L 1 KR 56/14

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 6 KR 159/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 56/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2014 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2.861,64 EUR nebst 5% Zinsen seit dem 22. September 2009 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Vergütung einer Krankenhausbehandlung, wobei insbesondere die korrekte Kodierung der Hauptdiagnose streitig ist.

Die Klägerin behandelte den bei der Beklagten krankenversicherten, 1990 geborenen C. (im Folgenden: Versicherter) in der Zeit vom 3. bis zum 6. März 2009 stationär. Vorausgegangen war eine prästationäre Untersuchung am 14. August 2008 durch den Chefarzt der medizinischen Abteilung und Abteilung für Akutgeriatrie, den Internisten und Kardiologen Prof. Dr. S ... Im Untersuchungsbericht heißt es: "Der Patient erscheint in Anwesenheit seines Vaters. Er erzählt, dass er seit der Pubertät vermehrt im Bereich der Hände, der Achselhöhlen und im Bereich des Kopfes schwitzt. Er hat aus Frust über diese Situation dann auch nach eigenen Angaben vermehrt gegessen und Gewicht zugenommen, was er aber wieder korrigieren wird. Er leidet sehr unter der Hyperhidrose des Gesichts, dann aber auch unter den Achselhöhlen und schließlich auch unter den Händen. Er hat schon einiges unternommen wie z.B. Aluminiumchlorid, Vagantin Dragees sowie Iontophorese und war auch mehrfach beim Hautarzt gewesen. Der Hautarzt Dr. P. hat ihn dann zu uns geschickt. Bei der körperlichen Untersuchung Rücken deutlich nass, Bauch weitgehend unauffällig. Obere Brustpartie etwas betroffen, Achselhöhle deutlich nass, ebenso Hände und vor allen Dinge im Gesichtsbereich Bildung von deutlichen Schweißperlen während des Gesprächs. Leistenregion ebenfalls etwas Hyperhidrose. Ursache dürfte eine Dysreflexie des autonomen Nervensystems sein."

Ein Arztbrief des Dr. S. vom selben Tag nennt Dysreflexie des autonomen Nervensystems und Hyperhidrose als Diagnosen. Die Einweisungsdiagnose der behandelnden Hautärzte lautete auf Hyperhidrose (ICD-10-Ziffer R61.9: nicht näher beschrieben). Die stationäre Aufnahme erfolgte am 3. März 2009 mit einem Gewicht des Versicherten von 96 kg bei einer Körpergröße von 188 cm (BMI 27,1). Am 3. und 5. März 2009 wurden jeweils eine thorakoskopische Sympathektomie links und rechts durchgeführt. Bei einer postoperativen Untersuchung am 22. April 2009) zeigte sich die Hyperhidrose sodann stark gebessert.

Die Klägerin verlangte hierfür von der Beklagten eine Vergütung in Höhe von 5.437,91 EUR unter Zugrundelegung der Hauptdiagnose G90.41 (Autonome Dysreflexie als Schwitzattacken), der Nebendiagnose R61.0 (Hyperhidrose, umschrieben) und der DRG B06B (Eingriffe bei zerebraler Lähmung, Muskeldystrophie oder Neuropathie, Alter ( 19 Jahre oder mit schweren CC, Alter ) 15 Jahre).

Die Beklagte beglich zunächst die Rechnung in Höhe von 5.437,91 EUR und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nord (MDK) mit einer Prüfung, was dieser gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 1. April 2009 anzeigte. Der MDK kam in seinem Gutachten vom 27. Juli 2009 zu dem Ergebnis, die von der Klägerin kodierte Hauptdiagnose sei nicht nachvollziehbar. Es sei eine Hyperhidrose (R61.0) als Hauptdiagnose zu kodieren gewesen und insgesamt die DRG J10B (Plastische Operationen an Haut, Unterhaut und Mamma außer bei bösartiger Neubildung) anzusetzen. Die Beklagte bat daraufhin um eine entsprechend angepasste Rechnung, was die Klägerin mit Schreiben vom 6. August 2009 ablehnte.

Im September 2009 rechnete die Beklagte zunächst in voller Höhe auf und stornierte die Rechnung; sodann bezahlte sie das Entgelt der DRG J10B in Höhe von 2.576,27 EUR an die Klägerin.

Wegen des Differenzbetrages in Höhe von 2.861,64 EUR hat die Klägerin am 14. Februar 2012 Klage erhoben und sich zur Begründung auf eine Stellungnahme des Leiters des deutschen Hyperhidrosezentrums, Dr. S1, berufen, welcher ausgeführt habe, dass es sich bei der Hyperhidrose um eine Steuerungsstörung des autonomen Nervensystems handele. Die korrekte Verschlüsselung sei die ICD-10-Ziffer G90.8 "Sonstige Krankheiten des autonomen Nervensystems". Diese führe zur selben DRG wie die von der Klägerin gewählte Kodierung.

