S 31 AS 1908/15

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
31
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 31 AS 1908/15
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Voraussetzung für die Rückwirkung eines Antrages auf SGB II - Leistungen
nach § 28 SGB X ist, dass der Hilfebedürftige zuvor erfolglos eine vergleich-
bare Sozialleistung beantragt hat.

2. Die Einstellung der Vermittlung nach § 38 Abs. 3 Satz 2 SGB III ist keine
solche vergleichbare Sozialleistung.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende rückwirkend für den Zeitraum Februar bis März 2015. Der 1961 geborene Kläger bezog bereits bis zum Jahr 2013 wiederholt Leistungen zur Grund-sicherung beim Beklagten. Die letzte Bewilligung lief bis Oktober 2013. Er lebt in einer Mietwohnung, für die monatlich 213,57 EUR Miete sowie Vorauszahlungen auf die Betriebskosten in Höhe von 57,72 EUR zu zahlen waren. Für die Heizkosten waren Abschläge in Höhe von 62,00 EUR zu zahlen.

Am 23. April 2015 sprach der Kläger beim Beklagten vor und beantragte Leistungen zur Si-cherung des Lebensunterhalts rückwirkend zum 1. Januar 2015. Die vollständigen Antragsun-terlagen unterzeichnete er Ende April 2015. Mit Bescheid vom 12. Mai 2015 bewilligte der Beklagte Leistungen ab 1. April 2015 und lehnte Leistungen für vorangegangene Zeiträume mit der Begründung ab, dass der Antrag keine Rückwirkung entfaltet. Im Widerspruch machte der Kläger geltend, dass die Agentur für Arbeit mit Bescheid vom 9. Februar 2015 den Kläger aus der Vermittlung ausgeschlossen habe. Hierzu sei erst am 24. März 2015 ein Widerspruchsbescheid ergangen, so dass die Antragstellung im April 2015 zumindest bis Februar 2015 zurückwirken müsse.

Der Beklagte zog Unterlagen der Agentur für Arbeit bei. Danach beantragte der Kläger am 31. März 2014 Leistungen nach dem SGB III. Mit Bescheid vom 30. Dezember 2014 bewilligte die Agentur für Arbeit Leistungen für den Zeitraum 7. April 2014 bis 15. September 2014. Darüber hinaus ist ein Aktenvermerk Bestandteil der Akten geworden, wonach der Kläger am 18. September 2014 im Bereich der Arbeitsvermittlung vorgesprochen habe. Auf den Hinweis, für die Gewährleistung des Lebensunterhalts Leistungen nach dem SGB II oder SGB III zu beantragen, habe der Kläger danach erklärt, dass er dies nicht machen werde. Gegen den Bewilligungsbescheid für Leistungen nach dem SGB III hat der Kläger keinen Widerspruch erhoben.

Der Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 10. August 2015).

Hiergegen richtet sich die im September 2015 erhobene Klage. Der Kläger hat den Bescheid der Agentur für Arbeit vom 9. Februar 2015 vorgelegt, mit dem die Vermittlung des Klägers zum 12. Februar 2015 eingestellt wurde. Der hierzu ergangene Widerspruchsbescheid datiert auf den 24. März 2015. Der Kläger hat geltend gemacht, auch die Ablehnung der Vermittlung sei eine vergleichbare Leistung im Sinne von § 28 SGB X, jedenfalls sei er davon ausgegangen, dass ihm für drei Monate die Leistungen gesperrt worden wären. Er hat angegeben, die Nachzahlung des Arbeitslosengeldes in Höhe von etwa 3000,00 EUR im Mitte Januar 2015 erhalten zu haben. Auch sei er davon ausgegangen, dass er durch das Ende des Arbeitslosengeldes nicht mehr mit der Arbeitsagentur in Kontakt stehen müsse.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 19. Mai 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2015 dahingehend abzuändern, dass dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 1. Februar bis 31. März 2015 in gesetzlicher Höhe gewährt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er die Auffassung vertreten, dass es sich nicht um vergleichbare Sozialleistungen handelt und damit eine Rückwirkung der Antragstellung nicht begründet werden könne. In der mündlichen Verhandlung ist der Kläger angehört worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakte sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die als Anfechtungs- und Leistungsklage dem Grunde nach zulässige Klage ist im Ergebnis nicht begründet. Dem Kläger stehen Leistungen für den Zeitraum vor dem 1. April 2015 nicht zu. Nach § 37 Abs. 2 SGB II werden Leistungen nach dem SGB II nicht für Zeiten vor der An-tragstellung erbracht. Der Antrag auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt auf den ersten des Monats zurück. Dem ist der Beklagte mit dem angegriffenen Bewilligungsbescheid vollständig nachgekommen.

Für den Fall des Klägers greift die Ausnahmeregelung des § 28 SGB X nicht. Nach dieser Vorschrift wirkt ein nachgeholter Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn ein Leistungsberechtigter von der Stellung eines Antrags auf eine Sozialleistung abgesehen hat, weil ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht worden ist und diese Leistung versagt wird oder zu erstatten ist. Nach § 40 Abs. 7 SGB II ist die Regelung im Fall des Klägers mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats gestellt wird, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist. Ein Anwendungsfall der Vorschrift ist es, wenn der Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld nach dem SGB III abgelehnt wurde und stattdessen nunmehr Leistungen nach dem SGB II begehrt werden (vgl. Urteil des BSG vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 16/09 R, recherchiert bei Juris).

