L 6 AS 111/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 6 AS 1850/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 111/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 40/17 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 28.11.2013 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Tilgung eines Mietkautionsdarlehens durch monatliche Aufrechnung gegen den Leistungsanspruch nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Die im Jahr 1989 geborene Klägerin bezieht Leistungen nach dem SGB II gemeinsam mit ihrem Partner und fünf Kindern. Am 07.01.2012 schlossen die Klägerin und ihr damaliger Lebenspartner, jetziger Ehemann, mit Zustimmung des Beklagten einen Mietvertrag über eine Mietwohnung in E ab. Mietbeginn war der 01.02.2012. Ausweislich des Mietvertrages war an den Vermieter eine Mietkaution iHv 1410 EUR zu zahlen. Die Klägerin beantragte am 07.02.2012 im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei dem Beklagten die Gewährung eines Darlehens zur Zahlung der Mietkaution, die Kaution könne sie nicht aus eigenen Mitteln aufbringen. Sie unterzeichnete eine Abtretungsvereinbarung zugunsten des Beklagten über den Rückforderungsanspruchs der Kaution gegenüber dem Vermieter. Mit Bescheid vom 27.02.2012 bewilligte der Beklagte der Klägerin, ihrem Partner und den damals noch drei Kindern Leistungen nach dem SGB II nach dem Umzug in eine neue Wohnung (Regelleistung, Kosten der Unterkunft und Heizung). Mit Bescheid vom 12.03.2012 gewährte er der Klägerin ein Darlehen iHv 1410 EUR nach § 22 Abs. 6 SGB II für die Mietkaution und überwies den Betrag unmittelbar an den Vermieter der Klägerin. In dem Bescheid führte der Beklagte weiter aus: "Bis zur endgültigen Tilgung des Darlehens werden monatlich 67,40 Euro von ihren laufenden Leistungen, Arbeitslosengeld II, einbehalten".

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Einbehaltung von 67,40 EUR sei rechtswidrig. Da die Mietkaution an den Beklagten abgetreten sei, stehe dem Beklagten der komplette Auszahlungsanspruch der Kaution zu, so dass die Rückzahlung bereits geregelt sei. Eine vorherige Tilgung durch Einbehaltung sei rechtswidrig. Sie führe zu einer faktischen Kürzung der laufenden Leistung und damit im Ergebnis zu einer verfassungswidrigen Unterdeckung des Existenzminimums.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2012 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. § 42a SGB II sehe die Aufrechnung vor. Deren Höhe richte sich nach dem monatlichen Regelbedarf. Eine rechtswidrige Beeinträchtigung liege nicht vor, da bei vollständiger Tilgung des Darlehens der Vermieter informiert werde, die Abtretung ihre Gültigkeit verliere und die Rückzahlung an die Klägerin erfolge.

Im Anschluss an ein Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erließ der Beklagte unter dem 27.06.2012 einen Änderungsbescheid, mit dem die Tilgung des Darlehens bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens vorläufig ausgesetzt wurde. Auch im weiteren Klageverfahren ist die aufschiebende Wirkung beachtet worden.

Mit der am 01.08.2012 beim Sozialgericht Gelsenkirchen (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin beanstandet, der Beklagte habe sein Ermessen nicht hinreichend ausgeübt. Zudem lege er bei der Einbehaltung auch den Regelbedarf ihres Lebensgefährten zugrunde, obwohl dieser weder ein Darlehen beantragt, noch erhalten habe. Er werde in Bescheid und Abtretungserklärung auch nicht erwähnt. Aufgrund der Abtretung liege eine Übersicherung des Beklagten vor. Es bestünden aber auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gesetzlichen Vorgaben des § 42a Abs. 2 SGB II. Durch die starre Tilgungsrate würden Bezieher von Leistungen nach dem SGB II über einen langen Zeitraum unter das sozioökonomische Existenzminimum gedrückt.

