S 8 AS 1021/17

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 1021/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Kein Feststellungsinteresse für Nichtigkeitsklage bezüglich konsensualer Eingliederungsvereinbarung.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine Eingliederungsvereinbarung.

Die 1963 geborene Klägerin erhält - mit kurzen Unterbrechungen - seit 2005 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Mit Bescheid vom 26. November 2016 wurden der Klägerin Leistungen für die Monate Januar bis September 2017 bewilligt und mit Bescheid vom 26. September 2017 für die Monate Oktober 2017 bis März 2018.

Die Klägerin hat eine Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin und zur Industriemechanikerin. Nach entsprechenden Weiterbildungen war sie von Mai 2014 bis zur Einstellung der Tätigkeit im Oktober 2015 im Bereich Finanzberatung selbstständig tätig.

Ein Gutachten durch den ärztlichen Dienst der Bundesagentur für Arbeit vom 15. Dezember 2016 ergab verschiedene gesundheitliche Einschränkungen der Klägerin, unter anderem eine verminderte Belastbarkeit beider Hände und des rechten Knies, stufte die Klägerin jedoch als vollschichtig erwerbsfähig ein.

Auf einen im Juni 2017 gestellten Antrag der Klägerin auf eine Umschulung zur Heilpraktikerin bzw. auf Förderung dieser Maßnahme hin wurde vom beklagten Jobcenter mit Bescheid vom 8. September 2017 ein Bildungsgutschein für eine berufliche Weiterbildung zur Heilpraktikerin abgelehnt.

Am 24. August 2017 fand ein Gespräch mit der Klägerin bei der Arbeitsvermittlung statt, in dessen Rahmen auch eine Eingliederungsvereinbarung (EGV) von den Beteiligten unterzeichnet wurde. Die EGV mit dem Ziel der Heranführung der Klägerin an den Arbeitsmarkt durch Teilnahme an einer Arbeitsgelegenheit gilt vom 24. August 2017 bis auf Weiteres, solange die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld II vorliegen. Es ist vorgesehen, dass das Jobcenter die Klägerin zu weiteren Beratungsgesprächen einlädt, sie finanziell unterstützt bei Bewerbungsbemühungen, der Klägerin Vermittlungsvorschläge unterbreitet und ihr eine Arbeitsgelegenheit zuweist. Die Klägerin hat alle Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten, sich auf Vermittlungsvorschläge des Jobcenters zeitnah zu bewerben und Arbeitsunfähigkeiten durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nachzuweisen sowie an einer Arbeitsgelegenheit entsprechend gesondertem Zuweisungsbescheid teilzunehmen. Ferner enthält die EGV Regelungen zur Fortschreibung, Kündigung und eine Rechtsfolgenbelehrung.

Am 6. September 2017 ist für die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben worden. Die EGV stehe den beruflichen Zielen und der Widereingliederung der Klägerin in den Arbeitsmarkt entgegen. Sie sei darüber hinaus nichtig. Die Feststellungsklage sei zulässig, weil Verpflichtungen der Klägerin zu klären seien und ihr nicht zumutbar sei, erst eine etwaige Sanktion abzuwarten. Die Klägerin wolle eine Umschulung/Weiterbildung zur Heilpraktikerin absolvieren. Dagegen sprächen keine medizinischen Gründe. Das sei in der EGV unzureichend berücksichtigt worden. Stattdessen sei dies unmöglich gemacht worden. Die Nichtigkeit der EGV ergebe sich aus dem Formenmissbrauch, weil durch die EGV faktisch in der Form eines einseitig regelnden Vertrages gehandelt werde, auch wenn sie sich der Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrages bediene. Zudem sei die EGV unbefristet. Durch eine Befristung solle jedoch eine intensive Betreuung und eine kritische Überprüfung der Eignung der für die berufliche Eingliederung eingesetzten Mittel sichergestellt werden. Dieses gesetzgeberische Ziel werde ins Gegenteil verkehrt. Außerdem liege kein Vertrag im Sinn eines Aushandelns vor. Die vorliegende Situation der Klägerin sei kaum gewürdigt worden, ihre konkreten Bedürfnisse hätten nahezu keinen Eingang gefunden. Die Nichtigkeit der EGV folge schließlich aus einem Verstoß gegen das Koppelungsverbot. Der Beklagte habe sich eine unzulässige Gegenleistung versprechen lassen, indem die EGV unbefristet gelte.

