L 19 AS 1577/17 B ER und L 19 AS 1578/17 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 33 AS 2743/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1577/17 B ER und L 19 AS 1578/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerden des Antragstellers zu 1) wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 02.08.2017 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers zu 1) gegen den Bescheid vom 29.06.2017 wird angeordnet. Dem Antragsteller zu 1) wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. Q aus L beigeordnet. Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 1) in beiden Rechtszügen. Dem Antragsteller zu 1) wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. Q aus L beigeordnet. Die Anträge der Antragstellerin zu 2) und des Antragstellers zu 3) auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren werden abgelehnt.

Gründe:

I.

Der am 00.00.1970 geborene Antragsteller zu 1) ist mit der am 00.00.1970 geborenen Antragstellerin zu 2) verheiratet. Ihr gemeinsamer Sohn, der Antragsteller zu 3), ist am 00.00.2002 geboren und besucht die Schule. Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige.

Im Dezember 2015 reisten die Antragsteller in die Bundesrepublik Deutschland ein. In der Zeit vom 01.01.2016 bis zum 06.12.2016 war der Antragsteller zu 1) als Pflegehelfer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde arbeitgeberseitig fristlos gekündigt. Die Antragstellerin zu 2) übte keine Erwerbstätigkeit aus.

Mit Bescheid vom 08.11.2016 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 26.11.2016, 12.12.2016 und 10.01.2017 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.10.2016 bis 30.09.2017.

Mit Bescheid vom 29.06.2017, adressiert an den Antragsteller zu 1), hob der Antragsgegner die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit ab 07.06.2017 unter Berufung auf §§ 40 Abs. 1 und 2 SGB II, 330 Abs. 3 SGB III, 48 Abs. 1 S. 2 SGB X auf. Es sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten, da der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II eingreife. Mit weiterem Bescheid vom 28.06.2017, adressiert an den Antragsteller zu 1), hob der Antragsgegner die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.06.2017 bis zum 30.06.2017 ganz auf und forderte 457,75 Euro vom Antragsteller zu 1) sowie 311,41 Euro vom Antragsteller 3) zurück. In dem Bescheid wird angegeben, er richte sich Bescheid an den Antragsteller zu 1) sowie den Antragsteller zu 1) in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter des Antragstellers zu 3). Mit weiterem Bescheid vom 28.06.2017, adressiert an die Antragstellerin zu 2), hob der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 01.06.2017 bis zum 30.06.2017 auf und forderte von der Antragstellerin zu 2) 457,75 Euro zurück. Der Antragsgegner stellte die Zahlungen an die Antragsteller mit Wirkung zum 01.07.2017 ein.

Mit Bescheid vom 06.07.2017 lehnte der Antragsgegner den Leistungsantrag des Antragstellers zu 1) vom 29.06.2017 ab. Er habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, weil er allein ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche innehabe. Ausweislich der bei Gericht vorliegenden und nur teilweise paginierten Verwaltungsakte des Antragsgegners legte der Antragsteller zu 1) hiergegen keinen Widerspruch ein.

Die Widersprüche des Antragstellers zu 1) und der Antragstellerin zu 2) gegen die Bescheide vom 28.06.2017 wies der Antragsgegner mit Bescheiden vom 11.08.2017 als unbegründet zurück. Über den Widerspruch des Antragstellers zu 1) gegen den Bescheid vom 29.06.2017 entschied der Antragsgegner noch nicht.

Am 11.07.2017 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Köln beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen SGB II-Leistungen nach Maßgabe des Gesetzes zu gewähren und Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Sie haben vorgetragen, es bestünden andere Aufenthaltsrechte aus Ehe und Familie. Der Antragsgegner sei nicht berechtigt gewesen, die Vertrauensschutz gewährenden Bewilligungsbescheide rückwirkend zum 07.06.2017 aufzuheben.

Mit Beschluss vom 02.08.2017 hat das Sozialgericht Köln die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Der Antragsgegner sei zumindest berechtigt gewesen, Leistungen für die Zukunft, d.h. für die Zeit ab dem Zugang des Bescheides vom 29.06.2017 aufzuheben, da in den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Der Antragsteller zu 1) habe seine Arbeitnehmereigenschaft verloren und dies dauere bereits seit mehr als 6 Monaten an. Ab dem 07.06.2017 bestünden keine Aufenthaltsrechte nach dem FreizügG/EU. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II sei europarechtskonform und mit der Verfassung vereinbar.

Gegen den am 02.08.2017 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 09.08.2017 Beschwerde eingelegt. Sie begehren, ihnen unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Köln vom 02.08.2017 Leistungen nach dem SGB II ab Eingang des Antrags für den nachfolgenden Bewilligungszeitraum zugewähren.

II.