Im Erörterungstermin vom 18.02.2013 hat der Beklagte die Aufrechnung auf 10 Prozent des Regelbedarfs der Klägerin beschränkt; die Klägerin hat das Teilanerkenntnis im Termin vom 11.05.2017 angenommen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 28.11.2013 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Es bestünden keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 42a SGB II. Es sei nicht davon auszugehen, dass durch die Tilgung des Darlehens i.H.v. 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs das soziokulturelle Existenzminimum nicht mehr gedeckt sei. In diesem Zusammenhang sei zunächst zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber nur eine Regelung hinsichtlich der Höhe der Tilgungsrate, nicht aber hinsichtlich der Tilgungsdauer getroffen habe. Dies spreche dafür, dass er die Tilgung über einen längeren Zeitraum im Auge gehabt habe. In diesem Zusammenhang sei auch die Regelung des § 42a Abs. 6 SGB II zu berücksichtigen, mit welcher der Gesetzgeber zum Ausdruck bringe, dass einem Hilfebedürftigen mehrere Darlehen gewährt werden könnten, die nacheinander und damit über einen längeren Zeitraum zu tilgen seien. Auch die Systematik des SGB II spreche dafür, dass erst bei einer Unterschreitung des Regelbedarfs von 30 Prozent von der Unterschreitung des soziokulturellen Existenzminimums auszugehen sei, was aus § 31 Abs. 3 SGB II und § 43 Abs. 2 S. 3 SGB II folge. Zudem sei zu beachten, dass nach Tilgung des Darlehens die Mietkaution der Klägerin zustehe, so dass sie es als Mieterin in der Hand habe, durch ihren Umgang mit der Mietsache die Mietkaution nach Auszug zurückzuerhalten. In diesem Zusammenhang sei zudem der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu berücksichtigen. An der Verfassungsmäßigkeit der Rückführung des Darlehens bestünden grundsätzlich dann keine Zweifel, wenn im Einzelfall eine besondere Härte berücksichtigt werden könne. Eine Mietkaution könne auch als Zuschuss übernommen werden, insbesondere bei Personen die nach Lebenslage oder sonstigen Umständen keine Chance hätten, kurzfristig aus dem Leistungsbezug herauszukommen. Entsprechende Umstände seien bei der Klägerin aber nicht ersichtlich. Eine etwaige Übersicherung des Rückzahlungsanspruchs sei nicht erkennbar. Das Gericht habe in diesem Zusammenhang berücksichtigt, dass nach Tilgung des Darlehensbetrages und im Fall eines in der Zukunft liegenden Auszuges aus der Wohnung der Mietkautionsanspruch auf die Klägerin übergehe. Dies stehe allerdings unter der Bedingung, dass die Mietsache in dem Zeitpunkt der Rückgabe frei von etwaigen Schäden sei. Die Klägerin habe es mithin in ihrer Hand, nach Tilgung des Betrages die volle Kaution zu erhalten.

Gegen das ihr am 19.12.2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.01.2014 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt und beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 28.11.2013 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 12.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2012 und in Gestalt des Teilanerkenntnisses vom 18.02.2013 zur Aufrechnung aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2017 hat die Klägerin erklärt, sie habe vor dem Umzug in einer Wohnung gewohnt, für die sie ebenfalls eine Kaution gezahlt habe. Die Rückzahlung der Kaution sei Gegenstand eines zivilgerichtlichen Rechtsstreits gewesen. Der Vermieter sei zwar verurteilt worden, die Kaution auszuzahlen, dies habe er aber nicht getan. Vollstreckungsversuche seien vergeblich gewesen, der Vermieter habe es geschafft, alles so darzustellen, als ob er nichts habe.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des Beklagten; dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 12.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2012 und in der Gestalt des Teilanerkenntnisses vom 18.02.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Nach dem angenommenem Teilanerkenntnis steht lediglich noch die mit dem angefochtenen Bescheid verfügte Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent der Regelleistung der Klägerin zur gerichtlichen Überprüfung. Dazu war der Beklagte auf der Grundlage des § 42a Abs. 1 S 1 SGB II in der ab dem 01.04.2011 geltenden Fassung (Art. 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl. I S 453)) berechtigt. Danach werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgeblichen Regelsatzes getilgt, solange Darlehnsnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beziehen.

