L 7 AL 16/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 20 AL 58/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 16/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 24. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger gewährten Arbeitslosengeldes.

Der 1961 geborene Kläger stand vom 1. Januar 1997 bis 31. Januar 2016 bei der C. GmbH in einem Arbeitsverhältnis. Die Arbeitgeberin hatte dem Kläger am 28. Januar 2015 zum 31. August 2015 ordentlich gekündigt. Der Kläger hatte gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben. Im arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 7. April 2015 (AZ.: 8 Ca 30/15, Arbeitsgericht Gießen) einigten sich die Parteien auf eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 2016 und unwiderrufliche Freistellung ab dem 1. Mai 2015 und Weiterzahlung eines Arbeitsentgelts ab 1. April 2015 in Höhe von 5.340,00 Euro monatlich.

Die Beklagte gewährte dem Kläger durch Bewilligungsbescheid vom 29. Januar 2016 Arbeitslosengeld ab dem 1. Februar 2016 für 540 Kalendertage in Höhe von 57,46 Euro täglich.

Der Kläger legte hiergegen am 20. Februar 2016 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass das von ihm erzielte Entgelt in den letzten 12 Monaten vor Ende des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen sei, also auch das während der Freistellung verdiente Entgelt. Danach ergebe sich ein höheres Arbeitslosengeld.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 3. März 2016 als unbegründet zurück. Sie führte aus, dass der Bemessungszeitraum nur die abgerechneten Entgeltzeiträume vor dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses umfasse, so dass der erweiterte Bemessungsrahmen vom 1. Februar 2014 bis 31. Januar 2016 laufe, da im Jahreszeitraum vom 1. Februar 2015 bis 31. Januar 2016 keine 150 Tage mit Arbeitsentgelt vorhanden seien. Das Entgelt, welches der Kläger während der Freistellung im Zeitraum vom 1. Mai 2015 bis 31. Januar 2016 erhalten habe, könne nicht berücksichtigt werden, da es beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis – also mit dem Beginn der Freistellung – noch nicht abgerechnet gewesen sei. Der Kläger habe im relevanten Zeitraum an 454 Tagen ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von 77.953,39 Euro erzielt. Hieraus ergebe sich ein Bemessungsentgelt in Höhe von 171,70 Euro, ein Leistungsentgelt in Höhe von 96,67 Euro und ein täglicher Anspruch in Höhe von 57,46 Euro.

Mit der am 21. März 2016 vor dem Sozialgericht Gießen erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren auf Gewährung höheren Arbeitslosengeldes weiter verfolgt und zur Begründung vorgetragen, dass nach seiner Ansicht auch in der Freistellungsphase das Beschäftigungsverhältnis fortgesetzt worden sei. Er hat auf die Besprechung des GKV - Spitzenverbandes, der DRV Bund und der Beklagten über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs vom 30./31. März 2009 verwiesen. Hiernach ende das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis nicht bereits mit Beginn einer vereinbarten Freistellung von der Arbeitsleistung, sondern erst mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses.

Dem ist die Beklagte unter Verweis auf die Entscheidung des BSG vom 30. November 2010 (B 11 AL 160/09 R) sowie ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegen getreten.

Nachdem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hatten, hat das Sozialgericht Gießen die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 24. Januar 2017 abgewiesen.

Die Klage sei zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2016 sei nicht aufzuheben gewesen, da er rechtmäßig sei und den Kläger nicht in seinen Rechten verletze. Der Kläger habe keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 176,17 Euro.