Die Beschwerden sind zulässig und im tenorierten Umgang begründet. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers zu 1) gegen den Aufhebungsbescheid vom 29.06.2017 wird angeordnet (B). Im Übrigen ist die Beschwerde der Antragsteller gegen die Ablehnung des Erlasses einer Regelungsanordnung unbegründet (A, C). Die Beschwerde des Antragstellers zu 1) gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe ist begründet. Ihm steht auch im Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu (D). Die Beschwerde der Antragstellerin zu 2) und des Antragstellers zu 3) gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie ihre Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Beschwerdeverfahrensind unbegründet (E).

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist unter Zugrundelegung des mit Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 09.08.2017 präzisierten Antragsbegehrens der Antrag der Antragsteller auf Erlass einer Regelungsanordnung, mit der der Antragsgegner verpflichtet wird, ihnen ab dem 12.07.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.

A. Der Antrag des Antragstellers zu 1) auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG ist für den Zeitraum vom 12.07.2017 bis zum 30.09.2017 wegen des Vorrangs der Entscheidung nach § 86b Abs. 1 SGG unzulässig. Dem Begehren des Antragstellers zu 1) - Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 12.07.2017 bis 30.09.2017 - würde durch eine Entscheidung nach § 86b Abs. 1 SGG - Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid vom 29.06.2017 - Rechnung getragen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Aufhebungsbescheid vom 29.06.2017 würde dem Antragsteller zu 1) zu den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 12.07.2017 bis zum 30.089.2017 verhelfen.

Der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung für den Zeitraum ab dem 30.09.2017 ist unbegründet. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung BSG, Beschlüsse vom 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B - und vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

Der Antragsteller zu 1) hat für die Zeit ab dem 01.10.2017 keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Der einstweilige Rechtsschutz hat vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 GG die Aufgabe, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten wenn eine Entscheidung im grundsätzlich vorrangigen Hauptsacheverfahren zu schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteilen führen würde, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, 1236 m.w.N.). Insoweit ist es dem Antragsteller zu 1) zumutbar, den weiteren Verlauf des Hauptsacheverfahrens, falls er Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid vom 06.07.2017 eingelegt hat, zumindest bis zum 30.09.2017 abzuwarten, zumal nicht auszuschließen ist, dass sich der Aufenthaltsstatus des Antragstellers zu 1) bis zum 01.10.2017 durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ändert.

B. Der Antrag des Antragstellers zu 1) betreffend den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86 Abs. 2 SGG für die Zeit vom 12.07.2017 bis zum 30.09.2017 ist im Wege der Meistbegünstigung - wovon anscheinend auch das Sozialgericht ausgegangen ist - als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches gegen den Aufhebungsbescheid vom 29.06.2017 nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG auszulegen.

Der Antrag ist zulässig. Über diesen Widerspruch hat der Antragsgegner bislang noch nicht entschieden, (Schriftsatz vom 16.08.2017) ... Selbst wenn er hierüber entschieden hätte, änderte dies nichts an der Zulässigkeit des Antrags. Auch nach Erlass eines Widerspruchsbescheides wäre der Antrag noch statthaft (§ 86b Abs. 3 SGG), da die Klagefrist (§ 87 SGG) noch nicht abgelaufen und damit ein Widerspruchsbescheid noch nicht bestandskräftig geworden wäre.

Der Antrag ist auch begründet. Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch des Antragstellers zu 1) gegen den Aufhebungsbescheid vom 29.06.2017 entfaltet nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, die Wirkung des angefochtenen Bescheides (zunächst) zu unterbinden (Aussetzungsinteresse) mit dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners vorzunehmen. Die aufschiebende Wirkung ist anzuordnen, wenn das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse überwiegt. Dabei richtet sich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in erster Linie nach dem Grad der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Eingriffsbescheides und den daraus folgenden Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 86b Rn. 12a ff.). Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist ferner zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in der vorliegenden Fallgestaltung ein Regel-/Ausnahmeverhältnis angeordnet hat. Da der Gesetzgeber die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen ausgeschlossen hat, überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse des Antragsgegners (vgl. BSG, Beschluss vom 29.08.2011 - B 6 KA 18/11 R -, SozR 4-1500 § 86a Nr. 2). Es bedarf deshalb besonderer Umstände, um eine davon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.10.2003 - 1 BvR 2025/03 - zu § 80 Abs. 2 Nrn. 1-3 VwGO). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss in diesen Fällen eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme sein (BVerfG, a.a.O.; Keller, a.a.O., § 86b Rn. 12c m.w.N).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 29.06.2017 anzuordnen, weil das Interesse des Antragstellers zu 1) am Nichtvollzug des angefochtenen Bescheides überwiegt.