Das Sozialgericht hat ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt, welches der Chirurg Dr. K. am 7. Mai 2012 erstellt und ausgeführt hat, der Dokumentation der Aufnahmesituation komme besondere Bedeutung zu. Vorliegend sei festzustellen, dass einige typische Anzeichen der primären Form einer Hyperhidrose vorgelegen hätten, nämlich: - Beginn im Kindes- und Jugendalter - Lokalisiertes Auftreten mit beidseitiger Manifestation - Auftreten unvorhersehbar und unkontrollierbar - Erhebliche Alltagsbeeinträchtigung

Die autonome Dysreflexie sei indes eine anfallweise Überreaktion des spinalen sympathischen Nervensystems, die ausschließlich bei (in)kompletter Rückenmarksläsion oberhalb des 6. Brustwirbels auftrete. Das Kapitel G90.4- stelle auf Rückenmarksschädigungen ab, welche im betreffenden Falle nicht vorlägen, so dass eine entsprechende Kodierung nicht erfolgen könne. Alternativ komme eine Kodierung nach G90.8 (Sonstige Krankheiten des autonomen Nervensystems) in Betracht. Die vorliegende Hyperhidrosis sei in ihrer primären Form ein Symptom einer neurologischen Grunderkrankung. Die zugrunde liegende Erkrankung sei zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt, sie werde also nicht während des Aufenthalts diagnostiziert, aber auch nicht behandelt. Damit sei die neurologische Grunderkrankung keine Hauptdiagnose. Es sei vielmehr nur das Symptom (Hyperhidrosis) behandelt worden. Die Kodierung der Klägerin sei dabei zutreffend.

Mit Urteil vom 14. April 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, das Gericht habe sich schon nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugen können, dass überhaupt eine Erkrankung des Nervensystems vorgelegen habe. Eigene fachärztliche Untersuchungen auf das Vorliegen einer autonomen Dysreflexie (ICD-10-Ziffer G90.41) oder auch einer Sonstigen Krankheit des autonomen Nervensystems (ICD-10-Ziffer G90.8) hätten sich weder ambulant noch prästationär noch stationär feststellen lassen. Insbesondere habe sich der Versicherte im Vorfeld der prästationären Untersuchung nicht auch in neurologischer Behandlung befunden. Bereits im Diagnosestadium sei die Hyperhidrose, die in verschiedenen Formen – primär idiopathisch einerseits und sekundär andererseits – auftreten könne, nicht hinreichend deutlich voneinander abgegrenzt worden. Dem Gericht erscheine auch bei eindeutiger Diagnose einer primär idiopathischen Hyperhidrose der gleichsam automatische Schluss auf eine Nervenerkrankung als Ursache nicht hinreichend belegt. Im Übrigen ergebe sich die Diagnose einer neurologischen Erkrankung auch nicht daraus, dass eine (beidseitige) thorakoskopische Sympathektomie vorgenommen wurde und ausweislich der poststationären Untersuchung offenbar ein beträchtlicher Behandlungserfolg eingetreten sei. Nach Punkt D002f der Allgemeinen und Speziellen Kodierrichtlinien für die Verschlüsselung von Krankheiten und Prozeduren, Version 2009, sei darüber hinaus Hauptdiagnose die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt worden sei, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist. Wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstelle und die zugrunde liegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt sei und behandelt werde bzw. während des Krankenhausaufenthaltes diagnostiziert werde, so sei die zugrunde liegende Krankheit als Hauptdiagnose zu kodieren. Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeute dies, dass eine Nervenerkrankung nur dann als Hauptdiagnose in Betracht käme, wenn die Sympathektomie nicht (nur) der Behandlung der Hyperhidrose gedient hätte, sondern auch der Behandlung einer zugrundeliegenden Nervenerkrankung. Der alleinige Umstand, dass mit dem Begriff der Sympathektomie die Blockade nervlicher Strukturen beschrieben sei, reiche hierfür allerdings nicht aus. Aus allen Beschreibungen der Wirkungsweise dieser Sympathektomie sei nur zu entnehmen, dass diese Blockade der Nervenstruktur zwar dem pathologischen Schwitzen (also der Hyperhidrose) entgegenwirke, nicht aber das nervliche Grundleiden selbst behandele. Selbst unter Annahme einer – im vorliegenden Fall nicht erwiesenen – Erkrankung des Nervensystems sei die Sympathektomie als eine Behandlung zu verstehen, die sich lediglich gegen ein Symptom richte.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 25. April 2014 zugestellte Urteil am 22. Mai 2014 Berufung eingelegt, mit welcher sie vorträgt, das Sozialgericht habe sich mit den Ausführungen darüber, ob und wie eine Diagnose zu stellen sei, medizinischen Sachverstand angemaßt. Die Diagnose der Hyperhidrose werde regelhaft von Ärzten verschiedener Fachrichtungen gestellt. Dass man eine Dysregulation von Reflexen durch Unterbrechung von Reflexbögen behandeln könne und in diesem Fall auch so behandelt habe, sei bereits vorgetragen worden. Wenn man einen Tumor entferne, behandle man auch die Karzinomerkrankung, selbst wenn weitere Tumoren verblieben oder neue entstünden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. April 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.861,64 Euro nebst 5% Zinsen seit dem 22. September 2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der erstinstanzlichen Entscheidung sei beizupflichten. Eine eindeutige Diagnosestellung für eine Dysreflexie des autonomen Nervensystems sei nicht dokumentiert. Wann und mit welchen Mitteln diese Diagnose gestellt worden sei, sei nicht dokumentiert. Eine Nervenerkrankung sei zudem nicht behandelt worden. Das operative Ausschalten eines Nervenstranges, um das Schwitzen zu verringern, sei nicht gleichzeitig die Behandlung einer neurologischen Grunderkrankung.

