S 46 KR 2175/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
46
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 46 KR 2175/16
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 27.01.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2016 wird aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt an den Kläger Krankengeld vom 4.12.2015 bis zum 5.01.2016 zu zahlen. 2. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 4.12.2015 bis zum 5.01.2016.

Der Kläger erkrankte zunächst am 23.10.2015 arbeitsunfähig. Bis zum 3.12.2015 erhielt er Entgeltfortzahlung durch seinen Arbeitgeber. Mit einer Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 16.11.2015 bescheinigte der behandelnde Arzt des Klägers die weitere Arbeitsunfähigkeit bis zum 4.12.2015.

Mit Schreiben vom 7.12.2015 übersandte die Beklagte dem Kläger mehrere Zahlscheine für Krankengeld, einen Fragenbogen zur Arbeitsunfähigkeit und ein Informationsblatt zum Krankengeld. Im letzten Absatz des Schreibens heißt es, dass der Kläger (wenn seine Arbeitsunfähigkeit noch bis zum 3.12.2015 oder darüber hinaus andauere) solle er – soweit noch nicht geschehen – die Arbeitsunfähigkeit bis zum 3.12.2015 auf der gelben AU-Bescheinigung nachweisen. Für anschließende Zeiträume benötige die Beklagte Zahlscheine. Die Zahlscheine enthalten den Hinweis, dass spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt festgestellten Arbeitsunfähigkeitszeitraum die weitere Arbeitsunfähigkeit festgestellt werden muss. Weiter heißt es, dass bei verspäteter Vorlage Krankengeldverlust drohe. Auf dem Informationsblatt zur Entgeltersatzleistung heißt es weiter, dass nunmehr Zahlscheine einzureichen seien und zwar innerhalb von einer Woche nach deren Ausstellung durch den Vertragsarzt. Außerdem enthält es noch einmal den Hinweis, dass der Versicherte spätestens am auf den letzten Tag des zuletzt festgestellten Arbeitsunfähigkeitszeitraumes folgenden Werktag den Vertragsarzt erneut aufzusuchen habe.

Der ausgefüllte Fragebogen ging am 15.12.2015 bei der Beklagten ein.

Die nächste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung datiert auf den 8.01.2016 und reicht bis zum 31.01.2016. Sie ging am 11.01.2016 bei der Beklagten ein.

Am 25.01.2016 ging bei der Beklagten eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 7.12.2015 ein, wonach der Kläger bis einschließlich 7.01.2016 arbeitsunfähig war.

Unter dem 27.01.2016 erhielt der Kläger einen Bescheid der Beklagten, wonach er ab dem 4.12.2015 Krankengeld in der Höhe von kalendertäglich 49,62 EUR erhalte. Für den Zeitraum vom 4.12.2015 bis 7.01.2016 möge er bitte den Bescheid vom 27.01.2016 beachten. Ebenfalls unter dem 27.01.2016 erhielt der Kläger einen Bescheid der Beklagten, wonach der Krankengeldanspruch vom 4.12.2015 bis 7.01.2016 ruhe, da die Frist für die Einreichung der AU-Bescheinigung vom 7.12.2015 bis zum 14.12.2015 gelaufen sei und die AU-Bescheinigung erst am 25.01.2016 bei der Beklagten eingegangen sei.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 5.02.2016 Widerspruch ein, den er wie folgt begründete: Es treffe nicht zu, dass seine Arbeitsunfähigkeit zu spät gemeldet worden sei. Er sei am 4.12.2015 (einem Freitag) in der Praxis nicht behandelt worden und daher am 7.12.2015 erneut bei seiner behandelnden Ärztin vorstellig geworden. Die AU-Bescheinigung sei noch am selben Tag abgesandt worden. Als klar war, dass diese bei der Beklagten nicht vorgelegen habe, habe die Ärztin sofort eine neue ausgestellt und nochmal übersandt. Zudem berief sich der Kläger in seinem Widerspruch darauf, dass er das Schreiben mit dem Hinweis ebenfalls erst am 7.12.2015 erhalten habe. Außerdem habe die Beklagte ihn im Dezember – als sie schon wusste, dass die AU-Bescheinigung fehle – darauf hingewiesen, dass er sich in einer Praxis in H. behandeln lassen könne. Wenn man ihn da schon auf die fehlende AU-Bescheinigung hingewiesen hätte, hätte er die rechtzeitig nachreichen können. Es treffe ihn kein Verschulden, da die AU-Bescheinigung auf dem Postweg verloren gegangen sein muss. Er habe auch gar nicht wissen können, dass die AU-Bescheinigung verloren gegangen sei, die Beklagte habe aber aufgrund des ausgefüllten Fragebogens gewusst, dass noch Arbeitsunfähigkeit vorliege und hätte ihn also auf den Verlust hinweisen können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Krankengeldanspruch des Klägers im Zeitraum vom 4.12.2015 bis einschließlich 5.01.2016 ruhe, da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für diesen Zeitraum nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von einer Woche an die Beklagte übersandt worden sei. Die AU-Bescheinigung für diesen Zeitraum sei erst am 25.0.12016 bei der Beklagten eingegangen. Es gehöre zu den Obliegenheiten des Versicherten, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtzeitig einzureichen. Darüber sei er im Schreiben vom 7.12.2015 auch hinreichend aufgeklärt worden. Es sei in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts anerkannt, dass der Verlust der AU-Bescheinigung auf dem Postwege die Zahlung von Krankengeld ausschließe. Es bestehe auch kein Anspruch auf Krankengeld, weil der Kläger die Erklärung zur Erlangung von Krankengeld und den dazugehörigen Fragenbogen rechtzeitig übersandt habe, da nach der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie die Arbeitsunfähigkeit auf den dafür vorgesehenen Vordrucken vorzunehmen ist und diese Unterlagen keine Angabe über die voraussichtliche Dauer enthalten.