Nach aktuellem Erkenntnisstand ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen. Im Hauptsacheverfahren ist die Rechtsfrage der Vereinbarkeit des Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II mit dem Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art. 4 VO (EG) 883/2004, Art. 7 und 10 VO (EU) 492/11 zu klären, die im Verfahren nach § 86b Abs. 1 SGG bei summarischer Prüfung nicht geklärt werden kann.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners stellt der Ablauf der 6-Monats-Frist nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU zum 06.06.2017 keine wesentliche Änderung in den Verhältnissen i.S.v. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X dar, die dem Bewilligungsbescheid vom 08.11.2016 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 22.11.2016 und 12.12.2016 zugrunde gelegen haben. Wesentlich sind Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen dann, wenn sich die für den Erlass des Verwaltungsaktes entscheidungserheblichen tatsächlichen Umstände so erheblich verändert haben, dass diese rechtlich anders zu bewerten sind und daher der Verwaltungsakt unter Zugrundelegung des geänderten Sachverhalts so, wie er ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung richtet sich nach den für die Leistung maßgeblichen Bestimmungen des materiellen Rechts (BSG, Urteil vom 17.03.2016 - B 4 AS 18/15 R -, SozR 4-4200 § 16e Nr. 1 m.w.N.).

a) Der Leistungsauschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ergreift den Antragsteller zu 1) nicht ab dem 07.06.2017. Er verfügt zwar ab dem 07.06.2017 über kein Aufenthaltsrecht aus dem FreizügG/EU, denn die Voraussetzungen der Aufenthaltsrechte aus §§ 2, 3, 4, 4a FreizügG/EU liegen nicht vor. Der Antragsteller zu 1) übt seit der Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses am 06.12.2016 keine (abhängige oder selbständige) Tätigkeit aus (§ 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FreizügG/EU) und hält sich nicht zu dem Zwecke auf, Dienstleistungen zu erbringen oder in Anspruch zu nehmen (§ 2 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 FreizügG/EU). Ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU ist im Hinblick auf die ergebnislose Arbeitssuche der letzten sechs Monate auch nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller zu 1) verfügt nicht über ausreichende Existenzmittel, um seinen Lebensunterhalt und Krankenversicherungsschutz selbst zu decken (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU) und ist auch nicht einem freizügigkeitsberechtigten Familienmitglied nachgezogen (§ 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m § 3 FreizügG/EU). Die Voraussetzungen für ein Daueraufenthaltsrecht liegen für den im Dezember 2015 in die Bundesrepublik eingereisten Antragsteller zu 1) ebenfalls nicht vor (§ 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a FreizügG/EU). Auch sind keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Aufenthaltsrechts des Antragstellers zu 1) aus § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. Bestimmungen des AufenthG ersichtlich.

Der Antragsteller zu 1) verfügt aber über ein materielles Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/11. Danach können die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Art. 10 VO (EU) 492/11 verleiht den Kindern eines Arbeitnehmers ein eigenes Recht auf Zugang zum Unterricht an einer allgemeinbildenden Schule und damit ein autonomes, d.h. nicht vom Aufenthaltsrecht ihrer Eltern abhängiges, eigenständiges Aufenthaltsrecht. Dieses Recht hängt weder von der Rechtsstellung als Kind, dem Unterhalt gewährt wird, noch von dem Recht der Eltern auf Aufenthalt im Aufnahmestaat ab. Es gilt für Kinder von Arbeitnehmern wie auch für die Kinder ehemaliger Arbeitnehmer. Art. 10 VO (EU) 492/11 verlangt nur, dass das Kind mit seinen Eltern oder einem Elternteil in der Zeit in einem Mitgliedstaat lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte (vgl. EuGH, Urteile vom 30.06.2016 - C-115/15, vom 13.06.2013 - C-45/12 Hadj Ahmed, vom 08.05.2013 - C-529/11 Alarape und Tijani, vom 14.06.2012 - C-542/09, vom 06.09.2012 - C-147/11/148/11 Czop und Punakova und vom 23.02.2010 - C-310/08 Ibrahim und - C-480/08 Teixeira).