Dem Kläger sind Leistungen nach dem SGB III in Form von Arbeitslosengeld durch Bescheid vom 30. Dezember 2014 bis zum 15. September 2014 bewilligt worden. Unmittelbar im Monat nach dieser Entscheidung, die nicht vom Kläger angegriffen wurde, wurde kein Antrag auf Grundsicherungsleistungen gestellt. Das Gericht sieht es als sehr wahrscheinlich ein, dass der innerhalb eines Monats nach Bestandskraft der Ablehnungsentscheidung gestellter Antrag beim Beklagten unter Anwendung des § 28 SGB X zu einer entsprechenden Rückwirkung geführt hätte. Der Kläger hat aber einen solchen Antrag unstreitig nicht gestellt.

Die Einstellung der Vermittlungsleistungen durch Bescheid vom 9. Februar 2015 ist keine Regelung im Sinne von § 28 SGB X. Voraussetzung hierfür ist nämlich, dass es sich um eine vergleichbare Sozialleistung handelt. Nur dann ist der Sinn und Zweck der Rückwirkungsregelung erfüllt. Nur wenn ein verständiger Leistungsempfänger eine Auswahl von mehreren Leistungen treffen kann und sich für eine der Möglichkeiten entscheidet, die im Ergebnis aber nicht zum Tragen kommt, kann die aus seiner Sicht nachrangige Leistung auch rückwirkend beantragt werden. In diesem Sinne ist auch die gesetzgeberische Zielsetzung für die Regelung zu verstehen, dass er Rechtsnachteile vermieden werden sollen, wenn ein Berechtigter in Erwartung eines positiven Bescheides einen Antrag auf eine andere Sozialleistung nicht gestellt hat (BT-Drucks 8/4022 S 81 f).

Bedeutsam ist im vorliegenden Fall bereits, dass der Kläger Anfang 2015 gar keinen Antrag auf eine andere Sozialleistung gestellt hat. Vielmehr erging im Februar eine Einstellungsentscheidung der Agentur für Arbeit. Bereits die Situation, in der sich der Kläger befunden hat, ist von der Regelung des § 28 SGB X nicht erfasst. Darüber hinaus dienen Vermittlungsleistungen der Wiedereingliederung in Arbeit und primär nicht der Existenzsicherung. Damit ist eine Vergleichbarkeit offenkundig nicht gegeben.

Im Übrigen verweist das Gericht auf die Bearbeitungsvermerke in der Verwaltungsakte und insbesondere den aus dem September 2014. Der Kläger ist zu diesem Zeitpunkt bereits darauf hingewiesen worden, Arbeitslosengeld oder Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende zu beantragen. Dies hat er ausdrücklich abgelehnt. Soweit der Kläger sich in der mündlichen Verhandlung an ein solches Gespräch nicht mehr zu erinnern vermochte, über-zeugt dies das Gericht nicht. Letztlich hat er im Rahmen seiner Angaben auch eingeräumt, dass er davon ausgegangen ist, dass durch das Ende des Arbeitslosengeldes ein Kontakt zur Arbeitsagentur gar nicht mehr erforderlich ist. Dem in der Vergangenheit im Leistungsbezug erfahrenen Kläger musste sich förmlich aufdrängen, dass er spätestens im Januar 2015 einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen zu stellen hatte.

Für das Gericht entsteht nach den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung eher der Eindruck, dass er durch die Auszahlung des Arbeitslosengeldes in einem Gesamtbetrag gar keine Veranlassung sah, sich mit dem Beklagten in Verbindung zu setzen. Es ist im Übrigen auch nicht dargetan, ob die Hilfebedürftigkeit im Januar oder Februar 2015 bestanden hat. Letztlich scheitert das klägerische Begehren aber daran, dass die Einstellung der Eingliede-rungsleistungen keine Versagung von vergleichbaren Sozialleistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende ist. Das Gericht folgt dem Kläger darüber hinaus auch nicht darin, dass er durch die Einstellung der Vermittlungsleistungen annehmen musste, dass er keinerlei Anspruch auf existenzsichernde Leistungen haben würde. Der streitige Bescheid der Agentur für Arbeit vom 9. Februar 2015 nimmt ausdrücklich nur Bezug auf die Arbeitslos- und Arbeitsuchendmeldung und die Vermittlung durch die Agentur für Arbeit. Für den durchschnittlichen Empfänger des Bescheides ist zweifelsfrei keinerlei Bezug zu existenzsichernden Leistungen ersichtlich. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

In Anbetracht der mit Bescheid vom 19. Mai 2015 für April 2015 bewilligten Leistungen in Höhe von 732,29 EUR und dem streitigen Zeitraum von zwei Monaten ist der Berufungsstreitwert erreicht.
Rechtskraft
Aus
Saved