L 7 AS 595/17 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AS 1784/17 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 595/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. In einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet. Im Beschwerdeverfahren ist das grundsätzlich der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung. Davon ist dann eine Ausnahme zu machen, wenn bereits das Sozialgericht einen Anordnungsanspruch bejaht hat. Es würde in einem solchen Falle gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB analog) verstoßen, keine Ausnahme zuzulassen. Daher ist in derartigen Fällen im Beschwerdeverfahren lediglich die Rechtmäßigkeit der Bejahung des Anordnungsgrundes durch das Sozialgericht zu prüfen.
2. Zu den Voraussetzungen der Verhängung von Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG, insbesondere der Notwendigkeit der vorherigen Darlegung der Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung
I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird Ziff. 1 des Beschlusses des Sozialgerichts Dresden vom 01. Juni 2017 dahingehend abgeändert, dass der Antragsgegner – bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache – verpflichtet wird, dem Antragsteller vorläufig für den Zeitraum vom 01.06.2017 bis 31.10.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. 683,55 EUR monatlich zu gewähren.

II. Ziff. 3 des Beschlusses des Sozialgerichts Dresden wird aufgehoben.

III. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.

IV. Der Antragsgegner trägt fünf Sechstel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Antrags- und das Beschwerdeverfahren.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 05.05.2017 bis 31.10.2017 und die Verhängung von Verschuldenskosten durch das Sozialgericht.

Der 1953 geborene, alleinlebende und hilfebedürftige Antragsteller steht im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Antragsgegner forderte ihn mit Bescheid vom 11.12.2015 auf, bis 15.02.2016 beim Rentenversicherungsträger eine geminderte Altersrente ab 01.05.2016 zu beantragen. Den Widerspruch des Antragstellers wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.2016 zurück. Die darauf zum Sozialgericht Dresden (SG) erhobene Klage (S 49 AS 1037/16) nahm der Kläger zurück.

Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller auf dessen Antrag mit Bescheid vom 29.09.2016 i.d.F. des Änderungsbescheides vom 26.11.2016 für den Zeitraum vom 01.11.2016 bis 31.12.2016 Leistungen i.H.v. 678,55 EUR, für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis 31.01.2017 633,55 EUR und den Zeitraum vom 01.02.2017 bis 30.04.2017 683,55 EUR. Den Fortzahlungsantrag des Antragstellers lehnte er mit Bescheid vom 19.04.2017 ab. Dem Antragsteller stehe kein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen zu, weil er einen Antrag auf Altersrente nicht gestellt habe. Gegen diesen Bescheid richtete sich der Widerspruch des Antragstellers vom 26.04.2017.

Am 05.05.2017 hat der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim SG gestellt. Er erfülle alle Leistungsvoraussetzungen. Dem ist der Antragsgegner entgegengetreten. Der Antragsteller sei der Aufforderung zur Rentenantragstellung nicht nachgekommen. Nach der Klagerücknahme im Verfahren S 49 AS 1037/16 sei der Bescheid zur Aufforderung zur Rentenantragstellung vom 11.12.2015 bestandskräftig geworden. Da der Antragsteller dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, scheide er aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II aus. Zudem verfüge der Antragsteller nicht über einen Anordnungsgrund, weil ihm Vermögen i.H.v. 9.615,59 EUR zur Verfügung stehe.