Nach § 149 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) betrage das Arbeitslosengeld 1. für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Absatz 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes hätten, sowie für Arbeitslose, deren Ehegattin, Ehegatte, Lebenspartnerin oder Lebenspartner mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Absatz 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes habe, wenn beide Ehegatten oder Lebenspartner unbeschränkt einkommensteuerpflichtig seien und nicht dauernd getrennt lebten, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz), 2. für die übrigen Arbeitslosen 60 Prozent (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergebe, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasse nach § 150 Abs. 1 SGB III die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasse ein Jahr; er ende mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs. Der Bemessungsrahmen werde nach § 150 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalte. Der Bemessungsrahmen laufe bei dem Kläger grundsätzlich vom 1. Februar 2015 bis 31. Januar 2016. Allerdings habe der Kläger in diesem Zeitraum nur im Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis 30. April 2015 tatsächlich eine Beschäftigung für den Arbeitgeber ausgeübt. Er sei ab dem 1. Mai 2015 unwiderruflich freigestellt gewesen. Nach § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III umfasse der Bemessungszeitraum jedoch nur die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Maßgeblich sei hier das Ausscheiden aus der tatsächlichen Beschäftigung, also aus dem leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis. Es sei nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 8. Juli 2009, B 11 AL 14/08 R, SozR 4-4300 § 130 Nr. 6; Beschluss vom 30. April 2010, B 11 AL 160/09 B, juris) nicht auf das versicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis abzustellen. Das BSG habe ausgeführt, dass maßgeblich der Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Beschäftigung entsprechend der Rechtsprechung des BSG zum leistungsrechtlichen Begriff des Beschäftigungsverhältnisses sei, unabhängig vom rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses. Danach sei maßgebend, dass die Arbeitsleistung tatsächlich nicht mehr erbracht werde, weil der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis verzichte. Das BSG habe im zitierten Beschluss ausgeführt: "Wird der Arbeitnehmer nach betriebsbedingter Kündigung bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist bzw. vor dem Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Arbeit freigestellt, so ist als Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis iS des § 130 Abs. 1 S 1 SGB III nicht das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses, sondern das Ende des leistungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses für die Ermittlung der abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume maßgeblich." Zuletzt hätte das Bayerische LSG am 18. Juli 2016 diese Rechtsansicht erneut bestätigt (Az.: L 10 AL 133/16 NZB). In der Kommentarliteratur werde der höchstrichterlichen Rechtsprechung ebenfalls gefolgt (siehe z. B. Behrend, in: Eicher/Schlegel, SGB III, Stand: Januar 2014, § 150 Rn. 59; BeckOK SozR/Michalla-Munsche, SGB III, § 150 Rn. 9). Die seitens des Klägers zitierten Ausführungen aus der Vereinbarung der Spitzenverbände der Sozialversicherung kämen daher nicht zum Tragen, denn sie bezögen sich nur auf die Frage der Versicherungspflicht bzw. Beitragspflicht. Die Frage der Leistungsgewährung regele jeder Leistungsträger in seinem Rechtskreis autonom. Im Rechtskreis des SGB III werde hinsichtlich der Frage des Vorliegens von Arbeitslosigkeit auf das leistungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis abgestellt. Gleiches gelte aus Praktikabilitätserwägungen heraus auch für die Berechnung des Arbeitslosengeldes, weil somit zum frühestmöglichen Zeitpunkt der Gewährung von Arbeitslosengeld ("Gleichwohlgewährung" – auch schon während der Freistellungsphase) die Berechnung möglich sei, ohne dass weitere Abrechnungen berücksichtigt werden müssten. Somit könne das Arbeitsentgelt für die Zeiträume ab dem 1. Mai 2015 keine Berücksichtigung finden, denn diese Zeiträume seien bei dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis nicht abgerechnet gewesen, so dass im Bemessungsrahmen keine 150 Tage mit Arbeitsentgelt enthalten seien. Der Bemessungsrahmen sei daher auf zwei Jahre zu erweitern gewesen und laufe daher vom 1. Februar 2014 bis 31. Januar 2016. Die Beklagte habe die hierin enthaltenen Entgelte berücksichtigt, Rechenfehler seien weder geltend gemacht worden, noch seien sie ersichtlich. Es errechne sich daher ein Bemessungsentgelt in Höhe von 171,80 Euro täglich.

Gegen dieses, seiner Prozessbevollmächtigten am 9. Februar 2017 zugestellte Urteil richtet sich die am 6. März 2017 beim Hessischen Landessozialgericht eingelegte Berufung, mit der der Kläger sein Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags sowie unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 24. September 2008 (B 12 KR 22/07 R) weiter verfolgt. Insbesondere sei es nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren, dass Entgeltbestandteile, von denen planmäßig Beiträge erhoben würden, auf der Leistungsseite außer Betracht blieben, wenn die Rechtsauffassung der Beklagten zugrunde gelegt werde.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 24. Januar 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29. Januar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 2016 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 176,17 Euro zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer Rechtsauffassung fest und verweist zur Begründung auf die ihrer Auffassung nach überzeugenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil sowie auf die Entscheidungen des Bayerischen Landessozialgerichts vom 18. Juli 2016 (L 10 AL 133/16 NZB, juris) sowie des Landessozialgerichts Hamburg vom 5. April 2017 (L 2 AL 84/16, juris).