Soweit und solange die regelmäßig minderjährigen Kinder eines Arbeitnehmers oder ehemaligen Arbeitnehmers für die Wahrnehmung ihrer Ausbildungsrechte aus Art. 10 VO (EU) 492/11 weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge des Elternteils bedürfen, um ihre Ausbildung fortsetzen und abschließen zu können, besteht darüber hinaus in gleicher Weise für die Eltern bzw. den Elternteil, die bzw. der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt aus Art 10 VO (EU) 492/11. Dies hat der EuGH damit begründet, dass die Versagung der Möglichkeit für die Eltern, während der Ausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu bleiben, geeignet sein könnte, den Kindern ein - ihnen vom Unionsgesetzgeber zuerkanntes - Recht zu nehmen (vgl. EuGH, Urteile vom 30.06.2016 - C-115/15, vom 13.06.2013 - C-45/12 Hadj Ahmed, vom 08.05.2013 - C-529/11 Alarape und Tijani, vom 14.06.2012 - C-542/09, vom 06.09.2012 - C-147/11/148/11 Czop und Punakova und vom 23.02.2010 - C-310/08 Ibrahim und - C-480/08 Teixeira). Ohne Belang ist, ob der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmende Elternteil nicht (mehr) (Wander)Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat ist (vgl. EuGH, Urteile vom 30.06.2016 - C-115/15 und vom 08.05.2013 - C-529/11 Alarape und Tijani). Das Aufenthaltsrecht für den tatsächlich die elterliche Sorge ausübenden Elternteil, dessen Kind sich auf Art. 10 VO (EU) 492/11 berufen kann, besteht auch dann, wenn dieser Elternteil nicht über ausreichende Existenzmittel oder einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt (EuGH, Urteile vom 23.02.2010 - C-310/08 Ibrahim und C-480/08 Teixeira). Zusammen mit dem in Ausbildung befindlichen Kind hat der sorgeberechtigte Elternteil daher ein von diesem abgeleitetes Aufenthaltsrecht, auch wenn das auf den Vorschriften des FreizügG/EU, welches die Bestimmungen der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38 des Europäischen Parlaments und Rates vom 29.04.2004 (RL 2004/38/EG) in nationales Recht umsetzt, beruhende eigene Aufenthaltsrecht des Elternteils nicht (mehr) besteht.

Dem Antragsteller zu 3) steht ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/11 zu, da er als (minderjähriger) Sohn eines ehemaligen Arbeitnehmers, dem Antragsteller zu 1), die Schule in der Bundesrepublik besucht. Von diesem Aufenthaltsrecht leitet sich das Aufenthaltsrecht des Antragstellers zu 1) ab. Denn dieser nimmt die tatsächliche Sorge wahr. Die Tatsache, dass er über keine ausreichenden Existenzmittel verfügt, ist unerheblich.

b) Auch § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 b) SGB II greift nicht, da der Antragsteller zu 1) - wie ausgeführt - über ein anderes Aufenthaltsrecht als alleine das zur Arbeitsuche verfügt.

c) Zwar sind vorliegend die Voraussetzungen des Leistungsauschlusses des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II seinem Wortlaut nach gegeben. Danach sind Ausländer und Ausländerinnen vom Leistungsbezug ausgeschlossen, die ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Buchstabe b aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (Abl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (Abl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten. Der Antragsteller zu 1) verfügt nur über ein aus Art. 10 VO (EU) 492/11 abgeleitetes Aufenthaltsrecht.

Nach Auffassung des Senats verstößt § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II aber gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art. 4 VO (EG) 883/2004, Art. 7 und 10 VO (EU) 492/11 (bejahend LSG NRW, Beschlüsse vom 12.07.2017 - L 12 AS 596/17 B ER und vom 01.08.2017 - L 6 AS 860/17 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.02.2017 - L 6 AS 11/17 B ER; Derksen, info also 6/2016; Devetzi/Janda, ZESAR 2017, 197; verneinend LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.03.2017 - L 2 AS 127/17 B ER; siehe auch Stellungnahmen von Groth und Harich, zur Anhörung von Sachverständigen am 28.11.2016, Ausschussdrucksache 18(11)851).

Jeder Unionsbürger kann sich in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, auf das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Art. 18 AEUV berufen. Zu diesen Situationen gehören diejenigen, die die Ausübung der durch Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a AEUV und Art. 21 AEUV verliehenen Freiheit betreffen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten. Das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit wird für den Bereich der Gewährung von Sozialleistungen in Art. 4 VO (EG) 883/2004 konkretisiert. Danach haben Personen, für die diese Verordnung gilt, sofern in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Art. 4 VO (EG) 883/2004 verbietet jegliche Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit und fordert die Gleichbehandlung von Unionsbürgern mit ausländischer Staatsangehörigkeit mit inländischen Staatsangehörigen.

Die VO (EG) 883/2004 findet persönlich und sachlich Anwendung auf den Antragsteller zu 1). Bei ihm handelt es sich um einen Unionsbürger (Art. 2 VO (EG) 883/2004), der als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates (Rumänien) seinen Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat (Deutschland) hat und - wegen seiner Kindergeldberechtigung - in ein Familienleistungssystem i.S.d. Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 - (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 15.03.2017 - III R 32/15) - eingebunden ist. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II sind besondere beitragsunabhängige Leistungen i.S.v. Art. 3 Abs. 3, 70 Abs. 2 VO (EG) 883/2004, auf die der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 VO (EG) 883/2004 Anwendung findet (EuGH, Urteil vom 20.05.2014 - C-333/13 Dano). Die Verordnung selbst sieht eine Beschränkung des in Art. 4 geregelten Gleichheitsgebotes wegen Staatsangehörigkeit nicht vor (Derksen, info also 6/2016 m.w.N.). Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II knüpft aber an die Staatsangehörigkeit des Antragstellers zu 1) - Ausländer oder Ausländerinnen - an. Die Gewährung von Sozialleistungen an wirtschaftlich inaktive Unionsbürger kann zwar von der Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes abhängig gemacht werden (EuGH, Urteil vom 14.06.2016 - C-308/14). Dies hindert einen Anspruch des Antragstellers zu 1) nicht. Er hält sich materiell rechtmäßig - nämlich aufgrund seines Aufenthaltsrechts aus Art. 10 VO (EU) 492/11 - in der Bundesrepublik auf.