Die Voraussetzungen der Vorschrift sind erfüllt. Im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides bestand eine Darlehnsverbindlichkeit. Die Bewilligung der Mietkaution als Darlehen durch Bescheid vom 12.03.2012 (und nicht als Zuschuss) hat die Klägerin ausdrücklich nicht angefochten. Die Klägerin stand auch (weiterhin) im Leistungsbezug. Der Bedarf "Mietkaution" konnte auch nicht anderweitig, insbesondere nicht durch Schonvermögen oder auch durch die Mietkaution aus dem vorangegangenen Mietverhältnis gedeckt werden. Der Beklagte hat die Aufrechnung mit der Darlehensforderung wirksam erklärt, indem er bestimmt hat, dass aufgrund des gewährten Darlehens in Höhe von 1410 EUR ein Betrag von 67,40 EUR monatlich einbehalten werde. Damit hat er eine Regelung (§ 42a Abs. 2 S 2 SGB II) getroffen, die eine an die Klägerin gerichtete Erklärung im Sinne des § 388 S 1 BGB enthält. Der Aufrechnungswillen ist klar erkennbar (vgl BVerfG NJW-RR 1993, 764, 765; BGHZ 26, 241, 244; BGHZ 37, 233; BFHE 139, 487; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl 2016, § 388 Rn. 1; BSG SozR 1300 § 31 Nr 3 mwN). Sowohl die Passiv- als auch die Aktivforderung sind hinreichend konkret bezeichnet worden (Schlüter in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl 2016, § 388 RdNr 1). Durch das (angenommene) Teilanerkenntnis ist die Tilgung auf die durch § 42a Abs. 2 SGB II vorgegebene Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs der Klägerin begrenzt worden. Die weitere Bewilligung von Leistungen ohne Aufrechnung aufgrund der eingelegten Rechtmittel führen - anders als in dem Kostenbeschluss des BSG vom 29.06.2015 - B 4 AS 11/14 R - nicht dazu, dass die Aufrechnung dauerhaft ausgesetzt ist. Hier ist die Aussetzung der Vollziehung befristet aufgrund der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln erfolgt. Die Klägerin ist jedenfalls im Widerspruchsverfahren angehört worden.

Der Umstand, dass das Darlehen der Klägerin für die von ihr vertraglich geschuldete Mietkaution bewilligt worden war, führt zu keiner anderen Beurteilung. § 42a Abs. 2 S 1 SGB II gilt auch für Mietkautionsdarlehen (so auch Conradis in LPK-SGB II, 5. Auflage 2017, § 42a Rn 1,2; Bender in Gagel, SGB II, Stand 3/2017, § 42a Rn 4; Boerner in Löns/Herold-Tews SGB II, 3. Aufl. 2011, § 42a Rn 2,3; Greiser in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 42a Rn 23; offen gelassen BSG Beschluss vom 29.06.2015 - B 4 AS 11/14 R; Urteil vom 25.06.2015 - B 14 AS 28/14 R; aA und zum aktuellen Meinungsstand Nguyen SGb 2017, 202). Eine einschränkende Auslegung, die die Mietkautionsdarlehen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift herausnimmt, ist nicht möglich.

Nach dem Wortlaut des § 42a Abs. 2 S 1 SGB II werden von der Bestimmung auch Mietkautionsdarlehen erfasst. Denn die Formulierung ist weit gewählt, indem auf Rückzahlungsansprüche aus "Darlehen" abgestellt wird, ohne danach zu differenzieren, wofür die Darlehen gegeben wurden. Danach unterfallen alle Darlehen an Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II der Regelung in § 42a Abs. 2 S 1 SGB II. Dass der Gesetzgeber sich bei der Wortwahl nicht bewusst gewesen sein sollte, eine Regelung auch für Mietkautionsdarlehen zu treffen, erscheint ausgeschlossen. Die Mietkaution gehört zu den Kosten der Unterkunft und kann als Bedarf anerkannt werden (§ 22 Abs. 6 S 1 SGB II); die Entscheidung über die Übernahme einer Mietkaution als Zuschuss oder Darlehen gehört zum Tagesgeschäft des Beklagten.

Systematische und teleologische Auslegung bieten ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, Rückzahlungsverpflichtungen aus Mietkautionsdarlehen aus dem Anwendungsbereich des § 42a Abs. 2 S 1 SGB II herauszunehmen. Im Gegenteil:

§ 42a SGB II hat zum 01.04.2011 die bislang fehlenden Rahmenvorgaben für alle Darlehen im SGB II geschaffen. Diese im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich formulierte Zielsetzung (s. BT-Drs 17/3404, 115) findet ihre Entsprechung in Inhalt und Struktur der Vorschrift selbst. Absatz 1 enthält die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung von Darlehen an Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften, die Absätze 2 bis 6 enthalten Regelungen zu deren Rückführung: Absatz 2 regelt die Rückführung während des Leistungsbezugs, dabei gelten für Darlehen nach § 24 Abs. 5 SGB II und Mietkautionsdarlehen Sonderregelungen nach Maßgabe des Absatzes 3. Absatz 4 regelt die Rückzahlung nach Beendigung des Leistungsbezugs, eine hiervon abweichende Bestimmung trifft Absatz 5 für Rückzahlungsansprüche nach § 27 Abs. 4 SGB II. Absatz 6 schließlich enthält eine von § 366 Abs. 2 BGB abweichende Tilgungsbestimmung (vgl zum Normzweck und zur Normstruktur Greiser aaO Rn 1 bis 7). Schon diese Inhaltsübersicht zeigt, dass das ausdrücklich formulierte gesetzgeberische Anliegen "Rahmenvorgaben für alle Darlehen im SGB II" zu schaffen (s. BT-Drs 17/3404, 115), in den gesetzestechnisch zu erwartenden Strukturen zielführend umgesetzt wurde.