Mit Schreiben vom 1. Juni 2017 hat der Berichterstatter die Beteiligten im Hinblick auf die mögliche Vorgehensweise nach § 153 Abs. 4 SGG angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Leistungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidung jeweils vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß § 151 SGG eingelegt worden.

Die Berufung ist jedoch nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich. Das Rechtsmittel ist daher durch Beschluss zurückzuweisen, nachdem die Beteiligten dazu gehört worden sind (§ 153 Abs. 4 SGG).

Das Sozialgericht Gießen (SG) hat die Klage zu Recht und aus zutreffenden Gründen abgewiesen. Der Senat schließt sich nach eigener Überzeugung den Ausführungen des SG an und nimmt zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils (vgl. § 153 Abs. 2 SGG) sowie des angefochtenen Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 3. März 2016.

Die von der Beklagten und dem SG den jeweiligen Entscheidungen zu Grunde gelegte Rechtsauffassung entspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG, das zuletzt mit seinen Entscheidungen vom 8. Juli 2009 – B 11 AL 14/08 R, SozR 4-4300 § 130 Nr. 6, und 30. April 2010 – B 11 AL 160/09 B, juris, bekräftigt hat, dass im Bemessungszeitraum nach § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III lediglich die Entgelte berücksichtigt werden können, die aufgrund einer Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinn gezahlt wurden. Hierzu gehören nicht Entgelte, die für Zeiträume nach einer erfolgten Freistellung von der Arbeit gezahlt werden. Diese Rechtsfrage ist geklärt (so ausdrücklich zuletzt auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 18. Juli 2016 – L 10 AL 133/16 NZB, juris; Landessozialgericht Hamburg, Urteile vom 5. April 2017, L 2 AL 68/16 sowie L 2 AL 84/16, beide in juris; zum ganzen siehe auch aktuell Köhler, Auswirkungen einer unwiderruflichen Freistellung auf ALG I, WzS 6./7. 2017, S. 171 - 173).

Dieses Ergebnis läuft auch nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift bzw. den Grundrechten des Klägers zuwider. Der Gesetzgeber und das BSG legen zu Recht zu Grunde dass nach längerer Beschäftigungslosigkeit bei einer Neueinstellung nicht mehr das bisherige Gehalt erzielt werden kann. Unabhängig davon, ob ein Arbeitnehmer bei fehlender Beschäftigung z.B. aufgrund einer Freistellung formal in einem Arbeitsverhältnis steht und ob er trotzdem noch beitragspflichtiges Arbeitsentgelt bezieht, fehlt es an der zur Beibehaltung des "Marktwertes" erforderlichen tatsächlichen Arbeitsleistung in seinem Beruf. Das Bestreben, ein Leistungsniveau zu verhindern, das über einen Ausgleich für das aktuell erzielbare Entgelt hinausgeht, rechtfertigt sich ohne Weiteres aus der Lohnersatzfunktion des Arbeitslosengeldes, und es ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass nach einer unwiderruflichen Freistellung erzielte Arbeitsentgelte in der Arbeitslosenversicherung zwar beitragspflichtig sind, bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes – anders als bei der Erfüllung der Anwartschaftszeit – jedoch nicht berücksichtigt werden. Entgegen den klägerischen Ausführungen wird weder einfach- noch verfassungsrechtlich eine strenge Beitragsäquivalenz der Leistungen gefordert (so auch LSG Hamburg, Urteil vom 5. April 2017, L 7 AL 84/16, juris Rn. 20)

Die von dem Kläger im Berufungsverfahren angeführte Entscheidung des BSG vom 24. September 2008 – B 12 KR 27/07 R, BSGE 101,273 (in juris) ist demgegenüber nicht einschlägig, da sie eine besondere Konstellation betrifft und im Übrigen ausdrücklich die Rechtsprechung des BSG zur Beschäftigungslosigkeit im leistungsrechtlichen Sinne bekräftigt (vgl. juris Rn. 24).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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