§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II wird auch von der Schrankenregelung in Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG nicht gedeckt. Danach ist abweichend von Absatz 1 der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren. Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG enthält zwar eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 (EuGH, Urteil vom 20.05.2014- C-333/13 Dano), ist aber vorliegend weder direkt noch analog anwendbar.

Die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG bezieht sich ihrem Wortlaut "Abweichend von Absatz 1 " und ihrem Sachzusammenhang nach auf den in Abs. 1 umrissenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser beansprucht Geltung für Unionsbürger, denen Aufenthaltsrechte "aufgrund dieser Richtlinie" zustehen, "vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen ". Der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 24 Abs. 1 S. 1 sowie dessen Erstreckung auf den Personenkreis nach Abs. 1 S. 2 RL 2004/38/EG setzen damit ein Aufenthaltsrecht aus dieser Richtlinie selbst voraus (LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 17.02.2017 - L 6 AS 11/17 B ER). Bei dem Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/11 handelt es sich aber um kein Aufenthaltsrecht, das der RL 2004/38/EG unterfällt. Art. 10 VO (EU) 492/11 begründet vielmehr ein von den in der RL 2004/38/EG normierten Aufenthaltsrechten unabhängiges, originäres und eigenständiges Aufenthaltsrecht (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 43/15 R -, BSGE 120, 139 m.w.N.). Die einmal erworbenen Ausbildungs- und Aufenthaltsrechte der Kinder bzw. der (sorgeberechtigten bzw. die tatsächliche Sorge ausübenden) Elternteile bestehen nach der Rechtsprechung des EuGH unabhängig von den in der RL 2004/38/EG festgelegten Voraussetzungen ausreichender Existenzmittel sowie eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes (§ 4 FreizügG/EU) fort und sind autonom gegenüber den unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, die die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat regeln (BSG, Urteil vom 03.12.2015 - B 4 AS 43/15 R -, BSGE 120, 139 m.w.N.). Insofern hat der EuGH der Entstehungsgeschichte und den Inhalten der RL 2004/38/EG entnommen, dass der Anwendungsbereich des Art 12 VO (EWG) Nr. 1612/68 (der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift zu Art. 10 VO (EU) 492/11) durch die RL 2004/38/EG gerade nicht eingeschränkt werden sollte (EuGH, Urteile vom 23.02.2010 - C-310/08 Ibrahim und C-480/08 Teixeira).

Der Gesetzgeber hat die Europarechtskonformität des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II damit begründet, dass diese Regelung erforderlich sei, um "ein Leerlaufen der Regelungen der Freizügigkeitsrichtlinie" zu verhindern (BR-Drs. 587/16 S. 8), und sich insoweit auf den 10. Erwägungsgrund der Richtlinie berufen, wonach Ziel der Verordnung die Verhinderung der unangemessenen Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des Aufnahmestaates ist, sie also dem Ziel der Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts der Systeme der sozialen Sicherheit diene (EuGH, Urteile vom 22.04.2015 - C-299/14 Garcia-Nieto, vom 15.09.2015 - C- 67/14 Alimanovic und vom 14.06.2016 - C-308/14; siehe auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.03.2017 - L 2 AS 127/17 B ER). Hierbei ist der Gesetzgeber anscheinend davon ausgegangen, dass die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG zumindest analog anwendbar ist, wenn es sich bei den Anspruchsberechtigten aus Art. 10 VO (EU) 492/11 um Personen handelt, die sich als nicht erwerbstätige Unionsbürger ohne ausreichende Existenzmittel und umfassenden Krankenversicherungsschutz auf kein Aufenthaltsrecht aus der RL 2004/38/EG berufen können.