Die Einordnung als Rahmenvorgabe für alle Darlehen gilt auch für § 42a Abs. 2 S 1 SGB II. Eine systematische Auslegung spricht dagegen, den Anwendungsbereich der Bestimmung entgegen dem dargelegten Regelungskonzept anders zu bestimmen und Rückzahlungsansprüche aus Mietkautionsdarlehen herauszunehmen. Denn in der Binnensystematik verhält sich § 42a Abs. 1 SGB II über die Gewährung von Darlehen, die Bestimmungen zu deren Rückführung sind in den Absätzen 2 bis 6 verortet, dabei regelt § 42a Abs. 2 SGB II Fälligkeit und Rückführung während des Leistungsbezugs, § 42a Abs. 4 SGB II hingegen nach Beendigung des Leistungsbezugs. Wenn und soweit Besonderheiten für einzelne Darlehen gelten sollen, erfolgen diese besonderen Regelungen jeweils anschließend in Absatz 3 bzw. Absatz 5. Daraus lässt sich ohne weiteres der Schluss ziehen, dass die allgemeinen Rahmenvorgaben gelten, soweit nicht für ein bestimmtes Darlehen eine abweichende Regelung getroffen worden ist. Eine solche ist für das Mietkautionsdarlehen in Absatz 3 zwar getroffen worden. Die spezielle Regelung betrifft aber lediglich die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs bei Rückzahlung der Kaution durch den Vermieter; dann wird der noch nicht getilgte Darlehnsbetrag sofort zur Rückzahlung fällig. Die Bestimmung setzt zwanglos und als Regelfall die Tilgung durch Aufrechnung nach Maßgabe des § 42a Abs. 2 S 1 SGB II voraus. Denn natürlich sind (vorzeitige) Tilgungen auch in anderer Form als durch Aufrechnung möglich. Im laufenden Leistungsbezug, den § 42a Abs. 2 S 1 SGB II voraussetzt, ist die Rückführung des Darlehens durch außerplanmäßige Zahlungen aber die Ausnahme - es sei denn durch Weitergabe der Kaution aus dem alten Mietverhältnis, das nicht von § 22 Abs. 3 SGB II als bedarfsmindernd erfasst wird (allgM, vgl. etwa Berlitt in LPK-SGB II, 5. Aufl. 2017, § 22 Rn 117). Die laufende Rückführung durch Aufrechnung nach § 42a Abs. 2 S 1 SGB II soll und wird vor dem Hintergrund fortbestehender Hilfebedürftigkeit im laufenden Leistungsbezug der Regelfall sein.

Soweit eine Beschränkung des Anwendungsbereichs deshalb für geboten erachtet wird, weil die Rückzahlung des Darlehns nicht mit dem Bedarfsdeckungsprinzip vereinbar sei, die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs bereits ab dem Folgemonat der Darlehnsauszahlung nicht mit Sinn und Zweck des § 22 Abs. 6 SGB II übereinstimme und die Anwendung des § 42a Abs. 2 S 1 SGB II zu einem Wertungswiderspruch zu § 43 SGB II führe, da sie keinen Ermessensspielraum für die Berücksichtigung persönlicher und wirtschaftlicher Verhältnisse zugunsten des Leistungsberechtigten biete (vgl. Ngyen aaO), führt dies nach Auffassung des Senats zu keiner anderen Beurteilung.

Wenn der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums sich aus nachvollziehbaren Gründen in dem Dreiecksverhältnis Leistungsberechtigter - Vermieter - Leistungsträger mit Blick auf die Mietkaution für eine Lösung entscheidet, die für den Regelfall die Deckung des Bedarfs durch ein Darlehen und dessen alsbaldige Rückführung vorsieht, so sind die o.a. Aspekte zwangsläufig Punkte, die sich in einem gewissen Spannungsfeld zu bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen befinden. Der Gesetzgeber hat sie nicht übersehen können und hat sie, wie sich etwa aus der Sonderregelung zum Mietkautionsdarlehen in § 42a Abs. 3 S 1 SGB II ergibt, auch gesehen. Sie sind notwendiger Teil des Regelungskonzeptes.