Später ist auf die gerichtliche Anfrage, warum die EGV unterschrieben worden sei, mitgeteilt worden, die Klägerin habe in der Besprechung den Eindruck gehabt, als bliebe ihr nichts anderes übrig als die EGV zu unterschreiben, obgleich sie diese lieber nochmals in Ruhe überdacht hätte.

Der Beklagte hat erwidert, die Klägerin habe ohne äußeren Druck und freiwillig unterschrieben. Die EGV sei nicht einseitig ergangen, sondern beidseitig unterzeichnet worden. Dabei sei die Situation der Klägerin gewürdigt worden. Als realistisches Ziel sei bei der seit vielen Jahren andauernden Arbeitslosigkeit die Heranführung der Klägerin an den allgemeinen Arbeitsmarkt durch Teilnahme an einer Arbeitsgelegenheit vereinbart worden.

Für die Klägerin wird beantragt (sinngemäß):

Es wird festgestellt, dass die Eingliederungsvereinbarung vom 24. August 2017 nichtig ist.

Für den Beklagten wird beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht entscheidet trotz Ausbleibens der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung. Es ist auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, § 110 Abs. 1, § 126 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), und die Sache war entscheidungsreif. Es ist keine Verhinderung belegt worden und keine Terminsänderung beantragt worden.

Die Klage ist nicht zulässig.

Als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG wäre die Klage - so ist sie allerdings mit anwaltlicher Vertretung auch nicht formuliert worden - nicht statthaft, weil sie sich nicht gegen einen Verwaltungsakt im Sinn des § 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) richtet. Denn die EGV ist nicht durch Verwaltungsakt erlassen worden.

Als Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, gerichtet auf die Feststellung der Nichtigkeit der EGV vom 24. August 2017 und damit des Nichtbestehens einer Rechtsbeziehung der Beteiligten in Form dieser EGV, ist die Klage statthaft. Jedoch sieht das Gericht vorliegend kein ausreichendes Feststellungsinteresse der Klägerin. Dieses ergibt sich nicht, wie klägerseits vorgetragen, mit Blick auf etwaige Sanktionen der Klägerin wegen eines Verstoßes gegen Pflichten aus der EGV. Denn diese kommen, schon wegen der unbefristeten Geltungsdauer der EGV, zwar prinzipiell in Betracht. Jedoch stehen der Klägerin ausreichende, wirksame und rechtzeitige Rechtsschutzmöglichkeiten offen, sollte es tatsächlich zu einer Sanktionierung kommen. Ein ausreichendes Bedürfnis für eine vorzeitige Klärung nimmt das Gericht schon deswegen nicht an. Zudem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Klägerin die EGV unterzeichnet hat. Sie hat sich dadurch grundsätzlich mit der Vereinbarung für einverstanden erklärt und würde sich treuwidrig verhalten, wenn sie sich danach gegen die von ihr selbst unterschriebene Vereinbarung wendet. Das Gericht meint daher, dass ihr deshalb die Berufung auf mögliche Sanktionen oder auf ein Interesse an der Klärung bzw. Befreiung von aktuellen Pflichten verwehrt ist. Etwas anderes könnte nur für den Fall gelten, dass geltend gemacht wird, die EGV sei mangels Geschäftsfähigkeit nicht wirksam zustande gekommen oder die EGV angefochten wird. Beides ist hier aber nicht der Fall. Soweit vorgetragen wird, die Klägerin habe aus dem Eindruck der Alternativlosigkeit heraus die EGV unterschrieben, könnte damit zwar auf eine Drohungslage im Sinn des § 123 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) abgestellt werden. Allerdings ist bei anwaltlicher Vertretung keine Anfechtung gegenüber dem anderen Teil, dem Beklagten, erklärt worden. Das Gericht sieht sich auch gehindert, bei anwaltlicher Vertretung eine solche Erklärung etwa aus der Klage herauszulesen oder in sie hineinzudeuten. Ferner ergibt sich ein Interesse der Klägerin nicht aus ihrem Wunsch nach einer Umschulung zur Heilpraktikerin, weil der Beklagte darüber gesondert mit Bescheid vom 8. September 2017 entschieden hat. Dagegen steht der Klägerin also ohnedies Rechtsschutz offen. Aus der EGV ist auch nichts dafür zu folgern, dass diese eine Umschulung ausschließen würde, zumal der Beklagte dies auch nicht als Grund für die Ablehnung angeführt hat.

