechtlich konkret einzuordnen ist, scheitert der (Sachleistungs-)Anspruch jedenfalls daran, dass es sich um eine neue und vom G-BA noch nicht anerkannte Behandlungsmethode handelt. Der anerkannte Ausnahmefall eines sogenannten Systemversagens liegt ebenfalls nicht vor.

1. Die Krankenkassen sind nicht bereits dann für eine ärztliche Behandlung leistungspflichtig, wenn eine begehrte Therapie nach eigener Einschätzung des Versicherten oder des behandelnden Arztes positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben. Vielmehr muss die betreffende Therapie rechtlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst sein. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V grundsätzlich nur dann der Fall, wenn zunächst der G-BA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat und der Bewertungsausschuss sie zudem zum Gegenstand des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) gemacht hat (st. Rspr. des BSG, z.B. Urteil vom 2. September 2014 – B 1 KR 11/13 R –, Rn. 13 m.w.N.). Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw.) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG, a.a.O.).

2. Bei dem Sondenentwöhnungsprogramm der Firma N.GmbH handelt es sich um eine neue und vom G-BA noch nicht anerkannte Behandlungsmethode, auf die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung kein Anspruch besteht.

a) Der Begriff der "Behandlungsmethode" beschreibt eine medizinische Vorgehensweise, der ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet, und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll (siehe hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 8. Juli 2015 – B 3 KR 5/14 R –, Rn. 32 ff.). "Neu" ist eine Behandlungsmethode grundsätzlich dann, wenn sie bislang nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im EBM-Ä enthalten ist. Dem in § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 und § 135 Abs. 1 SGB V verwendeten Begriff der "Behandlungsmethode" kommt jedoch eine umfassendere Bedeutung zu als dem Begriff der "ärztlichen Leistung" im EBM-Ä nach § 87 SGB V, da einzelne vertragsärztliche Leistungen oftmals nur Bestandteil eines methodischen Konzepts sind. Setzt sich eine Behandlungsmethode aus einer Kombination verschiedener – für sich allein jeweils anerkannter oder zugelassener – Maßnahmen zusammen, kann es sich um eine neue Behandlungsmethode handeln, wenn das zugrunde liegende theoretisch-wissenschaftliche Konzept gerade in der neuartigen Kombination verschiedener Einzelleistungen liegt. Es kommt dann darauf an, ob die im EBM-Ä bereits enthaltenen ärztlichen Einzelleistungen oder bereits zugelassene Behandlungsmethoden eine wesentliche Änderung oder Erweiterung erfahren. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich der diagnostische bzw. therapeutische Nutzen aus einer bisher nicht erprobten Wirkungsweise der Methode ergeben soll oder wenn mit der Methode gesundheitliche Risiken verbunden sein könnten, denen bisher nicht nachgegangen wurde. Eine neue Wirkungsweise und bisher nicht erforschte Risiken können sich auch aus der Komplexität der Methode oder ihres technischen Ablaufs ergeben.

b) In Anwendung dieser Maßstäbe ist vorliegend von einer neuen Behandlungsmethode auszugehen.

Zwar sind einzelne Bestandteile des Netcoaching im EBM-Ä aufgeführt, etwa ärztliche Beratung (auch telefonisch), Konsile und psychotherapeutische Leistungen. Auch existiert seit dem 1. April 2017 eine eigene Abrechnungsposition für eine Videosprechstunde (vgl. Ziff. 01439 EBM-Ä und Anlage 31b zum BMV-Ä sowie § 291g Abs. 4 SGB V), deren Leistungsvoraussetzungen vorliegend allerdings auch nicht erfüllt gewesen wären, weil keine der dort abschließend aufgeführten Indikationsgruppen einschlägig ist.

Jedoch besteht die Besonderheit hier gerade darin, dass die gesamte intensive ärztliche und therapeutische Betreuung ohne einen persönlichen Kontakt zwischen Patient und den Leistungserbringern stattfindet, sondern die gesamten Leistungen telemedizinisch erbracht werden. Es handelt sich insofern um ein eigenes methodisches Behandlungskonzept, das sich dadurch auszeichnet, dass die eigentliche Behandlung (Sondenentwöhnung) im häuslichen Umfeld durch die Eltern durchgeführt, jedoch durch Ärzte und anderes medizinisches Fachpersonal auf der Grundlage eines detailliert vorgegebenen Therapieplans unter Zuhilfenahme moderner Kommunikationsmittel durchgängig telemedizinisch angeleitet und überwacht wird.