Das Berufungsgericht hat die gleichgelagerten Verfahren L 1 KR 12/14 und L 1 KR 71/14 dem Rechtsstreit beigezogen. Im Verfahren L 1 KR 12/14 ist in erster Instanz ein Gutachten des Chirurgen Dr. Klüber eingeholt worden, der am 13. August 2013 ausgeführt hat, als Hauptdiagnose zu kodieren sei die zugrundeliegende Krankheit und nicht das Symptom. Da nicht eine symptomatische Behandlung des Symptoms erfolgt sei, sondern "dessen Ursache an der Wurzel angepackt" worden sei, sei die Kodierung zutreffend. Es sei nämlich ein operatives Ausschalten des diese Form des Schwitzens verursachenden Nervenstranges notwendig geworden, es sei direkt an der Ursache des Schwitzens, nämlich an der autonomen Dysreflexie angesetzt worden.

Im Verfahren L 1 KR 71/14 ist zunächst ein Gutachten des Chirurgen Dr. K2 eingeholt worden, der am 24. Januar 2012 ausgeführt hat, bei der Sympathektomie werde der sogenannte sympathische Grenzstrang aufgesucht. Durch das Unterbinden von bestimmten Nervenfasern könne die Schweißsekretion vermindert werden. Bei der primären Hyperhidrose sei die Ursache nicht bekannt. Die autonome Dysreflexie sei dagegen eine Fehlfunktion des autonomen Nervensystems, welche im Regelfall bei (in)kompletter Rückenmarksläsion oberhalb des 6. Brustwirbels auftrete. Eine autonome Dysreflexie könne zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen und es handele sich hierbei um eine schwerwiegende neurologische Erkrankung. Eine solche liege bei einer Hyperhidrose im Regelfall nicht vor. Es dürfe aber keine Diagnose verschlüsselt werden, die nicht beweisbar sei bzw. nicht vorliege. Es habe im streitigen Fall eine vermehrte Schweißsekretion an mehreren Lokalisationen vorgelegen. Insofern sei die Kodierung als generalisierte Hyperhidrose korrekt. Bei Hyperhidrosepatienten seien die Schweißdrüsen weder vermehrt noch vergrößert, sondern lediglich überstimuliert. Um welche Dysfunktion des sympathischen oder parasympathischen Nervensystems es sich bei der fokalen Hyperhidrose handele, sei noch nicht bekannt. Weiter als im Rahmen von Vermutungen sei die Wissenschaft diesbezüglich noch nicht. Ein weiteres vom Sozialgericht eingeholtes Gutachten der Dres. W. (Chirurg) und K1 (Neurologe) vom 4. November 2011 hat ausgeführt, eine autonome Dysreflexie liege nicht vor, insoweit sei Dr. K2 zuzustimmen. Es handele sich jedoch bei der primären fokalen Hyperhidrose um eine Fehlsteuerung der Schweißdrüsen durch entsprechende Areale des Gehirns im Bereich des Hypothalamus und damit eindeutig nicht um eine Hautkrankheit, sondern um eine Erkrankung der zentralnervösen, hypothalamischen Steuerung, also um eine neurologische Störung. Die korrekte Kodierung sei G90.8 (sonstige Erkrankungen des autonomen Nervensystems).