Das SG hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 01.06.2017 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 05.05.2017 bis 31.10.2017 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. 683,55 EUR monatlich zu gewähren. Zudem hat es dem Antragsgegner die Verfahrenskosten i.H.v. 150,00 EUR auferlegt. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Er sei leistungsberechtigt gemäß § 7 Abs. 1 SGB II, weil er das 15. Lebensjahr vollendet habe, die Altersgrenze nach § 7 a SGB II nicht erreicht habe und erwerbsfähig sei. Er sei nicht vom Leistungsbezug nach § 7 Abs. 4 SGB II ausgeschlossen, weil er keine Altersrente beziehe. Der Antragsteller sei auch hilfebedürftig i. S. d. § 9 SGB II, da er seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern könne. Der Antragsteller verfüge nicht über Vermögen, das den Freibetrag gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 4 SGB II i.H.v. 10.350,00 EUR (64 Lebensjahre x 150,00 EUR + 150,00 EUR) übersteige. Der Antragsgegner könne den Bescheid auch nicht auf § 66 Abs. 1 SGB I stützen. Die vom Antragsteller erwartete Antragstellung beim Rentenversicherungsträger sei keine Voraussetzung für den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II komme es allein darauf an, ob der Antragsteller eine Altersrente beziehe. Das sei erkennbar nicht der Fall. Einen Verstoß des Hilfesuchenden gegen seine aus § 12 a SGB II folgende Pflicht, einen Antrag auf andere Sozialleistungen zu stellen, sofern das zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich sei (BT-Drucksache 16/7460, S. 12), könne der Leistungsträger gemäß § 5 Abs. 3 SGB II dadurch begegnen, dass er den Antrag anstelle des Hilfesuchenden stelle. Unter Berücksichtigung des Regelbedarfs, der Gesamtmiete und des bereinigten monatlichen Erwerbseinkommens aus geringfügiger Beschäftigung bestehe daher ein Anspruch des Antragstellers i.H.v. monatlich 683,55 EUR. Der Antragsteller habe auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Unter Berücksichtigung dessen, dass für die Leistungsablehnung durch den Antragsgegner keine rechtliche Grundlage existiere, sei dem Antragsteller ein Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens bzw. des Widerspruchsverfahrens nicht zuzumuten. Dem Antragsgegner seien darüber hinaus Verschuldenskosten i.S.d. § 192 SGG aufzuerlegen. Der Antragsgegner gehe – wie sich aus seinen Schriftsätzen im Antragsverfahren ergebe – davon aus, dass ein Anordnungsanspruch besteht. Er verweigere jedoch die Abgabe eines Anerkenntnisses, weil es aus seiner Sicht am Anordnungsgrund mangele. Trotz gerichtlichen Hinweises verkenne er damit den bereits aufgezeigten Zusammenhang zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund in Fällen der vorliegenden Art, in denen die Hauptsacheklage offensichtlich begründet wäre. Es existiere für die Leistungsablehnung keine rechtliche Grundlage. In diesem Fall sei es für den Antragsteller offensichtlich unzumutbar, sein gemäß § 12 Abs. 2 SGB II geschütztes Vermögen aufzubrauchen, allein weil der Antragsgegner nicht willens oder in der Lage sei, zeitnah entsprechend der gesetzlichen Regelungen tätig zu werden. Der Antragsgegner lasse sich offenbar nicht von rechtlichen Erwägungen leiten, sondern führe den Rechtsstreit aus anderen Gründen fort. Im prozessualen Verhalten des Antragsgegners werde ein besonderes Maß an Uneinsichtigkeit erkennbar, da der Antragsgegner auch im Übrigen keinerlei zeitlichen Rahmen benannt habe, innerhalb dessen er im Sinne der anerkannten Rechtslage tätig zu werden gedenke.

Gegen den dem Antragsgegner am 01.06.2017 zugestellten Beschluss hat er am 13.06.2017 Beschwerde beim Sächsischen Landessozialgericht (SächsLSG) eingelegt. Nach Rücknahme der Klage im Verfahren S 49 AS 1037/16 habe der Antragsgegner begründet davon ausgehen dürfen, dass der Antragsteller seiner aus § 12 a SGB II resultierenden Pflicht zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen nachkomme. Daher habe er von einer Antragstellung nach § 5 Abs. 3 SGB II abgesehen. Im Übrigen wäre es zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ausreichend gewesen, eine vorläufige Bewilligung der Leistungen nach dem SGB II für zwei Monate oder längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorzunehmen. Die Auferlegung von Verschuldenskosten sei schon formell fehlerhaft erfolgt. Zwar habe das SG im Schreiben vom 22.05.2017 "rein vorsorglich auf § 192 SGG" hingewiesen. Dieser Hinweis sei jedoch nicht ausreichend. Es müsse die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dargelegt werden (vgl. Roos/Wahrendorf, Kommentar Sozialgerichtsgesetz, § 192, Rn. 31). Das sei vorliegend nicht geschehen. Im Übrigen liege auch keine Missbräuchlichkeit vor.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 01.06.2017 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er erachtet den erstinstanzlichen Beschluss für zutreffend.

Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners vor. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist lediglich teilweise begründet. Die Entscheidung des SG über die Bewilligung von vorläufigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist dahingehend abzuändern, dass diese lediglich ab 01.06.2017 vorläufig – bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache – zu erfolgen hat. Hinsichtlich der Auferlegung von Verschuldenskosten ist die Entscheidung des SG aufzuheben.