Dem steht jedoch entgegen, dass der EuGH aus Art. 10 VO (EU) 492/11 i.V.m. Art. 7 VO (EU) 492/11 ein umfassendes Gleichbehandlungsgebot abgeleitet hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH haben Art. 7 Abs. 2 und Art. 12 VO (EWG) Nr. 1612/68, die inhaltsgleichen Vorgängervorschriften von Art. 7 Abs. 2 und 10 VO (EU) 492/11, zwar unterschiedliche persönliche Anwendungsbereiche, jedoch stellen beide Bestimmungen auf dieselbe Weise eine allgemeine Regel auf, wonach jeder Mitgliedstaat im Bereich des Unterrichts verpflichtet ist, die Gleichbehandlung der Kinder der in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, mit seinen eigenen Staatsangehörigen sicherzustellen (EuGH, Urteil vom 14.06.2012 - C-542/09 - m.w.N.). Eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit ist nicht zulässig. Dies gilt sowohl für die Zulassungsbedingungen als auch für alle Vergünstigungen, die mit dem Ziel gewährt werden, die Teilnahme an der Ausbildung zu erleichtern, ohne dass nach Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten unterschieden werden kann (vgl. zu Studienbeihilfen EuGH, Urteil vom 14.12.2016 - C-238/15 - m.w.N.; Devetzi/Janda, ZESAR 2017, 197 m.w.N.).

Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz gilt auch für das sorgeberechtigte Elternteil, das sein Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltsrecht seines Kindes aus Art. 10 VO (EU) 492/11 ableitet (EuGH, Urteile vom 23.02.2010 - C-310/08 Ibrahim und C-480/08 Teixeira). Die existenzsichernden Leistungen des SGB II dienen der Bestreitung der Lebenshaltungskosten und unterfallen damit auch dem Begriff der "sozialen Vergünstigung" in Art. 7 Abs. 2 VO (EU) 492/11.

Der EuGH hat eine entsprechende Anwendung der Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG betreffend Studienbeihilfen auf den sich aus Art. 7 Abs. 2 und 10 VO (EU) 492/11 ergebenden Gleichbehandlungsgrundsatz abgelehnt (EuGH, Urteil vom 14.12.2016 - C-238/15). Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass dies nicht auch für die von der Regelung des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG erfassten Sozialhilfeleistungen, daher auch für die Leistungen des SGB II, zu gelten hat.

Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass sich der Verordnungsgeber bei Erlass der Verordnung im Jahr 2011 nicht veranlasst gesehen hat, den sich aus Art. 7 Abs. 2 und 10 VO (EU) 492/11 ergebenden Gleichbehandlungsgrundsatz im Vergleich zu der Vorgängerregelung einzuschränken, obwohl der EuGH ein Jahr zuvor entschieden hatte, dass ein sorgeberechtigtes Elternteil zusammen mit dem in Ausbildung befindlichen Kind ein von diesem abgeleitetes Aufenthaltsrecht hat, auch wenn ein auf den Bestimmungen der RL 2004/38/EG beruhendes eigenes Aufenthaltsrecht des Elternteils nicht besteht (Urteile vom 23.02.2010 - C-310/08 Ibrahim und C-480/08 Teixeira).

Der Rechtsprechung des EUGH ist daher nicht zu entnehmen, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38/EG im Anwendungsbereich der VO (EU) 492/11 dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz vorgeht und ein Unionsbürger nur dann Gleichbehandlung, d.h. Zugang zu Sozialhilfeleistungen verlangen kann, wenn ihm ein Aufenthaltsrecht allein aus der RL 2004/38/EG zusteht (so anscheinend LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.03.2017 - L 2 AS 127/17 B ER).

Der Verstoß des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art. 4 VO (EG) 883/2004, Art. 7 und 10 VO (EU) 492/11 hat zur Folge, dass diese Vorschrift nationalen Rechts nicht zur Anwendung kommt. Nach Art. 288 Abs. 2 AEUV hat eine Verordnung - vorliegend die VO (EG) 883/2004 sowie die VO (EU) 492/11 - als Gesetzgebungsform der Europäischen Union allgemeine Geltung, ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat. Aufgrund seiner unmittelbaren Geltung bricht das Unionsrecht im Kollisionsfall entgegenstehendes nationales Recht und genießt Anwendungsvorrang (vgl. grundlegend EuGH, Urteil vom 15.07.1964 - Rs. 6/64 - Costa/ENEL).

Jedoch ist der Senat als im einstweiligen Rechtschutzverfahren letztinstanzliches Gericht nicht befugt, die Europarechtswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift festzustellen, dies obliegt dem EuGH. In einem einstweiligen Rechtschutzverfahren, in dem der angefochtene Verwaltungsakt auf einer nationalen Rechtsvorschrift basiert, deren Europarechtswidrigkeit geltend gemacht wird, besteht auch keine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV (vgl. EuGH, Urteil vom 24.05.1977 - C-107/76 -; siehe auch BVerfG, Beschlüsse vom 17.01.2017 - 2 BvR 2013/16 m.w.N. und vom 07.12.2006 - 2 BvR 2428/06; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 86b Rn. 13). Eine solche Pflicht lässt sich der Rechtsprechung des EuGH nur für den Fall entnehmen, dass ein nationales Gericht die Aussetzung der Vollziehung eines auf einer Gemeinschaftsverordnung beruhenden nationalen Verwaltungsakts anordnen will (EuGH, Urteile vom 21.02.1991 - C-143/88 und C-92/89 Zuckerfabrik T und Zuckerfabrik T und vom 9.11.1995 - Rs. C-465/93, B Fruchthandelsgesellschaft). Dies ist hier nicht der Fall.