Der Senat hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Thorax- und Viszeralchirurgen Professor M ... Dieser hat am 26. August 2016 ausgeführt, es gebe keinen allgemeingültigen Labor- oder anderweitigen Messwert, mit dessen Hilfe das Vorliegen einer Hyperhidrose bewiesen oder ausgeschlossen werden könne. Bei Vorliegen typischer anamnestischer Angaben für eine primäre Hyperhidrose und Fehlen eindeutiger Hinweise auf eine sekundäre Hyperhidrose seien keine routinemäßigen Untersuchungen indiziert. Diagnosestellung und Beurteilung des Schweregrades seien ausschließlich dem behandelnden Arzt vorbehalten. Der primären Form der Erkrankung lägen keine internistischen Erkrankungen oder externe Ursachen zu Grunde. Sie trete meist fokal auf. Die Schweißdrüsen seien intakt und ohne histopathologische Auffälligkeiten, sie seien lediglich überstimuliert. Der Ursprung der Fehlsteuerung finde sich im autonomen Nervensystem, dessen Steuerung über den Sympathikusnerv erfolge. Damit handele es sich um eine Erkrankung nicht des dermatologischen, sondern des neurologischen Formenkreises.

Bei dem Versicherten habe nach den ausgewerteten Unterlagen eine primäre Hyperhidrosis palmaris Grad II als Erkrankung des neurologischen Formenkreises vorgelegen. Das DRG-System bilde unter dem R61 kodierten Begriff der Hyperhidrose lediglich das übermäßige Schwitzen als Symptom ab. Die zugrundeliegende Erkrankung finde sich hingegen in dieser Kodierung nicht wieder. Durch die erfolgte Sympathektomie seien die durch eine Fehlregulation übermäßig ausgelösten Nervenimpulse blockiert und das übermäßige Schwitzen beendet worden. Damit sei die Grunderkrankung therapiert worden.

Vor dem Einsatz chirurgischer Verfahren sollte im Sinne eines Stufenplans in jedem Fall eine konservative Therapie erwogen werden. Bei dem Versicherten hätten konservative Therapien in Form von Iontophorese, Aluminiumchlorid und Vagantin Dragees nicht den gewünschten Erfolg erbracht. Ein möglicher Einsatz von Botulinumtoxin A wäre im Falle des Versicherten palmoplantar und damit "off label" erfolgt, zudem seien in diesem Bereich die Therapiesitzungen schmerzhaft, es drohten Handmuskellähmungen und zudem lasse die Wirkung nach 7-11 Monaten nach.

Angeborene Erkrankungen des autonomen Nervensystems, zu welchen die primäre Hyperhidrose gehöre, seien im ICD 10 System nur schlecht abgebildet. Am ehesten komme als Hauptdiagnose G90.8 in Frage, welche sonstige Erkrankungen des autonomen Nervensystems zusammenfasse.

Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, nach der Rechtsprechung des BSG seien die Abrechnungsbestimmungen eng am Wortlaut orientiert auszulegen. Nicht zulässig sei daher eine "Interpretation", nur weil man der Auffassung sei, das System bilde eine bestimmte Erkrankung (noch) nicht richtig ab. Dem Wortlautargument folgend sei eine Hyperhidrose behandelt worden. Es handele sich um ein eigenständiges Krankheitsbild, dem sogar eine eigene Leitlinie gewidmet worden sei und nicht lediglich um ein Symptom einer Erkrankung. Medizinische Argumente dafür, weshalb diese Erkrankung nicht als Hauptdiagnose zu kodieren sei, seien nicht ersichtlich. Im Übrigen hätte auch eine Botoxtherapie als weitere Therapieoption ausgeschöpft werden müssen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist Prof. Dr. M. zu seinem Gutachten befragt worden, die Beteiligten hatten Gelegenheit, weitere Fragen an den Sachverständigen zu richten. Auf die Sitzungsniederschrift vom 17. Mai 2017 wird wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme Bezug genommen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 17. Mai 2017 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige (§§ 143, 144 und 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Die zutreffend als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) erhobene Klage ist begründet. Die Klägerin hat für die stationäre Behandlung des Versicherten C. in der Zeit vom 3. März 2009 bis zum 6. März 2009 einen weiteren Vergütungsanspruch in Höhe von 2.514,27 EUR, den die Beklagte zu Recht zunächst erfüllt hat. Sie war daher nicht berechtigt, einen Betrag in dieser Höhe gegen einen späteren unstreitigen Vergütungsanspruch aufzurechnen, denn ihr stand insoweit ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch nicht zu.