1. Die Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, weil die Berufung in der Hauptsache kraft Gesetzes zulässig wäre (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt nämlich 750,00 EUR. Das SG hat den Antragsgegner verpflichtet, vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. 683,55 EUR monatlich für knapp sechs Monate zu bewilligen.

2. Die Beschwerde des Antragsgegners ist teilweise begründet. Dem Antragsteller steht ein Anspruch auf vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts lediglich für den Zeitraum vom 01.06.2017 bis 31.10.2017 i.H.v. monatlich 683,55 EUR zu.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86 b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG ist § 929 ZPO entsprechend anzuwenden.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch ab 01.06.2017 glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn die einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes bezüglich eines streitigen Rechtsverhältnisses nötig erscheint. Bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Soweit das Hauptsacheverfahren nach überschlägiger Prüfung voraussichtlich Aussicht auf Erfolg haben wird, wovon jedenfalls dann auszugehen ist, wenn die Erfolgsaussichten des Antragstellers in der Hauptsache deutlich überwiegen, liegt ein Anordnungsanspruch vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a SGB II noch nicht erreicht haben (Nr. 1), erwerbsfähig sind (Nr. 2) und hilfebedürftig sind (Nr. 3) sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4).

Der Antragsteller hat vorliegend das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a SGB II noch nicht erreicht. Er ist erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Auch die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers i.S.d. § 9 SGB II ist gegeben. Er kann seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern und erhält die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen. Der Antragsteller verfügt nicht über Vermögen, das den Freibetrag gemäß § 12 Abs. 2 Nrn. 1 und 4 SGB II übersteigt. Gemäß § 12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Vom Vermögen sind abzusetzen ein Grundfreibetrag i.H.v. 150,00 EUR je vollendetem Lebensjahr (Nr. 1) und ein Freibetrag für notwendige Anschaffungen i.H.v. 750,00 EUR für jeden Leistungsberechtigten. Gemessen an diesen Maßgaben ergibt sich für den Antragsteller ein Freibetrag i.H.v. 10.350,00 EUR (64 Lebensjahre x 150,00 EUR + 750,00 EUR). Das Vermögen des Antragstellers beträgt weniger als 10.000,00 EUR und überschreitet den Freibetrag daher nicht.

Der Antragsteller ist auch nicht nach § 7 Abs. 4 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Nach der genannten Norm erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer eine Rente wegen Alters oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Es kommt bereits nach dem Wortlaut der Norm für den Leistungsausschluss auf den tatsächlichen Bezug an (Korte/Thie in LPK-SGB II, 6. Aufl. § 7, Rn. 115; BT-Drucksache 16/7460, S. 12; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.02.2014 – L 19 AS 54/14 B ER, Rn. 13; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.04.2011 – L 5 AS 525/11 B ER, Rn. 3; beide juris). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners reicht als Grund für den Leistungsausschluss ein lediglich vorhandener Anspruch auf eine Rente ohne tatsächlichen Bezug nicht aus.

3. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund lediglich ab 01.06.2017 glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den bzw. die Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014 – L 7 AS 239/14 B ER, Rn. 60; SächsLSG, Beschluss vom 31.01.2013 – L 7 AS 964/12 B ER, Rn. 63, beide juris).

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines solchen Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet. Im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Berlit, info also 2005, S. 3, 10; SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.O., Rn. 61).

Soweit Leistungen für einen zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufenen Zeitraum beansprucht werden, ist ein Anordnungsgrund in der Regel gegeben (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.O., Rn. 62; SächsLSG, Beschluss vom 31.01.2013, a.a.O., Rn. 64, beide juris). Sofern Leistungen für einen zu diesem Zeitpunkt in der Vergangenheit liegenden Zeitraum geltend gemacht werden, ist ein Anordnungsgrund dann zu bejahen, wenn noch ein gegenwärtiger schwerer unzumutbarer Nachteil besteht, der glaubhaft gemacht wird (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.O., Rn. 63; SächsLSG, Beschluss vom 31.01.2013, a.a.O., Rn. 65). Grundsätzlich besteht ein Anordnungsgrund nicht für Leistungszeiträume vor Stellung des Antrags auf einstweilige Anordnung beim SG (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.O., Rn. 63; SächsLSG, Beschluss vom 31.01.2013, a.a.O., Rn. 65).