Hiergegen erhob der Kläger am 28.09.2016 die vorliegende Klage. Er führt aus, dass der Bescheid der Beklagten rechtswidrig sei. Gem. § 5 Abs. 1 S. 5 Entgeltfortzahlungsgesetz werde die Meldepflicht für die Arbeitsunfähigkeit dem Vertragsarzt und damit letztlich der Krankenkasse zugewiesen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 27.01.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Krankengeld vom 4.12.2015 bis zum 5.01.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist hierzu auf ihr Vorbringen im Vorverfahren. Sie führt vertiefend aus, dass die Meldung der Arbeitsunfähigkeit an die Krankenkasse lediglich eine unverbindliche Dienstleistung des Vertragsarztes sei und daher nicht dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen sei. Darüber hinaus sei der Anwendungsbereich des Entgeltfortzahlungsgesetzes auf das Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem Versicherten beschränkt. Die von dem Kläger angeführte Vorschrift suspendiere also nicht von der Verpflichtung, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtzeitig vorzulegen.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird hierauf sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten und das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 18.09.2017 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) zulässige Klage ist begründet.

I. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Krankengeld auch für die Zeit vom 4.12.2015 bis zum 5.01.2016.

1. Gem. § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs. 4, §§ 24, 40 Abs. 2 und § 41) behandelt werden. Nach den unbestrittenen Feststellungen war der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt und mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten versichert.

Dem Anspruch des Klägers steht nicht entgegen, dass die weitere Arbeitsunfähigkeit nicht bereits am 4.12.2015, sondern erst am 7.12.2015 festgestellt wurde. Gem. § 46 S. 1 Nr. 2 und S. 2 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld von dem Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit an und bleibt zwar jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgt; Samstage gelten insoweit nicht als Werktage, sodass der Kläger sich spätestens am 5.12.2015 wieder bei seinem Arzt zur weiteren Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hätte vorstellen müssen, dabei sind aber Umstände, die in den Verantwortungsbereich des Vertragsarztes fallen und zu einer verspäteten Feststellung der Arbeitsunfähigkeit führen, jedenfalls nicht dem Versicherten anzulasten.