Rechtsgrundlage des - dem Grunde nach unstreitigen - Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in Verbindung mit der hier maßgeblichen Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2010 (Fallpauschalenvereinbarung 2009 - FPV 2009) sowie dem am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Vertrag Allgemeine Bedingungen Krankenhausbehandlung vom 19. Dezember 2002 zwischen der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft e.V. und u.a. der Beklagten (Vertrag nach § 112 SGB V). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entsteht die - dem Grunde nach hier auch nicht streitige - Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (BSG, Urteil vom 18.09.2008 - B 3 KR 15/07 R - Juris). Nach § 7 S. 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Vorliegend geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG), hier der FPV 2009.

Der in Anlage 1 zur FPV 2009 enthaltene Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG) geordnet. Maßgebliche Kriterien für die Zuordnung eines Behandlungsfalles zu einer DRG sind die Hauptdiagnose, die Nebendiagnosen, eventuelle den Behandlungsverlauf wesentlich beeinflussende Komplikationen, die im Krankenhaus durchgeführten Prozeduren sowie weitere Faktoren (Alter, Geschlecht etc.). Die Diagnosen werden mit einem Code gemäß der vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (hier: Version 2009 - ICD-10; § 301 Abs. 2 S. 1 SGB V) verschlüsselt. Zur sachgerechten Durchführung dieser Verschlüsselung ("Kodierung") haben die Vertragspartner auf Bundesebene die "Deutschen Kodierrichtlinien" (hier: Version 2009, DKR 2009) beschlossen. Aus diesen Codes wird sodann zusammen mit den weiteren für den Behandlungsfall maßgeblichen Faktoren unter Verwendung einer bestimmten vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (I.) zertifizierten Software ("G.") die entsprechende DRG ermittelt (sog. "Groupierung"), anhand derer die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird (hierzu ausführlich: BSG, Urteil vom 18.09.2008 a.a.O.). Die Anwendung der DKR und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich des ICD-10-GM und des OPS erfolgt eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl allgemein bereits BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 19 RdNr 17 mwN; BSG SozR 4-5562 § 9 Nr 3 RdNr 17; BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 27; BSG SozR 4-2500 § 301 Nr 1 RdNr 14; BSGE 116, 165 = SozR 4-2500 § 301 Nr 4, RdNr 12). Nur dann kann eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, ihren Zweck erfüllen. Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes (§ 17b Abs 2 S 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (zuletzt: BSG, Urteil vom 17. November 2015 – B 1 KR 41/14 R – Juris). Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Klägerin vorliegend zu recht die DRG B06B (Eingriffe bei zerebraler Lähmung, Muskeldystrophie oder Neuropathie, Alter ( 19 Jahre oder mit schweren CC, Alter ) 15 Jahre) abgerechnet. Allein streitig ist insoweit unter den Beteiligten noch, ob die zu dieser DRG führende Hauptdiagnose G90.8 (sonstige Krankheiten des autonomen Nervensystems) hätte kodiert werden dürfen. Dies ist in der zur Entscheidung stehenden Sachverhaltskonstellation der Fall. 1. Kodierung Die Hauptdiagnose wird in Ziffer D002f der Kodierrichtlinien definiert als die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist. Dabei bezeichnet der Begriff "nach Analyse" die Evaluation der Befunde am Ende des stationären Aufenthaltes, um diejenige Krankheit festzustellen, die hauptsächlich verantwortlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes war. Die dabei evaluierten Befunde können Informationen enthalten, die aus der medizinischen und pflegerischen Anamnese, einer psychiatrischen Untersuchung, Konsultationen von Spezialisten, einer körperlichen Untersuchung, diagnostischen Tests oder Prozeduren, chirurgischen Eingriffen und pathologischen oder radiologischen Untersuchung gewonnen wurden. Die nach Analyse festgestellte Hauptdiagnose muss nicht der Aufnahmediagnose oder Einweisungsdiagnose entsprechen. Wenn sich ein Patient mit einem Symptom vorstellt und die zugrunde liegende Krankheit zum Zeitpunkt der Aufnahme bekannt ist, jedoch nur das Symptom behandelt wird, ist das Symptom als Hauptdiagnose und die zugrunde liegende Krankheit als Nebendiagnose zu kodieren. Schlüsselnummern für Symptome, Befunde und ungenau bezeichnete Zustände aus Kapitel XVIII (= R00-R99) Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind, sind nicht als Hauptdiagnose zu verwenden, sobald eine die