Ein Feststellungsinteresse kann schließlich nicht auf den Gedanken der Wiederholungsgefahr gestützt werden, wie es zur Begründung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses angenommen wird (vgl. BSG, Urteil vom 14. Februar 2013, B 14 AS 195/11 R). Denn der Abschluss der EGV ohne zeitliche Beschränkung bis auf Weiteres schließt aus derzeitiger Sicht gerade die Gefahr eines unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen gleichartigen Handelns (des Beklagten) aus. Zudem liegt hier - anders als beim Erlass eines Eingliederungsverwaltungsakts - kein einseitiges Handeln des Beklagten zugrunde. Und es muss nicht zuletzt zum Tragen kommen, dass die EGV konsensual abgeschlossen wurde, der Leistungsempfänger, hier die Klägerin, sich freiwillig auf die Regelungen eingelassen hat.

Darüber hinaus hat die Klage jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.

Die am 24. August 2017 von den Beteiligten unterzeichnete EGV ist wirksam.

Die EGV ist als öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinn des § 55 SGB X wirksam zustande gekommen. Für etwaige Hindernisse an der Wirksamkeit ist nichts ersichtlich. Auch ist die von den §§ 53 ff. SGB X vorgeschrieben Form gewahrt. Vor allem sieht das Grundsicherungsrecht mit § 15 Abs. 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) ausdrücklich den Abschluss einer EGV als Vereinbarung vor.

Das Gericht hat zudem keinen Zweifel daran, dass es sich um einen Austauschvertrag handelt. Denn es sind Regelungen betreffend beide Beteiligte getroffen und Gegenleistungen der Klägerin zum Zweck ihrer Eingliederung in das Berufsleben vereinbart worden. Dieses Ziel dient der Erfüllung der Aufgabe des Beklagten aus den §§ 3 und 14 SGB II.

Die somit wirksam zustande gekommene EGV ist nicht durch Anfechtung, § 40 Abs. 1 SGB II, § 63 Satz 2 SGB X, §§ 119 ff. BGB, beseitigt worden. Wie bereits ausgeführt, ist eine Anfechtung schon nicht erklärt worden. Soweit es die Anfechtung nach § 119 BGB anbelangt, wäre diese wegen Fristablaufs (§ 121 BGB) ohnedies auch nicht mehr möglich. Für eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung fehlt es an einer Täuschung oder Drohung. Eine Täuschung ist schon nicht geltend gemacht worden und auch sonst nicht erkennbar. Das gilt ebenso für eine Drohungslage. Zwar ist klägerseits vorgetragen worden, die Klägerin habe den Abschluss für alternativlos gehalten. Aus dem Vortrag ergeben sich aber schon keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, die Klägerin sei durch Drohung zur Unterzeichnung gebracht worden. Andere Umstände, die auf eine Drohungslage hindeuten würden, sind ebenso wenig zu sehen.

Die EGV ist nicht nichtig, § 40 Abs. 1 SGB II, § 58 SGB X.