Da die Rechtsfrage, ob § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art. 4 VO (EG) 883/2004, Art. 7 und 10 VO (EU) 492/11 verstößt, im Hauptsacheverfahren eine Vorlage des dann letztinstanzlich entscheidenden Gerichts an den EuGH erfordert, ist im Hinblick auf die nicht geklärte Vereinbarkeit von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II mit dem Unionsrecht und unter Beachtung des Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.01.2017 - 2 BvR 2013/16 m.w.N), in die insbesondere die grundrechtlich relevanten Belange des Antragstellers zu 1) einzustellen sind. Aus dem Gebot effektiven Rechtschutzes kann sich die Verpflichtung ergeben, entgegen einer gesetzlichen Norm vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, also eine Gesetzesvorschrift nicht anwenden. Hier überwiegt das Interesse des Antragstellers zu 1) am Nichtvollzug des angefochtenen Bescheides.in Ansehung auch des Umstandes dass es sich bei dem Diskriminierungsverbot aus Art. 4 VO (EG) 883/2004, Art. 7 und 10 VO (EU) 492/11 nach Art. 288 Abs. 1 AEUV um unmittelbar geltendes höherrangiges Recht handelt. Dem Antragsteller zu 1) droht des Weiteren eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung seiner Grundrechte - Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG -, die durch ein Urteil in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann. Denn es besteht ein aktueller Bedarf an existenzsichernden Leistungen. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass es sich zwar nicht um eine rechtliche, aber um eine faktische Vorwegnahme der Hauptsache handelt (vgl. hierzu Keller, a.a.O., § 86b Rn. 31, wonach eine echte Vorwegnahme der Hauptsache bei der Verpflichtung zur vorläufigen Gewährung von Geldleistungen nur vorliegt, wenn eine spätere Rückforderung im Falle des Unterliegens des Antragstellers im Hauptsacheverfahren ausnahmsweise rechtlich ausgeschlossen ist, siehe auch VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 30.01.2014 - 1 L 1704/13 - m.w.N.). Jedoch dienen existenzsichernde Leistungen - wie die des SGB II - nach ihrer Konzeption gerade dazu, eine gegenwärtige Notlage zu beseitigen. Die nachträgliche Erbringung von existenzsichernden Leistungen verfehlt insoweit deren Zweck. Auch ist in die Erwägung miteinbezogen, dass verfassungsrechtlich offen ist, ob der Leistungsauschluss des Personenkreises des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 c) SGB II mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar ist. Denn dieser Personenkreis verfügt aus Art. 10 VO (EU) 492/11 über ein materielles Aufenthaltsrecht, dass im Fall eines nichterwerbstätigen Unionsbürgers nicht das Vorhandensein von ausreichenden Existenzmittel oder eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes voraussetzt. Insoweit kann nicht von einem Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes ausgegangen werden.

C. Der Antrag der Antragstellerin zu 2) und des Antragstellers zu 3) auf Erlass einer Regelungsanordnung ist zulässig, aber unbegründet.

Der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer Regelungsanordnung für die Zeit ab dem 12.07.2017 steht der Vorrang einer Entscheidung nach § 86b Abs. 1 SGG nicht entgegen. Zwar haben die beiden Antragssteller Widerspruch gegen die beiden Bescheide vom 28.06.2017 eingelegt, mit dem der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an sie für Juni 2017 aufgehoben und die zuviel gezahlten Leistungen zurückgefordert hat. Regelungsgegenstand der beiden Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 28.06.2017 ist aber nur die Aufhebung der mit Bescheid vom 08.11.2016 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 22.11.2016 und 12.12.2016 bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für Juni 2017. Die Bescheide enthalten keine Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.07.2017 bis zum 30.09.2017.

Der Antrag ist unbegründet. Denn die beiden Antragsteller haben keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dieser kann nur bejaht werden, wenn einem Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr revidiert werden könnten. Vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes kann nur dann ausgegangen werden, wenn ein Antragsteller alle zumutbaren Möglichkeiten einer Selbsthilfe erfolgslos ausgeschöpft hat.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn den beiden Antragstellern steht ein Anspruch auf Auszahlung der in dem Bescheid vom 08.11.2016 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 22.11.2016 und 12.12.2016 für die Zeit vom 01.07.2017 bis zum 30.09.2017 bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gegenüber dem Antragsgegner zu. Die Leistungsbewilligung für diesen Zeitraum an die beiden Antragsteller ist weder durch die Bescheide vom 28.06.2017, die ausschließlich die Aufhebung der Leistungsbewilligung für Juni 2017 regeln, noch durch den Bescheid vom 29.06.2017 aufgehoben worden.