Einen fortbestehenden schweren unzumutbaren Nachteil aus der Nichtgewährung der Leistungen für den zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Vergangenheit liegenden Zeitraum hat der Antragsteller vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher ist gegeben, wenn ein besonderer Nachholbedarf besteht, d.h. wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistungen in der Vergangenheit auch in Zukunft fortwirkt und eine weiterhin gegenwärtige, die einstweilige Anordnung rechtfertigende Notlage begründet (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.O., Rn. 64; SächsLSG, Beschluss vom 31.01.2013, a.a.O., Rn. 66; beide juris; Phillip, NVWZ 1984, S. 489; Knorr, DÖV 1981, S. 79; Sächsisches OVG (SächsOVG), Beschluss vom 19.08.1993 – 2 S 183/93, SächsVBl. 1994, S. 114, 115; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.05.1980 – 8 B 1376/79, DÖV 1981, S. 302). Dies kann gegeben sein, wenn der Antragsteller zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts Verbindlichkeiten eingegangen ist, deren Tilgung unmittelbar bevorsteht (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.O., Rn. 64; SächsLSG, Beschluss vom 31.01.2013, a.a.O., Rn. 66; SächsOVG, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; Phillip, a.a.O.; Knorr, a.a.O.). Es ist ferner denkbar, dass vorangegangene Einsparungen nachwirken (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.; SächsOVG, a.a.O.), beispielsweise wenn die Verweigerung der (darlehnsweisen) Bewilligung von Schülerbeförderung für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum zum gegenwärtigen Ausschluss des betroffenen Kindes von der Schülerbeförderung führt (SächsLSG, Beschluss vom 14.04.2014, a.a.O., Rn. 64; SächsLSG, Beschluss vom 31.01.2013, a.a.O., Rn. 66).

Das SächsLSG hat von diesem Grundsatz in ständiger Rechtsprechung dann eine Ausnahme gemacht, wenn bereits das SG zutreffend einen Anordnungsgrund bejaht hat (Beschluss vom 30.06.2008 - L 2 B 331/08 AS-ER). Es würde in einem solchen Fall gegen Treu und Glauben verstoßen (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch analog), keine Ausnahme von dem o.g. Grundsatz zuzulassen. Vielmehr ist in einem derartigen Falle lediglich die Rechtmäßigkeit der Bejahung eines Anordnungsgrundes durch das SG zu prüfen. Im erstinstanzlichen Verfahren beurteilt sich in einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung.

Zutreffend hat das SG den Anordnungsanspruch ab dem Zeitpunkt seiner Entscheidung (01.06.2017) zu Recht angenommen. Für den davorliegenden Zeitraum hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

4. Die Verhängung von Verschuldenskosten durch das SG ist hingegen aufzuheben. Gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahren anders beendet wird, durch Beschluss einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist.

Zwar hatte der Antragsgegner nach dem richterlichen Hinweis des SG vom 22.05.2017 den Rechtsstreit fortgeführt. Ihm war jedoch die Missbräuchlichkeit der Rechtsverteidigung von der Vorsitzenden zuvor nicht dargelegt worden. Der richterliche Hinweis muss nämlich sowohl auf die Missbräuchlichkeit der Rechtsverteidigung als auch die Möglichkeit der Kostenauferlegung bezogen sein (Groß in Lüdtke, SGG, 5. Aufl., § 192, Rn. 16; B ... Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 192, Rn. 10; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.07.2016 – L 18 R 517/16 B, Rn. 9; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.06.2004 – L 12 AL 59/03, Rn. 22; beide juris).

Das SG hat im Hinweis vom 22.05.2017 lediglich ausgeführt:

"Ein Anordnungsgrund dürfte vorliegen. Das Gericht ist nicht der Auffassung, dass der Antragsteller ein unterhalb des Vermögensfreibetrags liegendes Vermögen verwerten muss, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, obwohl er offenkundig einen Leistungsanspruch gegen den Antragsgegner hat. Der Antragsgegner möge daher bis 26.05.2017 eine sachdienliche Erklärung zum Verfahren, auch hinsichtlich der Kosten, abgeben. Sollte dies nicht der Fall sein und das Gericht eine Entscheidung treffen müssen, wird rein vorsorglich auf § 192 SGG hingewiesen".

In diesem Hinweis ist eine Darlegung der Missbräuchlichkeit der Rechtsverteidigung nicht enthalten.

5. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Czarnecki

Lang

Dr. Anders
Rechtskraft
Aus
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