Dieses Behandlungskonzept wird von der Firma N.GmbH selbst als besonders innovativ beworben und findet im EBM-Ä und den vom G-BA anerkannten Behandlungsmethoden keine Entsprechung. Es bietet einerseits erhebliche Vorteile, die die Mutter des Klägers in der mündlichen Verhandlung für die Kammer nochmals anschaulich dargestellt hat. Die Behandlung findet im häuslichen Umfeld statt ohne die Nachteile und (insbesondere Infektions-) Risiken eines stationären Krankenhausaufenthalts, bietet aber – wie die stationäre Behandlung – den Vorteil, dass die Leistungserbringer dem Patienten bzw. dessen Eltern quasi rund um die Uhr zur Verfügung stehen und die gesamte Behandlung kontinuierlich begleiten und überwachen können. Das Sondenentwöhnungsprogramm der Firma N.GmbH dürfte insgesamt sicher auch deutlich preiswerter sein, als eine stationär durchgeführte Sondenentwöhnung. Andererseits sind mit einer rein telemedizinischen Behandlung aber auch Nachteile und Risiken, die insbesondere aus dem nicht möglichen persönlichen Kontakt der Ärzten und Therapeuten zum Patienten herrühren. Sie können ihn nicht selbst körperlich untersuchen, sondern sind insofern auf die Angaben von Dritten (insbesondere den Eltern) und den bloßen Videokontakt angewiesen. Zudem ist – anders als im Krankenhaus – bei etwaigen Komplikationen oder akutem Behandlungsbedarf ein sofortiges ärztliches Einschreiten nicht möglich.

c) Die Aufgabe, den Nutzen und die Risiken dieser neuen Behandlungsmethode zu bewerten und gegeneinander abzuwägen, ist vom Gesetzgeber allein dem G-BA als einem Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung zugewiesen (vgl. BSG, Urteil vom 8. Juli 2015 – B 3 KR 6/14 R –, Rn. 17). Der G-BA wird von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem GKV-Spitzenverband Bund gebildet (§ 91 Abs. 1 SGB V) wird und durch die Zusammensetzung seines Beschlussgremiums und die Beteiligungen z.B. von Leistungserbringern und Patientenvertretern die erforderliche Verbindung von Sachkunde und interessenpluraler Zusammensetzung verbürgt, die es (auch) rechtfertigt, ihm im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben die für jede Normsetzung kennzeichnende Gestaltungsfreiheit zukommen zu lassen (BSG, a.a.O.; zur Verfassungsmäßigkeit der Normsetzungskompetenz des G-BA vgl. auch BSG, Urteil vom 15. Dezember 2015 – B 1 KR 30/15 R –, Rn. 42 ff.).

Eine positive Empfehlung des G-BA liegt hinsichtlich des telemedizinischen Sondenentwöhnungsprogramms nicht vor.

2. Ein vom Gesetz oder in der Rechtsprechung des BSG anerkannter Ausnahmefall, in dem es einer positiven Empfehlung durch den G-BA ausnahmsweise nicht bedarf, liegt nicht vor.

a) Bei der Sondendependenz des Klägers handelte es sich nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche oder hiermit zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V und es stand zumindest mit der stationären Sondenentwöhnung auch eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung. Dass im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung ein erhöhtes Infektionsrisiko multiresistenten Krankenhauskeimen besteht, ändert daran nichts.

b) Anhaltspunkte für ein Systemversagen bestehen ebenfalls nicht. Ein solches liegt vor, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem G-BA trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. Zu einem Systemversagen kann es kommen, wenn das Verfahren vor dem G-BA von den antragsberechtigten Stellen oder dem G-BA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß betrieben wird und dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist (vgl. dazu BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 – B 1 KR 44/12 R –, Rn. 17 m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit der Rechtsprechung siehe BVerfG, Beschluss vom 23. März 2017 – 1 BvR 2861/16 –, juris Rn. 5). Dafür bestehen vorliegend keinerlei Anhaltspunkte. Allein der Umstand, dass die vorliegend beklagte Krankenkasse nunmehr Kenntnis von der neuen Behandlungsmethode erlangt hat, reicht für ein Systemversagen nicht aus, zumal es an jeglichen Anhaltspunkten für eine hinreichend eindeutige Studienlage fehlt. Allein die von dem Anbieter erwähnten Verlaufsbeobachtungen an über 300 Patienten reichen dafür sicher nicht aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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