Regelungsgegenstand des Bescheides vom 29.06.2017 ist ausschließlich die Aufhebung der durch den Bescheid vom 08.11.2016 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 22.11.2016 und 12.12.2016 vorgenommenen Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an den Antragsteller zu 1). Der Bescheid vom 29.06.2017 kann nicht als Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an die Ehefrau und das Kind des Antragstellers zu 1) mit Wirkung zum 07.06.2017 ausgelegt werden. Bei den Ansprüchen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II handelt es sich jeweils um Individualansprüche der einzelnen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft (BSG, Urteil vom 07.07.2011 - B 14 AS 144/10 R - m.w.N.). Die Rückabwicklung eines solchen Individualanspruchs nach §§ 45, 48 SGB X erfolgt nur im Verhältnis des Anspruchsinhabers zum Leistungsträger, so dass aus einem Aufhebungsbescheid eindeutig zu entnehmen sein muss, welche Ansprüche in welcher Höhe aufgehoben werden. Weder aus der Adressierung noch aus der Begründung des Bescheides ergeben sich irgendwelche Anhaltspunkte, dass durch diesen Bescheid auch die Bewilligungen betreffend die Individualansprüche der Ehefrau des Antragstellers zu 1), der Antragstellerin zu 2), oder seines Sohnes, dem Antragsteller zu 3) aufgehoben worden sind.

Ebenso wenig kann der Ablehnungsbescheid vom 06.07.2017, mit dem der Antragsgegner einen Leistungsantrag des Antragstellers zu 1) nach §§ 37 Abs. 1 S. 1, 38 SGB II für die Zeit ab dem 01.07.2017 abgelehnt hat, als Bescheid über die Aufhebung der an die beiden Antragsteller zu 2) und zu 3) bewilligten Leistungen für die Zeit ab dem 01.07.2017 ausgelegt werden. Den sich aus den vorherigen Bewilligungsbescheiden ergebenden Leistungsanspruch für die Zeit vom 01.07.2017 bis zum 30.09.2017 haben die beiden Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner bislang nicht außergerichtlich geltend gemacht. Dies wäre aber vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtschutzes erforderlich gewesen.

Hinsichtlich der Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 SGB II fehlt es auch an der Glaubhaftmachung einer akuten Gefährdung der Unterbringung der beiden Antragsteller. Schutzgut der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 SGB II ist die Deckung des elementaren Bedarfes, eine Unterkunft zu haben. Der Anordnungsgrund bei der einstweiligen Zuerkennung von unterkunftsbezogenen Grundsicherungsleistungen nach § 86b Abs. 2 SGG ergibt sich demzufolge weder aus der Vermeidung von Mietschulden/Mehrkosten noch aus dem Risiko einer im Zeitablauf schwieriger werdenden Abwendung eines Wohnungsverlustes, sondern aus der konkret und zeitnah drohenden Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit (vgl. hierzu etwa Beschluss des Senats vom 05.05.2014 - L 19 AS 632/14 B ER m.w.N.). Ein Anordnungsgrund ist damit im Regelfall erst bei Nachweis der Rechtshängigkeit einer Räumungsklage gegeben. Selbst eine fristlose Kündigung reicht für die Bejahung der Eilbedürftigkeit regelmäßig nicht aus (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 22.03.2016 - L 19 AS 115/16 B ER, L 19 AS 116/16 B - und vom 02.09.2015 - L 19 AS 1382/15 B ER, m.w.N.). Dies ist im Hinblick auf den gesetzlich vorgsehenen Schutzmechanismus zur Abwendung eines drohenden Wohnungsverlustes wegen Mietrückständen auch verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30.07.2007 - 1 BvR 535/07 unter Hinweis auf § 22 Abs. 5 S. 1 und 2, Abs. 6 SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung, seither § 22 Abs. 9 SGB II; vgl. auch §§ 543 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 3, 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Eine derartige konkrete Gefährdung der Unterkunft haben die beiden Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.

D. Die Beschwerde des Antragstellers zu 1) gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren ist begründet Die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung hat zumindest für einen Teilzeitraum hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.v. §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 114 ZPO geboten. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen. Der Antragsteller zu 1) ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande gewesen, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, so dass ihm ratenfrei Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen und den zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt beizuordnen ist. Ihm steht deshalb auch Prozesskostenhilfe im Beschwerdeverfahren zu.

E. Die Beschwerde der Antragstellerin zu 2) und des Antragstellers zu 3) gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren und ihr Antrag für das Beschwerdeverfahren sind wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht unbegründet. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Kosten des Beschwerdeverfahrens Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundesozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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