Das Bundessozialgericht hat in seiner mittlerweile gefestigten Rechtsprechung immer wieder Ausnahmen von den ansonsten strikt anzuwendenden Vorschriften des zweiten Titels des 3. Kapitels des SGB V zugelassen. So sind dem Versicherten gleichwohl Krg-Ansprüche zuerkannt worden, wenn die ärztliche Feststellung (oder die rechtzeitige Meldung der AU nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V) durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuzurechnen sind [ ]. Als entscheidend für die Anerkennung solcher Ausnahmen hat es das BSG angesehen, dass der Versicherte die ihm vom Gesetz übertragene Obliegenheit, für eine zeitgerechte ärztliche Feststellung der geltend gemachten AU Sorge zu tragen, erfüllt, wenn er alles in seiner Macht Stehende tut, um die ärztliche Feststellung zu erhalten: Er hat dazu den Arzt aufzusuchen und ihm seine Beschwerden vorzutragen. Unterbleibt die ärztliche AU-Feststellung dann gleichwohl aus Gründen, die dem Verantwortungsbereich des Arztes zuzuordnen sind, darf sich das nicht zum Nachteil des Versicherten auswirken, wenn er seinerseits alles in seiner Macht Stehende getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert wurde (vgl zuletzt BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nr 7, RdNr 28 mwN). Hinzukommen muss anschließend, dass der Versicherte seine Rechte bei der Krankenkasse innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht. Unter diesen engen Voraussetzungen kann die Unrichtigkeit der ärztlichen Beurteilung auch durch die nachträgliche Einschätzung eines anderen ärztlichen Gutachters nachgewiesen werden und der Versicherte ausnahmsweise auch rückwirkend Krg beanspruchen (vgl erneut BSGE 118, 52 = SozR 4-2500 § 192 Nr 7, RdNr 28 unter Hinweis auf BSGE 95, 219 = SozR 4-2500 § 46 Nr 1, RdNr 22 ff), (BSG, Urteil vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R –, BSGE (vorgesehen), SozR 4 (vorgesehen), Rn. 22 f. bei juris). Nach diesen Maßstäben bestand der Krankengeldanspruch des Klägers auch für die Zeit vom 5.12.2015 bis zum 7.12.2015 und darüber hinaus. Die Kammer hat keinerlei Zweifel an dem im Übrigen unbestrittenen Vortrag, dass der Kläger die Praxis seiner behandelnden Ärztin tatsächlich am 5.12.2015 und damit rechtzeitig zur weiteren Feststellung der Arbeitsunfähigkeit aufgesucht hat und an diesem Tag (einem Freitag) dann nicht von der Ärztin untersucht worden ist. Dies stellt aber gerade einen der Umstände dar, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gerade nicht in den Verantwortungsbereich des Versicherten fallen. Darüber hinaus hat er die weitere Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auch innerhalb der Frist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGV nachgeholt, indem er gleich am nächsten Werktag, dem 7.12.2015, die Ärztin erneut aufsuchte.

2. Der Anspruch des Klägers ruhte im streitgegenständlichen Zeitraum auch nicht wegen einer verspäteten Übersendung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Beklagte. Zwar ruht der Krankengeldanspruch des Versicherten, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Hs. 1 SGB V) und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 7.12.2015 ging der Beklagten erst am 25.01.2016 zu, dennoch war es der Beklagten im vorliegenden Fall verwehrt, sich auf das Ruhen des Anspruchs zu berufen, denn die verzögerte Meldung der Arbeitsunfähigkeit ist nicht der Risikosphäre des Klägers zuzuordnen, sondern der Beklagten.

Die Folgen einer verspäteten Meldung treffen grundsätzlich den Versicherten, selbst wenn ihn kein Verschulden an der verspäteten Anzeige trifft, etwa wenn die Anzeige auf dem Postwege verloren geht (vgl zuletzt zur ständigen Rechtsprechung BSG, Urteil vom 8.2.2000 - B 1 KR 11/99 R = BSGE 85, 271 = SozR 3-2500 § 49 Nr 4). Ausnahmsweise gilt jedoch etwas anderes, wenn die verzögerte Meldung der Arbeitsunfähigkeit auf Umständen beruht, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse und nicht dem Versicherten zuzurechnen sind (BSG vom 8.2.2000 aaO mwN), (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. August 2004 – L 16 KR 324/03 –, 1. Leitsatz bei juris). Dies gilt jedenfalls im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 S. 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG).

Mit Urteil vom 28.10.1981 (BSGE 52, 254ff.) hat das BSG zur Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 3 Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG in der bis zum 31.12.1994 geltenden Fassung) entschieden, die Feststellung und Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit durch den Kassenarzt seien Tätigkeiten im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung, für die die Träger der Krankenversicherung eine Mitverantwortung trügen. Dem Versicherten sei durch § 3 Abs. 1 Satz 3 LFZG die Verpflichtung abgenommen, der Krankenkasse die Arbeitsunfähigkeit zu melden, vielmehr treffe die Verpflichtung den Arzt (BSG a.a.O.). Das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG), das zum 01.01.1995 an die Stelle des LFZG getreten ist (Artikel 53, 60, 68 Abs. 1 Pflege-Versicherungsgesetz v. 26.05.1994, BGBl. I, 1014), sieht in § 5 Abs. 1 Satz 5 EFZG eine dem § 3 Abs. 1 Satz 3 LFZG a. F. entsprechende (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2000, Az: B 1 KR 18/99 R = SozR 3-1500 § 164 Nr. 11) Bestimmung vor. Danach muss die ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit einen Vermerk des behandelnden Arztes darüber enthalten, dass der Krankenkasse unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mit Angaben über den Befund und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit übersandt wird (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. August 2004 – L 16 KR 324/03 –, Rn. 25 f., juris).