Einen Formenmissbrauch kann das Gericht aus den oben bereits genannten Gründen nicht erkennen. Es handelt sich auch inhaltlich um einen Austauschvertrag, die Situation der Klägerin wird ausreichend berücksichtigt, wenngleich sie dies nunmehr anders sehen mag, und der Beklagte sagt ausreichend konkrete, individuelle Leistungen zur Eingliederung der Klägerin in Arbeit zu. So sagt er zu, ihre Bewerbungsbemühungen finanziell zu unterstützen, ihr Vermittlungsvorschläge zu unterbreiten und sie mittels einer Arbeitsgelegenheit an den Arbeitsmarkt wieder heranführen zu wollen. Gerade der letztgenannte Punkt resultiert aus der individuellen Situation der Klägerin als langjährig Arbeitslose, deren letzte selbstständige Tätigkeit im Oktober 2015 beendet wurde.

Die EGV verstößt auch nicht gegen ein gesetzliches Verbot, weil sie bis auf Weiteres gilt. Der seit August 2016 geltende § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II sieht zwar vor, dass eine EGV regelmäßig, spätestens nach sechs Monaten überprüft werden soll. Daraus ist, schon wie der Vergleich mit dem früheren § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB II zeigt, aber nicht zu schließen, dass eine einvernehmlich abgeschlossene EGV nicht länger bzw. auf zunächst unbestimmte Zeit geltend darf. Zudem wird zwar für den Erlass einer EGV durch Verwaltungsakt eine regelmäßige, maximale Geltungsdauer von sechs Monaten angenommen (vgl. BayLSG, Beschluss vom 8. Juni 2017, L 16 AS 291/17 B ER). Doch wird dies damit begründet, der Gesetzgeber habe bezüglich Eingliederungsverwaltungsakten keine neue Regelung treffen wollen, sondern die bisherige Beschränkung der Geltungsdauer beibehalten wollen. Für eine unbefristet mögliche EGV spricht zudem, dass jederzeit eine einvernehmliche Änderung möglich ist oder, falls eine solche trotz geänderter Verhältnisse nicht zustande kommt, eine einseitige Kündigung möglich ist (vgl. BayLSG, Beschluss vom 17. März 2017, L 11 AS 192/17 B ER). Somit können sich beide Seiten, so dies als geboten erachtet wird, auch bei einer unbefristet abgeschlossenen EGV durch einseitige Erklärung daraus lösen und so den Weg für eine Neuregelung, sei es durch einvernehmliche Vereinbarung oder durch Verwaltungsakt frei machen. Damit ist den vom Grundsicherungsrecht vorgegebenen Zwecken Genüge getan.

Ein Verstoß gegen das Koppelungsverbot aus § 58 Abs. 2 Nr. 4 SGB X (i.V.m. § 40 Abs. 1 SGB II) liegt ebenfalls nicht vor. Das Gericht hält das Verhältnis der beiderseitig vorgesehenen Leistungen für ausgewogen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 23. Juni 2016, B 14 AS 30/15 R). Die von der Klägerin zu erbringenden Leistungen bestehen maßgeblich in Bewerbungen auf Vermittlungsvorschläge, Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit durch schriftliche Bestätigung und der Teilnahme an einer Arbeitsgelegenheit und sind damit weniger umfangreich als sonst üblich; häufig werden nämlich eine bestimmte Anzahl von Eigenbemühungen um Stellen und deren Nachweis gefordert. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klägerin an eine regelmäßige Beschäftigung erst wieder herangeführt werden soll. Den Leistungen der Klägerin stehen umfangreiche Leistungen des Beklagten gegenüber. Diese beschränken sich nicht nur auf die Übersendung von Vermittlungsvorschlägen, sondern enthalten auch finanzielle Unterstützungsleistungen für Bewerbungen und nicht zuletzt die geplante Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit. Die Leistungen des Jobcenters sind in der Eingliederungsvereinbarung auch konkret und verbindlich bestimmt.

Insgesamt ergibt sich somit, dass die EGV vom 24. August 2017 nicht nichtig ist.

Die Klage ist deshalb abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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