Symptomatik, etc. erklärende definitive Diagnose ermittelt wurde. Der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. M. hat in seinem Gutachten vom 26. August 2016 und in der mündlichen Verhandlung vom 17. Mai 2017 ausgeführt, dass die Kodierung der Hauptdiagnose unter G90.8 (sonstige Erkrankungen des autonomen Nervensystems) zu erfolgen habe. Die von der Beklagten gewählte Hauptdiagnose R61.0 bilde lediglich das Symptom, nicht jedoch die zugrundeliegende Erkrankung ab. Der Ursprung der Fehlsteuerung finde sich im autonomen Nervensystem, dessen Steuerung über den Sympathikusnerv erfolge, die ursächliche Störung liege auf der Ebene des Hypothalamus. Es handele sich damit nicht um eine Erkrankung des dermatologischen, sondern des neurologischen Formenkreises. Der Impuls an die Schweißdrüsen erfolge im Normalfall sowohl über hormonelle Ausschüttung im Körper als auch durch den Befehl des Gehirns. Daher werde in Lebensphasen der hormonellen Veränderung wie der Pubertät oder dem Klimakterium oft unkontrollierter oder vermehrter Schweiß gebildet, das sei normal und kein Grund für die hier fragliche Operation. Bei der hier streitigen Operation würden ganz gezielt Nerven getrennt, die für die krankhaft übermäßige Schweißproduktion in diesem jeweiligen Bereich des Körpers verantwortlich seien. Die übrigen über die durchtrennten Nervenbahnen gesendeten Impulse, die andere Körperfunktionen steuerten, würden von den intakten Nervenbahnen übernommen, nur der Impuls für das fokale Schwitzen werde vom Körper nicht ersetzt. Bei der hier fraglichen Operation werde genau geschaut, an welcher Stelle des Körpers das übermäßige Schwitzen auftrete und man trenne in der entsprechenden Höhe den Sympathi-kusgrenzstrang, der für die Steuerung der ekrinen Schweißdrüsen an den entsprechenden schweißbildenden Stellen wie z.B. Hände und Achseln verantwortlich sei. Die Fehlsteuerung des Nervensystems sei bei dieser Erkrankung nicht zu 100 Prozent ergründet. Sicher sei aber, dass die Impulse zur Schweißbildung in den angesprochenen Körperregionen über das Nervensystem erfolgten. Bei der primären fokalen Hyperhidrose gehe man nicht von einer Fehlsteuerung durch den Hypothalamus, sondern von fehlsteuernden Ganglien aus. Der fragliche Sympathikusnerv erscheine von außen gesund. Die Fehlsteuerung dürfte aber durch den Nerv selbst entstehen. Auszuschließen sei, dass die Fehlsteuerung vom Hypothalamus ausgehe. Eine Messung der Nervenimpulse, die hier zu der krankhaften Hyperhidrose führten, sei technisch bisher nicht möglich ist. Vor diesem Hintergrund bleibe dem Arzt nur eine gründliche Anamnese zur Diagnose der primär fokalen Hyperhidrose. Dies entspricht auch im Wesentlichen den übrigen eingeholten Sachverständigengutachten und der (zur Zeit in der Überarbeitung befindlichen) Leitlinie "Definition und Therapie der primären Hyperhidrose" in welcher ausgeführt ist: "Bei Hyperhidrose-Patienten sind die Schweißdrüsen weder vermehrt noch vergrößert, sondern lediglich überstimuliert. Die Stimulation der Schweißdrüsen erfolgt durch den sympathischen Anteil des vegetativen Nervensystems, wobei Azetylcholin als Neurotransmitter zwischen Nervenendigung und Schweißdrüse fungiert." Soweit danach die durchgeführte Operation im Einzelfall überhaupt indiziert ist, ist sie daher nach Auffassung des Senats mit der Hauptdiagnose G90.8 (sonstige Krankheiten des autonomen Nervensystems) zutreffend kodiert. Denn es handelt sich bei der primären fokalen Hyperhidrose nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats um eine Erkrankung des autonomen Nervensystems. Auszuschließen ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sowohl, dass es sich um eine Erkrankung der Schweißdrüsen handelt, als auch, dass der Erkrankung eine Fehlfunktion des Gehirns zugrunde liegt. Dass die Erkrankung auf einer Fehlsteuerung des Nervensystems beruht, folgt aus nahezu allen einbezogenen sachverständigen Äußerungen. Darauf, ob die Fehlsteuerung durch einen organisch kranken Nerv erfolgt oder ob sie – was nicht endgültig erforscht ist, aber nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand, dem Gutachten des Gerichtssachverständigen folgend und auch nach der Leitlinie medizinischer Konsens sein dürfte – aufgrund eines fehlgeleiteten Informationsflusses zwischen den Nervenzellen durch die dort stattfindenden elektrischen/ biochemischen Impulse ausgelöst wird, kommt es für die Frage der Zuordnung zu den sonstigen Krankheiten des autonomen Nervensystems nicht an. Denn die Ursache für die Fehlsteuerung findet sich in jedem Fall innerhalb des Nervensystems, auch wenn der Mechanismus dieser Fehlsteuerung