Dies hat zur Folge, dass im Rahmen des Anwendungsbereichs des Entgeltfortzahlungsgesetzes die Meldepflicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten entzogen und der Risikosphäre des Kassenarztes, mithin der Krankenkasse zugewiesen ist. Dieser Pflicht kann sich die Beklagte auch nicht dadurch entziehen, dass - wie in der Praxis in den meisten Fällen üblich - die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an den Versicherten mit dem Hinweis ausgehändigt wird, diese sei bei der Krankenkasse vorzulegen, um Krankengeldverlust bei nicht rechtzeitiger Vorlage zu vermeiden (vgl. so überzeugend LSG NRW, aaO, RdNr. 21, 23 m.w.N.). Wenn die Krankenkasse demnach das Übermittlungsrisiko trägt, kann sie sich auf einen verspäteten Zugang der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, mithin einer aus ihrer Sicht verspäteten Meldung, nicht berufen (Sozialgericht für das Saarland, Urteil vom 23. Oktober 2015 – S 15 KR 509/15 –, Rn. 25, juris).

Mit Verfügung vom 10.03.2017 hat das Gericht den Kläger aufgefordert, die für den Arbeitgeber bestimmte Ausfertigung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 7.12.2015 vorzulegen. Darin heißt es am linken Rand "Bitte sofort dem Arbeitgeber vorlegen!" Außerdem heißt es darauf: "Der angegebenen Krankenkasse wird unverzüglich eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit [ ] übersandt." Damit entsprechen die im hiesigen Fall verwendeten Vordrucke gerade den Anforderungen des § 5 Abs. 1 S. 5 EFZG.

Soweit die Beklagte dagegen einwendet, dass das EFZG gerade keine Wirkung zwischen dem Versicherten und der Krankenkasse entfaltet, sondern allein zwischen ihm und seinem Arbeitgeber wirkt, verfängt diese Auffassung gerade nicht, denn § 5 Abs. 1 S. 5 EFZG begründet seinem eindeutigen Wortlaut nach eine Pflicht des Vertragsarztes. Diese Pflicht kann aber entgegen anderer Auffassung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 21.10.2015 – L 5 KR 5457/13, Rn. 36) der Beklagten als Krankenkasse zugerechnet werden. Insbesondere handelt es sich bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch den Vertragsarzt nicht um eine unverbindliche Dienstleistung (vgl. a.A. Schiffdecker, in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 95. EL Juli 2017§ 49 Rn. 52 f.). Ein derartiges Verständnis lässt sich mit der Ausgestaltung der Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern nicht vereinbaren. Das Vierte Kapitel des SGB V regelt die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern ( ) abschließend (vgl. § 69 Abs. 1 S. 1 SGB V). Gem. § 72 Abs. 1 SGB V wirken die dort genannten Leistungserbringer (darunter auch die Ärzte) und die Krankenkassen bei der vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten zusammen. Allein aus diesem Zusammenwirken kann schon geschlossen werden, dass Tätigkeiten eines Arztes im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung jedenfalls keine "unverbindliche Dienstleistung" des Arztes ggü. der Krankenkasse darstellen. Gem. § 73 Abs. 2 S. 1 Nr. 9 SGB V ist auch die Ausstellung von Bescheinigungen und Erstellung von Berichten, die die Krankenkassen und der Medizinische Dienst zur Durchführung ihrer gesetzlichen Aufgaben oder die die Versicherten für den Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts benötigen Teil der vertragsärztlichen Versorgung. Mit letzterem sind gerade die Bescheinigungen nach dem EFZG ausdrücklich in die vertragsärztliche Versorgung und damit in das Zusammenwirken der Krankenkassen und der Leistungserbringer inkorporiert.

Der Kläger hat die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch unmittelbar nach Kenntniserlangung vom fehlenden Zugang erneut an die Beklagte und damit innerhalb der Frist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Hs. 2 SGB V von einer Woche übersandt. Das Gericht konnte im Rahmen der mündlichen Verhandlung zwar nicht weiter aufklären, warum sich auf der Kopie in der Verwaltungsakte der Beklagten der 25.01.2016 als Eingangsvermerk befand, obwohl der Kläger erst durch den Bescheid vom 27.01.2016 vom fehlenden Zugang erfahren haben will, letztlich hat das Gericht aber – auch da die Beklagte dies nicht bestritten hat – keine Zweifel daran, dass er die behandelnde Ärztin gleich nach Kenntniserlangung um erneute Übersendung bat.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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