Angesichts des klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers, der nicht nur in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebracht wurde, sondern sich auch in Inhalt und Struktur der Norm widerspiegelt, ist die Bestimmung eines hiervon abweichenden eingeschränkten Anwendungsbereichs jenseits einer etwaigen verfassungskonformen Auslegung nicht möglich. Das im Wege der grammtikalischen, systematischen und teleologischen Auslegung gewonnene Ergebnis, wonach § 42a Abs. 2 S 1 SGB II für alle Darlehen nach dem SGB II an ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft und damit auch für Mietkautionsdarlehen gilt, begegnet aber keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Den verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich aus einer längerfristigen Unterschreitung des soziokulturellen Existenzminimums um 10 Prozent ergeben, trägt das insgesamt zur Verfügung stehende Regelungskonzept ausreichend Rechnung.

Die Aufrechnung ist ein zuvorderst wirtschaftlicher Eingriff mit spürbaren Auswirkungen auf die gesamte Lebensführung. Er ist verfassungsrechtlich problematisch, da die existenzsichernde Bedeutung der Grundsicherungsleistungen es erfordert, den elementaren Lebensbedarf in dem Augenblick zu befriedigen, in dem er entsteht (vgl. BVerfG Beschluss vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 - juris Rn 125). Die Reduzierung um 10 Prozent des Regelbedarfs durch Aufrechnung ist aber nicht von vorneherein gänzlich ausgeschlossen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Aufrechnung jedenfalls für ein sog. Anschaffungsdarlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II bestätigt, da die vorübergehende Unterdeckung in Anbetracht der Ansparkonzeption im Grundsatz nicht zu beanstanden sei (BVerfG Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 - juris Rn 150). Eine solche Verbindung zur Ansparkonzeption besteht hier nicht (vgl. zu diesem Argument in der aktuellen Diskussion etwa SG Berlin Urteil vom 22.02.2013 - S 37 AS 25006/12; LSG Berlin Beschluss vom 18.11.2013 - L 10 AS 1793/13 B ; Conradis in: LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 42 a Rn 23; aA SG Berlin Urteil vom 20.03.2013 - S 142 AS 21275/12; LSG Berlin Urteil vom 24.10.2013 - L 31 AS 1048/13; Greiser aaO).

Die (voraussichtliche) Länge des Aufrechnungszeitraums bewegt sich nicht von vorneherein außerhalb der vom BVerfG für zulässig erachteten vorübergehenden Unterdeckung (so aber anscheinend Ngyen aaO). Die Aufrechnung nach Maßgabe des § 42a Abs. 2 SGB II erstreckt sich auch angesichts der Höhe der Mietkaution nicht regelhaft über einen langen Zeitraum. Beim Umzug in eine neue Wohnung wird die zuvor für die alte Wohnung gezahlte Kaution frei. Da die Kaution bei Rückzahlung nicht bedarfsmindernd nach § 22 Abs. 3 SGB II berücksichtigt wird (vgl. Berlitt aaO), kann sie regelmäßig für die neue Kaution oder für die vorzeitige Tilgung des vom Leistungsträgers gewährten Darlehens verwandt werden kann. Lediglich bei erstmaligem Einzug in eine eigene Mietwohnung (nach Trennung oder Auszug bei den Eltern) dürfte damit ein in Gänze ungedeckter Bedarf entstehen.

Durch die Unterdeckung im Einzelfall entstehenden unzumutbaren Auswirkungen (Art. 1 GG) kann dadurch Rechnung getragen werden, dass der Bedarf "Kaution" nicht über die Gewährung eines Darlehens, sondern ganz oder teilweise als Zuschuss gedeckt wird. Die Gewährung als Darlehen ist der Regelfall (§ 22 Abs. 6 S. 3 SGB II "soll"), in atypischen Fällen kommt aber auch die Gewährung eines Zuschusses in Betracht. Damit kann der zeitliche Umfang der Rückzahlung/Unterdeckung gestaltet werden. Auf die Zeit der Rückführung wirkt sich ebenfalls verkürzend aus, wenn von der neu aufgenommenen Möglichkeit des § 42a Abs. 1 S 2 SGB II Gebrauch gemacht wird, das Darlehen an mehrere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu vergeben. Nachträglich eintretenden Umständen kann durch Erlass nach Maßgabe des § 44 SGB II (s. zum engen Anwendungsbereich Bender aaO Rn 25; Boerner aaO Rn 4,5) oder durch Stundung, Niederschlagung oder Erlass gemäß § 59 Landeshaushaltsordnung NRW (LHO) Rechnung getragen werden (vgl. zur Anwendung des § 59 LHO Beschluss des BVerfG vom 31.03.2006 - 1 BvR 1771/01; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, Stand 02.12.2016, § 44 Rn 5; s auch Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 42a SGB II Rn 214).

Die Kostenentscheidung folgt § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtskraft
Aus
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