wegen der Komplexität des Systems nicht ausreichend erforscht ist. Allein dies rechtfertigt die Zuordnung zu der Auffangdiagnose G90.8. Bei der Sympathektomie wird auch die primäre fokale Hyperhidrose als Erkrankung des autonomen Nervensystems und nicht lediglich das Symptom des Schwitzens "behandelt". Zwar wird ein gesunder Nerv gekappt, jedoch unterbleibt infolge dieser Kappung die Weiterleitung von Impulsen und damit auch die Weiterleitung von fehlgesteuerten Impulsen. Damit dient die Sympathektomie unmittelbar der Unterbindung unerwünschter und – soweit die Voraussetzungen für einen Eingriff vorliegen – im Krankheitssinne fehlerhafter Impulse innerhalb des autonomen Nervensystems. Dass im Ergebnis mit der Unterbindung dieser Impulse mittelbar die Hyperhidrose günstig beeinflusst werden soll, steht dem nicht entgegen, fordert aber eine besondere Rechtfertigung, wie unter 2. auszuführen sein wird. Dass auch erwünschte Impulse unterbleiben, steht dem ebenfalls nicht entgegen; dies ist bei einer Vielzahl von Krankenbehandlungen vergleichbar der Fall (z.B. Chemotherapie, Entfernung von Organen). Überdies übernehmen die intakten Nervenbahnen die übrigen über die durchtrennten Nervenbahnen gesendeten Impulse. Soweit die Beklagte vorträgt, die Bezeichnung "Hyperhidrose" sei spezifischer als die Bezeichnung "sonstige Erkrankungen des autonomen Nervensystems", ist dies sicher zutreffend. Jedoch sind, wie schon ausgeführt, nach D002f der Kodierrichtlinien unter der Überschrift: "Schlüsselnummern für Symptome, Befunde und ungenau bezeichnete Zustände" diese aus Kapitel XVIII "Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind", nicht als Hauptdiagnose zu verwenden, sobald eine die Symptomatik erklärende definitive Diagnose ermittelt wurde. Die Hyperhidrose ist als Symptom in Kapitel XVIII der ICD 10 klassifiziert und damit nur dann als Hauptdiagnose zu verwenden, wenn keine die Symptomatik erklärende definitive Diagnose ermittelt wurde. Als eine solche anderweitige erklärende Diagnose ist hier aber die "sonstige Erkrankung des autonomen Nervensystems" in Form einer Fehlsteuerung des Sympathikusnervs anzusehen. Auch eine als "Auffangbecken" formulierte Grunderkrankung schließt aber nach den Kodierrichtlinien die Verwendung eines Symptoms des Kapitel XVIII als Hauptdiagnose aus. 2. Medizinische Indikation für die durchgeführte Operation Der Eingriff war vorliegend auch erforderlich (vgl. zur Frage der faktischen Überscheidung zwischen den beiden Prüfregimen "sachlich-rechnerische Unrichtigkeit" und "Auffälligkeiten" BSG, Urteil vom 25.10.2016 – B 1 KR 22/156 R – Juris, Rn. 32, wonach eine Beschränkung auf das Prüfregime der sachlich-rechnerischen Richtigkeit in diesem Fall nicht erfolgt). Allerdings handelte es sich um eine Therapie, die lediglich mittelbar die Hyperhidrose beeinflussen sollte und zwar durch Eingriff an einem grundsätzlich gesunden Nerv. Auch eine solche mittelbare Therapie kann grundsätzlich vom Leistungsanspruch umfasst sein. Wird durch eine Operation jedoch in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, bedarf diese mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2003, B 1 KR 1/02 R, Juris und Beschluss vom 17.10.2006, B 1 KR 104/06 B, Juris). Insoweit darf eine chirurgische Behandlung nur ultima ratio sein, da ein operativer Eingriff stets mit einem erheblichen Risiko (Narkose, Operationsfolgen wie z.B. Entzündungen, Thrombose bzw. Lungenembolie, operationsspezifische Komplikationen) verbunden ist. Zu fordern ist in jedem Fall eine schwerwiegende Form der Erkrankung, die erfolglose Ausschöpfung aller konservativen Behandlungsmaßnahmen und die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahme auch den gewünschten Behandlungserfolg bringt (vgl. zur Mammareduktionsplastik: Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 25. August 2016, L 1 KR 38/15 - Juris -). Dass diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt sind, lässt sich der – was die Beklagte durchaus zu Recht kritisiert – äußerst sparsamen Dokumentation der Klägerin gerade noch mit aus Sicht des Senats ausreichender Überzeugung entnehmen. Zur Frage der Stellung und der Schwere der Diagnose führen die in Überarbeitung befindlichen Leitlinien "Definition und Therapie der primären Hyperhidrose" von 2012 aus: "Es gibt keinen allgemeingültigen Labor- oder Messwert, mit dessen Hilfe das Vorliegen einer Hyperhidrose bewiesen oder ausgeschlossen werden könnte. Am häufigsten wird die Diagnose der primären fokalen Hyperhidrose anhand der Anamnese gestellt. Typische Angaben der Patienten sind in Tabelle 1 zusammengefasst: Tabelle 1:

- Beginn der Symptome im Kindes- oder Jugendalter (( 25 Jahre) - Auftreten des Schwitzens temperaturunabhängig, unvorhersehbar, und nicht willentlich kontrollierbar - Fokales Auftreten in einer oder mehrerer Prädilektionsstelle(n) mit beidseitigem, symmetrischen Befall - Auftreten öfter als 1x/ Woche mit Beeinträchtigung im Alltag - Kein vermehrtes Schwitzen während des Schlafes - Positive Familienanamnese"

Der Sachverständige Prof. Dr. M. hat hierzu in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass zur Diagnosestellung vor der Durchführung eines operativen Eingriffs mindestens drei dieser Merkmale anamnestisch festgestellt sein müssten, wobei führend das nicht willentlich kontrollierbare anlasslose fokale Auftreten des Schwitzens mindestens seit 6 Monaten sei. Andere Ursachen auch vorübergehender verstärkter Schweißproduktion, wie etwa die Hormonumstellung während des Klimakteriums oder der Pubertät, müssten ausgeschlossen sein. Dies lässt sich im vorliegenden Fall der prästationären Untersuchung vom 14. August 2008 gerade noch entnehmen. Die pubertäre hormonelle Umstellung war bei dem 18jährigen Versicherten bereits knapp abgeschlossen, der Beginn der Symptome wurde seit der Pubertät geschildert, also länger als 6 Monate. Erhebliche Beeinträchtigungen des Alltags mit "Frustessen" werden geschildert. Ein fokales Auftreten in mehreren Prädilektionsstellen mit beidseitigem, symmetrischem Befall ist ausreichend anschaulich unter Angabe der betroffenen Körperregionen dokumentiert. Dass das Schwitzens temperaturunabhängig, unvorhersehbar, und nicht willentlich kontrollierbar auftritt, ist nicht ausdrücklich beschrieben, lässt sich aber dem Befund mittelbar – aus den geschilderten Umständen und Alltagsbelastungen – gerade noch mit ausreichender Deutlichkeit entnehmen.

Die konventionellen Behandlungsmethoden – Alluminiumchlorid, Vagantin Dragees und Iontophorese – hatte der Versicherte ausgeschöpft. Er befand sich auch seit längerem in hautärztlicher Behandlung. Die Behandlung mit Botulinumtoxin als weitere konventionelle Behandlungsmöglichkeit ist, unabhängig davon, dass insoweit ein Off-Label-Use vorläge, wegen der vom Sachverständigen geschilderten Nebenwirkungen (große Schmerzhaftigkeit der Behandlung, Auftreten von Handmuskellähmungen in über 60% der Anwendungsfälle, Nachlassen des Therapieeffekts nach 7-11 Monaten), den Versicherten nicht zumutbar.

Schließlich bestand zur Überzeugung des Senats auch die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahme den gewünschten Behandlungserfolg bringen würde. Der Senat folgt auch insoweit den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. M., welcher dargelegt hat, dass bei der fraglichen Operation entsprechend des Auftretens der krankhaften Schweißproduktion der für die Steuerung der ekrinen Schweißdrüsen verantwortliche Sympathikusnerv an der entsprechenden Höhe durchtrennt wird und hierdurch mit mehr als 90%iger Wahrscheinlichkeit ein befriedigendes Behandlungsergebnis erzielt werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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